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XXI.

Das Genrebild scheint Rubens, auf den ersten Blick hin, völlig den übrigen Niederländern, Belgiern sowohl als Holländern, überlassen zu haben, und leicht meldet sich die Erklärung, er sei eben, wie seine sämtlichen berühmten Zeitgenossen unter den Italienern (abgesehen von den Naturalisten), die das Genre laut verschmähten, eine pathetische Natur gewesen. Zunächst aber wissen wir wenigstens, daß er für seinen persönlichen Geschmack Genrebilder liebte und eine große Anzahl von Stücken des Adrian Brouwer für sich ankaufte. Ihm konnte nämlich, wie anderen wahrhaft Großen, noch Vieles gefallen, was nicht er selbst war. Bei der ungeheuren Arbeitsfülle in den größten Gattungen wäre es auch schon an sich erklärlich, wenn er seine Kräfte ausschließlich auf diese gewandt hätte. Allein der innere Reichtum seiner Natur war der Art, daß er, vermutlich im letzten Jahrzehnt seines Lebens, noch das berühmteste Bild aus dem ganzen niederländischen Volksleben – die Kermesse – und das herrlichste Gesellschaftsbild des 17. Jahrhunderts – den Liebesgarten – hat schaffen müssen. Die Kermesse (Louvre) befreit das Bauernleben mit einem Male vom Stil der Breughelschen Werkstatt, von der scharfen Herrschaft des einzelnen in den Typen und in den Späßen; sie versetzt dasselbe in das Reich der völlig freien und reichen Bewegung, der Einheit von Moment, Klang und Kolorismus und gibt dabei von der Örtlichkeit nur so viel mit, als der Gesamtwirkung dient. Das Bild muß zugänglich gewesen sein, vielleicht noch bei Lebzeiten des Meisters, und David Teniers der Jüngere, dem man doch (wie schon seinem Vater David dem Älteren) eine persönliche nahe Bekanntschaft mit Rubens kaum abstreiten kann, wird dasselbe gekannt haben, wenn auch seine eigenen Bauerntänze ungleich viel zahmer sind. – Neben die Kermesse tritt dann, wiederum ganz eigentümlich, der »Ringelreigen« (Museum von Madrid und Galerie Weber in Hamburg, dazu der Stich von Bolswert). Erst hier erreicht die Einheitlichkeit ihren höchsten Grad: der Reigen, der hier alle Figuren in einen und denselben Taumel gezogen hat, will sich eben nach der einen Seite auflösen, nach der anderen verdoppeln, indem je ihrer zweie ein Tuch halten, unter welches andere hindurchspringen, und nun hält gerade noch alles zusammen, bevor sich alles auflösen wird, und diese Kraft der Augenblicksbewegung wirkt vollkommen betörend; dazu ist jede einzelne Figur wie bei jedem heftigen Tanz, mehrseitig bewegt. Lehrreicherweise hat Rubens hier, wo es schon mehr auf Schönheit der Erscheinung ankam, bei den Männern die eigentliche Bauerntracht verschmäht (das »Geknöpfte« und »Genähte«) und wie in der Staffage einiger Landschaftsbilder die Kleidung derjenigen der italienischen Pastorale genähert, auch das Nackte mehr walten lassen. Weiß man einen anderen Maler, der diesen unvergleichlichen Moment hätte schaffen können, so nenne man ihn.

Als Resultat langer und vielleicht stark wechselnder Visionen, als eine der reifsten und herrlichsten Früchte eines Künstlerlebens ohnegleichen erscheint dann der »Liebesgarten«.

