Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Drittes Kapitel

Schon begannen allmählich die Dämmerungen des langen Sommertages: man war noch an der für das Nachtlager ausersehenen Stelle, einer Furt durch die Dricca – ein Nebenflüßlein der Theiß – nicht angelangt, als von den Reitern, welche die linke, die westliche Flanke des Zuges, oft in weitem Bogen, umschwärmten, wiederholt einzelne pfeilschnell herangeflogen kamen und Ediko kurze Meldungen brachten: sie wiesen dabei lebhaft mit ihren langen Lanzen oder mit der kurzstieligen, mehrsträngigen, mörderischen Geißel aus härtestem Büffelleder – der eigentlichen Hauptwaffe der Hunnen neben Bogen und Pfeil – in der Richtung der sinkenden Sonne, deren vom Dunst der Steppe unschön in die Breite gedrücktes Bild – verzerrt wie in einem Hohlspiegel – hinter gelbgrauen Wolken unterging, blutrot, ohne Strahlen, ohne Glanz. Ruhig blickte Ediko den mit seinen Befehlen wieder davon Sprengenden nach.

Ein noch sehr jugendlicher Römer trieb das Pferd heran: »Ediko, Herr,« – hob er schüchtern an – »mein Vater – Vigilius – schickt mich: er ist in Sorge – wegen jener Meldungen. Einer der Goten, welche die Wagen bewachen, sagte, man könne dort im Westen deutlich von den höher ziehenden Wolken des Abendhimmels niedrige schwere Staubwolken unterscheiden. Das rühre von einem Reiterzug her. Der Vater fürchtet . . . – es werden doch nicht Räuber sein?« – »Im Reiche Attilas? Nein, Knabe. Beruhige den Tapfern! Hast du nicht, sobald wir eure Grenze überschritten, entlang der Straße hier und dort – nicht gar zu selten! – an den Bäumen Knochengerippe angenagelt gesehen oder noch modernde Leichen?« Der Jüngling nickte mit Schaudern: »Ja! Eine fürchterliche Verzierung seiner Heerstraßen liebt Euer Herr. Ganze Schwärme von Raben scheucht man davon auf im Vorbeireiten. Dort, hinter jener Krümmung des Weges, hingen drei beisammen. Römer nach Gesicht und Tracht.« – »Jawohl! Das waren zwei Räuber und ein römischer Kundschafter. Mein Herr weiß sie nach Verdienst zu bereichern und nach Wunsch zu unterrichten! Noch in der Stunde der That waren sie ergriffen, angeklagt, überführt, verurteilt und hingerichtet.« »Eure Rechtspflege ist blutig,« sprach der Jüngling.

»Aber rasch und gerecht,« schloß Ediko. »Du wirst das noch erfahren, Knabe.« – »Aber – wenn nicht Räuber, was sind es für Leute?« – »Der Abend wird es lehren.« Und er lehrte es.

Denn kaum hatte Ediko mit seinem Zuge die Wiese neben der Furt erreicht, wo die Pferde außer Wasser reichlich frisches Futter fanden, als von dem einstweilen deutlich sichtbar gewordenen Zuge, der von Westen her offenbar die Straße nach Norden suchte, die ersten Berittenen bereits eintrafen. Zuerst ebenfalls rasche hunnische Reiter, dann ebenfalls vornehme Römer: und es folgten ihnen ebenfalls, obzwar in minderer Zahl, schwer beladene Wagen.

Maximin und Priscus ritten den Ankömmlingen langsam entgegen. »Comes Romulus!« rief Maximin, aus dem Sattel springend. »Freund Primutus!« staunte Priscus, seinem Beispiel folgend. Auch die beiden so Angerufenen – in reicher römischer Tracht – stiegen nun von den Pferden: die vier Männer schüttelten sich die Hände. »Ich dachte dich in Ravenna, Romulus,« sprach Maximin. »Und ich dich, Primutus, in deinem Birunum,« sprach Priscus. »Was hat der Präfekt von Noricum hier zu thun?«

»Und ich glaubte euch beide in Byzanz,« erwiderte der Comes Romulus, der wenig jünger schien als Maximin. »Und nun treffen wir uns hier,« seufzte der Präfekt von Noricum, eine männliche Kriegergestalt, »auf der hunnischen Steppe.« »Freude ist es sonst, alte Freunde wiederzusehen . . .« klagte Maximin. »Und römische Senatoren!« meinte Romulus. »Aber unser Wiedersehen . . .« fiel Priscus ein. »Ist keine Freude!« schloß der Präfekt. – »Es ist Schmerz!« – »Denn wir treffen uns, ahn' ich, in gleicher Sendung . . .« – »Und in gleicher Schmach.« »Ihr seid von Kaiser Theodosius zu Attila geschickt . . .« riet Primutus. »Um Frieden zu bitten!« erwiderte Maximin. »Und ihr von Kaiser Valentinian – –?« – »Um alle Forderungen . . .« »Zu bewilligen!« – ergänzte Priscus. »Jeden Betrag von Tribut bezahlen . . .« klagte der Präfekt. – »Den der Barbar begehrt . . .! Dort in jenen Wagen . . .« – »Schleppt ihr den des abgelaufenen Jahres nach!« – »Frieden um jeden Preis sollt ihr schließen? Nicht?« fragte der Rhetor. »Ja, auch um den der Ehre,« grollte Primutus, an das Schwert greifend. »Die ist schon lange nicht mehr hinzugeben,« zürnte Priscus. »O Maximin, Enkel der Antonine!« klagte der Comes. »Ach Romulus, Besieger der Vandalen!« rief der Patricius . . .

»Und wir treffen uns hier auf dem Wege, den Hunnenhäuptling anzuflehen!« sprach der Präfekt. »Den barbarischesten aller Barbaren!« schloß Priscus. »Ich habe noch besondern Auftrag,« begann grimmig Maximinus aufs neue. »Ich auch,« rief Romulus. »Geheimen!« lachte Priscus. »Ganz geheimen!« ergänzte Primutus. »Falls ich den Hunnen durch alles Gold und alle Demütigung nicht davon abhalten kann, das gefürchtete Schwert wieder zu ziehen, soll ich ihm vorstellen . . .« »Doch nicht,« forschte der Comes, »daß West-Rom leichter zu bekriegen und zu berauben sei, als Byzanz?« »Das ist unser wichtigster Auftrag,« bestätigte der Rhetor. »Spart euch die Mühe,« rief der Präfekt in hellem Zorn. »Denn wir haben Attila zu beweisen, daß ihr in Byzanz noch viel wehrloser und ohnmächtiger und dabei reicher seid als wir in Ravenna!« »O der Schmach,« jammerte der Patricius. »O des Elends,« klagte laut der Comes.

Maximin preßte die geballte Faust vor die Stirn, Romulus drückte die Hand auf das Herz, der Präfekt schüttelte grimmig das Haupt, während der Rhetor in verhaltenem Weh leise stöhnte. Sie waren in diesem traurigen Gespräch einstweilen bis an die Wagen der Byzantiner gelangt: ihr Jammer drückte sich deutlich in ihren Mienen, in ihren Gebärden aus. Verdeckt von einem der mächtigen Wagen sah ihnen zu eine hochragende Gestalt. Der Mann nickte leise mit dem behelmten Haupt. »Drückt euch die Schmach zu Boden, Römer?« flüsterte er in gotischer Sprache. »Habt's voll verdient – lange, lange. – Wartet nur! Es kommt noch besser!«

 


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