Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Achtes Kapitel

»Denn mir war: urplötzlich ward ich entrückt von meinem Bett, aus meinem Gezelt, in die Lüfte emporgeführt wie von wirbelndem Winde, hoch, immer höher, bis nah an die Sterne, und dann niedergelassen auf den Gipfel des höchsten Berges der Erde. Und war es bisher Nacht gewesen um mich, – nun ward es heller Tag. Und ich sah unter mir im blutroten Scheine der Morgensonne hingebreitet alle Länder, von ihren Strömen wie von silbernen Bändern durchschlängelt: aber auch auf ihnen lag ein blutroter Schein: und sah alle Meere mit ihren Buchten und Inseln: aber auch auf den tiefblauen Meeren und auf den grünen Eilanden lag ein blutroter Schein.

Und ich sah vom Aufgang bis zum Niedergang! Von der uralten Heimat unseres Volkes in den salzigen Steppen jenseit des kleinen Meeres im Lande Asia bis zu den Säulen jenes Herkules, der auch die Welt bezwungen haben soll. Und ich sah von Mitternacht, wo eine geronnene See das leuchtende Meergold an eisige Gestade spült, bis zum Mittag, wo der gelbhaarige Vandalenkönig von gelbhaarigen geblendeten Mähnenträgern sich auf goldnem Wagen ziehen läßt durch das zitternde Karthago. Und ich sah vor mir das Treiben der Völker und ihrer Fürsten in all' diesen Landen: einem durcheinander wimmelnden Haufen von Ameisen däuchte es mir ähnlich.

Urplötzlich aber erschrak ich.

Denn die Sonne verfinsterte ihren Schein: zwischen ihr und mir stand eine gewaltige, eine furchtbare Gestalt: ein Riese! Dessen eherne Füße reichten vom Gürtel ab – durch den hohen Berg – hindurch bis auf das Thal der Erde und sein Haupt ragte hoch hinein in die verhüllenden Wolken des Himmels. So schaute ich nur seine gepanzerte Brust und den Hals. Manchmal aber blitzte es hernieder aus dem ziehenden Gewölk: das war ein Blick seines flammenden Auges: dann mußte ich geblendet das meine schließen. Oder auch sein Antlitz zwar blieb verhüllt, aber hoch jenseit der wehenden Wolken ragte hervor seine Helmspitze: die loderte in eitel flüssigem Feuer. Und ich kannte den Riesen: oder ich erriet ihn: Puru war es, der Hunnen oberster Gott, der schreckliche Kriegsgott.«

Chelchal erschauerte: er kreuzte die Arme über der Brust: »Sei uns gnädig, Puru, schrecklicher Gott!« flüsterte er.

»Mir war, mir ist er gnädig! Denn aus den Wolken drang zu mir herab seine Stimme, die scholl wie gedämpfter, dumpf grollender Donner. Und die Stimme sprach: »Du siehst vor dir die Völker der Erde. Aber nur von außen sahst du sie bis jetzt: Hab' acht: nun zeig' ich sie dir von innen.« Und siehe da: plötzlich drang mein Blick durch alle Marmordächer und alles Erzgetäfel der Tempel und Kirchen und Paläste und Steinhäuser im Süden und Osten und durch die ledergedeckten Zelte der Wanderhirten und durch das Moosdach oder die schneebedeckten Bretterdächer der Fischer und Renntierjäger im Westen und Norden: und ich sah Zank und Gewalt und Raub und Diebstahl und Mord und Ehebruch.

Und – oh grauenhafte Klarheit! – jedem Menschen, auf den mein Auge traf, sah ich in das Hirn und in das Herz: und ich sah seine geheimsten Gedanken und sein verborgenstes Begehren: und sah List und Lüge und mörderischen Haß unter dem Schein der Freundschaft und lechzende Rachgier oder lechzend Lustverlangen, und sah Heuchelei der Priester wie der Opfernden; in allen, allen aber sah ich elende, feige Furcht vor dem Tode.

Und mich überkam ungeheurer Ekel an der ganzen Menschheit. Ich schloß die Augen; ich wollte nicht noch mehr sehen. Der Gott aber sprach: ›Hast du Furcht, Hunne?‹

