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Wieder war fast ein Jahr ins Land gezogen seit Tonerls und Sepperls Hochzeit.
Des Königs Zustand hatte sich immer mehr verschlimmert.
Walpurga brauchte jetzt nicht mehr in die Kutscherwohnung zu gehen, wenn sie den König sehen wollte. Tonerl nahm die Schwester in ihr bestes Zimmer auf, von dessen Fenster aus man den ganzen Garten übersehen konnte.
Da saß dann Walpurga, so oft sie sich in München auf einen Tag freimachen konnte, still und regungslos hinter den Gardinen, bis der König aus dem Garten ins Schloß zurückkehrte.
Tonerl plauderte dann aber immer sehr munter auf die Schwester ein, bis sich deren trübe Stimmung wieder aufgeheitert hatte.
Glückliche Menschen teilen gern von ihrem Glück mit. Und Tonerl war eine gar glückliche junge Frau.
Freilich, der König nahm ihren Sepperl viel in Anspruch. Tonerl haderte deshalb manchmal ein wenig.
Aber was war da zu machen? Der König mochte kein anderes Gesicht mehr um sich sehen als das seines treuen Sepperl.
Dann kam aber eine Zeit, in der König Ludwig seine Zimmer gar nicht mehr verließ, und Walpurga konnte ihn nun auch nicht mehr von Tonerls Wohnung aus sehen.
Allerlei Gerüchte über des Königs Krankheit waren im Volke im Umlauf. Man wurde unruhig und wollte Gewißheit haben.
Die Räte und die Minister des Königs, die nie mehr vor sein Angesicht durften, hatten nun eine lange und ernste Beratung mit dem Prinzen Luitpold, dem Onkel des Königs. Die Herren konnten sich und den anderen nicht mehr verheimlichen, daß der König infolge seines Gesundheitszustandes nicht mehr imstande war, sein Amt als Regent des Landes zu verwalten.
Verschiedene Aerzte hatten den König für unheilbar krank erklärt, und schweren Herzens entschlossen sich die Minister und Prinz Luitpold, den König zu entthronen, da es zum Wohle des Landes nötig geworden war.
So wurde denn am 10. Juni 1886 öffentlich erklärt, daß König Ludwig II. kraft des Gesetzes entmündigt und Prinz Luitpold als Reichsverweser eingesetzt worden sei. Und am 11. Juni wurde Prinz Luitpold als neuer Regent proklamiert.
Walpurga erfuhr auf dem Wege von einer anstrengenden Probe die Nachricht von der Entthronung des Königs. Sie vernahm auch, daß es beschlossene Sache sei, daß der König als geisteskrank nach Schloß Berg gebracht werden sollte.
Walpurga erschrak so sehr, daß sie sich kaum aufrecht halten konnte. An der Wahrheit dieser Tatsache konnte sie nicht mehr zweifeln.
Noch war der König in Neuschwanstein, aber auch schon denselben oder doch den nächsten Tag sollte er nach Schloß Berg gebracht werden.
Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, so, wie sie ging und stand, machte sich Walpurga auf den Weg nach Neuschwanstein.
Jetzt konnte sie nichts mehr vom König zurückhalten, auch sein Wille nicht. Er war in Not, sollte seines Thrones verlustig gehen und als Geisteskranker in ein einsames Schloß verbannt werden. Alle würden ihn nun verlassen, da mußte sie an seine Seite eilen.
Wie von unsichtbarer Macht getrieben, eilte sie nach Neuschwanstein.
Hier wußte man nun auch schon, was in München geschehen war. Der König hatte strengen Befehl gegeben, niemanden vorzulassen.
Die Diener standen wie eine Wache vor seinen Zimmern und schienen gewillt zu sein, ihren König zu schützen und zu verteidigen.
Vergeblich beschwor Walpurga diese Diener, sie zum König hineinzulassen. Gegen dessen Willen wagte es keiner.
