Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Sechstes Kapitel.

»Du weißt,« hob der Herrscher an, »nach des Vaters Tod, . . . Es war entsetzlich, wie er da lag in seinem Blute.« »Ja! Und das Weib . . .« fiel Chelchal schaudernd ein. »Schweige doch!« gebot Attila. »Wenn es je die Hunnen erführen –« Aber der Alte fuhr fort unter dem Bann eines inneren Grauens, das ihn noch mächtiger zwang als die Scheu vor dem Willen seines Herrn: »Das Weib! Mit dem nackten Messer. Die alte sarmatische Unholdin! Das Messer, von seinem Herzblut triefend! Wie sie es schwenkte über dem wirren Haar! Rote Tropfen fielen davon auf die weißen Strähne. Und wie sie dazu schrie: Meinen Enkel, den schuldlosen, hat er gekreuzigt. Aber die alte Großmutter hat den Jüngling gerächt.‹ – Und ein altes Weib hatte Mundzuck getötet, den Herrscher aller Hunnen, meinen Herrn!« Der Greis stöhnte vor Weh. »Schweige! sag' ich.« – »Sie wissen's doch! – Zwar ließt ihr beiden Söhne alle töten, die es mit angesehen: es waren vierzig Männer, zwölf Weiber und ein halb Dutzend Kinder: auch stieß sich die Alte sofort das Messer in die Kehle. – Aber gar manche der – unschuldigen – Zeugen, die getötet wurden, sagten's fluchend ihren Henkern, weshalb sie sterben mußten. Und die Henker erzählten's weiter! – So erfuhr auch ich es, wie ich vom Jazygenkriege zurückkam.« – »Ist schlimm, ist leidig, daß sie's wissen, die Hunnen. Denn sie glauben blind und zäh an den Wahn, der daran hängt.« Da hob der Alte das Haupt aus den beiden hagern, knochigen Händen, und fest den Blick auf den Herrscher gerichtet, sprach er: »Das ist kein Wahn. Ist irgend etwas wahr, so ist es dies.« Attila zuckte die Achseln. »Zweifle nicht daran!« fuhr der Alte warnend fort, den Zeigefinger erhebend. »Und rüttle nicht daran beim Volke! Du selbst – längst merk' ich es mit Weh! – hältst wenig mehr auf den alten Glauben der Väter.« – »Das ist zu viel gesagt. Ich glaube an den Gott des Krieges, den Rachegott, der mir sein eigen Schwert in die Hände gespielt hat. Ich glaube an die Weissagung unserer Priester aus dem dampfenden Blut der Kriegsgefangnen. Zumal,« lächelte er vor sich hin, »wenn sie mir Glück und Sieg weissagen.« »Das will sagen,« erwiderte der Alte, unzufrieden, »du glaubst aus allem, was wir von den Vätern überkommen haben, gerade so viel als dir jedesmal taugt. Hüte dich! Die Götter lassen sich nicht spotten. Hüte dich, Herr!« Ohne die Ruhe der Haltung zu verlieren, nur leise das mächtige Haupt erhebend, sprach der Herrscher: »Du drohst. Zwar nur mit den Göttern. Aber du drohst. Du weißt nicht, zu wem du redest, Alter.«

»Doch: zu Attila: vor dem der Erdball zittert, aber nicht die Götter. Und nicht – Chelchal. Chelchal hat dich zuerst auf das kleine Pferdlein gehoben, dir die Fingerlein durch die Mähne gesteckt, dich dann das Fäustlein schließen gelehrt, ist um die Wette neben Pferdlein gelaufen, – weißes Pferdlein war es! – hat Knäblein aufgefangen in diesen Armen, als Knäblein zum erstenmal von Pferdlein fiel. Chelchal wird dir die Wahrheit sagen, solang er lebt.« – »Du weißt, ich kann sie vertragen.« – »Oft. Meist. Nicht immer. Dein Sinn ist doch nur der schlecht gezähmte Wolf der Steppe. Ein locker gefügter Maulkorb ist deine Großmut. Plötzlich wirft ihn das Raubtier ab und . . .« »Ja, ja,« bestätigte Attila, leise vor sich hinsprechend. »Die Wildheit des Blutes ist doch wohl zu altvererbt für alle Mühe kluger Zucht. Aber sei gerecht, Alter; sieh: tausend Völker beugen sich unter meiner Geißel: unzählbar sind die Götter, die sie glauben: unserer Väter Götter – Christus – Jahve – Wodan – Jupiter – Zrnbog. – Und Hunne, Christ und Jude, Germane, Römer, Wende – jeder schwört, sein Gott sei der wahre: in Stücke läßt der Christ sich hauen, eh' er einem der andern Götter opfert. Was soll nun ich thun, all' dieser Völker Haupt? Soll ich an all' ihre Götter glauben, von denen einer den andern ausschließt? Oder an gar keinen Gott?«

Chelchal machte eine Bewegung des Entsetzens.

»Oder soll ich mir auswählen, was mir am besten zusagt, was ich glauben kann, ohne Heuchelei, ohne Selbstbetrug? Das ist es, was ich thue. Vor allem glaub' ich an mich selbst und meinen Stern. Aber gewiß auch an den, der mich ausgesendet hat unter die Völker: den Rachegott des Krieges.«

 


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