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An dem andern Morgen wurde den beiden Gesandtschaften angekündigt, der Herrscher sei bereit, sie um die sechste Tagesstunde zu empfangen. Chelchal, Ediko und andere Vornehme begaben sich zu ihnen und führten sie in die große Gasthalle des hölzernen Palastes.
Der ganze weite halbkreisförmige Raum war von der Decke bis zu dem Boden und an allen Wänden mit glänzendweißen Linnenvorhängen, stets wechselnd mit einem buntfarbigen Wollteppich, ausgeschlagen und verkleidet, ähnlich wie Griechen und Römer den Thalamos von Neuvermählten zu schmücken pflegten. Der Estrich aus gestampftem rotgefärbtem Lehm war fast über das ganze Gemach hin mit Teppichen belegt.
Vier Schritte von den Wänden standen in gleichgemessenen Zwischenräumen zierlich geschnitzte und reich, nicht ohne naiven Geschmack, bemalte viereckige Holzpfeiler, die den Boden einer Art Galerie stützten. Pfeiler und Wände waren überall bedeckt und geschmückt mit Waffen: Beutestücke oder Geschenke von allen Nachbarvölkern.
Die Halle war bereits angefüllt von hunnischen Großen und Kriegern, Fürsten und Gesandten fremder Stämme, deren Gefolgen und der Hausdienerschaft des Herrschers: es war ein buntes, reich bewegtes, malerisches Bild: da stand neben den Römern und Griechen in ihrer bei aller Pracht des Schmuckes einfachen plastischen Tracht der Finne in der Haut des Renntiers, der Suione im Bärenfell, aus Britannien der Kelte, halb nackt, mit Waid blau bemalt, der Wende im Schafvließ, der Germane in Wollmantel und Erzbrünne: aber sie bildeten doch alle nur Inseln in dem alles umflutenden Gewoge der zahllosen Hunnen.
Attila saß auf einer Erhöhung im Mittelgrund der Halle; mehrere mit kostbaren, goldgestickten Teppichen bedeckte Stufen führten zu diesem Holzbau, in dessen Mitte ein einfacher, schmuckloser Holzstuhl mit zwei Armlehnen den Thron des mächtigsten Herrschers des Jahrhunderts darstellte; nicht ein Schmuckstück hatte er der Tracht beigefügt, in welcher er gestern eingeritten war.
Die Gesandten machten, den Weisungen Edikos folgend, an der Thüre der Halle Halt und verneigten sich tief. Darauf wollte Maximinus die Stufen zu dem Hochsitz hinanschreiten und einen Brief des Kaisers Attila selbst überreichen. Allein sofort sprang ein hunnischer Fürst – es war Ezendrul – dazwischen, nahm ihm den Purpur-Papyros aus der Hand, schob den Patricius von der untersten Stufe hinab, sprang selbst hinan, kniete vor dem Herrscher nieder und legte den Brief auf den Schoß des Herrschers, der unbeweglich sitzen blieb, ohne ihn aufzunehmen.
»Ein eigenhändig Schreiben des Imperators Theodosios,« rief Maximin von unten hinauf: laut, denn er war zornig.
Attila rührte sich nicht.
