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Zwei Jahre war Walpurga nun schon in München engagiert, und immer mehr sang und spielte sie sich in die Gunst des Publikums hinein. Ihr Name wurde auch außerhalb Münchens mit Begeisterung genannt.
Zweimal war sie schon auf Gastspielreisen während ihres Urlaubs gewesen und hatte in Berlin, Wien und Dresden Lorbeeren gepflückt.
Wo Richard Wagners und König Ludwigs Namen genannt wurden, da sprach man sicher auch von dem berühmten jungen Schützling dieser beiden Männer.
In München riß man sich um Walpurgas Gesellschaft. Sie konnte sich schließlich vor Einladungen kaum noch retten und mußte sehr viele ablehnen.
Es war durchaus nicht nur ein Vorwand, wenn Walpurga bei derartigen Ablehnungen zur Entschuldigung anführte, daß ihr Beruf sie zu sehr in Anspruch nehme und ihr wenig freie Zeit lasse.
Immer wieder bekam sie neue große Rollen, die sie neu einstudieren oder repetieren mußte.
Die Oper war nur noch gut besucht, wenn Walpurga auftrat, und meist war dann das ganze Haus ausverkauft.
Walpurga ging dann aber auch völlig auf in ihrem Beruf, und bedauerte es gar nicht, daß sie soviel Einladungen zurückweisen mußte.
Sehr bald hatte sie eingesehen, daß hinter dem blendenden Glanz dieses Gesellschaftslebens viel innere Hohlheit und Heuchelei versteckt waren.
Sie konnte ihrem verehrten König jetzt sehr wohl nachempfinden, daß er sich von all solchem Treiben zurückzog in die Einsamkeit der Berge.
Margarete bedauerte am lebhaftesten, daß Walpurga oft absagte, wenn sie eingeladen wurde von ihr.
»Siehst Du, Walpurga, mein Salon hat durch Dich einige Berühmtheit erlangt. Alle unsere Bekannten sagen: Wenn die Malwinger nirgends zu treffen ist, bei Wetzlaffs findet man sie bestimmt! Also bei mir darfst Du Dich nicht so rar machen als anderswo, das verlange ich in Anbetracht unserer alten Freundschaft!«
So sagte sie eines Tages zu Walpurga, und diese versprach lächelnd, nur bei ganz dringender Abhaltung Margaretes Festen fernzubleiben.
Walpurga hätte sich schon einigemal glänzend verheiraten können. Ihre Schönheit und Holdseligkeit erwarb ihr viele Verehrer. Aber sie schenkte keinem von allen Gehör. Ihr Herz gehörte für ewige Zeiten in Verehrung und Liebe ihrem königlichen Herrn.
Nie dachte sie daran, sich zu vermählen. Dazu hing sie auch viel zu sehr an ihrer Kunst.
Am behaglichsten war Walpurga immer zumute, wenn sie nach einer anstrengenden Vorstellung mit Frau Doktor daheim in ihrem traulichen Wohnzimmer saß. Dann stand der leise singende Teekessel vor ihr, und Frau Doktor verwöhnte und verhätschelte ihren Liebling.
Walpurga berührte es oft tief, wenn sie sah, wie die alte Dame alles tat, ihr ein behagliches Dasein zu schaffen. Einmal sagte die junge Sängerin lächelnd zu ihr:
»Eigentlich habe ich zwei Mütter, eine in München und eine daheim im Försterhäusl. Soviel Glück verdiene ich gar nicht, und Du verwöhnst mich ganz entsetzlich, liebste, beste Pflegemutter!«
»Kind,« antwortete Frau Doktor froh, »wenn Du wüßtest, wie gern ich Mutterstelle an Dir vertrete. Bist Du doch dafür gegen mich wie eine wirkliche Tochter. Ohne Dich ständ' ich ganz allein in der Welt!«
Diese beiden Frauen lebten sehr harmonisch und glücklich in ihrem hübschen, kleinen Heim miteinander.
Den König sah Walpurga noch ebenso oft, als früher, Vielleicht sogar noch öfter.
In vielen Separat-Vorstellungen hatte sie noch auftreten müssen. Es gab wohl kaum eine Rolle, in der sie der König nicht gesehen hätte.
Glückselig war Walpurga, wenn sie merkte, daß ihre Kunst dem König einige frohe Stunden schaffte. Denn im ganzen sah man ihn nur noch mit düsterem, freudlosen Gesicht.
Sehr oft wurde Walpurga, wenn der König nicht in München weilte, auf eins seiner Schlösser eingeladen und mußte dann vor ihm und der Königin-Mutter singen.
Die hohe königliche Frau war stets sehr gütig und freundlich gegen Walpurga, deren lautere Natürlichkeit und Seelenreinheit ihr Herz gewann.
Auch sah diese unglückliche Mutter, daß Walpurgas Gesang und Geplauder stets die Düsterkeit aus den Zügen ihres Sohnes vertrieb.
