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16. Kapitel.
Nach der Schule


Schon ehe Walpurgas Institutszeit vorüber war, hatte Richard Wagner alle Schritte getan, damit sie die Gesangsstudien sofort beginnen konnte.

Da sie in München selbst studieren sollte, war Frau Dr. Moritz gern bereit, Walpurga bei sich zu behalten. Sie bekam das Zimmer, in dem früher die Mutter der Frau Doktor und zuletzt Miß Warrens gewohnt hatte.

Dies Zimmer lag so, daß weder Walpurga, noch die anderen Schülerinnen gestört werden konnten.

Walpurga war sehr froh, daß sie bleiben durfte. Es stürmte nun ohnedies soviel Neues auf sie ein, daß sie wohl leicht aus dem Gleichgewicht gekommen wäre, wenn sie Frau Doktor nicht gehabt hätte, die sie wie eine Tochter liebte.

Frau Dr. Moritz ging ohnehin mit dem Gedanken um, ihr Institut zu verkaufen und sich zur Ruhe zu setzen. Es war ihr eine ganz angenehme Aussicht, später, wenn Walpurga ihre Studien beendet haben würde, diese als Anstandsdame in ein neues Leben zu begleiten.

Walpurga griff diesen Gedanken freudig auf, sie sagte:

»Ach, liebe Frau Doktor, wenn sich das verwirklichen ließ, wie dankbar würde ich Ihnen sein. Und welch eine Beruhigung wäre das für meine lieben Eltern, die sich noch gar nicht in den Gedanken finden können, daß ich zur Bühne gehen will. Aber solch ein großes Opfer darf ich doch gar nicht von Ihnen annehmen!«

»Ach, Kindchen, ein Opfer wird das gar nicht sein. Ich bin es nun allmählich müde geworden, fremde Kinder zu erziehen. Eigene Kinder habe ich nicht. Soll ich mich noch weiter für meine lachenden Erben plagen, Menschen, die mir ziemlich fern stehen? Von allen Menschen, die mir näher getreten sind, ist mir König Ludwigs Sonnenscheinchen der liebste, denn Du bist auch mir, öfter als Du selbst weißt, zum Sonnenstrahl geworden. Ich möchte mich nicht von Dir trennen, wenn es nicht unbedingt sein muß!« erwiderte Frau Doktor lächelnd.

Es stand nun fest bei ihr, daß sie die nächste Gelegenheit ergreifen würde, ihr Institut in andere Hände zu geben. Dann wollten die beiden Damen eine hübsche, freundliche Wohnung mieten und ganz für sich und Walpurgas Studien leben.

Walpurgas Eltern fiel ein Stein vom Herzen, als sie davon hörten. Sie hatten schon gefürchtet, ihr Kind müsse nun allein in der großen Stadt hausen, allen Fährlichkeiten derselben preisgegeben.

Auch der König, dem Frau Doktor ihre Absicht meldete, ging sofort auf diesen Vorschlag ein und dankte Frau Dr. Moritz für das freundliche Interesse, das sie seinem Schützling entgegenbrachte.

Walpurga mußte nun erst recht tüchtig lernen und arbeiten.

Weder der König noch Richard Wagner ließen sie aus den Augen. Von Zeit zu Zeit überzeugte sich der Meister selbst von den Fortschritten, die Walpurga gemacht hatte, und war immer von neuem begeistert von ihrer Stimme und ihrem großartigen, schauspielerischen Talent.

Er hatte große Pläne für die Zukunft mit Walpurga und nahm ihr Studium sehr genau und gewissenhaft.

Schon ihr erstes Auftreten sollte ein künstlerisches Ereignis werden. Aber erst, wenn sie eine fertige Künstlerin war, wollte er sie auf die Bühne lassen.

König Ludwig nahm, trotz seines sich immer mehr verschlimmernden Leidens, regen Anteil an Walpurgas Entwickelung und freute sich ihrer Fortschritte.

Walpurga kam jetzt immer nur auf kurze Zeit heim in das liebe Forsthaus.

Wie sonst hing sie mit liebendem Herzen an ihren Eltern, aber ihr Lerntrieb ließ ihr nicht lange Ruhe. Daheim konnte sie nicht üben, weil sich weder ein Klavier noch ein Flügel im Forsthaus befand. Und deshalb konnte sie jetzt immer nur auf Tage nach Hause kommen.

Auch jetzt traf sie fast jedesmal mit dem König zusammen. Zum Singen forderte er sie nie auf.

»Ich will Dich erst wieder hören, wenn Deine Ausbildung beendet ist. Dann kann ich mir am besten ein Urteil bilden, was Deine Lehrer aus Deiner Stimme gemacht haben. Und eins steht fest – Dein erstes Auftreten auf der Bühne soll vor mir allein stattfinden, in einer Separatvorstellung!« sagte er eines Tages zu ihr.