Im Gesellschaftsbilde liegt, je nach der sozialen Tradition, je nach den künstlerischen Vorgängen, der Akzent an den verschiedensten Stellen, Rubens aber fühlte sich hier nach allen Seiten frei und überließ sich offenbar völlig der glücklichsten Stimmung, denn er hatte ja die Kraft, dieselbe in die schönste Bildlichkeit zu übersetzen. Das Italien seiner Zeit hätte ihm hier weniges geboten: etwa noch ein venezianisches Halb- und Kniefigurenbild mit Singenden und Musizierenden; schon vorüber waren die Gastmähler des Paolo Veronese mit ihrem reichen festlichen Personal, die letzte schöne Hochzeit von Kana aber (Padovanino, Akademie von Venedig) war noch nicht gemalt, als er in Italien weilte. Caravaggio in seinen düsteren und verwegenen Malereien war nicht daraufgekommen, die damaligen Menschen in holdem oder gar in liebendem Verkehr darzustellen. Bei den italienischen Idealisten sodann gibt es wohl Liebesgruppen, aber nur im Gewande der Mythologie; man hatte eine höhere Geselligkeit, allein man malte sie nicht und wartete es ab, bis Berghem und Lingelbach (vielleicht nach dem Vorgang des Agostino Tassi und neapolitanischer Marinemaler) neben allem anderen auch vornehme Herren und Damen in ihren Hafenansichten herumwandeln ließen. In den Niederlanden dagegen gab es vor und neben Rubens ein Gesellschaftsbild als Gattung. Für Holland darf hier schon einer malerisch verwandten Aufgabe, der Doelen- und Regenten-Stücke, gedacht werden, die bereits im 16. Jahrhundert bedeutende Kräfte in ihren Dienst nahmen, und mit dem 17. Jahrhundert wurde dann die Darstellung der eigentlichen Geselligkeit ein Ziel ausgezeichneter Künstler, wie Dirk Hals, Peter Codde, des einen Palamedes u. a. Dieselben malten, öfters in sehr figurenreichen Bildern, die Konversation, den Tanz, die Spiele, auch das Musizieren von kostbar gekleideten Männern und Weibern, mit nicht immer angenehmer Porträtähnlichkeit, sei es in Prachtsälen oder in Gärten. In Antwerpen aber hatte wenigstens derjenige Kreis, der in den Gesellschaftsbildern dargestellt wurde, einen ansprechenderen Typus, eine vornehmere Bewegung und in der Kleidung mehr Geschmack, und die Frauen waren Damen. Von der Generation vor Rubens, namentlich aus der Werkstatt der Familie Francken (wo wir die einzelnen Meister zu unterscheiden keinen Anspruch machen), gibt es eine ganze Anzahl solcher Gesellschaften in Prachtsälen, von Franz Pourbus dem Jüngeren aber, als Juwel der Gattung, den Hofball in Gegenwart der Erzherzoge (vom Jahre 1611) in der Galerie vom Haag. Gleichzeitig mit Rubens selbst lernt man dann die große Antwerpener Gesellschaft, wie sie sich in Prachtsälen und Gärten wirklich ausnahm, sehr genau kennen in den Bildern des Christoph von Laenen oder Laemen, deren eine ganze Reihe (neuerlich durch gute Photographien bekannt) sich in der Galerie Mansi zu Lucca befindet. In den Formen nur mäßig durchgebildet, aber fein und sorgfältig ausgeführt, wenn auch nicht ohne Wiederholungen im Detail, besitzen dieselben einen vollen sittengeschichtlichen Wert.

Rubens jedoch erhob im »Liebesgarten« diese Generation – oder irgendeine Auswahl derselben – zu einem gemeinsamen wonnevollen Dasein. Schon als Örtlichkeit gab er derselben nicht einen Ziergarten mit, sondern einen prächtigen Phantasieanblick im Freien: Grotten, ein Barockportal, eine Fontäne mit Venusstatue und Bäume mit einem Ausblick in die Ferne. Er offenbart uns nicht, wie es in der höheren Antwerpener Gesellschaft wirklich herging, und doch beruht manches auf Persönlichkeit derselben, und in einer der mittleren weiblichen Gestalten hat man stets gerne Helena Fourment erkannt; das Bild konnte noch immer als gesellschaftlicher Scherz erscheinen, aber als ein edel gegebener. Geflügelte Putten, also Liebesgötter, sind wie zur heiteren Erläuterung in allen möglichen Bewegungen munter im Bilde zerstreut. Die mittlere Gruppe der Damen und Herren, deren einer ganz unbefangen am Boden sitzt, enthält als Hauptereignis eine bevorstehende Züchtigung eines dieser Amorine, der sich an den Schoß einer Dame geflüchtet hat; diese aber hält die Hand derjenigen fest, die ihn züchtigen will. Andere kommen die Stufen herab von der Fontäne her, andere kosen, auf der Erde sitzend, oder halten sich stehend umschlungen.

