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7.
Wenn Könige streiken …

In Sachsen herrschte damals der Kurfürst August, genannt »der Starke«, ein schöner, stattlicher Herr, der Tafelfreuden, Prunk, Jagd, Feste über alles liebte und für sie das Geld mit vollen Händen zu allen Fenstern seiner zahlreichen Schlösser hinauswarf. Beinahe am liebsten aber warf er es für seltenes Porzellan hin, und Millionen wanderten alljährlich aus seiner Kasse nach China und Japan für allerlei kostbare Vasen, Schüsseln oder auch für fabelhaftes Getier aus der wunderbar harten und durchsichtigen Masse, deren Geheimnis den Europäern verschlossen blieb. Auch der hochgelehrte Herr von Tschirnhaus hatte es noch nicht zu lüften vermocht, obschon er in Mathematik und Philosophie so gut Bescheid wußte, daß ihn die Pariser Akademie zu ihrem Mitglied ernannt hatte. Glashütten hatte er Sachsen geschenkt, in denen wertvolle Brenngläser geschliffen wurden, und Brennspiegel von großer Kraft hatte er erfunden, aber das weiße Wunder des Porzellans weigerte sich ihm wie allen anderen Europäern, soviel er ihm auch nachsann und den Millionen nachseufzte, die der Kurfürst leichten Herzens ins Ausland wandern ließ. Diese Goldschätze, die jahraus jahrein fremden Völkern zugute kamen statt dem eigenen Lande, waren dem tüchtigen und mit volkswirtschaftlichem Blick begabten Manne ein wahrer Herzenskummer, und sowie er von einer neuen Porzellansendung vernahm, die für den Kurfürsten eingetroffen war, stöhnte er grimmig: »Diese vermaledeiten porzellanenen Schröpfköpfe! Könnte ich diese weißen Blutegel doch endlich aus unserem Lande vertreiben! Ist's denn nicht schmachvoll und lächerlich, daß wir nicht fertig kriegen sollen, was Chinesen und Japaner können?! Potzelement, zehn Jahre meines Lebens gäbe ich darum, wenn ich meinem allergnädigsten Landesherrn auch nur die kleinste Vase aus meinen Hütten zeigen könnte! Und wäre sie nur so groß wie mein Daumen, es wäre ein Anfang! Aber ach! es ist mir wohl nicht beschieden!«

Aber nicht nur Prunk, Feste, Jagd und Porzellan verschlangen Unsummen, es gab außer den porzellanenen Schröpfköpfen noch einen anderen, der Blut entzog: das Königreich Polen. Der Kurfürst war ja zugleich Wahlkönig von Polen, und nicht nur diese Wahl hatte dem ehrgeizigen Fürsten schweres Geld gekostet, sondern auch der Unterhalt der zweiten Regierung in Warschau leerte die Hofkassen und belud das Land mit immer neuen Steuern, ganz zu schweigen von den Festen und großartigen Geschenken, die der polnische Adel von seinem König unaufhörlich begehrte. Obendrein saß August fast mehr in Warschau als in Dresden, weil der polnische Adel seine Anwesenheit wünschte, und vielleicht mehr noch, weil der König die Unzuverlässigkeit der Polen kannte und Zettelungen fürchtete, wenn er abwesend war. Hätte er in der endlos scheinenden Vergnügungsjagd seines Lebens sich ab und zu Zeit genommen, am Schreibtisch zu sitzen und zu rechnen, wie sein königlicher Vetter in Preußen, so wäre er zu ähnlich trostlosen Ergebnissen gekommen wie jener, aber dazu hatte der Kurfürst im Augenblick, da Fritz in sein Land kam, noch weniger Zeit als sonst, denn er war in den nordischen Krieg gegen Schweden verwickelt, und obgleich der Zar sein Bundesgenosse war, und auch Dänemark ihm beistand, konnte die polnische Krone doch verloren gehen, wenn der Krieg verloren ging.

