Jacob Burckhardt
Der Cicerone
Jacob Burckhardt

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Bis gegen das Jahr 1630 hin hatte die Skulptur die Lebenskräfte desjenigen Stiles, der mit Andrea Sansovino begonnen, vollständig aufgezehrt. Sie hatte versucht, in wahrhaft plastischem Sinne zu bilden; aus den toten Manieren der römischen Malerschule hatten sich einzelne Bessere von Zeit zu Zeit immer zu einem reinern und wahrern Darstellungsprinzip hindurchgekämpft; die eigentliche Grundlage der Plastik, die abgeschlossene Darstellung der menschlichen Gestalt nach bestimmten Gesetzen des Gleichgewichtes und der Gegensätze, schien gesichert. Zu einem reinen und überzeugenden Eindruck aber hatte diese Kunst es im letzten halben Jahrhundert (etwa 1580–1630) doch nicht mehr gebracht. Teils ist des Trübenden zu viel darin (die genannten römischen Manieren, die alten und neuen naturalistischen Einwirkungen, die verlockenden Kühnheiten des Michelangelo, die Prinziplosigkeit der Gewandung), teils fehlt es an durchgreifenden Künstlerindividualitäten, an wirklichen frischen Kräften, indem sich damals die Besten alle der Malerei zuwandten. Weshalb taten sie dies? Weil der Kunstgeist der Zeit sich überhaupt nur in der Malerei mit ganzer Fülle aussprechen konnte.

Einige Dezennien hindurch hat nun die Malerei einen neuen, die Skulptur noch den alten Stil. Endlich entschließt sie sich, der Malerei (deren Vorgängerin sie sonst ist) nachzufolgen, deren Auffassungsweise ganz zu der ihrigen zu machen. Das Relief ist schon seit dem 15. Jahrhundert ein Anhängsel der Malerei; die Freiskulptur war durch die größten Anstrengungen der Meister der goldenen Zeit vor diesem Schicksal einstweilen bewahrt worden; jetzt unterlag auch sie. – Welches der Geist dieser Malerei war, der fortan auch in den Skulpturen lebt, wird unten im Zusammenhang zu schildern sein. In der Malerei können wir ihm seine Größe und Berechtigung zugestehen; in der Skulptur gehen die wichtigsten Grundgesetze der Gattung darob verloren und es entsteht kein größeres, namentlich kein ideales Werk mehr, das nicht einen schweren Widersinn enthielte. Nicht ohne Schmerz sehen wir ganz ungeheure Mittel und einzelne sehr große Talente auf die Skulptur verwendet, welche die folgenden anderthalb Jahrhunderte hindurch (1630–1780) über Italien und von da aus über die ganze Welt herrschte. Ihr Sieg war schnell und unwiderstehlich, wie überall, wo in der Kunstgeschichte etwas Entschiedenes das Unentschiedene beseitigt.

Übergehen dürften wir sie aber hier doch nicht. Ihre subjektiven Kräfte waren – im Gegensatz zur vorhergehenden Periode – ungemein groß, ihre Tätigkeit von der Art, daß sie mehr Denkmäler in Italien hinterlassen hat als die Gesamtsumme alles Frühern, das Altertum mitgerechnet, ausmacht. Sie hat ferner einen sehr bestimmten dekorativen Wert im Verhältnis zur Baukunst und zur Anordnung großer Ensembles, und endlich gibt sie gewisse Sachen so ganz vortrefflich, daß man ihr auch für den Rest einige Nachsicht gönnt. (Vgl. den Abschnitt über die Barockarchitektur; S. 346 u. ff.)

