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Der Putto, das nackte Kind, das mit dem 17. Jahrhundert die Zeit seines größten Verbrauches in Malerei und Skulptur antrat, hatte schon eine lange Vorgeschichte durchlebt. Die niederländische Tradition der letzten manieristischen Zeit wollte hier für Rubens wenig oder nichts besagen, und für ihn begann die Aufgabe in Italien als eine neue. Hier fand er in der religiösen, mythologischen und dekorativen Kunst den Putto bereits in großer Profusion vor, wobei man doch nicht übersehen darf, daß durch die beiden heiligen Kinder, den Bambino und den kleinen Johannes, der Typus und das Studium immer in einer beträchtlichen Höhe waren gehalten worden. Unter den Meistern der vergangenen Kunst, die hier den größten Eindruck auf Rubens gemacht haben können, wird man auf Andrea del Sarto raten dürfen und vor allem auf Tizian mit den Putten der Assunta, der Madonna Pesaro, des S. Pietro martire, während es ungewiß bleibt, ob Rubens schon damals das sogenannte Venusfest oder Kinderfest aus dem ehemaligen Besitz des Hauses Este zu sehen bekam, denn dies nebst anderen tizianischen Bildern war in jenen Jahren untergetaucht und erst viel später, in königlich spanischem Besitz, hat er es nebst den anderen kopiert. Von vielen marmornen Kinderfiguren des Altertums in Relief und Freiskulpturen war er gewiß entzückt, wußte aber von allem Anfang an, daß dies eine von der seinigen geschiedene Welt sei.
Und nun entsteht in völlig unabhängiger, wenn man will naturalistischer Begeisterung sein frühestes bekanntes, weltliches Puttenbild: Romulus und Remus mit der Wölfin (Galerie des Kapitols), beruhend auf gänzlich eigenen Studien, unbehelligt zumal von all den künstlich bewegten Bambini und Eroten des Giulio, die in Mantua den Beschauer umdrängten. Willkürlichkeiten der Formengebung, die auch in späteren Putten des Rubens wiederkehren, sind nicht ganz zu leugnen, aber der Maler hat wenigstens dem ersten nackten Kinde, das er darstellte, den Ausdruck des Entzückens gegeben: während Remus saugt, jubelt Romulus laut auf, offenbar wegen der gefundenen Pflege, die Wölfin aber wendet, wie erstaunt, den Kopf gegen die beiden Kleinen; still und ungesehen ruhen dabei im hohen Schilf der Tibergott und seine holde Geliebte; das Erdenleben endlich sendet von draußen seinen Boten in den Wunderhergang, den braven Hirten Faustulus. Und nun – die gelehrte Mythenforschung in Ehren! Sollten wir aber nicht einfach am besten tun, wenn wir uns der völligen Glaubhaftigkeit der herrlichen Szene überließen?
Heimgekehrt, schuf dann Rubens bald die Putten oben im Mittelbild des St.-Ildefons-Altares, die unübertroffenen, und mit diesen haben vielleicht seine schwebenden Engelskinder begonnen. Letztere aber sind und bleiben bei Rubens beinahe ein und dasselbe Volk mit den profanen Genien. Es sind Knaben und Mädchen, Blonde und Brünette, Zärtliche und Derbe, und in der Sonderwelt des bacchischen Kreises kommen auch kleine Pankinder hinzu; und wenn man von Rubens nichts übrig hätte als all diese Kleinen, so schiene es, als hätten dieselben schon für sich ein großes Künstlerleben ansehnlich ausgefüllt; jene nämliche Illusion, die man auch an anderen Stellen bei Rubens empfindet. Scharenweise, girlandenweise hat er diese köstlichen Wesen nicht selten dargestellt, und in der Vierge aux anges (Louvre) hat dies seinen besonderen Sinn, denn mit den etwa vierzig Kindern, welche die Muttergottes mit dem schönen Bambino rings schwebend umdrängen, sind die Unschuldigen von Bethlehem gemeint, und dies ist angedeutet durch ihre Flügellosigkeit und hie und da durch Märtyrerpalmen in ihren Händen. Wer aber könnte jene zwei Bilder der Pinakothek von München vergessen, den »Blumenkranz« und den »Früchtekranz«? Dort erscheint, wie als Gemälde in einem Rahmen, eine der lieblichsten Madonnen, die das Christuskind majestätisch vortreten läßt, und der reiche Kranz (von Jan Breughels Hand), der sie im Oval umgibt, ist umschwebt und gehalten von elf Diese Elfzahl könnte denken lassen, daß die künftigen Apostel (ohne Judas) vorangedeutet seien. Auch die alten Darstellungen der sogenannten »heiligen Sippe«, wo die Apostel als Kinder vorkamen, waren wohl noch nicht ganz vergessen. herrlich abgestuften und überaus lebendig unter sich verkehrenden Putten; – hier hat Rubens einen altbekannten italienischen Kunstgedanken, Putten als Träger eines fortlaufenden Festons, zu einer wundervollen Gruppe von sieben kräftigen Kindergestalten verdichtet, die, zum Teil in sichtbarem Amtseifer, einen mächtig reichen Kranz