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Merkwürdig verschieden von allem Mythischen lauten dann die allbekannten Historien vom ältesten Rom bis zum Anfang der Republik (Krieg des Porsenna usw.), wenngleich das, was sie darstellungswert machte, noch immer das sagenhaft Poetische war. Rubens hatte Italien sehr reich an Malereien dieses Inhaltes, zumal Fresken, vorgefunden, mochten sie als Moralitäten oder nur wegen des schönen pathetischen Momentes geschaffen worden sein, und in diesem doppelten Sinn waren die Gegenstände noch jetzt kosmopolitisch verständlich. Je nachdem ihn dieselben nun anregten, war seine stets zu allem Lebendigen innerlich bereite Phantasie sogleich in Tätigkeit. Der Historien von den Sabinerinnen wurde oben gedacht; dieselben kamen aber nicht bloß in Staffeleibildern vor, sondern auch unter den acht großen Römerkompositionen, die Rubens für den Hauptsaal des königlichen Palastes in Madrid entwarf Die Ausführung im Großen, ohne Zweifel auf Tuchflächen, geschah mit Hilfe der Schüler in Antwerpen. Über zwei der noch in Madrid geschaffenen Skizzen, bei Lord Ashburton in London, vgl. Waagen, Rubens-Album, S. 25.. In Dresden aber findet sich die schönste Redaktion der Flucht der Clölia und ihrer Gefährtinnen durch den Tiber, und hier hat Rubens, wie er es auch sonst vermag, einen großen Gesamtvorgang in alle denkbaren lebendigen Einzelmotive auf köstliche Weise umgesetzt (Ausführung vermutlich von Diepenbeck). Aus der italienischen Kunst jener Tage erinnern wir uns hier gern an Domenichinos Jagdfest der Diana (Galerie Borghese) wie an einen verwandten Klang aus der Ferne. (Auch van Dyck soll das Thema der Clölia behandelt haben.)
Aus der anekdotischen griechischen Welt (und wahrscheinlich zunächst aus Valerius Maximus V, 4) stammte die damals so oft dargestellte Szene von dem gefangenen Kimon, der durch seine Tochter gesäugt und damit vom Hungertode gerettet wird, die sogenannte heidnische Karitas, la Carità romana. Unter den Ausführungen des Rubens gilt diejenige der Galerie Weber in Hamburg als die vorzüglichste. – An dieser Stelle wird auch am besten der Geschichte von Philemon und Baucis zu gedenken sein, wie sie in ihrer Armut die unerkannten Götter Jupiter und Merkur bewirten. Das anmutige friedliche Bild der Galerie von Wien wurde einst unbegreiflicherweise dem Jordaens zugeschrieben, dessen ungeschlachte, in einem großen Stich erhaltene Komposition derselben Szene doch deutlich beweist, wie wenig er dieses Werkes fähig gewesen wäre. Baucis will eben noch zur Speisung der Gäste die Gans ergreifen (Unicus anser erat, etc. Ovid, Metam. VIII, 684), was Jupiter mit nobler Gebärde abweist, während Philemon in ernstem Diskurs mit Merkur begriffen ist. Rubens hat dann das ehrwürdige Greisenpaar auch weiter nicht aus dem Gesichte verloren, und in der furchtbaren Landschaftsphantasie der »Wasserflut von Phrygien« (ebenda) erblicken wir beide als Gerettete samt den Göttern auf dem Hügel wieder; dieses imposante Gemälde aber stammt aus dem Nachlaß des Meisters und gehörte vielleicht zu seinen letzten Schöpfungen.