Der Mann des Schicksals war bekanntlich Lorenzo Bernini von Neapel (1598–1680), der als Baumeister und Bildhauer, als Günstling Urbans VIII. und vieler folgenden Päpste einer fürstlichen Stellung genoß und in seinen spätern Jahren ohne Frage als der größte Künstler seiner Zeit galt. Er überschattet denn auch alle folgenden dergestalt, daß es überflüssig ist, ihren Stilnuancen näher nachzugehen; wo sie bedeutend sind, da sind sie es innerhalb seines Stiles. –

Nur ein paar Zeitgenossen, die noch Anklänge der frühern Schule auf bedeutsame Weise mit der berninischen Richtung vereinigen, sind hier vorläufig zu nennen: Alessandro Algardi (1598–1654) und der Niederländer Franz Duquesnoy (1594–1644). Ferner ist schon hier auf das starke französische Kontingent in diesem Heerlager aufmerksam zu machen, auf die Legros, Monnot, Teudon, Houdon usw., vor allem auf Pierre Puget (1622–1694), von dem man wohl sagen könnte, er sei berninischer als Bernini selbst gewesen. Wie Ludwig XIV. in Person, ebenso waren auch die französischen Künstler für den »erlauchten« Meister eingenommen; auffallend ist trotzdem, daß sie in Italien selbst so stark beschäftigt wurden und um 1700 in Rom beinahe das Übergewicht hatten. Wir wollen nun versuchen, die Grundzüge der ganzen Darstellungsweise festzustellen. Bei diesem Anlaß können die besonders wichtigen oder belehrenden mit Namen angeführt werden.

Die zwingende Gewalt, welche die Skulptur mit sich fortriß, war der seit etwa 1580 siegreich durchgedrungene Stil der Malerei, welcher auf den Manierismus der Zeit von 1530 an gefolgt war. Derselbe zeigt zwei Haupteigenschaften, welche sich durchdringen und gegenseitig bedingen: 1. den Naturalismus der Formen und der Auffassung des Geschehenden, edler in der bolognesischen, gemeiner in der neapolitanischen Schule ausgeprägt; 2. die Anwendung des Affektes um jeden Preis. Die Maler verfahren naturalistisch, um eindringlich zu sein, und am Affekt erfreut sie wiederum nur die möglichst wirkliche Ausdrucksweise. Dieses Wirkliche, weil es zugleich so wirksam war, eignete sich jetzt auch die Skulptur an. Ihr Verhältnis zur Antike war fortan kein innigeres als z. B. dasjenige, welches wir bei Guido und Guercin finden, die Entlehnung einzelner weniger Formen. Bernini persönlich empfand den Wert der Antiken recht gut und erkannte z. B. in dem verstümmelten Pasquino die goldene Zeit der griechischen Kunst, allein als Künstler drängte er nach einer ganz andern Seite hin.

Es versteht sich nun von selbst, daß er und seine Schule diejenigen Aufgaben am besten löste, bei welchen der Naturalismus im (wenn auch nicht unbedingten) Rechte ist. Hierher gehört das Porträt. Schon in den vorhergehenden Perioden eines echten und halbfalschen Idealismus war die Büste durchgängig gut, ja bald die beste Leistung dieser Kunst gewesen, und dies Verhältnis dauerte nun in glänzender Weise fort. Die Gräber von Rom, Neapel, Florenz, Venedig enthalten viele Hunderte von ganz vortrefflichen Büsten dieser Art, welche den Porträts von Van Dyck bis Rigaud als würdige Parallele zur Seite stehen. Sie geben die Charaktere nicht idealisiert, aber in freier, großartiger Weise wieder, wie es nur eine mit den größten idealen Aufgaben vertraute Skulptur kann. Wir dürfen um dieses Reichtums willen den Kunstfreund seiner eigenen Entdeckungsgabe überlassen. Im Santo zu Padua, in S. Domenico zu Neapel, im Lateran und in der Minerva zu Rom wird er sein Genüge finden. In der Halle hinter S. M. di Monserrato suche man die Grabbüste eines spanischen Juristen Petrus Montoya († 1630), eine edle leidende Physiognomie von trefflichster Behandlung.