Als der königlich preußische Leutnant Menzel mit seinem Militärkommando in Wittenberg eintraf, befand sich August gerade wieder in Warschau, und in Sachsen herrschte als Statthalter Fürst Egon von Fürstenberg mit beinahe landesherrlicher Machtvollkommenheit. Letzten Endes war er es, der über Fritzens Schicksal zu entscheiden hatte, wenn auch erst alle möglichen Instanzen den »Fall« begutachten mußten, der nicht so einfach lag, wie Herr Friedrich von Preußen meinte. Man konnte nämlich sehr verschiedener Meinung über die Untertanenschaft Fritzens sein, sintemalen derselbe wohl seit seinen Kinderjahren in Preußen lebte, aber von einem gräflich reußischen Vater stammte und in Schleiz geboren war. Wenn also der Herr Leutnant Menzel gemeint hatte, daß es nichts weiter brauche, als zu erscheinen, und zu seinen Soldaten zu sagen: »Legt dem Kerl da Handschellen an und dann fort mit ihm!«, so befand er sich auf dem Holzwege. Zunächst wurden die sächsischen Behörden stutzig über das Wort »gewisser Ursachen wegen«. Gewisser Ursachen wegen – – das klang geheimnisvoll und auch verdächtig. Das klang nicht, als ob es sich um einen Flüchtling aus dem Militärgefängnis Spandau handelte, wie man anfangs gemeint hatte, nein, dahinter mußte etwas Besonderes stecken, denn wäre es anders, wozu dann die hohe Belohnung, von der auch Sachsen schon Kunde erhalten hatte, und warum lief kein Steckbrief hinter dem Verfolgten her, wie es in ähnlichen Fällen doch üblich war? Und was konnte überhaupt dem König von Preußen an solch einem harmlosen, blutjungen Kerlchen liegen, der Student war und weiter nichts?!

Wirklich weiter nichts? Der Kreisamtmann und der Kreishauptmann, die Fritzens Verhaftung ausgeführt hatten, lächelten überlegen. O wir Sachsen sind nicht so dumm, wie die preußischen Herrschaften meinen! I nein, wir sind helle! Wenn mit dem jungen Mann nichts weiter los wäre, setzte ihm Herr Friedrich nicht so eifrig nach! Und auch all seine Habseligkeiten hat man auf Wunsch der Preußen mit Beschlag belegen müssen, und der Herr Leutnant Menzel möchte am liebsten alles eigenhändig visitieren, obwohl ihm das gar nicht zusteht … Ei, ei! – –

Die Bestürzung Fritzens, als er in Arrest abgeführt wurde, war noch größer als damals, da der Ruf des Königs an ihn ergangen war. Nun sollte er also mit Gewalt dahin gebracht werden, von wo er geflohen war, und alle schreckhaften Vorstellungen von Galgen oder ewigem Gefängnis wurden wieder lebendig. Ach und noch anderes quälte ihn! Er war so glücklich gewesen, endlich studieren zu können, so glücklich auch, dem Bannkreis der Lüge entrückt zu sein, in den er immer tiefer verstrickt worden war, – – und nun durfte er doch nicht vergessen, durfte kein neues Leben beginnen, wie er so gerne gewollt hätte, vielmehr hieß es jetzt erst recht lügen, wenn er mit heiler Haut aus der neuen Verwicklung herauskommen wollte. Und er wollte es mit der ganzen Verzweiflungskraft von sechzehn Jahren, die ihr Recht an Leben und Zukunft nicht aufgeben mag, sondern entschlossen ist, darum mit Tod und Teufel zu ringen.

»Ich kann nicht anders, Vater, ich muß lügen!« schrie es in ihm. Und er blickte zum Himmel und meinte, sein Vater würde ihm jetzt in dieser großen Not das Antlitz zuwenden und sagen: »Ich weiß, du kannst nicht anders!«

Aber wieder war's ihm, als stünde der Tote mit abgewandtem Gesicht vor ihm, und entmutigt ließ er das Haupt auf die Brust sinken.

Er wurde scharf verhört und alles, was er aus Berlin mitgebracht hatte, unterlag strenger Untersuchung. Da fielen denn dem Herrn Kreisamtmann und dem Herrn Kreishauptmann Fläschchen, Pillen und Dosen mit allerlei Inhalt in die Hände, und sie lächelten noch überlegener als vorher. I, wir Sachsen sind helle!

Beim Verhör warf sich denn Fritz gewaltig in die Brust, log nicht gerade mit blanken Worten, sondern mit zweideutigen Anspielungen, die alle in der Ansicht bestärkten, daß man es mit einem ungewöhnlichen Fall zu tun habe. Mit der Miene gekränkter Unschuld sagte er: »Ja, so kann es einem gehen, wenn man etwas Außerordentliches kann! Aber lieber lasse ich mich an den höchsten Galgen hängen, als daß ich mein Geheimnis irgend jemand verrate!«

Und wieder ein andermal: »Jawohl, ich kann mehr als andere, aber ich bin zu ehrlich, um damit zu prunken, ehe ich meiner ganz sicher bin!«

Das Lächeln der Sachsen wurde geradezu strahlend, und sie wußten schon jetzt, daß der König von Preußen seinen Leutnant und sein Militärkommando umsonst geschickt hatte. Sie schrieben lange und sehr umständliche für den Statthalter bestimmte Gutachten, daß der Inhaftierte keineswegs als preußischer Untertan zu betrachten sei, und Fritz kam auf den guten Einfall, sich in einem demütigen Schreiben an den in Warschau weilenden Kurfürsten zu wenden, sich seiner Huld und Gnade zu empfehlen und seinen Schutz gegen die preußische Gewalt anzurufen.

