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12.
Entweder – oder!

Das war ein bewegtes Wiedersehen gewesen! So verschiedenartig hatte sich das Schicksal der beiden gestaltet, die einst als Knaben miteinander gelernt und getollt hatten, und denen nach ihrer Begabung jeder einen andern Weg prophezeit hätte, als ihnen geworden war … Fritz, der kluge, dem alles so leicht gefallen war, saß in Haft, und niemand konnte sagen, wann sie enden würde, und Peter, der schwerfällige, dem kein Aufsatz je gelungen war, wenn Fritz nicht half, Peter war ein wohlbestallter Kaufherr, wenn er auch jetzt noch als Angestellter seines Onkels dessen Geschäfte besorgte, nicht selbständige Verfügungen treffen durfte und noch kein eigenes Vermögen, sondern nur ein festes Gehalt besaß. Er bezeigte Fritz viele und aufrichtige Teilnahme und sagte ein übers anderemal: »Nee, Fritze, wer so was gedacht hätte! Daß es dir einmal so gehen könnte!«

Fritz wurde schließlich ungeduldig und lenkte das Gespräch auf Peters Angelegenheiten. Da vernahm er zu seinem Staunen, daß Peter unzufrieden war, daß sein kaufmännischer Ehrgeiz keine Befriedigung bei dem rechthaberischen und auf seine Macht eifersüchtigen Erbonkel fand.

»Nee, Fritze, davon hast du keine Ahnung! Ich bin nur so was wie ein Gehilfe! Ich darf nur ausführen, was er angibt! Nicht ein bißchen Selbständigkeit läßt er mir! Immer heißt's: ›Du Grünschnabel hast ja noch keine Erfahrung!‹ Wo soll man sie denn herkriegen, wenn man immer mit gebundener Marschroute gehen muß?! Ach, nur ein einziges Mal sollte mir was gelingen, was er nicht angegeben hat! Dann wäre die Lage gleich anders! Dann ließe ich mich nicht länger kuranzen! Dann müßte er mich gleich zum Mitbesitzer der Gruben machen! Denn die Gruben sind eine Goldgrube!«

Er lachte unbändig über diesen Witz, den er schon unzählige Male gemacht hatte. Nachdem er noch etliches über seine ungenügende Stellung gestöhnt hatte, nahm er herzlichen Abschied und versprach, daß er gerne wiederkommen wollte, sofern er die Erlaubnis dazu erhielte. Fritz sagte aus Höflichkeit, daß er Peter gerne öfters sehen würde, in Wahrheit aber trug er kein Verlangen danach. Nein, Peter war ihm heute zu klein, zu selbstisch vorgekommen! Nicht ein einziger Gedanke, der über den Alltag hinausreichte, kreiste in diesem Kopf! Ja, er, Fritz, war ein Gefangener und Peter ein freier und wohlbestallter junger Mann, – aber er hätte doch nicht mit ihm tauschen mögen. Denn wenn nicht die innere Trübsal gewesen wäre, die große Lüge, die Reue und die stete Angst, – dann wäre Fritz trotz seiner Gefangenschaft ein glücklicher Mensch gewesen, denn er trug einen großen Gedanken und einen großen Glauben in sich, und ein solcher Mensch kann niemals ganz unglücklich sein.

Bald nachher aber bekam er einen andern Besuch, den er wohl längst mit Angst erwartet hatte. Unvermutet, begleitet von Fürstenberg und Tschirnhaus, trat eines Tages der König ins Laboratorium. Fritz, der mit seinen drei Gesellen just in voller Arbeit war und daher keineswegs sauber aussah, ließ sich demütig auf die Knie nieder und bat um Entschuldigung, daß er die Majestät in so unziemlichem Anzug erwartete. Der König hob ihn lächelnd auf.

»Zur Arbeit würde sich ein Prunkgewand schlecht machen! Laß die in Seide stolzieren, die müßig gehen, du bist in deinem Kittel kostbarer als sie alle!«

Da hätte Fritz wohl sehr stolz sein können, wenn nicht diese huldvollen Worte eben wieder verraten hätten, was der König von ihm forderte. Zum ersten Male sah er den König von Angesicht zu Angesicht. Der war nicht mehr der strahlende Herrscher, der er vor dem unglückseligen Kriege gewesen; die Gestalt ragte wohl noch immer mächtig und ungebeugt, aber in dem schönen, ein wenig weichen Antlitz standen die Spuren schlafloser Nächte, und um den Mund, der so froh lachen gekonnt, lag jetzt ein tiefer Zug von Bitterkeit und Härte, wie ihn Menschen bekommen, denen ein großes Unrecht widerfahren ist. Dies vom Unglück gezeichnete Gesicht flößte Fritz Mitleid ein, der bittere Zug um den Mund aber ängstigte ihn, und bang sah er den Augenblick nahen, wo diese Bitterkeit sich gegen ihn als Zorn entladen würde. Allzulange brauchte er nicht zu warten, denn nötiger als je brauchte August Geld: das Land war durch den Krieg verwüstet, und doch mußte August an neue Rüstungen denken, denn die polnische Krone durfte nur vorübergehend, nicht dauernd verloren sein … Zunächst sprach er also gütig mit Fritz, beteuerte, daß die Hast auf dem Königstein nur den Zweck gehabt hätte, ihn vor den Schweden zu schützen, fragte ihn nach seinen Wünschen und versicherte ihn seiner Gnade, wenn – –

