Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Viertes Kapitel.

Rasch schritt nun Ildicho dahin. Die Hochgewachsene mußte gar manchmal das Haupt mit der leuchtenden Haarkrone beugen, unter den Ästen durchzuschlüpfen, die von beiden Seiten oft die schmale Spur im feuchten Moos überragten, die den Fußsteig, kaum merkbar, andeutete. –

Tiefer und tiefer ging es in den Wald, dichter standen hier die Bäume, spärlicher fiel das Sonnenlicht ein. –

Bald hatte die Schnelle das Ziel erreicht: den Ursprung der Quelle. Von dankbarer Hand schon der Ahnherrn war der heilige »Ursprink«, die »Heila-Wag«, der »Quickborn«, wo er, in sprudelnder Kraft, wie ein lebendiges Wesen, plötzlich geheimnisvoll aus der dunklen Tiefe der Mutter Erde hervorsprang, gefaßt worden in schönen, dunkelroten Sandstein. Den gewährte reichlich der Waldboden: ganz besonders liebt ihn, ihren Freund, als Untergrund die Buche. Ist er doch schön, mild und stark zugleich: – wie sie selber, die holde Wald-Idise, die freudige Frau Buche.

In den obersten Mittelstein des kunstlosen mörtellosen Gefüges waren einige Runen geritzt; sie besagten:

»Diesen quicken, quillenden Quell
Faßte und friedete
Für Frigga Friedgast,
Reisiger Rugen
Frommer Fürst.
Frigga befreunde
In Haus und Halle
Für und für uns die Frauen!«

Um diesen obersten Stein war ein Kranz geschlungen von dunkelblättrigem Epheu, von welchem sich das lichte Blau großblütiger Glockenblumen wohlthuend und eindringlich abhob; das Gewinde lag schon eine Woche hier: gleichwohl war es noch gar frisch erhalten; das feuchte Gestäube des vom Quell aufsprühenden Wasserdunstes ließ Blätter und Blüten nicht leicht welken.

Ildicho glitt nun auf die Kniee nieder, das lange Buchengewinde sorglich neben sich auf das Moos legend. Sie entfernte mit schonender Hand, nirgend zerrend oder zausend, den Epheukranz von dem überragenden Mittelstein: sie lockerte ihn in zwei Hälften, die nur ganz lose noch zusammenhielten. Jetzt erhob sie sich und sprach sinnend, ernst, feierlich:

»Frigga, ich frage!
Wie der Kranz –, so das Künftige:
Wie des Kranzes Los, so unseres Lebens, unserer Liebe.
Rechts rinne sein, links laufe mein Los!
Frigga: – ich frage!«

So sprechend ließ sie den alten Kranz in den Quell gleiten. Aufmerksam, gespannt sah sie ihm nach.

Eine kurze Strecke nur blieben die beiden Teile aneinandergefügt – plötzlich lösten sie sich: das rechts schwimmende Stück ward rasch fortgerissen – tauchte unter, verschwand. – Das Gewinde zur Linken trieb einsam dahin: auf einmal ward es festgehalten: ein dunkler Stein, der spitzig aus dem Grunde des Quells ragte, fing die schlanke Epheuranke und hielt sie fest: umsonst trachtete sie, von dem stark rinnenden Nachwasser gedrängt, sich freizumachen, loszuwinden: fest hielt sie der schwarze Stein, und die schönste der blauen Blumen, kopfüber in das Wasser getaucht, schien traurig zu ertrinken. –

So eifrig, so andächtig hatte die Jungfrau dem Geschicke der beiden Gewinde nachgespäht, die Linke auf die Steinfassung des Quells gestützt und das Haupt weit vorstreckend, daß sie gar nicht gewahrte, wie von der entgegengesetzten Seite, von dem Tiefgrund des Waldes her, ein rascher Schritt nahte: Freilich war er gar biegsam, geschwungen, dieser Schritt, behutsam – ohne jedes Geräusch – auf die weiche Moosdecke tretend: der Leisegang des geübten Jägers, der den wachäugigen Luchs, sogar den alles hörenden Auerhahn beschleicht.

Die Gestalt verriet sich erst, als vom Rücken der Jungfrau ein Schatte auf das lichte Rinnsal fiel. –

Sie erkannte – oder erriet – den Überrascher. »Du!« sprach sie, rasch sich wendend. Und ihre Wangen erglühten. »So traurig?« forschte der schöne schlanke Jüngling: – er war doch nur fingerbreit höher aufgeschossen als das Königskind. Er beugte sich vor, den rechten Arm um den Schaft des Jagdspeers geschlungen. »Was spähtest du so eifrig? . . . Ei, ich seh's. Da hängt die Blume, gefangen, am Stein – und weit unten treibt, ringend, der Epheu. Ja, weißt du, Jungfrau, warum? Beide Gewinde haben keinen Willen! Müssen hinnehmen, was Gewalt ihnen aufzwingt! Herzen aber, Menschen, sind frei. Ich werd' ihr helfen, der gefangenen Blume. – Aber sieh – es ist nicht nötig! Sie hat sich selbst geholfen! Da schwimmt sie, befreit, freudig dahin. Und dort – an der Weidenwurzel – siehst du? – haben sich die Blume und der Epheu wieder gefunden. Vereinigt fluten sie weiter!«