Zu sehr litt ihr Mutterherz unter dem immer mehr zunehmenden Leiden des Königs. Sie fühlte daher sehr wohl, daß Walpurga sich um des Königs Zustand sorgte. Das verband die Herzen der beiden Frauen miteinander, und wenn auch die eine auf dem Fürstenthron geboren war und die andere im schlichten Forsthaus, sie fühlten sich eins in der heimlichen, schweren Sorge um des Königs Wohl.
Schien Walpurgas Leben auch äußerlich nur auf lichten, glanzvollen Höhen dahinzuwandern, so war sie doch nicht so glücklich, als sie nach Lage der Dinge hätte sein können.
Ihr Herz hing zu innig an dem König, als daß sie recht froh geworden wäre. Das Bewußtsein, daß er litt und daß sein Leiden mehr und mehr seinen Sinn verdüsterte und seinem Wesen den Stempel tiefer Melancholie aufdrückte, erfüllte sie mit schwerer, banger Sorge.
Wurde sie zum König befohlen, damit sie ihm vorsinge oder ein Weilchen, wie in alter Zeit, mit ihm plauderte, so beobachtete sie ihn mit heimlicher Sorge.
Und wenn es ihr dann gelungen war, ihn aufzuheitern, dann fühlte sie sich auf kurze Zeit unsagbar glücklich.
Allem Glanz hätte sie freudig entsagt, wenn sie damit des Königs Gesundheit hätte zurückkaufen können.
Aber immer schwerer wurde es, den König aufzuheitern. Immer öfter bemerkte sie mit schmerzlicher Trauer, daß seine Gedanken, auch wenn sie mit ihm plauderte, abschweiften, daß er ihr fremd und ohne Bewußtsein in die Augen blickte.
Das tat ihr weh und nur mühsam vermochte sie sich dann zu beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen.
Dieser Schmerz um den König vertiefte und veredelte ihre Kunst mehr und mehr. Die Zahl ihrer Bewunderer und Verehrer vermehrte sich, und auch die schärfsten und gefürchtetsten Kritiker waren ihres Lobes voll.
Nun hatte Richard Wagner inzwischen seine Oper »Parsival« beendet, und diese sollte nun, im Jahre 1882, zum ersten Male in Bayreuth aufgeführt werden.
Schon im Jahre 1881 hatte König Ludwig das Protektorat über die Bühnenfestspiele in Bayreuth übernommen, und er hatte bestimmt, daß Chor und Orchester des Münchner Hoftheaters während zweier Monate Richard Wagner für Bayreuth zur Verfügung gestellt wurden.
Auch einige Solisten des Münchner Hoftheaters sollten in der Parsival-Aufführung mitwirken. Unter diesen natürlich an erster Stelle Walpurga Malwinger.
Der König war jetzt nicht mehr zu bewegen, sich eine Oper inmitten einer großen Volksmenge anzuhören. Er wünschte deshalb, daß ihm Parsival zuerst in einer Separatvorstellung vorgeführt werden sollte.
Als dann aber schon alles vorbereitet war, fühlte sich König Ludwig so krank, daß er selbst Abstand von dieser Extravorstellung nahm.
So hörte der König die Erstaufführung des Parsival nicht mit. Später hat er sich die Oper freilich einigemal vorführen lassen.
Auch die Erstaufführung der Oper Parsival war wieder ein glänzender Erfolg für Meister Wagner. Und von allen den berühmten Künstlern, die in dieser Aufführung mitwirkten, war es wieder Walpurga, die man am meisten bewunderte.
Es waren wieder Tage großer künstlerischer Befriedigung für Walpurga. In ihr Glück fiel nur leider wieder ein Wermutstropfen – der Gedanke an den kranken König.
Nach der Aufführung des Parsival schrieb Richard Wagner an König Ludwig einen langen Brief, in dem er ihm alles darüber berichtete und ihm zugleich mitteilte, daß er sein Lebenswerk nun für beendet halte, daß er in Zukunft nichts mehr schaffen werde.
Das war der letzte Brief, den der Meister an seinen großmütigen, königlichen Freund und Gönner richtete.
Bisher war Richard Wagner jedes Jahr mindestens einmal nach München gekommen. Stets wurde er dann in gleicher Huld und Güte von König Ludwig empfangen.
Als er aber einige Wochen nach der Parsival-Aufführung nach München kam und bei dem König um eine Audienz nachsuchte, konnte ihn dieser nicht vorlassen, weil er sich sehr krank und elend fühlte.
Das war dem Meister noch nie geschehen, daß er vor dem König eine Fehlbitte getan hätte. Sehr betrübt und verstimmt verließ er das Schloß und fuhr nach der Wohnung Walpurgas.
Er traf diese auch in Gesellschaft von Frau Dr. Moritz daheim und wurde erfreut und herzlich aufgenommen. Gern nahm er eine Tasse Tee bei den Damen und machte seiner betrübten Stimmung Luft. Er erzählte Walpurga sein Mißgeschick.
Diese nickte traurig mit dem Kopfe und sah Richard Wagner angstvoll an.
»Meister, lieber Meister, Seine Majestät muß sich sehr, sehr krank fühlen, sonst hätte er Sie unmöglich abgewiesen!«
Richard Wagner stützte sein Haupt in die Hand und seufzte:
»Ja, ja, die leidigen Gebrechen des Körpers halten auch den größten Geist in dumpfer Haft!« sagte er halblaut wie zu sich selbst.