Walpurga war außer sich. In ihrer höchsten Not erinnerte sie sich des Ringes, den ihr der König nach ihrem ersten Auftreten als Elisabeth geschenkt hatte und den sie nie von ihrem Finger ließ.
Sie schaute jetzt wie gebannt auf diesen Ring herab. Was waren es doch für Worte gewesen, die der König über diesen Ring gesprochen hatte?
Sie stand sinnend und zwang ihre angstvollen Gedanken zur Ruhe. Und da hörte sie im Geiste die Worte des Königs wiederklingen:
»Dieser Ring soll Dir alle Türen öffnen, wenn Du einmal ein Anliegen, eine Bitte an mich hast. Mein königliches Wort darauf, wo und wie ich mich auch befinde, schickst Du mir diesen Ring, dann darfst Du vor mir erscheinen und Deine Bitte vorbringen!«
So hatte der König gesprochen. Sie hatte sein königliches Wort, daß der Ring ihr Zutritt zu ihm verschaffte. Und sie mußte zu ihm, um jeden Preis, mußte ihn selbst sehen und ihm sagen, daß ihr ganzes Leben ihm gehöre, daß sie nichts heißer ersehne, als ihm in seine Verbannung als treue, nimmermüde Pflegerin zu folgen.
Nie hätte sie daran gedacht, die Macht des Ringes für sich selbst zu erproben. Aber jetzt galt es, dem König zu beweisen, daß ihre Dankbarkeit jedes Opfer zu bringen imstande war. So mußte ihr der Ring helfen, zu ihm zu dringen.
Sie bat nun die Diener, mit dem Ring zum König zu gehen und ihn an sein königliches Wort zu mahnen. Aber keiner hatte den Mut, diesen Auftrag auszuführen.
Endlich trat aber Sepperl aus des Königs Gemächern in das Vorzimmer. Er sah sehr blaß und sehr ernst aus.
Walpurga stürzte auf ihn zu und umfaßte erregt und außer sich seinen Arm.
»Sepperl, ich muß hinein zum König, ich muß. Hilf Du mir. Ich bitte Dich herzlich, geh' hinein zu Seiner Majestät. Gib ihm diesen Ring in meinem Namen und sage ihm, daß ich ihn an sein königliches Wort gemahnen lasse. Dieser Ring soll mir jederzeit seine Tür öffnen, das hat er mir versprochen!«
Sepperl sah zögernd auf sie nieder.
»Burgerl, Du weißt nicht, in was für einer Stimmung der König ist. Man hat ihn entthront, er soll nach Berg verbannt werden!« sagte er leise.
»Das weiß ich alles, Sepperl, deshalb bin ich ja hier. Ich muß ihn sehen und ihm sagen, daß es noch Herzen gibt, die treu zu ihm stehen. Ich bitte Dich, Sepperl, Du allein hast Zutritt zum König. All diese Diener hier wagen es nicht, bei ihm einzudringen. Aber Du tust es, Du bringst ihm den Ring, ich bitte Dich, so sehr ich kann. Hilf mir nur dies eine Mal noch!«
Sepperl konnte diesen Worten Walpurgas nicht widerstehen. So nahm er endlich seufzend den Ring und ging hinein zum König.
König Ludwig stand mit starrem, düsteren Gesicht am Fenster und schaute hinab ins Tal.
Als Sepperl eintrat und seinen Auftrag ausgerichtet hatte, wandte sich der König um und blickte auf den Ring herab.
Seine Augen brannten. Dann sagte er leise, wie zu sich selbst:
»Das hätte ich wissen müssen, daß sie in der Stunde der Not und Gefahr an meine Seite eilt!«
Eine Weile stand er so in tiefem Sinnen. Dann richtete er sich auf und sagte ruhig und voll Selbstbeherrschung:
»Ich gab mein königliches Wort und will es halten. Niemand soll sagen, König Ludwig hat je sein Wort gebrochen. Laß sie eintreten!«
Sepperl eilte hinaus, und gleich darauf lag Walpurga dem König zu Füßen.