Nun wird man sich nicht wundern dürfen, wenn Wiederholungen und Kopien verschiedenen Ranges und Maßstabes sich finden, und Rubens kann dringend darum angegangen worden sein, wobei er freilich seine Probleme neu anzufassen gewohnt war. Höchstwahrscheinlich ist das früheste Bild dasjenige im Besitz Rothschilds zu Paris, ehemals beim Herzog de la Pastrana zu Madrid, und dieses ist uns bekannt aus dem noch immer vortrefflichen Werkstattbilde von Dresden und aus der Kopie des Jan van Balen in der Galerie von Wien, und auch letztere könnte noch unter den Augen des Meisters entstanden sein. Als die vermutlich spätere und von Rubens als vollkommener betrachtete Redaktion erscheint jedoch die des Museums von Madrid, wo das Verhältnis der Figuren größer und dafür der Raum beschränkter wurde, so daß das Portal niedriger gediehen und die Venusstatue der Fontäne zu einer Venus aecroupie geworden ist. (Eigenhändig, uns nur aus der Photographie bekannt.) Wahrscheinlich weil inzwischen der Ruhm der Darstellung weit herumgekommen war, zeichnete dann Rubens für den Holzschneider Jegher die Hauptszenen in sehr freier Verbindung noch einmal und gab der entfernten Mitte noch einen mutwillig bewegten Hergang mit Eine ähnliche gesellschaftliche Sphäre hat Rubens in derjenigen Skizze der Galerie von Wien dargestellt, die dort der »Schloßpark« heißt: ein Schloß in einem Weiher und im Vordergrund einige sehr belebte Figuren in einer Art von Fangespiel begriffen..

Die folgenden belgischen Genremaler, die in der Malweise dem Rubens so vieles verdankten, sind auf den Ton des Liebesgartens doch nicht eingegangen, selbst Teniers in seinen Bildern aus der feineren Gesellschaft nicht, und ebensowenig Tilborgh, Gonzales Coques, Siberechts u. a. Dafür ist später der Halbniederländer Watteau samt seinen französischen Nachfolgern ohne (direkte oder indirekte) Kenntnis des Liebesgartens gar nicht zu erklären.

Vielleicht befremdet es, wenn hier schließlich noch von einer Parabel des Neuen Testaments die Rede ist: auch Rubens hat der unvergänglichen Geschichte vom verlorenen Sohn einmal seine Huldigung dargebracht. Lange wußte man nur von dem meisterhaften Stiche des Bolswert, bis das im Privatbesitz von Hand zu Hand gegangene Gemälde 1894 für das Museum von Antwerpen gewonnen werden konnte. Ist es nun als Genrebild, als Tierbild, als baulicher Anblick, als Stilleben von allerlei Gerät aufzufassen? Rubens, der all dieser Terminologie gespottet haben würde, malte vor allem, wie ihn der Geist führte, und es wurde ein Ganzes von seltenster Art. Dieser durchsichtige Balkenanbau einer Meierei mit Ausblick ins Freie gehörte vielleicht sogar zur Ökonomie seines Landgutes Steen, was er hier mit aller Hingebung dargestellt hat Diese Vermutung läßt sich einigermaßen begründen. Der Bau mit seiner ganzen absonderlichen Ausstattung muß wirklich so vorhanden gewesen sein, und nun ist es schwer, sich Rubens vorzustellen, der auf einem fremden Landgut diese geduldigen Studien angestellt hätte. – Nicht dieselbe Stimmung, aber einen verwandten Anblick gewährt (laut »Klassischer Bilderschatz«, Blatt 1162) ein Bild in Windsor, ebenfalls ein offener Schuppen mit Leuten und Tieren, wegen des Schneegestöbers im Freien als »Winter« benannt. Ob ein ganzer Zyklus der Jahreszeiten von Rubens vorhanden war, wissen wir jedoch nicht zu sagen., waren vielleicht seine durch eifrige Knechte gepflegten Ackerpferde, seine Rinder, seine Mutterschweine am Trog samt ihren Jungen, und hier erst, im letzten Drittel des Bildes, ist ein armer Verlorener (der im Gemälde von höchst ergreifendem Ausdruck sein soll) aufs Knie gesunken, und eine Magd und ein Knecht schauen ihn erstaunt an; diese Menschen aber sind nicht roh und werden ihn nicht verhöhnen; er hat bei braven Leuten Unterkommen gefunden. Der große Maler und vielleicht Herr dieses Hofes, der hier den Adel der tiefen Reue schildert, könnte einst sogar in dieser Umgebung etwas dieser Art beobachtet haben.


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