Walpurga sah ihn schweratmend an.
»Ach, Meister, ich fürchte ja so sehr, daß Seine Majestät nicht nur körperlich leidet. Am meisten leidet sein Gemüt – sein Geist. Und das ist's, was mir die größte Sorge macht!« sagte sie beklommen.
Wagner gegenüber sprach sie sich einmal alle Sorge um den König offen vom Herzen. Wußte sie doch, daß der Meister in dem König einen ebenso großen Wohltäter verehrte, wie sie selbst.
Einen Trost konnte ihr Wagner auch nicht geben. Er selbst fühlte sich übrigens auch nicht sehr wohl, und er teilte Walpurga mit, daß er in nächster Zeit zu seiner Erholung nach Venedig reisen wolle.
Richard Wagner blieb so lange bei Walpurga, bis diese ins Theater aufbrechen mußte. Er begleitete sie und verabschiedete sich dann herzlich von ihr, mit dem Bemerken, daß er sich noch einen Akt der Vorstellung anhören wollte, um Walpurga vor seiner Abreise noch einmal zu hören.
Beide riefen sich zuletzt »Auf Wiedersehen!« zu.
Und als der erste Akt vorüber war – man spielte die »Walküre«, und Walpurga trat als Sieglinde auf –, erhob sich Richard Wagner in seiner Loge und winkte Walpurga verstohlen noch einen letzten Gruß zu, ehe er das Theater verließ und zum Bahnhof fuhr.
Weder er, noch Walpurga ahnten bei diesem Gruß, daß es der letzte gewesen war, den sie für alle Zeiten ausgetauscht hatten.
Richard Wagner reiste wirklich bald darauf nach Venedig. Und dort sollte ihn am 13. Februar 1883 der Tod ereilen. Sein herrliches Lebenswerk hatte er, wie er sich immer gewünscht hatte, vollenden können. Nun er sich ausruhen wollte von diesem Lebenswerk, schloß ihm der Tod die Augen für immer.
Zahllos waren die Trauerkundgebungen des deutschen Volkes. Alle, auch seine Feinde, wußten, daß ein Genie dahingegangen war, wie es nur selten eins auf Erden gegeben hatte. –
Auf König Ludwig wirkte die Todesnachricht geradezu erschütternd. Unsagbar bedauerte er, daß er den geliebten und verehrten Meister das letzte Mal nicht hatte empfangen können.
Er schickte seinen Adjutanten sofort nach Venedig, der in seinem Namen einen herrlichen Kranz auf den Sarg Richard Wagners legen mußte.
Tieftraurig verbrachte er die Tage nach dem Tode seines inniggeliebten und verehrten Freundes, dem er lächelnd und in unwandelbarer Güte die größten Opfer gebracht hatte, um sein Lebenswerk zu fördern.
Von dem Tage an, da die Trauerbotschaft eintraf, ließ König Ludwig nicht mehr in seinen Schlössern musizieren. Die Klaviere wurden mit schwarzen Trauerfloren behängt. So ehrte der König noch den Toten, wie er auch den Lebenden geehrt hatte.
Mit keinem Menschen sprach der König über seinen dahingeschiedenen Freund, nur mit Walpurga. Ihr allein traute er das richtige Verständnis dafür zu, was er in dem Freunde verloren hatte.
Walpurga hatte in Bayreuth der feierlichen Beisetzung des verstorbenen Meisters beigewohnt, und von ihr ließ sich der König alle Einzelheiten dieser ernsten Feier berichten.
Er wußte, daß Walpurgas warme, begeisterte Verehrung Richard Wagner gehört hatte. So plauderte er zuweilen mit ihr über den Verstorbenen. Sie suchten dann allerlei Erinnerungen hervor. Noch oft gedachten sie des Tages, da Richard Wagner mit dem König die Elisabeth auf dem abgeschlagenen Baumstumpf entdeckt hatte.
Lächelnd sprachen sie über den jugendlichen Enthusiasmus, der Richard Wagner beherrscht hatte, als er Walpurga das erste Mal hatte singen hören.
Aber mitten in einem solchen Gespräch kam es jetzt zuweilen vor, daß der König plötzlich verstummte und geistesabwesend vor sich hinstarrte.
Walpurga hätte dann immer vor Schmerz laut aufschreien mögen, so elend und verfallen konnte der König dabei aussehen. Mit halberstickter Stimme sang sie dann leise irgend ein schlichtes Lied.
Das übte noch immer eine beruhigende Wirkung auf ihn aus. Er fand sich dann aus seinem Dahinbrüten zurück, und sich zu einem Lächeln zwingend, pflegte er zu sagen:
»Waldvöglein, solange Deine Lieder noch Eingang in mein Herz finden, kann ich doch noch nicht ganz verloren sein!«
Meist entließ er sie aber dann ziemlich hastig. Auch sie sollte nicht Zeugin seines Leidens sein, das er so gern vor aller Augen verborgen hätte.