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24. Kapitel.
Des Königs Ende


In der Nacht, die diesem Tage folgte, verließ König Ludwig in Begleitung seines Arztes, Dr. Gudden, einiger anderer Aerzte und der Krankenwärter Schloß Neuschwanstein für immer.

Keiner seiner Diener durfte ihn begleiten, auch Sepperl nicht.

Der König hatte herzlichen Abschied von seinen Dienern, hauptsächlich von Sepperl, genommen. Dieser weinte wie ein Kind, so fassungslos machte ihn der Schmerz.

Der König legte seine Hand auf die Schulter des treuen Menschen.

»Weine nicht, Sepperl. Und grüß' mir das Waldvöglein noch einmal!« sagte er bewegt.

Niemand außer Sepperl wußte ja, wer das »Waldvöglein« war.

Dann fuhr der König in den aufsteigenden Morgen hinaus.

In Schloß Berg war alles zur Aufnahme des kranken Königs bereit. Aber lange sollte dieser nicht als entthronter König in diesem Schlosse leben. Schon am übernächsten Tage, am 13. Juni 1886, ist König Ludwig II. im Starnberger See, an dessen Ufer Schloß Berg liegt, ertrunken.

Und mit ihm zugleich ertrank auch sein Arzt, Dr. Gudden, der den König hatte retten wollen.

Man weiß nichts über die letzten Augenblicke des Königs, denn der einzige Zeuge derselben, Dr. Gudden, war ja ebenfalls tot.

Frau Dr. Moritz vernahm die Kunde vom Tode des Königs, als sie von einem Besuche nach Hause zurückkehrte.

Tief erschüttert und ängstlich besorgt um Walpurga, eilte sie heim, damit ihr Liebling diese Kunde nicht unvorbereitet vernahm.

So schonend und liebevoll sie aber auch Walpurga die traurige Mitteilung machte, als die junge Sängerin vernahm, was geschehen war, brach sie lautlos ohnmächtig zusammen.

Frau Dr. Moritz war außer sich vor Sorge und tat alles, was sie konnte, Walpurga zu trösten, nachdem diese aus ihrer Ohnmacht zu sich kam.

Walpurga war tagelang wie erstarrt vor Herzeleid. Aber eines Nachts, da träumte sie vom König. Er erschien ihr in seinem ganzen Glanz und seiner hoheitsvollen Schönheit und sagte lächelnd zu ihr:

»Weine nicht um mich, Sonnenscheinchen. Auf Erden war kein Platz mehr für mich – im Schatten konnte ich nicht mehr leben. Jetzt weile ich im ewigen Sonnenschein!«

Das war ein so wundersamer Traum gewesen, daß Walpurga von Stunde an ruhig und gefaßt wurde. Ein tiefer Friede füllte ihre Seele, und sie dachte:

»Es ist doch gut so, wie es Gott gefügt. So ist mein geliebter, königlicher Herr von aller Not befreit. Sein hohes Haupt muß sich nicht beugen. Er darf ausruhen von seinem leidvollen Leben und sein Andenken wird fortleben im Herzen seines Volkes, das nie vergessen wird, wie gütig, edel und großdenkend er gewesen ist.«

Frau Dr. Moritz war sehr glücklich, als sie sah, daß Walpurga langsam das Gleichgewicht ihrer Seele wiederfand.

* * *

Walpurga Malwinger ist eine berühmte Sängerin geworden. Sie ist ihrem König treu geblieben in der Erinnerung.

Nichts als ihre Kunst erfüllt ihr Leben, und sie findet volle Befriedigung in der Ausübung dieser Kunst. Jedes Jahr ist sie auf einige Zeit Gast im Försterhäusl.

So weit sie auch in der Welt herumgekommen ist, ins Försterhäusl zieht es sie immer wieder zurück.

Als nach Jahren ihre Eltern starben, kaufte sie das Häuschen vom Fiskus und richtete es sich als behagliche Sommerfrische ein. Jeder Gegenstand, den einst König Ludwig im Försterhäuschen benutzte, ist hoch und heilig darinnen aufbewahrt.

Und wenn Walpurga hier in ihrem Waldfrieden ein paar stille Wochen verlebt, dann begleitet sie Frau Dr. Moritz, die nun inzwischen recht alt geworden ist und ganz weißes Haar hat, aber noch immer rüstig ausschreitet.

Und vom Schloß Neuschwanstein kommen dann der Kastellan und die Kastellanin mit ihren beiden drallen Kinderchen, einem Buben und einem Mädchen, herüber. Der Bub heißt Ludwig und das Mädchen Walpurga. Es wird natürlich auch Burgerl genannt.

Die kleine Burgerl ist der Liebling der großen Walpurga. Sie ist genau so ein liebes, herziges Plaudermäulchen, wie vor Jahren ihre berühmte Tante.

Tonerl und Sepperl sind ein sehr glückliches Ehepaar geworden, und gleich Walpurga und vielen anderen Menschen segnen sie das Andenken König Ludwigs, der noch über sein Grab hinaus so großmütig für sie gesorgt hat.

Walpurga hat sich auch einen Flügel ins Forsthaus schaffen lassen, damit sie auch hier singen kann.

Und an warmen Sommerabenden, wenn die berühmte Sängerin im Forsthaus weilt, dann pilgern die Landleute aus der Umgegend herbei und stehen lauschend im dunklen Wald.

Dann dringt aus den geöffneten Fenstern des Forsthauses eine glockenreine, wundersame Frauenstimme hinaus ins Freie. Und wer diese Stimme hört, dem wird das Herz warm und weit, der fühlt das Blut schneller durch die Adern rinnen.

Alles Böse und Kranke fällt ab von den lauschenden Menschen durch die Zaubergewalt dieser Frauenstimme, die aus einer reinen, gütigen Seele emporsteigt.

Am meisten aber sind die stummen, unsichtbaren Zuhörer von einem Lied ergriffen, das Walpurga sehr oft singt. In diesem Lied zittert und lebt ein großer Schmerz und doch zugleich eine frohe Verheißung.

Dieses Lied weckt tausend Erinnerungen in Walpurgas Brust. Es ist dasselbe, das sie König Ludwig zuletzt hat singen müssen:

»Die linden Lüfte sind erwacht.«

So, wie es dem kranken König Tränen entlockte in seiner herzbewegenden Innigkeit, so entlockt es auch den Zuhörern immer wieder Tränen.

Der Sängerin selbst aber feuchten sich jedesmal die Augen, und wenn sie geendet hat mit den Worten:

»Nun, armes Herz, vergiß der Qual,
Nun muß sich alles, alles wenden.«

dann ist ihr immer, als höre sie des Königs Stimme leise rufen: »Waldvöglein, Sonnenscheinchen!«

Und dann sitzt sie regungslos, wie verzaubert, lange Zeit am Flügel und durchlebt im Geiste jene Stunde noch einmal, da sie sich von ihm trennen mußte, von ihrem geliebten König.

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