Außerdem genügt der Naturalismus noch am ehesten in der Darstellung des Kindes (zumal des italienischen), in dessen Wesen alle mögliche Schönheit nur unbewußt als Natur vorhanden ist, und dessen Affekte so einfach sind, daß man sie nicht wohl durch Pathos verderben kann (was einzelne Künstler dennoch versucht haben). Algardi und Duquesnoy genossen zu ihrer Zeit einen gerechten Ruhm für ihre oft ganz naiven und schönen Kinderfiguren. (Von letzterm ein paar Köpfe an den Grabmälern der zwei hintersten Pfeiler in S. Maria dell' Anima zu Rom.) Von ihren Nachfolgern läßt sich nicht mehr so viel Gutes sagen; die Putten wurden in so besinnungsloser Masse dekorativ verbraucht, daß die Kunst es damit allmählich leicht nahm. Und doch wird man selbst unter den von Stukko zu Tausenden improvisierten Figuren dieser Art sehr viele wahre und schöne Motive finden, die nur unter der manierierten und sorglosen Einzelbildung zugrunde gehen.

Selbst einzelne Idealköpfe der Schule haben einen Wert, der sie doch immer mit guten bolognesischen Gemälden in eine Reihe stellt. Das 17. Jahrhundert hatte wohl im ganzen einen andern Begriff von Schönheit als wir und legte namentlich den Akzent des Liebreizes auf eine andere Stelle, wovon mehreres bei Anlaß der Malerei; allein deshalb werden wir doch z. B. gewissen Köpfen Algardis (z. B. im rechten Querschiff von S. Carlo zu Genua), oder der Statue der Mathildis von Bernini (in S. Peter) eine dauernde Schönheit nicht ganz abstreiten dürfen. Hier und da ist die Einwirkung der (damals noch in Rom befindlichen und vielstudierten) Niobetöchter nicht zu verkennen. Anderes ist mehr national-italienisch. Selbst ohne höhern geistigen Adel, nehmen sich doch manche Madonnenköpfe, frei behandelt und zwanglos gestellt wie sie sind, recht gut aus. So z. B. mehrere Assunten des Filippo Parodi auf genuesischen Hochaltären. Im ganzen ist freilich die ideale Form etwas geistesleer.

Die sog. Charakterköpfe folgen ganz der Art der damaligen Maler, und zwar nicht der bessern. Bernini selber steht dem Pietro da Cortona viel näher als etwa dem Guercino; seine männlichen Individuen sind von jenem gemeinheroischen Ausdruck, der in der Malerei erst seit der Epoche der gänzlichen Verflachung (1650) herrschend wurde. An seinem Konstantin (unten an der Scala regia im Vatikan) hat man den mittlern Durchschnitt dessen, was er für einen würdigen Typus des Mannes und des Pferdes hielt; sein Pluto (Villa Ludovisi) ist in der Kopfbildung ein Exzeß der kortonistischen Richtung.

Auch seine Behandlung der menschlichen Gestalt im allgemeinen ist mit Recht verrufen, schon abgesehen von der Stellung. Jugendlichen und idealen Körpern gab er ein weiches Fett, das allen wahren Bau unsichtbar macht und durch glänzende Politur vollends widerlich wird. Die Art, wie Plutos Finger in das Fleisch der Proserpina hineintauchen (Villa Ludovisi), ist auf jede andere Wirkung berechnet als auf die künstlerische. Seine Jugendarbeit, Apoll und Daphne (Villa Borghese, oberer Saal), ist bei aller Charakterlosigkeit doch leidlicher, weil sie noch nicht üppig ist. Spätere haben, dem Geschmack ihrer Besteller zuliebe, nach dieser Richtung hin auf jede Weise raffiniert.

Den heroischen und Charakterfiguren gab Bernini eine prahlerische Muskulatur, die sich mit derjenigen Michelangelos zu wetteifern anschickt, gleichwohl aber nicht den Ausdruck wahrer elastischer Kraft hervorbringt, sondern aufgedunsenen Bälgen gleichsieht. Dies kommt zum Teil wieder von der unglücklichen Politur her (Pluto, V. Lud.). Bei den nicht von ihm selbst ausgeführten Statuen der großen Stromgötter (Hauptbrunnen auf Piazza navona) hängt der so viel günstigere Eindruck offenbar mit der anspruchlosern Behandlung der Oberflächen des Nackten zusammen. Und wo die Aufgabe ihm wahrhaft gemäß war, wie z. B. der Triton der Piazza Barberini, bei welchem jene üble Prätension auf Eleganz ohnedies wegfiel, da genügt Bernini völlig. Er hat vielleicht überhaupt nichts Besseres geschaffen als diese halbburleske Dekorationsfigur, welche mit Schale und Untersatz ein so prächtig belebtes Ganzes bildet. Wie sooft in der neuern italienischen Kunst wirken gerade diejenigen Mittel im rein naturalistischen und komischen Gebiet vortrefflich, welche im idealen alles verderben.