»Der Imperator wünscht dir Heil und langes Leben.«
Da sprach der Chan langsam, Wort für Wort wägend, die Lippen möglichst wenig öffnend: »Ich wünsche dem Imperator dasselbe – ganz genau dasselbe – was, wie ich weiß, er mir wünscht. – Die fällige Jahresschatzung, die beide Kaiserreiche schulden, sie ist endlich eingetroffen, Ediko?« – »Ja, Herr, diese Gesandtschaften haben sie gebracht.« – »Du hast nachgezählt?« – »Nicht ein Solidus fehlt.« – »Wohl, aber wo sind die Geschenke beider Kaiser?« fuhr er nach einem bedeutsamen Schweigen nun lauter und rauher fort. »Ich höre nur Gesandte, die Geschenke bringen. Chelchal, hast du sie geprüft? Sind sie meiner würdig?«
»Deiner Herrlichkeit, o Herr, ist keine Gabe würdig. Aber in Erwägung der geringen Herrlichkeit der beiden Geber mögen sie genügen.« »Verteile sie unter meine Fürsten, zumal Ardarich und Valamer bedenke. Aber auch Wisigast! Und vergiß auch nicht den feuerblütigen Königssohn der Skiren, den harfenkundigen jungen Helden. – Allen nach Verdienst ihrer Treue! – Aber wie?« – hier verfinsterte sich, wie bei bitterer Überraschung, sein Gesicht. – »Ich meine, ich sehe unter den Gesandten von Byzanz eine bekannte Gestalt – der Kleine, der dort abseits steht den andern.« Er blickte drohend auf Vigilius, – gleich zu allererst hatte ihn sein Auge gesucht – die Namen der Gesandten waren ihm ja längst gemeldet – und gefunden. »Ich genoß schon einmal der Wonne,« begann der Erschrockene, »als Dolmetsch . . .« – »Wie heißt sie doch, Ediko, diese Kröte?« – »Vigilius, Herr.«
»Ah ja, Vigilius!« und in unwilliger Bewegung, mit einem jähen Stoße des rechten Kniees, schleuderte er den unberührten Brief des Kaisers von sich – er flog zu Boden. »Wie kannst du es wagen, freches Aas, vor mein Angesicht zu treten, bevor, wie ich dir damals zu dolmetschen befahl, alle Überläufer ausgeliefert sind? Meint ihr, ich werde dulden, daß unter euren Feldzeichen meine eignen, mir entlaufenen Sklaven die Waffen wider mich heben? Alle Unterthanen meines Reiches sollen es merken, daß es keine Flucht giebt vor Attila, keine Rettung vor seinem Zorn. Keine Burg, keine ummauerte Hauptstadt gewährt Schutz vor mir: aus dem goldnen Hause zu Byzantion selbst greif' ich meine Feinde heraus: mit dieser Hand!« Er streckte die Rechte gerade vor sich hin.
»Wir kommen, dir zu sagen,« begann Vigilius furchtsam, »daß nur noch siebzehn Flüchtlinge – Überläufer, wie du sie nennst – aus deinem Reiche bei uns weilen. Diese sind bereits Ägintheus, dem Führer der Grenztruppen in Illyricum, überwiesen, sie dir in Ketten zu schicken. Demnächst werden sie eintreffen.« – »Siebzehn! – Du wirst nachher die richtige Zahl erfahren. – Ihr andern aber, ihr Gesandten des Kaisers von Ravenna, vernehmt: ich verzichte auf die Auslieferung jenes Hehlers meiner mir unterschlagenen Kriegsbeute von Viminacium – ihr werdet hören, unter welcher Bedingung. – Wer ist Maximinus, der vertrauenswürdigste Senator des Kaisers von Byzanz?«
»Ich heiße Magnus Aurelius Maximinus.« Mit Ernst, mit Wohlgefallen ruhte des Chans Auge auf dem würdevollen Antlitz.
»Verstatte, o Beherrscher der Hunnen . . .,« begann Priscus – »Herr, redet man mich an.« – »Verstatte denn, o Herr der Hunnen . . .« Attila zuckte, aber er lachte im stillen über die Ausweichung und ließ den gewandten Rhetor fortfahren: »daß ich dir im Auftrage des Kaisers und im Namen meiner Mitgesandten die Dinge – der Reihe nach – klar lege, wie sie wirklich sind, nicht wie deine wechselnden, – ach sehr häufigen! – Gesandten sie sehen und dir schildern. Du verlangst, Kaiser Theodosios solle dir ausliefern alle, welche – Überläufer nennst du sie! – aus irgend einem Grunde sich durch Auswanderung der Milde deines Scepters zu entziehen vorzogen. Vielleicht deshalb, weil deine hunnischen Rechtsgelehrten und Geißelschwinger doch wohl nicht in allen Fällen so gerecht und weise urteilen, wie du es – ohne Zweifel! – willst und – leider! – auch als geschehend voraussetzest. Nun ist es doch