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Eine andere dieser Welten war die antike Mythologie, wie sie damals in ihrer Fassung bei den römischen Dichtern, die Phantasie der gebildeten Abendländer beherrschte. Man könnte sich bei Rubens darüber wundern, daß von den ihm bekannten neueren Dichtern des Südens Boccaccio und Ariosto jeder nur einmal und Tasso unseres Wissens gar nicht vorkommt, allein sie haben ja auch in Italien selbst nur auffallend wenige Darstellungen in der Malerei veranlaßt.
Einer höchst umfangreichen mythologischen Gesamtbestellung, deren Hauptbestandteil Bilder aus den Metamorphosen des Ovid ausmachten, für das Jagdschloß Torre de la Parada, unweit Madrid, hat oben nur nach unvollständigen Kunden Erwähnung getan werden können. Außerdem aber sind von Rubens mächtig viele mythologische Szenen vorhanden, von denen einige zu den wichtigsten Marksteinen seiner Künstlerlaufbahn gehören. Wer von dem mythologischen Nackten die antike Idealität der Formen verlangt, mag dieselben völlig übersehen. Das Dasein, das Rubens in Gestalten, Farben und Lichtern darstellt, hat ihn so beglückt, wie er es schuf, und ist in gewissen Stunden seine Art von Idealität gewesen. Von den großen und tiefen Bedenklichkeiten und Anstalten, die heute den Entschluß zu einem mythologischen Bilde zu begleiten pflegen, wußte die damalige Kunst überhaupt noch nichts; diese Themata waren noch selbstverständlich, und eine Ästhetik, die wegen des Stiles im allgemeinen sowohl als im einzelnen Streit gesucht hätte, gab es noch nicht; nur mußte der Künstler glücklich erfinden und vortrefflich malen können.
Man kann nun auch hier scheiden zwischen den erzählenden Bildern und den Genrebildern, wenn Genremalerei überhaupt als Darstellung anonymer Gestalten und ihrer Zustände und Erlebnisse definiert werden darf, die hier der Maler von sich aus schafft. Strenge Trennung gibt es natürlich keine, und auch Szenen, die schon in die Allegorie übergehen, sind nicht völlig von der Mythologie geschieden zu halten.
Die mythologischen Genrebilder beginnen schon in der italienischen Zeit des Rubens, ohne daß aus der dortigen Malerei, der vergangenen wie der damaligen, irgendein Einfluß auf seine Auffassung nachzuweisen ist. Will man aber ein Bild Tizians nennen, so wäre dies, um einzelner Typen willen, am ehesten »Bacchus und Ariadne« (National Gallery); es bleibt jedoch ungewiß, ob Rubens dasselbe (damals im estensischen Besitz zu Modena? Oder zu Rom?) schon hat sehen können, und von dem jetzt in Madrid befindlichen »Bacchanal« Tizians ist in Italien überhaupt noch nichts auf ihn übergegangen. Er ist und bleibt sein eigener Herr und Meister, und nun schildert er, sei es in Kniefiguren oder in Ganzfiguren – vielleicht besonders für Speisesäle –, das vermutliche tägliche Treiben einer Gesellschaft, mit der er – für seine Person ein Vorbild seiner Sobrietät – im Geiste ganz vertraut gelebt haben muß. Bald wiegt das Gemütliche, bald das Komische vor, denn zu den mythischen Menschen werden nicht nur Mohren und Mohrinnen als dienende Begleiter zugezogen, sondern auch bockfüßige Pane und ganze Panfamilien. Schon die Kunst des späteren Altertums hatte dem ursprünglich einsamen Hirtengott eine solche Gefolgschaft beigegeben Vgl. Preller, Griechische Mythologie. – Panisken auch in pompejanischen Malereien., die Archäologie zur Zeit des Rubens aber glaubte, diese dem Bocke in Kopf und Bein genäherte Bildung sei die der Satyrn, der bekannten Schar des Dionysos, gewesen, und nun sind eigentlich Satyrfamilien gemeint. Tiere der Wildnis sowohl als Haustiere, besonders Jagdhunde, vervollständigen dieses Dasein. In zahllosen Varianten und in den größten Unterschieden der Ausführung, vom