Andere Bildhauer waren auch in der Muskulatur wahrer und naturalistischer, in der Epidermis mürber, aber deshalb nicht viel erquicklicher. Eine große Schaustellung anatomischen Könnens ist z. B. Pugets S. Sebastian in der S. Maria di Carignano zu Genua; der Heilige muß sich vor Qual krümmen, damit der Künstler das Unerhörte von Formen an ihm entwickeln könne. Freilich weit die meisten Berninesken waren zu sehr bloße Dekoratoren, um sich auf eine so ernstliche Virtuosität einzulassen.

Die Gewandung ist vollends eine wahrhaft traurige Seite dieses Stiles. Es bleibt ein Rätsel, daß Bernini zu Rom, in der täglichen Gegenwart der schönsten Gewandsstatuen des Altertums sich so verirrte. Allerdings konnten ihm Togafiguren und Musen nicht unbedingt zum Vorbilde dienen, weil er lauter bewegte, affektvolle Motive bearbeitete, die im Altertum fast nur durch nackte Figuren repräsentiert sind; allein auch seine Aufgaben zugegeben, hätte er die Gewandung anders stilisieren müssen. Er komponiert diese nämlich ganz nach malerischen Massen und gibt ihren hohen, plastischen Wert als Verdeutlichung des Körpermotives völlig preis.

In Porträtstatuen, wo der Affekt wegfiel und die Amtstracht eine bestimmte Charakteristik der Stoffe verlangte, hat dieser Stil Treffliches aufzuweisen. Seit Berninis Papststatuen (Denkmäler Urbans VIII. und Alexanders VII. in S. Peter) legte sich die Skulptur mit einem wahren Stolz darauf, den schwerbrüchigen Purpur des gestickten Palliums, die feinfaltige Alba, die Glanzstoffe der Ärmel, der Tunika usw. in ihren Kontrasten darzustellen. Von den Statuen Papst Urbans ist diejenige am Grabe (im Chor von S. Peter) durch besonders niedliche Einzelpartien dieser Art, durchbrochene Manschetten und Säume usw., diejenige im großen Saal des Konservatorenpalastes dagegen durch kecke Effektberechnung auf die Ferne merkwürdig. Auch die Kardinalstracht wurde bisweilen gut und würdig behandelt (Lateran, Kapelle Corsini). Fürsten, Krieger und Staatsmänner sind wenigstens im Durchschnitt besser als Engel und Heilige, wo sie nicht durch antike (und dann schlecht ideale) Tracht und heftige Bewegungen in Nachteil geraten wie z. B. die meisten Reiterstatuen. Von den letztern, sowie sie dem berninischen Stil angehören, reicht keine an den Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke in Berlin. (Von Schlüter.) Francesco Mocchi († 1646), der etwa die Grenzscheide zwischen dem bisherigen und dem berninischen Stil bezeichnet, hat in Roß und Reiter die äußerste Affektion hineinzulegen gewußt. (Bronzedenkmäler des Alessandro und des Ranuccio Farnese auf dem großen Platz in Piacenza.) – An Grabmälern in den Kirchen findet man zahlreiche Halbfiguren, in welchen das lange Haar, der Kragen, die Amtstracht bisweilen mit dem ausdrucksvollen Kopf ein schönes Ganzes ausmachen.