»Frigga hat sie wieder zusammengeführt,« sprach die Fürstin fromm dankbar, und ihr edles Antlitz entwölkte sich. »Du aber –« sie wandte sich von ihm ab bei der Frage – »was suchst du schon wieder hier?«

»Wenn ich nun sagte: Weissagung – wie du?« – Aber er lachte dabei, daß die glänzend weißen Zähne aus den roten, frischen Lippen hervorblitzten. »Schau doch nicht immer nur das dürre Moos zu deinen Füßen an – so hartnäckig! Das bewundre, wann ich wieder schied.« Und er schob die dichten, dunkelblonden Locken, die ihm aus der Stirn bis in die gleichfarbigen Brauen und die hellgrauen Augen quollen, höher hinauf mit einer anmutigen Handbewegung. Der dunkle, niedere, schmalrandige Jägerhut von weichem, braunem Filz, den der weiße Flaum des Silberreihers schmückte, war ihm von einem Ast aus dem Gelock gestreift und schaukelte nun an breitem Lederband auf seinem Nacken. Die streng im Halbrund gezogenen Brauen stießen auf der Nasenwurzel nahezu ganz zusammen, was ihm einen schelmischen, schön-sinnlichen und fröhlichen Ausdruck lieh. Ein glücklich Lächeln spielte um den feingeschnittenen, ein wenig übermütigen Mund, um den ein lichtbrauner Flaumbart sich kräuselte. Er war sehr schön, der junge Jäger, und Ildicho konnte, nachdem sie, seiner Bitte willfahrend, das Auge auf ihn gerichtet, es nicht wieder von seinem Antlitz lösen.

»Weissagung?« zweifelte sie. »Nein. Es wäre gelogen! Ich brauche keine mehr! – Königskind – ich suchte – dich!« »Das hab' ich dir aber verboten!« sie hob drohend den Zeigefinger der Rechten. »Du solltest mich nicht noch einmal hier am Brunnen beschleichen – wie ein Reh.«

»Wäre nicht übel,« lachte er, über den jungen Bart streichend, »dürfte das Reh dem Jäger das Beschleichen am Wasser verbieten. Oh Ildicho, wehre dich doch nicht länger! Es hilft dir all' nicht! Deine Frigga will's und Freia die frohe! Und ich! Und du selbst – willst es auch!« Er griff nach ihrer Hand.

Blitzschnell zuckte sie die Hand zurück – »Königssohn, du wirst mich nicht berühren, bis . . . –« – »Bis Vater Wisigast dich mir gegeben. Wohlan: er hat dich mir gegeben.« – »Daghar!« – Sie errötete über und über. »Ein solches Wort sagt man nicht im Scherz.« »Nein. Denn es ist heilig,« sprach der Jüngling mit edlem Ernst, der ihm doch noch viel schöner ließ als der Scherz. »Ich habe deinen Vater eben erst – vor dem Walde – verlassen: er ging gleich in die Halle. Mich zog hierher – ein Ahnen.« – »So ist er zurück von der großen Jagd?« »Die Jagd? – die große Jagd?« wiederholte Daghar ernst. Er ballte die Faust um den Speer und zog mit der Linken das Wams von dunkelbraunem Hirschfell herab, das, bis an die Kniee reichend, all seine Gewandung war, »Die große Jagd ist erst beredet, nicht vollendet. – Ja, noch nicht begonnen! – Der bösartige Eber mit den struppigen Borsten, den blutunterlaufenen Augen ist noch nicht eingekreist. Mancher der Jäger, mein' ich, wird fallen, zu Tode getroffen von den grimmen Hauern, bevor das Scheusal verendet.«

»Daghar!« Sie erbebte. Abgrundtiefes Gefühl lag in dem Ruf.

»Ich – ich hatte erraten, was dein Vater sann. Ich sagt' es ihm ins Gesicht. Ich bat, mitziehen zu dürfen, wie er ausritt – gegen die Donau hin. Da trafen wir – andere Jäger. Die zogen aber nicht mit – wollen nicht, können nicht! – Auf dem Heimweg sprach ich die Werbung aus, die lange schon beschlossene, von meinem blinden Vater verstattete. Da antwortete mir der greise Held: »Ja! Aber erst, nachdem . . .« Er schwieg. »Ein Königssohn unseres Volkes, der das nicht errät,« fuhr er fort – »der wäre nicht wert –« »Der herrlichsten Jungfrau über all' Germanenland,« rief ich. Und leise, – denn ein tödlich Geheimnis ist es! – flüsterte ich ihm die Bedingung, die er meinte, in das Ohr. Nur drei Worte waren's! Erfreut sah er mir ins Auge und schlug ein in meine Rechte. »Nicht eher, Vater!« rief ich. »Eher ist ja auch keine Braut sicher, und keine Ehefrau.«

»O Daghar; welch Wagnis! Es ist unermeßlich.« – Und erschaudernd schloß sie die Augen.

»Ja, unermeßlich groß! Und wer's vollendet, der gewinnt höchsten Ruhm – den Dank der Welt! Und der gleiche Tag, meine Ildicho, der alle Germanenvölker befreit, wird unser . . . Horch! da wieherte ein Roß! Tief im Wald! Noch ein Jäger, der das weiße Reh beschleichen will am Quell?« Er wandte sich rasch und lupfte leise den Speer.

 


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