Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Viertes Kapitel.

Schon seit mehreren Stunden, bevor die Sonne die Mittaghöhe erreicht hatte, saß auch Chelchal geduldig auf der Schwelle. Aber auch ungeduldig: denn wichtige, bedrohlich lautende Nachrichten waren im Laufe der Nacht und des Morgens von vielen Seiten her eingetroffen über allerlei Beschickungen und Besuche und Versammlungen germanischer Könige und Richter untereinander: Boten, Späher hatte er verhört, Briefe an den Herrscher geöffnet . . . –

Immer unruhiger ward er.

Zwar das Warten verdroß ihn nicht, den Alten. Noch tagelang hätte er, ohne zu murren, ausgehalten auf der harten Schwelle, auf der er kauerte. Aber einzelne dieser Meldungen, Anfragen der Grenzwachen, drohende Anzeichen schienen Erledigung, Weisungen, Abwehr sofort zu heischen. Und darüber hinaus stieg in dem treuen Mann allmählich eine bange Ahnung auf, als er – bei wiederholtem Lauschen an der Thüre – noch immer kein Wort Attilas, keinen Laut auch der jungen Ehefrau vernahm. »Sollten – beide – so lange schlafen? Doch kaum!« Und mit Sorge gedachte er des ungeheuren Kruges voll schwersten Weines, des dem Herrn völlig ungewöhnten.

Noch einmal, nachdem er vergeblich gelauscht, bezwang er seine Befürchtungen und setzte sich geduldig, aber seufzend, wieder auf die Schwelle. Da kam abermals ein staubbedeckter Reiter angesprengt – tot fiel sein Gaul vor der Gasthalle – und übergab ihm ein Schreiben: »Wir haben's einem Gepiden Ardarichs abgejagt,« meldete atemlos der Hunne. »Er wollte damit zu den Thüringen: wir mußten ihn in Stücke hacken, eh' er's hergab.« Chelchal schnitt die Schnüre auf, warf einen Blick hinein – sofort pochte er mit dem Knauf des Schwertes mächtig an die Pforte und rief: »Und gilt es meinen Kopf – auf, Attila! Auf, auf! Jetzt ist nicht Zeit, zu schlafen! Auch nicht zu trinken und zu küssen. Öffne, Herr! Lies! Empörung! Offner Trotz von Ardarich! Er hat – ganz nah von hier – seinen ganzen Heerbann versammelt! Der Suabe Gerwalt ist zu ihm entflohen! Die Germanen stehen auf!«

Alles still. Da rief der Getreue: »So öffne ich selbst, – trotz deinem Zorne.« Und er holte aus seiner Gurttasche den ihm anvertrauten Schlüssel und schloß auf. Aber die Thüre blieb, obwohl das Schloß geöffnet war, unbeweglich, trotz seines Drückens und Drängens mit Arm und Knie.

»Es ist der Querriegel! Der Eisenriegel! Von innen vorgeschoben!« – »Warum? Warum that das der Herr?« Bang, gespannt, neugierig lugten hinter ihm die Wachen. »Zurück mit euch, Vorwitzige!« herrschte er sie an; sie wichen wie gescholtene Hunde.

»Attila! Frau Ildicho! Öffnet doch! Zieht den Riegel zurück! Wichtige Kunde! Die Germanen stehen auf!« Da hörte er, wie der schwere Riegel im Innern – langsam, mit Mühe – zur Seite gezogen ward. Nun sprang die aufgeschlossene Thür von selbst auf – hastig trat er ein, die Thüre hinter sich ins Schloß werfend. Ildicho stand vor ihm: schweigend, bleich, hochaufgerichtet; an dem Riegel stand sie: sie hatte ihn zurückgeschoben.

Noch immer waren die Vorhänge oben quer über das Oberlicht gezogen: – die Ampel war längst erloschen: so waltete, trotz des grellen Mittagssonnenscheines draußen, in dem Gemache dämmerndes Dunkel. Er tastete, er mühte sich, das Auge zu gewöhnen.

Das Nächste, was sein suchender Blick wahrnahm, war der gewaltige Goldkrug: umgestürzt lag er auf den Fellen, davor eine Lache, wie von Blut: aber es war der schwarzrote Wein: er duftete sehr stark: sein strenger Geruch erfüllte das Gemach. Er schritt darüber hinweg, auf das breite Bett zu.

Denn auf demselben – das sah er jetzt – lag der Herrscher auf dem Rücken, regungslos.

Er schien fest zu schlafen: aber es befremdete, daß eine Purpurdecke das Gesicht fast völlig verhüllte: nur der Mund war sichtbar: er war weit aufgerissen.

»Schläft er?« fragte der Alte leise die Braut.

Diese gab keine Antwort: regungslos blieb sie stehen, wo sie stand. Da trat er ganz hinzu und zog die Decke von dem Gesicht.

Entsetzt schrie der Alte auf.