›Ich weiß nicht, was das ist,‹ erwiderte ich. ›Aber mir ward wie beim Riechen stinkenden Fleisches. Es ist greulich. Und es sollte lieber nichts sein als das, was ist.‹ – ›Du sprichst, was wahr ist. Und du – du sollst es wahr machen! Attila, Mundzucks Sohn: schau dort im Mittag die Römer in Byzanz, in Ravenna: sie sind siech, unheilbar siechend an innerer Fäule: das Scepter der Welt, es entgleitet ihren Händen. Und nun schau dorthin, gen Mitternacht! Siehst du die blonden Riesen mit den blauen, den leuchtenden Augen? Du wähnst – du hast es besorgt! – sie nehmen es auf, jenes goldene Scepter? Besorge das nicht! Sie sind wie die Bären ihrer Wälder: stark, todesmutig, aber dumpf, wie das reißende Tier. Sie zerreißen sich selbst, wo irgend sie aufeinander treffen, aus dummer Lust am Kampf. Sie berauschen sich im Kampf an Blut, nach dem Sieg in Bier und Met, viehischer als die Tiere, die du nur einmal berauschen kannst in demselben Getränk. Und sie lernen nie gehorchen. Darum lernen sie auch nie herrschen. Wer sie durcheinander, aufeinander hetzt, der wird sie leicht verderben durch ihren Wahnsinn, den sie Ehre nennen oder Treue oder Heldentrotz: und durch ihren viehischen Sauftrunk: in Blut und Bier und Wahnsinn des Stolzes, dadurch sind sie sicher zu verderben. Und hinter den blonden Säufern: die andern, welche noch Nebelgewölk des Ostens verschleiert: die können besser gehorchen, aber noch weniger herrschen und zumal noch weniger Vorsorgen für das Kommende als die blauäugigen Riesen mit den Kinderherzen: und sie saufen nicht minder und sind nicht so todeskühn: Wer Bären bändigt, lacht der Wölfe.

Deine Hunnen aber sind zwar kleiner, schwächer als Römer, Asgardhsöhne und Sarmaten: jedoch ihre Zahl ist wie der Sand der Steppe. Und: sie können gehorchen, wahllos, unzaudernd, wie Hunde dem Jäger. Dir werden sie gehorchen wie der Pfeil, den du vom Bogen schnellst. Die Ernte ist reif: willst du mein Schnitter sein? Auf, Attila! Die ungeheueren Frevel Roms, von einem Jahrtausend gehäuft, schreien zu mir empor um Rache. Ich bin der Rachegott: willst du das Schwert des Rachegottes sein? Willst du? So wirf von dir in dieser Stunde, was menschlich ist an dir. Das heißt: was schwach. Und werde fühllos wie das Schwert in meiner Faust, nur meinem Willen dienend, mitleidlos die Halme mähend, die Hunderttausende würgend, auch Kinder, Weiber, Greise. Und ich will deinen Namen groß machen vor allen Königen. Und will unter deine Füße werfen alle Länder vom Aufgang bis zum Niedergang. Und Korn soll nicht mehr wachsen noch Gras noch Kraut auf der Scholle, darauf dein Roß den Huf gesetzt. Und dein Name soll, solange Menschen reden, das fürchterlichste Wort im Mund der Menschen werden, ein Ruhm und ein Fluch, ein Stolz und ein Schrecken ohnegleichen. Denn des Rachegottes Geißel sollst du heißen, das Größte und das Fürchterlichste sein. Willst du blindlings alles vollziehen, was ich dir eingebe? Attila, willst du?‹

Ich schauderte. Mir graute. Ich schwieg. Mein Herzblut fror. Ich dachte: auch Unschuldige sollst du würgen? Ich dachte: wie ich – mit Bleda – auf den Knieen der lieben Mutter gesessen. Mich erbarmte der Mutter, der Kinder . . . –

Er sah durch mein Haupt hindurch meine Gedanken. Und lachend – aber es war furchtbar, wie wenn der Donner widerhallt am Felsen – rief er: ›Du zögerst? Du willst nicht? Wohlan! Im Donauwalde, nahe Bledas Zelten, da liegt unter Moos mein altes Siegesschwert vergraben. Der Fürst, der es ergreift, der wird von Stund an – ob er will, ob nicht – wie dieses Schwert, wird selbst mein fühllos unbesieglich Schwert. So werde Bleda denn der Herr der Welt!‹

Und unter Blitz und Donner war der Gott verschwunden. Nacht ward's um mich her. Der Berg, auf dessen Gipfel ich gestanden, that sich auf unter meinen Füßen. Ich stürzte, stürzte, schwer wie ein fallender Stein, endlos tief hinab. Das Blut brach mir aus Mund und Nase.

Ich schlug endlich auf der Erde auf – alles schmeckte nach Blut . . . Da erwachte ich: wirklich schmeckte ich Blut: Blut war mir aus Mund und Nase gebrochen: ich lag vor meinem Lager, auf der Erde: das Fieber hatte mich herausgeworfen: mir war wie zum Sterben.

Es war Nacht; matt glomm die Ampel; aber über mich beugte sich ein Bote Bledas, der sprach:

›Dein Bruder – als der ältere – gebietet dir, morgen vor Sonnesinken vor ihm zu stehen. Kommst du nicht und giebst du nicht den Angriff auf, den du ihm mitgeteilt, wird dein Bruder Bleda deine Völker dir nehmen, wie er sie dir gegeben hat.‹ Und er verschwand.«

 


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