In Bestimmung und Ausführung von diesem allem verschieden sind dann (in der Galerie Liechtenstein) die sechs großen Geschichten des Konsuls Publius Decius aus dem Samniterkriege. In diesen Bildern lebt ein gewaltiges und ungesuchtes Gefühl von Römergröße, wie es z. B. David und seine Nachahmer mit all ihrem Pathos nie erreicht haben. Die Bestimmung aber war, daß sie als Vorlagen für Teppiche dienen sollten, auf eine Bestellung genuesischer Nobili hin, und im Mai 1618 lieferte Rubens dieselben in die Wirkerei nach Brüssel ab. Wahrscheinlich bei diesem Anlaß und jedenfalls spätestens damals wird sich Rubens entschlossen haben, als Vorlagen für Teppiche nicht Kartons in Wasserfarben, wie bisher alle Italiener und Niederländer getan haben mögen, sondern vollständige Ölbilder zu liefern. Für den großen Koloristen war dies vielleicht schon das Selbstverständliche und einzig Erfreuliche, und solche Malereien, ob sie Eigentum des Meisters, der Teppichbesteller oder der Wirkerei blieben, behielten ihren abgeschlossenen malerischen Wert und gaben Anlaß zu mächtigen Stichen; die Teppiche aber konnten nun gering oder auch gar nicht ausgeführt werden oder in weiter Ferne den Augen der Menschen entschwinden, und wir können z. B. nicht sagen, ob und wo die Geschichten des Decius noch gewirkt vorhanden sind. Ohne allen Zweifel aber würden, wenn man diese Teppiche noch fände, die Ölgemälde, wenngleich überwiegend von Schülern ausgeführt, denselben weit vorgezogen werden. Von den sechs dargestellten Augenblicken – der Vorbereitung zum Opfer, der Allokution, der Abweisung der Liktoren, der Todesweihe, der Schlacht und dem Triumph der Leiche – sind besonders die drei letzten von höchst ergreifender Wirkung. In der Todesweihe spricht der Priester die Formel und legt die Linke auf das vom roten Gewand fast ganz verhüllte Haupt des Helden, und weihevoll beseelt sind auch die wenigen Zeugen und selbst das wartende Schlachtroß, das den baldigen Ausgang zu ahnen scheint! Von dem Untergang des Konsuls im Reiterkampf haben wir oben eine Beschreibung zu geben versucht. Auch die Verehrung der Leiche ist ein höchst grandioser Moment, dessen Eindruck nicht etwa durch generöse Wehmut versüßt wird; es sind Sieger und Römer; erbeutete und vielleicht zum Totenopfer bestimmte Weiber mit jammernden Kindern werden an den Haaren und am Gewande geschleppt.
Von den meisten Teppichfolgen sind allerdings die großen in Öl gemalten Vorbilder nicht mehr nachweisbar, von den vorläufigen Farbenskizzen aber, die samt allen übrigen Rubens-Skizzen in der ganzen Welt und nicht bloß in Galerien, sondern in kaum mehr aufzufindendem Privatbesitz zerstreut sind, kann sich heute kaum noch jemand rühmen, auch nur die Mehrzahl gesehen zu haben. Ein Zyklus der Geschichten Konstantins des Großen (für Maria Medici?) soll zwar noch in Teppichgestalt existieren, auch gibt es wenigstens einzelne Stiche davon, aber die Skizzen bergen sich im Privatbesitz, und ebenso in englischen Sammlungen die acht Skizzen der Geschichte des Achill (für Karl I.), die ebenfalls zur Ausführung in Teppichen gelangten oder wenigstens bestimmt waren; späte und willkürliche Stiche müssen uns jetzt die Kunde davon vertreten. Dagegen sind von einem wichtigen, für Teppiche geschaffenen Zyklus noch alle neun großen gemalten Vorbilder erhalten: es ist der schon oben erwähnte vom »Triumph des Glaubens«, und von diesem wird noch weiter die Rede sein.
Rubens aber kannte auch den Wert der Kartons anderer großer Meister, und er war es, der König Karl I. von England zum Ankauf der Kartons des Raffael aus der Apostelgeschichte bewog. Als nach Karls Untergang die königliche Kunstsammlung veräußert wurde, ging Cromwell hindurch, blieb vor diesem stehen und sagte: Die behalten wir. Und so besitzt England diesen wunderbaren Schatz bis heute.
Die Allegorie im weitesten Umfange des Wortes nimmt bei Rubens eine so ausgebreitete Stellung ein, daß man ihr in den großen Galerien nicht entgehen kann; dafür vermag ihm an dieser Stelle auch jedermann den Prozeß zu machen, weil er einer jetzt so völlig vergangenen »Mode« gedient habe. Zunächst wäre zu erwidern, daß z. B. die ganze heutige Monumentalskulptur (und unter Umständen auch die Monumentalmalerei) die Allegorie nirgends entbehren kann und ohne diese »Mode«, d. h. ohne beständige Zuhilfenahme von ziemlich vielem Abstrakten, verloren sein würde. Unnütz aber wäre es, die Allegorie in der vergangenen Malerei hier rechtfertigen, ihre »Ehrenrettung« unternehmen zu wollen. Wir haben einfach zu konstatieren, wie diese kolossale Prämisse aller damaligen Kunst auch bei Rubens einer der mächtigsten Anlässe geworden ist, Lebendigkeit und Schönheit zu entfalten, und wie sich seine ganze gewaltige Phantasie dabei sehr wohl befand. Man hat es mit einem humanistisch gebildeten Abendland zu tun, in dem z. B. die »Tafel des Cebes« längst zu den Schulbüchern gehörte: eine wahrscheinlich spätantike Schrift, in der eine große Schar von moralischen und intellektuellen Allegorien auftritt, und zwar bereits als in einem umfangreichen Gemälde handelnd und redend angebracht. Bei der ganz unglaublichen weiteren Anhäufung des Allegorischen im Verlauf des 16. Jahrhunderts konnte Rubens hier nicht für die materielle Neuerfindung in Betracht kommen; dafür ist bei ihm Auswahl, vollkommen neue Belebung und oft die schönste Wirkung.