Die ideale Tracht aber verschlingt den Körper in ihren weiten fliegenden Massen und flatternden Enden, von welchen das Auge recht gut weiß, daß sie faktisch zentnerschwer sind. Die Politur, womit Bernini und viele seiner Nachfolger das ideale Gewand, zumal himmlischer Personen, glaubten auszeichnen zu müssen, verderbt dasselbe vollends. Es gewinnt ein Ansehen, als wäre es – man erlaube die Vergleichung – mit dem Löffel in Mandelgallert gegraben. Tonfiguren sind deshalb oft leidlicher als marmorne.

Bisweilen wurde aber auch auf ganz besondere Art mit der Gewandung gekünstelt. Eine der unvermeidlichen Sehenswürdigkeiten Neapels sind die drei von allen Neapolitanern (und auch von vielen Fremden) auf das höchste bewunderten Statuen in der Kapelle der Sangri, Duchi di S. Severo; sämtlich um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gearbeitet. Von San Martino ist der ganz verhüllte tote Christus, eine Gestalt, welche zwar kein höheres Interesse hat, als das Durchscheinen möglichst vieler Körperformen durch ein feines Linnen, doch wird der Beschauer weiter nicht gestört. Von Corradini ist die ganz verhüllte sog. Pudicitia, mit welcher es schon viel mißlicher aussieht; ein Weib von ziemlich gemeinen Formen, die sich vermöge der künstlichen Durchsichtigkeit der Hülle weit widriger aufdrängen, als wenn die Person wirklich nackt gebildet wäreVon demselben Corradini steht eine verhüllte »Wahrheit« in der Galerie Manfrin zu Venedig. . Von dem Genuesen Queirolo aber ist die Gruppe »il disinganno, die Enttäuschung«; ein Mann (Porträt des Raimondo di Sangro) macht sich aus einem großmächtigen Stricknetze frei mit Hilfe eines höchst abgeschmackt herbeischwebenden Genius. Welche Marter an diesen Arbeiten auch die meißelgewandteste Virtuosenhand ausstehen mußte, weiß nur ein Bildhauer ganz zu würdigen. Und bei all der Illusion ist der geistige Gehalt null, die Formengebung gering und selbst elend. Die Kapelle ist noch mit andern Arbeiten dieser Zeit angefüllt. Wer von da unmittelbar zur Incoronata geht, kann mit doppeltem Erstaunen sich überzeugen, mit wie Wenigem das Höchste sich zur Erscheinung bringen läßt.

Übrigens sind dieses seltene Ausnahmen. Der Barockstil liebt viel zu sehr das Massenhafte und in seinem Sinn glänzende Improvisieren, um sich häufig eine solche Mühe zu machen.

Welches war nun der Affekt, dem zuliebe Bernini die ewigen Gesetze der Drapierung so bereitwillig preisgab? Bei Anlaß der Malerei wird davon umständlicher gehandelt werden; denn bei dieser ging ja die Skulptur jetzt in die Schule. Genug, daß nunmehr ein falsches dramatisches Leben in die Skulptur fährt, daß sie mit der Darstellung des bloßen Seins nicht mehr zufrieden ist und um jeden Preis ein Tun darstellen will; nur so glaubt sie etwas zu bedeuten. Die heftige Bewegung wird, je weniger tiefere, innere Notwendigkeit sie hat, desto absichtlicher in dem Gewande expliziert. Ging man aber so weit, so war auch die plastische Komposition überhaupt nicht mehr zu retten. Die so schwer errungene Einsicht in die formalen Bedingungen, unter welchen allein die Statue schön sein kann, das Bewußtsein des architektonischen Gesetzes, welches diese stoffgebundene Gattung allein beschützt und beseelt – dies ging für anderthalb Jahrhunderte verloren.

