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Nun dunkelte draußen der Abend herauf.
Die Sonne war, wie so oft in diesem Steppenlande, als eine glanzlose, rotglühende Kugel versunken hinter den trüben Dunstmassen, die, dicht übereinander geschichtet, lagerten oberhalb der letzten wellenförmigen langgestreckten Striche, in welche die kahle, öde Heide am Rande des Gesichtskreises im Westen sich verlor.
Attila schritt in der einstweilen von den Tischen, Bänken und Geräten des Mahles geleerten Gasthalle auf und nieder; abermals hatte er alle Eingetretenen entlassen, Chelchal trat ein und meldete, daß er seinen Auftrag ausgeführt habe. Der Herrscher nickte stumm; in Brüten versunken nahm er langsam den breiten siebenzackigen Goldreif von dem mächtigen Haupt und legte ihn in die Truhe mit den Edelsteinen. Dann löste er die Spange, die ihm den Mantel auf der linken Schulter zusammengehalten hatte und warf diesen ab; er stand nun in einem Unterkleid von matt weißer Seide; auch den breiten Wehrgurt mit dem langen krummen Dolchmesser schnallte er ab und übergab ihn Chelchal. »Nimm den Schlüssel zu dem Schlafhaus an dich,« gebot er. »Jawohl, Herr, wie immer;« er nahm ihn aus der Gürteltasche des Wehrgehängs. »Du schließest von außen ab.« – »Aber – der zweite Schlüssel? Sie wird fliehen wollen, sobald du schläfst.« – »Unbesorgt! Ich trage ihn hier – auf der Brust – unter dem Wams. Sechs Hunnen halten auf der Schwelle des Schlafhauses, hinter dem Hochsitz dort oben, die Nachtwache.«
»Wie immer, Herr.« – Er wartete auf den Befehl, zu gehen, die Braut zu senden. Aber noch einmal durchmaß Attila mit langsamen Schritten die weite Gasthalle; nun blieb er stehen, in Sinnen verloren; er schloß die Augen. Endlich fuhr er auf: »Wo ist Gerwalt, der Alamanne? Ich befahl, ihn zu holen, sobald der Streich gelungen. Weshalb zeigt er sich nicht?« – »Er ist nicht zu finden. Ich ließ ihn auf deinen Wink in seinem Absteigehause bewachen – von Ehrenwachen, wie ich ihm erklärte. Aber er zechte mit den drei Hunnen, trank alle drei von der Bank und verschwand aus dem Hause.« – »Man suche ihn und binde ihn. Er soll – zur Bestärkung seiner Furcht und Treue – heute noch die beiden Germanenfürsten sterben sehen.« – »Gut, Herr, ich werde ihn gefangen nehmen. Allein – du vergaßest in deinem gerechten Zorn – heute dürfen wir kein Blut mehr vergießen. Der Vorabend des Festes Dzriwills ist bereits angebrochen –, erst nach drei Tagen . . .« – »Hei, ich glaube nur an Puru, ich lache dieser Rossegöttin in Gestalt einer hölzernen Stute!« – »Du – leider! Aber nicht ich und nicht deine Hunnen. Du darfst nicht! Du mußt ihr ja morgen vor allem Volk das große Opfer bringen, sie dürfen nicht irre an deinem Priestertum werden.« – »Es ist wahr. – So mögen sie denn drei Tage noch Todesangst ausstehen.« – »Und Gerwalt, wenn wir ihn greifen? Soll er straflos bleiben? Er hat doch . . .« – »Seine Strafe – für sein Verschweigen – soll mir der treue Ardarich bestimmen, – der auch geschwiegen hat. – Jene drei Trunkenbolde – nach dem Fest! – ans Kreuz!« – »Herr, es sind tapfre Männer. Und es war das erste Mal . . .« – »Drum will ich sie vor Rückfall schützen. Die Germanen sollen saufen, nicht meine Hunnen: den ewig Nüchternen gehört die Welt.«
Chelchal schwieg.
