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Sepperl hatte schon vor einiger Zeit in aller Form nach Landessitte um Tonerl angehalten.
Sie hatte ihm keinen Korb gegeben, sondern war von Herzen gern seine liebe Braut geworden.
Sepperl hatte dem König seine Verlobung gemeldet und hatte um die Erlaubnis nachgesucht, sich verheiraten zu dürfen.
Der König hatte diese Erlaubnis erteilt, und nun war die Hochzeit bestimmt worden. Am 1. Juli 1885 sollte sie stattfinden.
Der König hatte wirklich Walpurga nie mehr zu sich befohlen. Aber Sepperl hatte Wort gehalten und hatte Walpurga zuweilen heimlich in die Wohnung seines Vaters eingelassen.
Hinter den Gardinen verborgen, konnte sie dann den König vorübergehen sehen, wenn er in den Garten ging und wenn er wieder von seinem kurzen Spaziergang zurückkehrte. Stets war sie dann sehr einfach gekleidet und dicht verschleiert, damit sie niemand erkannte.
Mit Jammer im Herzen mußte sie sich überzeugen, daß der König immer leidender aussah. Aber es war ihr doch ein Trost, daß sie ihn zuweilen sehen konnte. Sie hätte sonst die qualvolle Unruhe nicht ertragen.
Der König hatte in seiner gütigen Weise Sepperl versprochen, daß er Schloßkastellan werden solle. Und wenige Tage vor der Hochzeit überwies er ihm dann auch die hübsche, geräumige Wohnung des Kastellans.
Natürlich bezog Sepperl als solcher auch einen höheren Gehalt, und der König sorgte auch noch großmütig dafür, daß Sepperl diese Wohnung und diesen Posten bis an sein Lebensende behalten durfte, so daß ihn auch nach des Königs Tode kein Mensch daraus vertreiben konnte.
Da der Dienst eines Kastellans nicht viel Zeit in Anspruch nahm, bedingte sich der König nur, daß Sepperl nach wie vor seine persönliche Bedienung übernahm. Er hatte sich so sehr an Sepperl gewöhnt, daß er ihn am liebsten um sich hatte.
Sonst lebte der König jetzt ganz und gar wie ein scheuer Einsiedler. Niemand als Sepperl durfte vor sein Angesicht. Nicht einmal seine Minister ließ er mehr vor. Diese mußten ihre Berichte schriftlich einreichen.
Am Morgen seines Hochzeitstages, als Sepperl den König angekleidet hatte, bat er um Urlaub für den Rest des Tages.
Der König schaute aus dumpfem Brüten auf.
»Was willst Du, mein Sohn?«
»Eure Majestät geruhen gütigst, mich für meinen Hochzeitstag zu beurlauben!« wiederholte Sepperl.
Der König besann sich eine Weile. Dann nickte er.
»Richtig, Du hast Hochzeit heute. Sie wird doch im Försterhäuschen gefeiert, nicht wahr?«
»Ja, Majestät!«
Da nickte der König, wie in Erinnerung versunken, und ein schattenhaftes Lächeln flog über sein Gesicht; dann sagte er leise, wie traumverloren:
»Gar friedlich und still war es im Försterhäuschen, die Sonne schien so schön, die Vögel sangen. Und das kleine Burgerl saß im roten Röckchen vor der Tür und lachte, lachte –«
Er schrak empor aus seinem Brüten und fuhr bewußter fort:
»Sepperl, hast Du das Burgerl schon wieder lachen hören, seit sie das letzte Mal hier war?«
Sepperl wußte vor Verlegenheit nicht, was er antworten sollte, und stammelte:
»Eure Majestät verzeihen, aber ich sehe Burgerl so selten!«
Der König winkte hastig ab, als wollte er sagen: »Laß nur gut sein, ich weiß es auch ohnedies!« Und dann sagte er leise vor sich hin:
»Ich hab' ihr das goldene Lachen gestohlen!«
Dann richtete er sich plötzlich wieder energisch auf und fragte:
»Wird sie zu Deiner Hochzeit kommen?«
»Ja, Majestät, sie hat es versprochen!« antwortete Sepperl.