Schon für alle Einzelstatuen (geschweige denn für Gruppen) wird nun irgendein Moment angenommen, der ihre Bewegung begründen soll. Bisweilen gab es freie Themata, welche aus keinem andern Grunde gewählt wurden. So Berninis schleudernder David (Villa Borghese), welcher die größte äußere Spannung einer gemeinen jugendlichen Natur ausdrückt. Aber welcher Moment sollte in die zahllosen Kirchenstatuen, in all die Engel und Heiligen gelegt werden, die auf Balustraden, in Fassadennischen, in Nebennischen der Altäre u. a. a. O. zu stehen kamen? Die Aufgabe war keine geringe! Bernini hatte z. B. mittelbar oder unmittelbar für die 162 Heiligen zu sorgen, welche auf den Kolonnaden vor S. Peter stehen, und ähnliche, wenn auch minder ausgedehnte Reihenfolgen kamen bei der Auszierung von Gebäuden nicht selten in Arbeit.

Die Skulptur ging nun auch hier der Malerei getreulich nach und nahm ihr den ekstatisch gesteigerten, durch Gebärden versinnlichten Gefühlsausdruck ab. Derselbe ist an sich gar wohl darstellbar und konnte mit großer Schönheit und Reinheit gegeben werden. Allein wenn er zur Regel wird und bald den einzigen Inhalt und Gehalt auszumachen droht, so ist er der Skulptur gefährlicher als der Malerei, welche letztere durch Farbe und Umgebung viel mehr Abwechslung und neue Motivierung hineinbringen und das Auge beständig von neuem täuschen kann.

Mit einer Art von resoluter Verzweiflung geht die Skulptur an ihr Tagewerk. Sie sucht mit aller Anstrengung nach Nebengedanken; sie gibt dem Heiligen einen Putto bei, mit welchem er Konversation machen kann; sie läßt den Apostel heftig in seinem vorgestützten Buche blättern (lehrreiche Apostelreihe von Monnot, Le Gros u. a. in den Pfeilernischen des Laterans); Mocchis S. Veronica (in S. Peter) läuft eilig mit ihrem Schweißtuch; Berninis Engel auf Ponte S. Angelo kokettieren ganz zärtlich mit den Marterinstrumenten (der mit der Kreuzinschrift von Bernini eigenhändig ausgeführt); u. dgl. m. – Im allgemeinen aber sind und bleiben es einige wenige Motive, welche sich besonders häufig nur versteckt wiederholen. Da macht sich z. B. ein inspiriertes Auffahren, wie aus einem Traum, bemerklich (Berninis Statuen in S. M. del popolo, Cap. Chigi; in der Capella del voto des Domes von Siena usw.); ein eifriges Beteuern und Schwören (Berninis Longin in S. Peter, auch mehrere der Ordensstifter in den Nischen der Hauptpfeiler daselbst; unter diesen ist der S. Ignatius Loyola, von Giuseppe Rusconi, durch tiefern Ausdruck und gediegenere Ausführung ausgezeichnet; ganz unverzeihlich schlecht der Beato Alessandro Sauli von Puget, in S. M. di Carignano zu Genua, u. a. m.). Es ist noch ein Glück für den Künstler, wenn er seinen Heiligen als begeisterten Prediger darstellen kann. (S. Peter.) Sonst findet sich namentlich ein schwärmerisches Hinsinken oder Hinknien, teils mit gesenktem Haupt (Legros, S. Aloys Gonzaga, im rechten Querschiff von S. Ignazio zu Rom), teils mit einem solchen Blick nach oben, daß man wenig mehr als Kinnbacken und Nasenspitze bemerkt. (Eine Hauptstatue dieser Gattung, der silberne S. Ignatius von Legros, im linken Querschiff al Gesù, ist nur noch durch eine kupferversilberte Nachbildung vertreten.) Der S. Andreas des Duquesnoy, in S. Peter, welcher es beim bloßen sehnsüchtigen Blick und Handgestus bewenden läßt, ist ohnedies auch durch Mäßigung der Form ein besseres Werk.