von Früchten daherschleppen. Vielleicht trifft in derselben Galerie mit ihrem Schatz von Rubens-Bildern das Auge zufällig noch auf manchen Putto, der einer besonderen Erinnerung würdig ist. Im großen Dreifaltigkeitsbilde, einer Werkstattproduktion, ruhen die Füße der göttlichen Personen auf einer schwebenden Weltkugel mit drei Putten: einer hilft sie tragen, der zweite will sie umspannen, den dritten möge man daran emporklettern sehen! – Im Bilde des Kindermordes hat Rubens (welcher doch hier in der Tat nur mit Raffael und Guido konkurriert) mit allem Aufwand seiner Kunst das getötete und das im letzten Aufschrei begriffene Kind dargestellt. Endlich aber findet sich hier als kleine eigenhändige Improvisation dieselbe Darstellung des St. Christoph mit dem Eremiten, die kolossal auf den Außenflügeln der Kreuzabnahme im Dom von Antwerpen wiederkehrt, wo man sie zu leicht übersieht: gegenüber der zudringlichen Blendlaterne des Einsiedlers schlägt das Christuskind den roten Mantel des guten Riesen, in welchen es bisher eingehüllt gewesen, auseinander: »Siehe, wer ich bin!«
Vier Jahrzehnte nach Rubens wurde (1618) Murillo geboren, dessen Puttenwelt allein im großen und ganzen der seinigen entgegengestellt werden kann, und auch Murillo war ja ein innerlich beglückter Mensch, was hiebei sogar in besonderen Betracht kommen könnte. Der Mythus mit seinen Eroten bleibt hier aus; auch die irdisch verkehrenden Putten (welche noch ihren besonderen irdischen Ausgang in die wundervolle Betteljugend von Sevilla gewinnen) sind kleine Gehilfen des Heiligen, wenn auch bis an die Grenzen des Humors, und hier kann Murillo dem Rubens nahe verwandt sein; dann aber folgen seine Christuskinder und Johanneskinder, die an Enthusiasmus der Auffassung und an überirdischer Schönheit dem ganzen übrigen 17. Jahrhundert überlegen sind; endlich das Reich der schwebenden Putten, das Gefolge der himmlischen Erscheinungen und besonders der Altarbilder von Marien Empfängnis. An Wonne und Wehmut offenbaren diese wie leicht hingewehte Wesen, was kein anderer Meister mehr in so lieblichen Formen und Bewegungen hat sagen können, und auch die schönsten Schwebeputten des Rubens werden neben ihnen etwas derb erscheinen. Und doch hat auch dieser hier vieles vorausgeahnt. Die lichte, blumige Karnation in der silbernen Wolkenluft, das leichte Schweben dieser »oiseaux célestes« (Fromentin), die möglichste Vermeidung des Kopfüber und die Anmut ihrer Verkürzungen überhaupt, endlich der tizianische Schimmer von jenen Altarbildern in Venedig her bringen doch einen Eindruck hervor, dem sich vielleicht auch der noch junge Murillo (1642) nicht hat entziehen können, als er in Madrid und im Eskorial die Gemälde des königlichen Besitzes studierte; unter diesen aber befanden sich so viele und wichtige von Rubens, und vielleicht solche, die Putten dieser Art enthielten.
In Altarwerken, abgesehen von den Himmelfahrten, ist Rubens sonst eher sparsam mit Putten, zum Unterschied von berühmten italienischen Zeitgenossen, welche nur allzuoft schon die Madonna des gewöhnlichen Gnadenbildes, statt sie inmitten der Heiligen weilen zu lassen, in die Wolken hinauf versetzten und ihr dann ein ganzes Gefolge von erwachsenen Engeln sowohl als zahlreichen Putten und Cherubsköpfchen beigeben mußten; Rubens läßt diese Kinder nur in bestimmter, durch das Ganze gerechtfertigter Funktion auftreten; die beiden sehr kräftigen, im Dreifaltigkeitsbilde des Museums von Antwerpen z. B. zeigen, bitter weinend, die Marterwerkzeuge vor; ja, er weiß Situationen für sie eigens zu erdichten. In der »Ruhe auf der Flucht«, jenem obenerwähnten, von ihm vorgezeichneten Holzschnitt, könnte das auf dem Schoße der Mutter schlummernde Kind von dem Lärm erwachen, indem zwei Putten an einem Lamme zerren, ein dritter muß sie nun zur Stille weisen, indem er auf den Bambino hindeutet. Weiteres aus dem Leben der heiligen Kinder im Freien erfährt man aus einem köstlichen Bilde der Galerie von Wien und dessen vorzüglicher Schulwiederholung in Berlin: Das Christuskind und der kleine Johannes auf der Erde gelagert, im Geleit zweier geflügelter Putten, deren einer dem Johannes das Lamm herbeibringt, während diesem der himmlische Knabe nachdenklich die Wange streichelt; derselbe ist hier deutlich hervorgehoben durch edlere leibliche Bildung und durch dasjenige wundersame Blond, das Rubens gerne seinen Auserwählten gönnt. In mehreren Varianten kommen auch die beiden heiligen Kinder, allein mit dem Lamm beschäftigt, in einer Waldlichte vor, wiederum wie in einer Vorahnung des Murillo.