Da sah der König nach der Uhr.
»Hast Du noch eine halbe Stunde Zeit, ehe Du aufbrichst?« fragte er hastig.
»Ja, Majestät!« erwiderte Sepperl.
»Dann komm noch einmal zu mir, ehe Du gehst!« befahl der König.
Er begab sich darauf selbst ins Gewächshaus und ließ sich vom Gärtner nach seiner eigenen Angabe zwei Buketts binden. Diese nahm er mit sich in sein Zimmer und als Sepperl pünktlich eine halbe Stunde später eintrat, überreichte ihm der König die Sträuße.
»Diese roten Rosen nimmst Du Deiner Braut mit, Sepperl, mit einem Glückwunsch von mir. Und hier ist ein Strauß weißer Lilien, die übergibst Du Walpurga. Sage ihr, sie soll mein Sonnenschein bleiben, auch wenn ich sie nicht mehr sehe, hörst Du?«
Sepperl sah auf die wundervollen, weißen Lilien herab und wiederholte, was er auszurichten hatte.
Der König nickte.
»So ist's recht. Und grüße Sie von mir, sie soll nicht traurig sein!«
Nach diesen Worten winkte der König hastig ab, und Sepperl ging mit den Blumen hinaus.
Als er im Forsthaus eintraf, war alles schon in festlicher Erregung.
Sepperl entledigte sich nun zuerst seines Auftrages an Walpurga. Sie faßte mit zitternden Händen nach den wundervollen, weißen Blüten, und barg ihr Gesicht darinnen.
Sie war sehr bleich geworden vor innerer Erregung, und doch war ihre Seele erfüllt von hoher Freude. Des Königs Worte und seine Blumen bewiesen ihr, daß er sie noch nicht vergessen hatte.
Mit einer stillen Freudigkeit ging sie umher. Immer wieder sagte sie sich die Worte vor, die ihr Sepperl getreulich ausgerichtet hatte.
Ganz fest nahm sie sich vor, seinen Wunsch zu erfüllen und nicht mehr traurig zu sein. Sein Sonnenscheinchen wollte sie bleiben, mochte es auch noch so schwer sein mit der Sorge um ihn im Herzen.
Sepperl war nun mit den roten Rosen zu seiner Braut geeilt. Tonerl glühte selbst wie ein Röslein vor Glück und Freude.
Und eine gar lustige Hochzeit wurde nun gefeiert im trauten Försterhäusl.
Zuerst kam der Kirchgang. Und in der kleinen Dorfkirche sang dann Walpurga der Schwester dasselbe Brautlied, das sie damals ihrer Pensionsfreundin Margarete gesungen hatte.
Da lauschten die schlichten Landleute, die in der Kirche waren, als ob ein leibhaftiger Engel vom Himmel herabgestiegen sei. So etwas Schönes und Herrliches hatten sie ihr Lebtag noch nicht gehört. Und die Frauen schluchzten alle vor Rührung.
Dank des Königs Großmut konnte das junge Paar in eine sorgenlose Zukunft sehen. Da sie beide fröhliche Menschenkinder waren, hing ihnen natürlich der Himmel voller Geigen, und ein lustigeres Brautpaar konnte es gar nicht geben.
In aller Festfreude und Fröhlichkeit fand aber Walpurga einmal ihre Mutter in einem stillen Winkel. Sie weinte.
»Aber Mutterl, liebes Mutterl, warum weinst Du denn?« fragte sie herzlich.
Die Försterin blickte ein wenig verlegen auf.
»Ach Kinderl, weißt, nu wird halt alles ausfliegen aus dem Försterhäusl. Eins nach dem anderen hab' i hergeben müssen, erst Dich, dann den Sepperl, und nun auch noch das Tonerl. Jetzt sind wir zwei Alten ganz allein!«
Walpurga streichelte der Mutter Wangen.
»Mußt nicht traurig sein, liebes Mutterl. Schau, der liebe Gott hat für Deine Kinder so gut gesorgt, daß Du zufrieden sein kannst. Und ab und zu kommen wir doch alle wieder einmal heimgeflogen ins heimatliche Nest, zu unserem Vaterl und unserem herzlieben Mutterl!« sagte sie, liebevoll tröstend.