hart, daß der Kaiser dir ausliefern soll alle die, die seinen Schutz dem deinigen . . . aber ich sehe an deinem Stirnrunzeln, daß ich im Unrecht sein muß – also gut, sie werden ausgeliefert werden! – Weiter verlangst du außer dem rückständigen und dem fälligen Tribut – wollte sagen: der jährlichen Ehrengabe! – die des kommenden Jahres vorausbezahlt – unter Drohung sofortigen Angriffs! – Wir schleppten sechstausend Pfund Gold herbei. Du verlangst sogleich weitere zwölfhundert Pfund Gold. Ja, du hast bereits – weil unsere Antwort auf deinen schlechten Straßen nicht rasch genug eintreffen konnte, – mitten im Frieden unsere Städte belagert, Viminacium, Ratiaria und viele andere weggenommen, ausgeplündert und verbrannt. Für jeden – nach deiner Angabe – vorenthaltenen Überläufer verlangst du zwölf Goldsolidi! Wohlan, wir haben – leider! – Vollmacht, im äußersten Notfall alles zu bewilligen. Aber wir flehen dich an: bestehe nicht darauf! Du ahnst nicht, wie traurig es aussieht in allen unsern Provinzen. Welches Elend verhängen über die Unglücklichen zumal in den Donaustädten deine Reitergeschwader, die das flache Land ringsum verwüsten und, wie Wölfe in dichten Rudeln die einsame Bauernhütte, die Stadt umschwärmen, niemanden heraus, keinen Bissen Brot herein lassen! Und um die Wette mit deinen Hunnen draußen peinigen die unglücklichen Städter – fast noch unentrinnbarer! – drinnen die kaiserlichen Steuerbeamten, die, um die zu entrichtende Schätzung aufzubringen, den Bürgern das letzte Gewand vom Leibe und das Bett unter dem Rücken wegreißen, so daß gar manche der Gequälten ihrem Leben und Leiden zugleich ein Ende schürzten mit dem Strick. Auch deine Gesandten aber sind gewohnt – man sagt: angewiesen! – solche Ehrengeschenke zu – erwarten, in Byzanz, daß diese Freudengaben allein genügen würden, uns zu Grunde zu richten. Man sagt, schon deshalb beehrst du uns so oft mit Gesandtschaften.«
Die Keckheit des Rhetors belustigte den Gewaltigen: nicht unfreundlich warf er dazwischen: »Beschenken mögen sie sich lassen, nur nicht dadurch bestechen.«
»Der Kaiser,« begann jetzt Maximinus schmerzlich, »mußte, dich zu befriedigen, die senatorischen Geschlechter anhalten, den Schmuck ihrer Gemahlinnen, von den Ahnen vererbt, auf offenem Markte zu versteigern, ja das unentbehrlichste Gold- und Silbergeschirr der Tafel und ihre erlesensten Edelweine . . .«
»Ich trinke nur Wasser aus diesem Holzbecher, o Patricius,« sprach Attila, hob den Becher und trank. »Ihr klagt,« fuhr er dann fort, die dicken Lippen mit dem ganzen Vorderarm und dem Handrücken wischend, »der Schatz sei leer. – Warum ist er leer? Weil eure Kaiser ihre Gelder auf unsinnige Schauspiele, Wagenrennen, eitles Gepräng, unmäßige Lüste oder – aus jämmerlicher Furcht vor der Hölle, die sie freilich reichlich verdient haben! – auf unsinnige Kirchenbauten vergeudet haben seit unvordenklicher Zeit. Habt ihr noch nicht genug geweihte Räume, darin eure Heiligen anzuwinseln und – anzulügen? Mir ist's gleich. Aber ein Volk, das nicht mehr Eisen genug hat, den Nachbar abzuwehren, muß sein Gold hübsch hausväterlich zusammenhalten für den Nachbar: denn diesem gehört es von Rechtswegen. Wie könnt ihr so verschwenderisch umgehen mit meinem Gold in euren Truhen? – Aber, was bin ich doch für ein barbarischer Wirrkopf, kluger Rhetor Priscus, nicht? Vergieb, edler Patricius, wir Hunnen lernen nur reiten, nie in richt'ger Folgestrenge schlußbündig denken. – Nicht einmal die Geschäfte vermag ich in gehöriger Reihenfolge abzuwickeln. – Ich habe mir ja noch gar nicht – und schon verhandle ich mit euch – von meinem Gesandten, von jenem Ediko dort, berichten lassen, wie seine Sendung verlief und was er alles erlebt hat in dem herrlichen Byzantion.«
Die kaiserlichen Gesandten tauschten erstaunte Blicke. »Sollte er ihn wirklich noch nicht ausgefragt haben?« zweifelte Primutus flüsternd. »Doch unzweifelhaft!« erwiderte Priscus ebenso leise. »Gieb acht, o Maximinus! Jetzt kommt Edikos Geheimnis.«