Die Augen, weit geöffnet, aber gebrochen, noch viel stärker als sonst aus den Höhlen hervorgetreten, waren starr auf Chelchal gerichtet: wild verzerrt waren die Züge wie von Krampf oder von tödlichem Schmerz, das ganze Gesicht gedunsen, blutrot, blutrot das Weiß der Augen: rote Flecken – nicht abermals Wein! – nein, das war etwas anderes! – hatten ihm Kinn und Hals und das weißseidene Untergewand reichlich bespritzt.

Aber Chelchal wollte nicht glauben, was er sah.

»Herr!« schrie er und rüttelte ihn am Arm, – der fiel schlaff herab. »Herr!« Er richtete nun mit Mühe den breiten, schweren Oberkörper auf: – der war noch ganz warm. »Attila! Wach auf! Du schläfst nur!«

»Nein!« sagte die Jungfrau ruhig und fest. »Er ist tot.« »Tot?« schrie der Alte wild. »Nein, nein!« Er sprang im Schrecken zurück. Da fiel der halb aufgerichtete Körper steif und schwer wie Blei zurück auf das Pfühl.

»Tot? Wirklich tot? Weh! Ich seh' es: das Blut. Ein Bluterguß – wie schon oft! – o! der Wein! diesmal hat er ihn getötet.« – »Nein. Ich hab' ihn erwürgt. Er war betrunken eingeschlafen. Aber er erwachte wieder. Er wollte mich . . . zwingen. Da warf ich den Riegel vor, auf daß ihr ihm nicht helfen könntet. Mit meinem Haare hab' ich ihn erdrosselt.« »Von einem Weib ermordet!« schrie der Alte schmerzlich und raufte sich Haar und Bart. »Schweig, Unselige! Verfluchte! Wenn die Hunnen es jemals hörten! Verzweiflung würde sie fassen! O, der große Attila von Weibeshand gefallen! Sein Geist auf ewig verdammt, in niedrigem Gewürm zu leben!« Und in wildem Weh warf sich der Alte auf die Kniee vor der Leiche, ihr Hände und Stirn mit Küssen bedeckend.

Aufmerksam, gespannt vernahm die Jungfrau diese Worte; sie wußte genug von dem hunnischen Glauben an Seelenwanderung, um ihre Bedeutung – ihre Bedeutung auch für das Hunnenvolk! – voll zu verstehen. »Und es ist wahr?« klagte Chelchal, wieder aufspringend, sich über die Leiche werfend; er hätte so gern gezweifelt an dieser Todesart! »Glaubst du, Ildicho kann lügen? Wähnst du, es ward mir leicht, das ekle Scheusal mit diesen Händen zu berühren? Kurz war der Kampf: der Rausch machte ihn fast wehrlos.« »Ja, es ist wahr!« jammerte der Alte. »Da! In seine Zähne eingeklemmt noch ein Strähn der gelben Haare der Germanin! O es ist gräßlich!« Er nahm einen der großen Bett-Teppiche auf und warf ihn über das Gesicht des Toten, »Ich kann es nicht sehen. Nun warte, du Mörderin! Noch drei Tage schützt dich das heilige Fest: am vierten aber sollst du – mit den Deinen zusammen! – sterben fürchterlichen Todes.«

Und er übergab sie den hunnischen Kriegern der Wache, die er jetzt hereinrief, mit dem Befehl, die Gefangene in eines der als Kerker dienenden, turmähnlichen, hohen, flachdachigen Blockhäuser zu sperren: »Allein! – Nicht zu den Ihrigen! – Und nicht zu Ellak! – Ihr stellt drei Mann als Wachen vor die verschlossene Thüre. Entkommt sie, sterben die Wachen.« Und auf seinen Wink ward die Jungfrau ergriffen und fortgeführt: hochaufatmend verließ sie das Brautgemach: – die Totenkammer.

»Wir gehorchen, Fürst,« sprach der Führer der Wachen, sich staunend überall in dem Gemach umsehend, »Aber – wo ist –? Er schritt nicht über die Schwelle! – Wo ist der Herr?« »Hier ist er,« stöhnte der Alte, von Schmerz übermannt, »tot ist er!« Er riß den Teppich hinweg.

»Tot? Attila?« – »Wehe!« – »Tot! Also ermordet!«

»Von wem?« – »Niemand kam herein!« – »Wir lagen ja auf der Schwelle!« – »Also von dem Weib ermordet!!« – So heulten die Hunnen durcheinander. – »Nein! Nicht ermordet!« schrie Chelchal, mit dröhnender Stimme, hoch sich aufrichtend. »Wie könnt ihr denken! Von einem Mädchen – Er! Der stierstarke Mann! – Seht! – Den mächtigen Krug – er trank sonst nie Wein – ihr wißt es! Er hat ihn heute Nacht zu rasch geleert – er starb am Blutschlag – in sel'gem Doppelrausch von Wein und Liebe! Ein beneidenswertes Ende! Ruft Dzengisitz, Ernak und alle Fürsten herbei: sie sollen's erfahren und verkünden allem Volk der Hunnen: der Herrliche starb eines herrlichen Todes.«

 


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