»Du wirst deine Freiheit erhalten, sobald du dein Versprechen erfüllt haben wirst! Und es ist hohe Zeit, es endlich zu erfüllen! Ich war langmütig und habe mich immer wieder vertrösten lassen. Aber auch meine Geduld ist nun zu Ende. Tue nun endlich, wie du versprochen hast, oder – –«

Der König brach ab. Eine große Pause entstand, in der Fritz die Schläge seines eigenen Herzens schmerzhaft spürte. Fürstenberg und Tschirnhaus standen mit tiefernsten Gesichtern. Jeder wußte, was dies »oder« zu bedeuten hatte. Fritz war zumute, als stünde er schon vor der schrecklichen »Jungfrau« und wäre nur mehr einen Schritt von der Todesdiele entfernt … Wie das Sterbeglöcklein tönten ihm die Worte seines Vaters im Ohr: »Wer betrügt, kommt an den Galgen!«

Der König war gegangen, Fritz blieb allein. Er hatte in seinem jungen Leben schon viele schreckliche Stunden gehabt, aber so entsetzlich wie die Tage und Nächte, die nun folgten, waren ihm noch keine erschienen. Ruhelos irrte er in seinem Zimmer umher, setzte im Laboratorium die Tiegel aufs Feuer und vergaß, wann sie weggenommen werden mußten. Legte sich zur Ruhe und konnte doch keinen Schlaf finden, so daß er morgens mit entzündeten Augen und schwerem Kopfe aufstand. Immerfort klang ihm dies schreckliche »Oder« im Ohr, und seine Verzweiflung wuchs von Stunde zu Stunde …

In diesen Tagen kam Tschirnhaus. Er begriff den Gemütszustand Fritzens, ohne daß Worte nötig gewesen wären, denn er sah tiefer als die anderen und wußte, ohne daß einer es ihm gesagt hätte, daß Schuldbewußtsein Fritz zerquälte. Er sah ihn lange an und meinte, nun sei der Augenblick gekommen, in dem Fritz endlich ein offenes Geständnis ablegen würde, aber in diesem waren Angst und falsche Scham immer noch zu mächtig und er schwieg. Da sagte Tschirnhaus wie von ungefähr: »Fritz, ist dir, der du so geschickt bist, nie der Gedanke gekommen, daß man auch nach anderem suchen könne als nach Gold?«

Fritz schüttelte verneinend den Kopf.

»Ich aber plage mich seit Jahrzehnten mit dem Versuch, den Gelbgesichtern ihr Geheimnis zu entreißen – –«

Fritz sah ihn fragend an.

»Millionen und Millionen wirft ihnen der König, wirft ihnen ganz Europa alljährlich in den Rachen! Porzellan, mein Junge, Porzellan zu finden, das wäre die große Aufgabe! Keinen anderen Gedanken trage ich mehr in mir! Wenn es uns gelänge, Porzellan herzustellen, böten wir dem König eine Goldquelle, besser und zuverlässiger als was du in deinen Tiegeln kochst oder auch« – setzte er anzüglich lächelnd hinzu – »nicht kochst!«

Porzellan – wie aus der Tiefe der Erinnerung schlug das Wort an Fritzens Ohr. Porzellan – »das blaue Wunder« – die blütenfeinen Tassen und die durchsichtigen Tellerchen … Aber das war schon lange her, und mühsam mußte er in seinem Gedächtnis suchen, bis endlich alles wieder klar vor ihm stand.

Porzellan, die große Kostbarkeit und Sehnsucht des Jahrhunderts, – er kannte sie kaum und begriff daher Tschirnhaus' unermüdlichen Forscherdrang nicht ganz.