Abermals machte Attila, in Sinnen versunken, einen Gang durch die weite Halle. Dicht vor dem Freunde blieb er nun stehen: »Seltsam, Alter, ganz seltsam. – Nie erging mir's so mit einem Weibe. Vor diesem jungfräulichen Antlitz, vor dieser Unnahbarkeit, vor diesem Blicke mörderischen Hasses beschleicht mich etwas, das ich nie gekannt. Wie entbrannte ich, da ich zuerst sie sah! Wie verlangt in diesem Augenblick mein Arm, diese üppige Schönheit zu umschließen –! Und meiner Seele . . .«
»Nun, Herr?«
»Meiner Seele – graut vor ihr! Es ist nicht Furcht! Zum Lachen! Ich zerbreche sie ja in meinen Armen. Furcht! Nicht einmal dort, an der Marne, kam sie mir: – in jener bösen Nacht. Die Westgoten hatten wirklich auch den dritten, den letzten Graben vor meinem Lager überschritten: denn viele tausend Leichen meiner Hunnen füllten ihn aus bis zum Rande. Ich ließ mir vor meinem Zelt einen hügelhohen Scheiterhaufen aufrichten von Pferdesätteln und Holzschilden und ganz mit Pech beträufen. Da oben lag ich, die brennende Fackel in der Hand, mich lebendig zu verbrennen, bevor sie eindrangen und Attila ein Gefangener wurde. Eisige Ruhe des Entschlusses hatte mich fühllos gemacht wie einen Toten bei lebendigem Leibe. Aber Furcht oder Grauen? Nein! Jedoch dieses Germanenmädchen! Weißt du, nicht Furcht ist es: Scheu: wie ich sie als Knabe spürte, als ich noch an Heiligtümer glaubte –! Der verliebte Junge hat Recht: sie hat etwas von einer blonden Göttin. Wie sie, schneebleich im Angesicht, die Hände mit goldnen Fesseln auf den Rücken gebunden – herrlich hob sich so ihr edler Busen ab! – die keuschen Augen auf mich richtete: – ein Schauer durchfröstelte mich bis ins Mark.« Er sah sich scheu um, ob die Halle völlig leer sei, trat dicht an ihn heran und raunte ganz leise:
»Höre, Alter – aber schweige gegen alle Sterblichen! – ich muß mir Mut – nein: sinnlose Wildheit! holen gegen diese Jungfrau. Du weißt, seit sechsundvierzig Jahren hab' ich nur Wasser . . . Chelchal! stelle mir jetzt in den Schlafsaal den hohen Goldkrug – weißt du? den aus Aquileja! – ohne Mischkrug! – voll des allerstärksten Gazzatiner Weines . . .« – »Nein, Herr! Das ist eitel flüssig Feuer!« – »Ich sage dir ja: mich friert unter ihrem Blick. Ich wollte, ich könnte jetzt das Feuer des Vesuvius in meine Adern gießen! Nun warte, weiße Göttin! Auch dieses Grauen sollst du mir schrecklich büßen. Ich will dich . . .! Geh, Alter! Besorge den Wein! Dann bringe mir meine trotzige Braut. – Und höre, nimm ihr die Ketten ab.« – »Herr . . .« – »Nun?« – »Die Germanin ist sehr stark. Laß sie gebunden, bis du – in Güte – sie gewonnen, daß sie sich füge. Sonst . . .« »Bah,« lachte er, die Arme, wie er es liebte, kurz erhebend und die Muskeln anspannend. »Und noch eins: bei meinem Zorne, Chelchal, niemand wage, mich zu stören in den Freuden des Weines und der Liebe! Niemand poche! Niemand wage einzudringen, bis ich selbst morgen die Pforte öffne und hier heraustrete. Was einstweilen eintrifft von Meldungen an mich – mündlichen und schriftlichen – du nimmst sie in Empfang, du öffnest sie. Denn ich hoffe auf lange Wonne und dann auf lange, lange Ruhe.«