Schon in Antwerpen muß er mit der Allegorie aufgewachsen sein, und in Italien umgab sie ihn von allen Seiten, in der vergangenen und lebenden Kunst, in der Poesie und Literatur, in der Prachtausstattung aller Festlichkeiten, und schon der Dogenpalast von Venedig allein gewährte sie in Hülle und Fülle, als klassische Stätte zumal des Politisch-Allegorischen in der Malerei. Im einzelnen bestand bekanntlich die Welt der Allegorie teils aus frei geschaffenen Personifikationen allgemeiner Kräfte, Eigenschaften, Antriebe, Zustände, Örtlichkeiten und Völker, teils aus den bekannten Gestalten antiker göttlicher oder dämonischer Wesen, die längst als Repräsentanten solcher Kräfte, Eigenschaften usw. gegolten hatten. Ihre mögliche und vielleicht sehr hohe Schönheit hing, wie man denken sollte, an einem ruhigen Dasein, und Paolo Veronese hatte z. B. mit den sitzenden Figuren an der Decke der Sala del Collegio (Dogenpalast) dieses Problem herrlich und frei gelöst. Unzählige andere aber hatten die allegorischen Figuren teils untereinander und gegeneinander in Bewegung, ja in Affekt gesetzt, teils sie in den Verkehr historischer Menschen gemischt. War man aber so weit, so erwiesen sie sich vielleicht als vorzüglich geeignet, selber einen Hauptteil der Aktion zu übernehmen, ganz besonders das Innerlich-Bewegende, die Antriebe der Aktion darzustellen, und auf diesem gewagten Pfade ist dann Rubens kühner und glücklicher vorgegangen als irgendein Zeitgenosse.
Zunächst sind einige allgemeinere, man könnte sagen: anonyme Allegorien zu erwähnen, die einen Gedanken, ein Gefühl verwirklichen, das der gebildeten Welt gemeinsam und im Gemälde leicht verständlich war, und man dürfte dieselben noch »Moralitäten« nennen. Schon in Italien begann Rubens mit einem Thema, das dann von dem schönen eigenhändigen Exemplar (Dresden) aus in Varianten weitergeht: ein antik geharnischter gewaltiger Held (nicht mit den Zügen des Herzogs Vincenzo von Mantua und überhaupt nicht notwendig Porträt) wird bekränzt von einer geflügelten Viktoria, die er umfaßt, während Trunkenheit, Üppigkeit und Neid zu Boden sinken Eine wenig ansprechende Variante, im Grunde ein Stilleben mit heroischen Figuren, wo der Held und die Victoria über erschlagenen Leichen sitzen und der ganze Rest des großen Bildes durch Haufen von Waffen und Wehr angefüllt wird, in der Pinakothek von München, Werkstattbild. – Auch in der Galerie von Wien ein Sieger, von Victoria gekrönt, von Minerva begleitet, ebenfalls in rohester Weise auf Leichen sitzend, den rechten Fuß auf die Schulter einer solchen gestützt, diesmal vorzügliche eigenhändige Ausführung. – In einem wichtigen eigenhändigen Bilde der Galerie von Kassel kann man die Leichen wenigstens als Allegorien von Neid und Zwietracht fassen. In einer Variante (Privatbesitz in Paris) zieht ein Amorin heimlich dem Helden das Schwert aus der Scheide.. Viel mehr Teilnahme erwecken diejenigen Bilder (in mehreren Redaktionen), die das bisher glückliche, friedliche Menschenleben, durch Mars, auch wohl durch Furien bedroht, durch Minerva beschützt darstellen. Dieses Glück des Erdenlebens aber in Gestalt einer Familie im Freien, auch wohl mit Betonung der verschiedenen Lebensalter zu schildern, bedurfte doch wahrlich einer visionären Künstlerseele, wie die des Rubens war: »eine fast nackte Frauengestalt drückt ihren Säugling an die Brust, umgeben von zahlreicher Familie, der der in den Zweigen eines Baumes gelagerte Pan Früchte herabreicht« – so die kurze Beschreibung des Bildes der Pinakothek von München; wie sehr lohnt es aber der Mühe, dem Ganzen und den Einzelheiten dieser Familie näher nachzugehen! Eine sehr schöne Variante hievon ist dasjenige Bild der National Gallery, das Rubens 1630 an Karl I. übergab, und hier hat man das Gefühl, daß in der Gruppe des glücklichen (hier mehr bacchischen) Lebens, ja auch in dem zurückweichenden