Die Försterin drückte ihr Burgerl ans Herz.
»Mein liebes Kinderl, wenn doch der liebe Herrgott auch Dir noch so einen recht lieben, braven Mann bescheren wollte, an dem Du eine Stütze und einen Halt hast, wenn wir einmal die Augen zutun. Dann hätt' i erst meine Ruh'!«
Walpurga schüttelte den Kopf und lächelte wehmütig vor sich hin.
»Das schlag' Dir nur aus dem Sinn, Mutterl. Ich kann gar keinen Mann gebrauchen und bin mir selbst Halt und Stütze genug. Ich habe es gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Und meiner Kunst will ich treu bleiben, die ist gar eifersüchtig, Mutterl, und läßt niemand neben sich aufkommen. Grad' noch genug Platz ist in meinem Herzen für Euch alle, die Ihr mir bisher lieb und teuer wäret. Aber ein Fremder findet da keine Aufnahme mehr!«
Die Försterin sah bekümmert in das schöne Gesicht ihrer Tochter, dann sagte sie halblaut:
»Deine Kunst? Ach, Burgerl, die tät es am End' schon erlauben, daß Du eines braven Mannes Weib würdest. Aber Dein Herz, mei liebes Kinderl, dös gibt's net zu, weil es halt dem König g'hört, i weiß es gar gut!«
Da wurde Burgerls Gesicht sehr blaß und ernst.
»Mutterl, Du hast mich lieb, das weiß ich, und bei Deiner Liebe beschwöre ich Dich, sprich nie, nie wieder davon, das darf nicht mit Worten angerührt werden, es lebt wie ein Heiligtum in mir!« sagte sie mit seltsam klingender Stimme.
Die Försterin weinte schmerzlich auf.
»Ach, mei Burgerl, ich hab' es ja g'wußt, daß Du unglücklich bist durch diese Liebe zum König!«
Walpurgas Augen leuchteten auf, und ein schönes Lächeln verklärte ihr Gesicht.
»Ach, Mutterl, unglücklich bin ich gewiß nicht durch meine Liebe. Nein, es ist mein größtes Glück, daß ich sie empfinden darf. Schau, Mutterl, für jeden Menschen hat das Glück ein anderes Aussehen. Sorg' Dich nicht um mich. Wäre der König gesund, dann wäre mein Glück noch viel größer. Nur daß er krank ist, drückt mich zuweilen nieder.
Und nun komm, trockne Deine Tränen und geh' mit mir zu den Hochzeitsgästen zurück. Laß keinen Schatten fallen auf Tonerls Hochzeitstag!«
Die Försterin nahm sich zusammen und verließ, von Walpurga liebevoll geführt, ihr Trauer-Eckchen. Beide mischten sich wieder unter die Hochzeitsgesellschaft.
Draußen vor dem Forsthaus tanzten die Hochzeitsgäste nach dem Klange einer Zither und einer Harmonika. Auf dem glatten Waldboden ging das ganz famos, und hier gab es wenigstens gute, reine Luft zu atmen, statt der schwülen, stickigen Luft eines geschlossenen Tanzsaales.
Lächelnd schaute Walpurga dem Tanze zu, und als nun Sepperl auf sie zukam und sie zum Tanz aufforderte, trat sie mit ihm in die Reihe.
»Einem Hochzeiter darf man keinen Korb geben!« sagte sie scherzend.
»Na, dös hätt' i Dir auch nimmer vergessen, Burgerl!« erklärte Sepperl ganz ernsthaft.
* * *
Als Walpurga am nächsten Morgen nach München zurückkehrte, trug sie, sorgsam verpackt, die weißen Lilien bei sich, die ihr der König geschickt hatte. Sie bewahrte dieselben, so lange sie frisch waren, in einer feinen Kristallvase, die sie einmal von Margarete zum Geschenk erhalten hatte. Und als sie welk wurden, preßte sie die Blüten vorsichtig und bewahrte sie wie ein Heiligtum zum Andenken.