Tschirnhaus hatte dies und manch anderes wohl vorhergesehen. Hatte eine Audienz beim König erbeten und eine lange Unterredung mit ihm gehabt, deren Inhalt Fritz erst viel später erfuhr. In dieser Unterredung hatte er auch die Erlaubnis erwirkt, daß Fritz die überaus herrliche königliche Sammlung ausländischen Porzellans besuchen durfte, und als sich da Säle auftaten, in denen mannshohe Vasen im zartesten Weiß und im Schmelz holdester Farben schimmerten, wunderliche Tiere von fremden Zonen Kunde gaben, Döschen und Schüsseln und Tassen und Teller nicht als armseliges einziges Service dastanden, wie bei der Frau Gräfin in Schleiz, nein, nach Dutzenden, nach Hunderten, – da verstand Fritz, was Tschirnhaus bewegte, und er bejahte aus vollem Herzen, als dieser sagte: »Ist's nicht eine Schande, daß wir nicht können sollen, was jedes Gelbgesicht kann?! Ist's nicht eine große Aufgabe, sich an diesem Geheimnis zu versuchen?!«

In tiefem Nachsinnen und in innerem Kampf kam Fritz aus der Sammlung in sein Zimmer zurück, wo sich Tschirnhaus wie zufällig verzögerte. Eine Weile war es still zwischen den beiden. Dann sagte Fritz: »O, wenn man arbeiten dürfte, wie man wollte – –«

Gleichmütig erwiderte Tschirnhaus: »Darfst du es etwa nicht? Du bist ja ein Goldkoch, und niemand erwartet und begehrt anderes von dir als Gold!«

Wieder eine Pause. In Fritzens Brust rangen die guten Engel mit den bösen. Dann brach es endlich wie ein einziger Aufschrei aus ihm, und wie ein allzulang gedämmter Strom stürzten die Worte atemlos, heiser, von Tränen durchfeuchtet, hervor. Endlich Entlastung, endlich Befreiung! Endlich das Geständnis der Ohnmacht und kindischen ersten Schuld, an deren Masche das ganze Lügen- und Angstgewebe hing, mit dem er sich seit Jahren schleppte, und sein Leben wie ein armseliger Galgenstrick von einem Tag zum andern rettete … Er fieberte am ganzen Körper vor Erregung, während er alles enthüllte. Tschirnhaus lauschte bewegt, wie an einer einzigen, harmlosen Unwahrheit ein Menschenschicksal beinahe gestrandet, jedenfalls aber in schwere Not geraten war. Bebend, erhitzt, seiner kaum mächtig, schloß Fritz seine Beichte: »Zum erstenmal seit Jahren ist mir wieder recht von Herzen wohl! Und wenn ich auch verloren bin –«

»Du wirst es nicht sein!«

Aber Fritz konnte das schreckliche »Oder« nicht vergessen. Und wie allmählich der Erregung die natürliche Abspannung folgte, schlug er die Hände vors Gesicht und weinte um sein junges Leben, das verwirkt war.

Tröstend sprach Tschirnhaus auf ihn ein.

»Der König ist kein Unmensch!«

»Kann er verzeihen, daß ich ihn und alle jahrelang betrogen habe?!«

»Wir wollen auf seine Verzeihung bauen. Wir wollen sie erarbeiten!«

»Wenn ich das könnte!«

Tschirnhaus lächelte wehmütig.

»Du wirst es können! Du wohl, nicht ich! Denn du bist jung, mit mir aber wird es schneller zu Ende gehen, als jemand denkt!«

Da Fritz erschrocken fragen und beruhigen wollte, wehrte er ab: »Laß nur! Ich fühle, wann es zu Ende geht. Noch ist es nicht so weit!«

Er faßte Fritzens Hand.

»Auch ich habe einmal an den Stein der Weisen geglaubt, aber mein Glaube ist immer schwächer geworden. Und seit geraumer Zeit glaube ich, daß es ihn wohl gibt –«

»Also doch!«

»Ja, es gibt ihn. Er heißt: Arbeit. Mit diesem Stein der Weisen kannst du alles zu Gold tingieren!«

Als Tschirnhaus gegangen war, sann Fritz noch lange seinen Worten nach. Ja, Tschirnhaus hatte wohl Recht, aber schmerzlich war diese Erkenntnis, zweifach schmerzlich, weil Fritz sich noch in die Seele seines Vaters hinein enttäuscht fühlte. Er dachte: »Du reiner, grundgütiger Mann, der sein ganzes Leben einem Irrtum geopfert haben soll! Ist das denkbar? Ist das Gerechtigkeit? Wofür hast du gelebt, wofür gestrebt, wenn am Ende alles nur Irrtum gewesen sein soll! Alles – auch die große Hoffnung, die du auf deinen Sohn gesetzt hast!« So haderte seine Seele eine Weile mit der Erkenntnis, aber unversehens kam eine große erlösende Ruhe über ihn. Ihm war's, als ob zum ersten Male seit Jahren der Vater ihm das Antlitz zuwendete und wahrheitskräftig wie in fernen Tagen erklang ihm die Weissagung: »Du wirst reicher sein als Könige!«

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