Mars auf bestimmte Persönlichkeiten hingedeutet sein könnte. Anderswo schaut eine wundervoll gemütliche Familiengruppe – bis zum Großvater – dem Tanz und Tamburinspiel von vier nackten Kindern zu, ohne zu ahnen, daß oben in der Luft Minerva schon mächtig gegen eine drohende Furie ausholen muß. (Dieses offenbar sehr ausgezeichnete Bild ist uns nur aus einer Photographie bekannt.) – Den einmaligen Sinn allegorischer Gestalten darf man freilich anderswo nicht immer erwarten, festgehalten zu sehen; Minerva z. B., die dort als Schützerin des Erdenglückes vorkam, tritt auch als Personifikation der Kriegspflicht und des Heldentums auf, und zwar in demjenigen eigenhändigen Bilde der Uffizien, das irrig »Herkules am Scheidewege« heißt. Ein heroischer Jüngling wird von der herantretenden Minerva an der Hand ergriffen, und schon warten seiner die Waffen und ein Diener mit dem Schlachtroß; über Venus schwebt Kupido, über Minerva Saturn oder der Zeitgott mit der Sichel, und seitwärts zurück stehen in gespannter Erwartung des Entscheides zwei junge Damen. Porträtzüge sind diesmal kaum zu leugnen im Kopf der Venus und nicht ganz unwahrscheinlich bei den Mädchen; in dem Helden vollends liegt offenbar eine persönliche Beziehung, und Rubens war hier mit in einem Geheimnis. Aber noch aus seiner letzten Lebenszeit gibt es einen glorreichen Beweis dafür, daß er in solchen Bildern, die man jetzt wohl für »trivial« hält, ernste und tiefe Wahrheiten und Gefühle hat ausdrücken wollen und müssen: es ist die prachtvolle eigenhändige Allegorie des »Krieges« im Palazzo Pitti, gemalt 1638 für Großherzog Ferdinand II. von Toskana. Die umständliche Deutung besitzt man in einem Brief an den in Florenz lebenden Maler und Landsmann Justus Sustermans, offenbar zur Mitteilung an den hohen Besteller. Hier sind Mars und Venus wohl noch in mythologischem Sinne ein Gattenpaar, allein Mars reißt sich stürmisch von ihr und ihren Amorinen los, und die in der Luft schwebende Alecto mit der Fackel zerrt ihn am Gewande; andere voransausende Furien bedeuten Pest und Hunger; schon zu Boden getreten sind die Harmonie als Weib mit der Laute und das Familienglück als Mutter mit dem Kinde am Arm; schon ermordet aber liegt der Baumeister, noch mit dem Zirkel in der starren Hand, denn der Krieg zerstört die schönen Bauten des Friedens. Links sieht man den geöffneten Janustempel, und ein mittlerer Durchblick in die Ferne zeigt schon die begonnene Schlacht. »Jene schmerzerfüllte Frau aber (es ist diejenige mit der Mauerkrone, die der Venus nacheilt), in schwarzem Gewände und mit zerrissenem Schleier und aller Juwelen und sonstigen Schmuckes beraubt, ist das unglückliche Europa, das schon so viele Jahre lang Raub, Schmach und Elend erleidet ... Ihr Symbol ist jener Globus, der von einem Engelchen oder Genius getragen wird, mit dem Kreuze darüber, wodurch die christliche Welt angedeutet wird.« Zum Schluß nun noch die tiefempfundenen Worte, die Waagen dieser Beschreibung hinzugefügt hat: »Dieses Bild ist nun das schönste künstlerische Denkmal, das Rubens uns, nicht lange vor dem Schluß seiner irdischen Laufbahn, von dem tiefen Mitgefühl seiner edlen und großen Seele (die das Höchste, was Kunst und Wissenschaft gewähren, in einem langen Leben, gebend und empfangend, kennengelernt hatte) mit dem namenlosen Jammer seiner Zeit hinterlasssen hat, den die Kriege sowohl über sein Vaterland als noch mehr über das unglückliche Deutschland verbreitet hatten.«
Rubens hatte noch in einer freundlichen Nachschrift an Sustermans die Bitte geäußert, derselbe möge das Gemälde, »wo es durch Zufall (durch Schaden beim Transport) oder durch meine Nachlässigkeit nötig wäre«, retuschieren. Glücklicherweise war und ist bis heute das Wunderwerk vortrefflich erhalten, das ewige und unvergeßliche Titelbild zum Dreißigjährigen Kriege, von der Hand des allein in höchstem Sinne dazu Berufenen.