Für die profanen Putten gibt es nun wohl ein Beispiel der allergrößten Verschwendung in dem prächtigen »Venusfeste« der Galerie von Wien. An dem Fruchtkranz und Vorhang, der sich durch die Baumkronen zieht, schwebt ihrer eine ganze Wolke daher, vor der Göttin herum tanzt der Hauptreigen, und rechts bewegt sich noch ein zweiter Reigen, nicht zu reden von den in allen möglichen Momenten einzeln durch das umfangreiche Bild zerstreuten. Dasselbe macht den Eindruck eines sehr freien Weiterphantasierens an jenem Kinderfest Tizians, das Rubens nebst anderem bei seinem zweiten Aufenthalt in Madrid kopiert hatte Wobei in der Stimmung auch eine Verwandtschaft mit dem sogenannten »Liebesgarten« nicht geleugnet werden soll, der hier wie ins Mythische umgedeutet nachklingt.; nur war dem Tizian an einem höchst unbedenklichen Gewühl ganz junger Kinder gelegen gewesen, und sein Werk, etwa aus dem vierzigsten Lebensjahr, gehörte seinem aufsteigenden Gestirn an, und daneben allerdings erscheinen diese Rubens-Putten etwas konventionell gebildet, auch bei der naivsten und lebendigsten Erfindung. Daß Rubens aber sonst eher ökonomisch verfuhr, auch in der weltlichen Malerei, zeigen die allegorisch-historischen Bilder. Von den fünf Putten der Allegorie des Krieges (Pal. Pitti) sind vier im Hergang unentbehrlich; in der ganzen Galerie des Luxembourg hat nur der »Austausch der Prinzessinnen« einen ätherischen Willkommreigen, während sonst nur ausnahmsweise Putten, dann aber auserwählt schöne und an sprechender Stelle, auftreten, wie z. B. die beiden mit Fackeln auf dem Löwengespann reitenden am Wagen der Stadt Lyon. – Im »Urteil des Paris« sind auf dem vollkommeneren und reiferen Exemplar, demjenigen der National Gallery, mehrere Putten weggelassen, die sich auf dem etwa zehn Jahre älteren zu Dresden noch finden. Der Meister bringt sie, abgesehen von jenem Venusfest, nur vor, wo er sie beschäftigen kann, und dann bisweilen mit dem allerschönsten Humor, wie z. B. jene fünf des Andromeda-Bildes im Museum von Berlin, wo sie die Fesseln der nackten Heldin lösen, und beim Flügelroß des Perseus, jenem vertraulichen Apfelschimmel, einander heraufhelfen und den Stallmeister machen. Mit den furchtbarsten Tieren treiben sie Spiel und Jubel, und schon Romulus und Remus sind bei der Wölfin wie zu Hause; und nun hatten schon seit hundert Jahren in Rom alle Maler den Amor mit dem Löwen in antiken Skulpturen gekannt, und auch den kolossalen Nilgott des Vatikans, dessen Putten sich nicht nur mit dem Ichneumon, sondern auch mit einem Krokodil vergnügen. Erst der große Niederländer aber, in dem berühmten Wiener Bilde der vier Weltströme, bewaffnet mit der vollen Glut seiner Farbe, bringt die wirklichste Gegenwart seiner Bestien zusammen mit den holdesten und fröhlichsten Putten.
In freiem Freskovortrage hatte Annibale Carracci in einem jetzt demolierten Gebäude zu Rom jene Szenen aus der Geschichte der Psyche gemalt, welche in neuerer Zeit in die Galerie des Kapitols übergetragen worden sind, und Rubens könnte dieselben einst gesehen haben. In großen Nebenfeldern sind Putten dargestellt, in spielender Bändigung von Tieren begriffen, eines Löwen, einer Löwin, einer Wölfin und eines Esels, mit welchem auf den verwandelten Lucius des Apulejus angespielt sein wird, alles nicht ohne einen Zug von Großartigkeit, und da wir die übereinkömmliche Mißachtung des Annibale unmöglich teilen können, so halten wir es für ein Glück, daß in jenen Zeiten zwei mächtige Meister in verschiedenen Stilen sich über Tiere mit Putten ausgesprochen haben. Wie aber Rubens hie und da auf Tizian zurückweist, so Annibale in der Bildung dieser Putten auf diejenigen des Raffael in der Camera della segnatura, da, wo – im oberen Abschluß der Wand der Gesetzgebung – die drei sitzenden Frauen: Klugheit, Mäßigkeit und Stärke mit fünf herrlich gestalteten und belebten Kindern zusammengruppiert sind.