Walpurgas Herz schlug höher bei diesen Worten. Mit glühenden Wangen dachte sie an die Zeit, da sie dem König beweisen durfte, daß er seine Güte nicht an eine Unwürdige und Stümperin verschwendet hatte.

Ganz glücklich hätte Walpurga jetzt sein können, wenn nicht eine heimliche, schwere Sorge ihr Herz bedrückt hätte.

Es entging ihr nicht, daß der König immer krank und leidend aussah und daß die Schwermut in seinen Zügen immer seltener weichen wollte.

Eine heiße Angst erfaßte sie um ihn, den sie schwärmerisch liebte und verehrte. Sie konnte nicht froh sein, wenn sie sah, wie unglücklich er sich zu fühlen schien.

Wenn sie nicht ein so lebensfrisches, tapferes Geschöpf gewesen wäre, hätte sie wohl diese Sorge niedergedrückt.

Aber es war soviel Kraft und Elastizität in ihr, daß sie immer wieder den Kopf hob und mit einem siegreichen Lächeln den Kampf gegen des Königs Melancholie aufnahm. Und immer gelang es ihr noch, ihn aufzuheitern. –

Sepperl war nun zu des Königs liebstem, persönlichen Diener vorgerückt und war nicht nur in Neuschwanstein stets in seiner Nähe, sondern begleitete ihn auch nach München und auf die anderen Schlösser.

Trotz seiner Jugend erschien er dem König bedeutend zuverlässiger, als seine anderen Diener, und er schenkte ihm volles Vertrauen.

Walpurga hatte nun Sepperl gebeten, ihr von Zeit zu Zeit über das Befinden des Königs Nachricht zu geben. Das hatte ihr Sepperl auch versprochen.

Walpurga fühlte sich dadurch sehr beruhigt. Wußte sie doch auch, daß Sepperl dem König in großer Liebe und Treue ergeben war.

Sepperl wußte wiederum ganz genau, wie sehr Walpurga um den König bangte. Deshalb faßt er seine Berichte an sie so günstig wie möglich ab, ohne die Wahrheit zu umgehen.

Er schrieb ihr immer an solchen Tagen, wo sich der König besonders wohl befand.

Freilich konnte er ihr nicht verheimlichen, daß der König des Nachts keine Ruhe fand und oft bis zum Morgengrauen rastlos umherstreifte.

Aber zur Beruhigung fügte er gleich hinzu, daß der König dann den versäumten Schlaf nachholte.

Immerhin sorgte sich Walpurga nicht wenig, und sie beschwor Sepperl immer wieder, dem geliebten König soviel wie möglich alles Störende und Quälende fernzuhalten und ihm treu zu dienen.

In dieser Sorge um den König vertiefte sich Walpurgas Gemüt mehr und mehr. Das kam aber ihrer Kunst sehr zustatten.

Der Künstler und die Künstlerin müssen tiefer empfinden, als andere Menschen, wenn ihre Kunst die rechte Weihe haben soll und den rechten Adel. Sie müssen aus der Tiefe ihres Wesens schöpfen können, um mit ihrer Kunst Eingang zu finden in die Herzen der Menschen. – –

* * *

So verging eine geraume Zeit.

Walpurga lernte eifrig und unermüdlich. Nachdem ihr Studium soweit vorgeschritten war, daß sie anfangen konnte, einzelne Partien einzustudieren, mußte sie zuweilen nach Bayreuth reisen.

Richard Wagner interessierte sich naturgemäß am meisten für diejenigen ihrer Rollen, die sie in seinen Opern übernehmen sollte. Und er wollte selbst darüber wachen, daß sie von all diesen Gestalten, die sie verkörpern sollte, die rechte Auffassung bekam.

Strahlenden Auges begrüßte der große Meister stets das junge Mädchen. Aber noch mehr leuchteten seine Augen, wenn er sie wieder entließ, nachdem er sich von ihren Fortschritten überzeugt hatte.

Walpurgas Stimme hatte durch die sorgfältige und verständnisvolle Ausbildung sehr an Kraft und Umfang gewonnen. Dabei hatte sie nichts von ihrem süßen, herzbewegenden Wohllaut eingebüßt. Und wenn sie dann sang, dann vergaß sie alles um sich her und lebte nur in ihrer Rolle.

Sie fühlte sich dann so ganz eins mit der Gestalt, die sie verkörperte, daß sie auch alles empfand, was diese empfinden sollte.

Dies gab ihrem Gesang und ihrem Spiel Leben und umwob sie mit einem hinreißenden Zauber.

Vier Jahre lang dauerte Walpurgas Studium, dann endlich war Meister Wagner damit einverstanden, daß ihr erstes Auftreten stattfinden durfte.

Er meldete dem König, daß Walpurga jeder erstklassigen Bühne angehören könne, und befürwortete ihr Engagement an der Königlichen Oper.

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