eigenhändigen, vollkommen erhaltenen Juwel bis zum oberflächlichsten Werkstattbilde, gehen diese Gemälde durch alle größeren Galerien, und ihrer einzeln und vollends nach dem Grade ihres Kunstwertes zu gedenken, ist hier unmöglich. Man faßt sie meist unter dem Namen von Bacchanalen zusammen, allein viele reiche Besteller mochten zugleich gerne das noble Vergnügen der Jagd und die weibliche Schönheit verherrlicht sehen, und so sind es die Geleite sowohl des Bacchus als der Diana, oft sehr schöne Nymphen, die hier vor uns treten, und indem sie einander ihre beiderseitige Beute, dort Blumen und Früchte, hier erlegte Jagdtiere, vorweisen, sind sie zugleich die höhere Gestalt des niederländischen Stillebens, das so oft beides vereinigt. Die bacchische Gesellschaft kulminiert gerne in einem »Silen«, der trunken sein muß, gleichsam für alle anderen, die Satyrn jedoch erlauben sich etwa plötzliche Angriffe auf die Nymphen, und das Bild kann in eine Entführungsszene übergehen; Waldlandschaften aber, wo schlafende Nymphen von Satyrn überfallen werden, haben wir schon oben erwähnt. Auch die mitgegebenen Putten sind von der mutwilligen Art, und die ganze Wirkung solcher Bilder ist bisweilen grell, zumal wenn Pansweiber in schwerer Trunkenheit dahingesunken sind. Allein der Beschauer nimmt es hin, daß Rubens auch bei solchen Wesen »zu Hause« gewesen sei, weil er mit seinem geheimnisvollen Feuer niemals langweilig ist, und damit erst wird man sich des Anstößigen bewußt. Auch geht er bisweilen ins Dramatisch-Momentane über: schon in einem (zweimal und vortrefflich vorhandenen) Bilde der italienischen Zeit, wo sich Herkules in der Trunkenheit in diese Gesellschaft verirrt hat. Man sieht ihn, geführt von einem Pan und einem Pansweib und verspottet von einer hinterdrein tanzenden Nymphe; ein Putto hat sich seiner Keule bemächtigt und reitet auf derselben hinterdrein, indem er sich nach einem Panther umsieht, der nach der Keule tappt; rechts hat ein Silen die Löwenhaut des Heros übergezogen und streckt heimlich die Zunge heraus; dies alles aber bewegt sich wie im Spotttriumph schräg durch das Bild.
Mythische und halbmythische Liebespaare, meist lebensgroß, in ganzen Figuren, im Freien, mögen hier noch mit erwähnt werden. Für galante Jagdfreunde malte Rubens mehrmals Atalante mit Meleager, der ihr den Kopf des kalydonischen Ebers überbringt, und die Züge könnten die eines Ehepaares oder Liebespaares sein; ein reicheres Exemplar fügt auch mehrere Putten und anspringende Jagdhunde hinzu und in den Lüften eine drohende Erinnys. Ganz anonymer Art ist (in der Pinakothek von München) eine Schäferszene: ein halbnackter Hirt mit dem Dudelsack auf dem Rücken überrascht ein junges Weib, im Freien, bei einem Felsenquell. Leichtigkeit der Behandlung und Kraft des Tones sichern hier wohl die eigenhändige Ausführung, und die Art des Herganges verrät scheinbar ein intimes Erlebtes, und auch hier können Bildniszüge dargestellt sein, nur sind es nicht die des Rubens und einer seiner Frauen, denn schon diese Hakennase ist im ganzen Leben des Malers nie die seinige gewesen, und wir glauben überhaupt, daß derselbe sich und die Seinigen entweder kenntlich dargestellt hat oder gar nicht. Und so gibt auch das merkwürdige und frühe Bild der Grosvenor Gallery zu London, der Maler Pausias mit seiner Geliebten, der Kranzwinderin Glycera, nicht die Züge des Rubens und der Elisabeth Brant wieder: Pausias, noch etwas ungeschickt sitzend mit gekreuzten Beinen, hält mit der Rechten das Bildnis der Glycera, auf einen Felsblock gestützt; mit der Linken ergreift er ihre Rechte; rechts von ihr ein Gefäß und ein Korb voll Blumen. Vielleicht nur ein allgemeiner Nachklang aus dem jugendlichen Künstlerleben.