»Eurer Majestät heißen Dank, heißen Dank. Nicht wahr, jetzt gestatten mir Eure Majestät, daß ich bleiben darf, jetzt, da Eure Majestät eine treue, ergebene Pflegerin brauchen können, jetzt darf ich bleiben, um Eurer Majestät Leiden zu mildern!« flehte sie.
Der König blickte auf sie herab.
»Steh' auf, Walpurga, und werde ruhig. Ich weiß. Du sahst mich von Gefahren bedroht und eiltest an meine Seite, um mir beizustehen. Hab' Dank für Deinen guten Willen. Aber ich brauche Dich nicht, ich habe abgeschlossen mit dem Leben und will niemand mit in mein Elend hineinziehen. Respektiere meinen Willen und kehre ruhig nach München zurück!« sagte er ernst und ruhig.
Walpurga rang die Hände.
»Majestät, ich erflehe es als die höchste Gnade, bleiben zu dürfen. Vielleicht bedürfen Eure Majestät doch eines treu ergebenen Menschen!«
Da zog der König die Stirn in Falten.
»Walpurga, Du hast dies Wiedersehen ertrotzt, gegen meinen Willen. An mein Wort hast Du mich gemahnt. Ich hab' es gehalten, so schwer es mir auch fiel. Nun aber zeige Du mir, daß mein Befehl noch gilt, wenn ich auch ein entthronter König bin. Hier, nimm Deinen Ring zurück, trag' ihn auch ferner zum Andenken an Deinen unglücklichen König. Nun geh'! Schwere Stunden harren noch meiner. Ich brauche meine Kräfte!«
Da beugte sich Walpurga stumm über seine Hand und führte sie ein letztes Mal inbrünstig an ihre Lippen. Ihre Tränen fielen auf des Königs Hand herab.
Dieser hatte durch ein Klingelzeichen Sepperl wieder herbeigerufen. Als der treue Diener mit besorgter Miene eintrat, sagte der König zu ihm:
»Führe sie sorgsam aus dem Schlosse, sie darf nicht hier bleiben!«
Und zu Walpurga gewandt, fuhr der König fort:
»Du kehrst sofort nach München zurück. Gott geleite Dich auf all Deinen Wegen, Du liebes Kind, und hab' Dank für Deine Treue!«
Dann winkte er Sepperl zu, daß er Walpurga hinausführen sollte. Willenlos ließ diese sich geleiten.
Der König sah ihr nach, und als sie verschwunden war, sagte er, bitter lächelnd:
»Nun ging die Sonne unter, schwarze Schatten steigen auf. Das Ende naht!« – –
Sepperl hatte Walpurga aus dem Schloß geführt und zu ihrem Wagen gebracht. Zu Tonerl wagte er sie nicht zu führen, und Walpurga wollte diese auch nicht aufsuchen. Da sie nichts für den König tun konnte, wollte sie wenigstens seinen Befehl erfüllen.
Als Walpurgas Wagen fortfuhr, kehrte Sepperl zum König zurück und meldete ihm, daß sein Befehl ausgeführt sei.
Der König nickte.
»Es ist gut so!« sagte er. Dann blieb er plötzlich dicht vor Sepperl stehen und sah ihn durchdringend an. »Glaubst Du an die Unsterblichkeit der Seele und an die Gerechtigkeit Gottes?« fragte er düster.
»Ja, Majestät!« antwortete Sepperl beklommen.
»Ich auch!« sagte der König fest.
Und dann stieß er einen schmerzlichen Seufzer aus und sagte verzweifelt:
»Von der Höhe des Lebens hinabgeschleudert zu werden in ein Nichts – ein vernichtetes Leben – nein, das ertrag' ich nicht!«