Höchst widrig ist denn die Vermischung dieses ekstatischen Ausdruckes mit einem je nach Umständen gräßlichen körperlichen Leiden. Die große Lieblingsaufgabe, S. Sebastian, welcher nackt und dennoch ein Heiliger ist, wurde jetzt von Puget (Kirche Carignano zu Genua, s. oben) in einer Weise gelöst, welche des rücksichtslosen Naturalismus jener Zeit ganz würdig war. Hatten bisher Maler und Bildhauer das körperliche Leiden des Heiligen entweder weggelassen (indem sie den bloß Gebundenen, noch nicht Durchschossenen abbildeten), oder doch würdig dargestellt, so windet sich hier S. Sebastian wie ein Wurm vor Schmerzen. Das stärkste aber bietet (ebenda) ein andrer Franzose, Claude David, in seinem S. Bartholomäus; man sieht den nackten, bejahrten Athleten an einen Baumstamm gebunden, halb kniend, halb aufspringend mit schon halbgeschundener Brust; ein heranschwebender Engel zieht das hängende Stück Haut an sich und macht den Beschauer in naseweiser Art auf das Leiden des Heiligen aufmerksam. Also lauter sehnsüchtige Devotion und Passivität, mit Güte oder Gewalt in das Momentane und Dramatische übersetzt – dies ist der Inhalt der kirchlichen Einzelstatuen. Ein weiteres pikant gemeintes Interesse verlieh ihnen z. B. Bernini gern durch allzu große Bildung im Verhältnis zur Kleinheit der Nische (die erwähnten Statuen im Dom von Siena); die Ausgleichung liegt in gebückter, sonderbar sprungbereiter Stellung u. dgl. Zu diesem gezwungen Momentanen, vermeintlich Dramatischen gehört ganz konsequent auch die Bildung der Attribute in demselben Verhältnis zur wirklichen Größe wie die Figuren. Das frühere Mittelalter hatte dem heil. Laurentius nur ein kleines Röstlein, der heil. Katharina ein Rädlein in die Hand gegeben; jetzt weiß man von einer solchen andeutenden, symbolischen Darstellungsweise nichts mehr; da es sich um eine Situation handelt, an deren Gegenwärtigkeit der Beschauer glauben soll, muß Laurentius einen mannslangen Rost, Katharina ein Wagenrad mitbekommen; soviel gehört notwendig mit zur Illusion.

Indes gibt es ein paar Heiligenfiguren, in welchen statt der so oft unechten Ekstase eine ruhige, sogar innig andächtige Stimmung ausgedrückt ist. So in der vielleicht besten Statue des 17. Jahrhunderts, der H. Susanna des Duquesnoy in S. M. Loreto zu Rom; sie deutet mit der Linken auf die Palme, welche sie in der Rechten hält, und blickt sanft nieder. Ohne den bessern Antiken irgendwie ebenbürtig zu sein, hätte dieses Werk doch genügen sollen, um alle Zeitgenossen auf ihren Irrwegen zu beschämen. Oder Houdons heiliger Bruno (S. M. degli Angeli in Rom, Eingang ins Hauptschiff); hier ist im Gegensatz zu dem sonst üblichen unwahren Auffahren jene demütige, innige Karthäuserdevotion ganz einfach dargestellt, welche gleichzeitig durch die Maler Stanzioni und Le Sueur einen unvergänglich schönen Ausdruck fand. Berninis heil. Bibiana (in der gleichnamigen stets verschlossenen Kirche) soll wenigstens einen Anflug von ähnlichem einfachem Ernst haben.

Sodann gibt es eine Anzahl Martyrien ohne Pathos, in welchen nicht mehr das Leiden, sondern der ruhige Augenblick des Todes dargestellt ist. Was man auch von solchen Gegenständen – namentlich wenn sie plastisch, ohne irgendein sachliches Gegengewicht vorgetragen werden – denken möge, immerhin sind die hierher gehörenden liegenden Statuen Berninis zu seinen besten Werken zu zählen. So die selige Lodovica Albertoni (in S. Francesco a ripa zu Rom, hinten links), und der nach seinem Modell von Giorgini ausgeführte S. Sebastian (in S. Sebastiano, links). Endlich in S. Cecilia zu Rom (hinter dem Hochaltar) die schöne, in der Art ihres Liegens rührende heil. Cäcilia des Stefano Maderna. Mehrere ähnliche Statuen in andern Kirchen.


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