Sehr frei ist Rubens mit den Wassergottheiten und übrigen Wasserwesen umgegangen. In ihm war eine wonnevolle Ideenassoziation aufgeblüht zwischen Meeren, Strömen und Quellen der Wildnis, mächtigen Tieren und nackter weiblicher Schönheit, und er fragte nicht viel nach der überlieferten Mythologie, sondern lebte einfach des Glaubens, daß jeder Wassergott seine Geliebte mit sich haben müsse. Schon bei dem Tibergott des Bildes der Wölfin mit den beiden Kindern (Galerie des Kapitols) hat man sich längst umsonst erkundigt, wie denn die frische und liebliche Gemahlin geheißen habe, die mit demselben im Schilfe sitzt Wenn es nicht doch Rhea Silvia ist. – Vgl. Preller, Römische Mythologie, S. 511.. Auch bei dem berühmten Schönbornschen Bilde des Museums von Berlin darf man die Benennung der nackten Herrin wohl völlig auf sich beruhen lassen, denn wenn es in der Überlieferung auch weder eine »Amphitrite« noch eine »Libye« gegeben hätte, so würde Rubens eine solche Gestalt dennoch an jene Stelle gemalt haben. Das Werk offenbart sich als eines der frühesten dieses Inhalts schon durch seine Überfülle an menschlichen und tierischen Wesen: Neptun und seine Göttin, Tritone, eine Nereide, ein Putto, dann Löwe, Tiger, Nashorn, Nilpferd und Krokodil; komisch wirkt es freilich, daß letzteres von der Nereide so traulich umschlungen wird, und erst später empfand Rubens, daß dergleichen nur ein Geschäft für Putten sei. Über den Schilf des Ufers ragt ein Schiffsmast mit dunklem Segel, so daß für die oberen Teile der Göttin und für das Haupt des Neptun das schönste Helldunkel gesichert war. Kosmopolitisch gedacht, konnte das Gemälde für große Prachtsäle reicher Leute aller maritimen Gegenden erwünscht sein, und auch die Landtiere, wie Löwe, Tiger usw., nahm man als Sinnbilder einer großartigen Ferne überhaupt ohne Bedenken zu diesem friedlichen Herrscherpaare der Gewässer hinzu. – Auf seiner vollen Höhe malte dann Rubens (Galerie von Wien Es ist eine erlaubte Frage, ob das Bild noch seinen ursprünglichen Umfang habe oder beschnitten worden sei? Mit einem sehr großen Teil der kaiserlichen Sammlung teilte es unter Karl VI. das Schicksal, in der »Stallburg« angebracht zu werden, wo man die Gemälde symmetrisch in eine Wanddekoration verteilte. Über die gräßlichen Operationen, denen hiebei sehr viele unterlagen, findet sich einige gelinde Auskunft im großen neuen Katalog, Bd. I, S. XLVIII, der Einleitung und im Text S. 134 des II. Bandes.) die vier Götter der großen Ströme Donau, Ganges, Nil und Maranhon mit ihren Geliebten, auf das gemütlichste an einem schilfigen Ufer unter einem ausgespannten Teppich zusammengelagert, wobei auch die Damen sich freundlich unterhalten, während im hellsten Vordergrund ein ganz anderer Verkehr stattfindet zwischen dem von drei Putten mit Jubel geleiteten und geliebkosten Krokodil und dem Schneuzen der säugenden Tigerin mit vier Jungen; diese aber gilt (laut Waagens Urteil) als das vollkommenste von allen Tieren, die Rubens gemalt hat, nachdem die Tiere in dem Bilde Schönborn noch einiges zu wünschen übriggelassen. Daß in den mächtigen herkulischen Wassergöttern der Typus römischer Statuen weiterlebt, wurde schon oben bemerkt.
Prächtige Nereiden und mächtige Tritonen herrschen im Vordergrund zweier Bilder der Galerie des Luxembourg (Landung in Marseille; Austausch der Prinzessinnen), und im Quos ego! der Galerie von Dresden nimmt dies ganze Gefolge samt Seepferden den Vordergrund der Flut und den Muschelwagen Neptuns ein, durch die Luft aber sausen in abenteuerlichster Bildung die von ihm bedrohten Windgötter. Wenn dann so völlig momentan ein Seepferd sein Bein über das Bein des anderen schlägt, zweifelt der Beschauer nicht mehr, daß solche Wesen in ihrem Daherstürmen vorhanden seien. Die Malerei gehörte nur zu den Dekorationen beim Einzug des Kardinal-Infanten, allein Rubens hat hier im Eifer noch eigenhändig mitgeholfen, und das Ganze wirkt als die prachtvollste Improvisation. – In derselben Galerie findet heute das Bild von Hero und Leander nur bei den »Schülern und Nachahmern des Rubens« ein Unterkommen, und schwerlich werden wir Beifall gewinnen, wenn wir ein eigenhändiges Werk aus dem Beginn der italienischen Zeit darin zu erkennen glauben, das nur direkt aus einer Phantasiewelt wie der seinigen stammen könne. Die Nereiden (nach damaliger Voraussetzung in Fischschweife ausgehend), im wild tobenden, furchtbar beleuchteten Meeresstrudel, bringen Leanders starre Leiche, während Hero sich vom Turme herab in die Fluten stürzt; Wellen und Wolken mischen sich mit schrecklichen Blitzen.