Königliche Huld und Gnade werden von Leuten, die schuldig sind oder sein sollen, alle Tage angerufen, und es ist daher anzunehmen, daß der König von Polen sich um das flehentliche Schreiben Fritzens nicht sonderlich erregt hätte, aber da war noch ein anderes gekommen, eins, das wiederum den Namen Böttger erwähnte und von keinem geringeren als dem Statthalter geschrieben war. Und als August den Brief seines Statthalters gelesen hatte, war's ihm, trotz Polen- und Kriegsnot, als ginge nun ein neues Zeitalter für ihn an. Der Fürst von Fürstenberg schrieb ihm, daß in Wittenberg ein Goldmacher angekommen und auch schon in sächsischer Schutzhaft sei, denn der König von Preußen bemühe sich so verzweifelt um diesen Jüngling, daß man sich der Hoffnung, ja, der Gewißheit hingeben könne, daß besagter Goldmacher kein Schwindler sei, wie so viele andere, die schon großer Herrn Vertrauen getäuscht hatten, sondern mit seiner Kunst wohl imstande sein dürfte, alles zu leisten, was man nur erwarten konnte. Herr von Beichlingen, des Kurfürstenkönigs Liebling, brachte dies verheißungsvolle Schreiben nach Warschau, und der große, starke August war von der Nachricht, die es verkündete, nicht weniger begeistert als es der kleine, buckelige Preußenkönig gewesen war. Verklärt lächelnd legte er Beichlingen die Hand auf die Schulter.

»Wär's möglich? Beichlingen, welch ein Glück! Du ahnst ja nicht, in welchen Nöten ich wieder stecke!«

Beichlingen dachte im stillen: »Ich ahne es wohl! Ich weiß es sogar genau! Unsere Soldaten fechten schlecht, der polnische Reichstag, der vor der Türe steht, verspricht nichts Gutes, und wenn du, arme Majestät, nicht nach allen Seiten Gold werfen kannst, bist du verraten und verkauft!«

Laut aber sagte er: »Der junge Mensch ist sicherlich etwas Außergewöhnliches, denn umsonst läßt ihn Euer Majestät preußischer Herr Vetter nicht zurückfordern!«

August, schon von der Angst befallen, daß diese kostbare Beute ihm entführt werden könnte, schrie mit seiner mächtigen Stimme: »Nicht ausliefern! Keinesfalls ausliefern! Haben wir endlich einen solchen Goldvogel im Netze, so wollen wir ihn auch festhalten und ihn nicht nach Preußen fliegen lassen!«

»Von wo er eben herkommt!«

Der König beriet nun lange mit Beichlingen, wie diese wichtige und heikle Sache anzufassen sei, um einerseits den preußischen Vetter nicht gröblich vor den erhabenen Kopf zu stoßen, anderseits aber auch »die berechtigten Interessen Sachsens« zu wahren, und nach stundenlanger Erwägung aller Für und Gegen nahm Beichlingen genaue Weisungen nach Dresden mit, deren Wirkung Fritz bald zu spüren bekam.

Tag auf Tag wartete er auf seine Befreiung, aber vergebens! Es ging ihm nicht schlecht in seinem Gewahrsam, denn er bewohnte ein schönes, luftiges Zimmer, bekam reichlich zu essen und zu trinken, und zwar alles von einer so guten Beschaffenheit, wie er es weder in dem bescheidenen Haushalt seiner Eltern noch im Zornschen Hause je gekostet hatte –, aber er war unfrei, war ein Gefangener, und dies Gefühl war so entsetzlich, daß er für den Preis der Freiheit gerne mit einem Stück trockenen Brotes und mit einem Schluck Wasser vorlieb genommen hätte. Doch er saß abgeschieden von der Welt, durfte nur in Gegenwart des Kreisamtmannes oder des Schloßkommandanten mit anderen Menschen sprechen, und vor seiner Türe hielten vier Offiziere Wacht – vier polnische Offiziere, die kein Wort Deutsch sprachen, und eben darum zum Wachtdienst gewählt worden waren.

Das Goldmännchen saß also ziemlich sicher hinter Schloß und Riegel, aber die Ängste der sächsischen Behörden waren damit keineswegs getilgt. Das Auslieferungsbegehren Preußens und die Verhaftung Fritzens hatten ja sowohl in Wittenberg wie in Berlin Aufsehen und Erregung hervorgerufen, und alle Briefe und alle Reisenden konnten nicht genug davon und darüber erzählen. Die einen nahmen Partei für Preußen, die anderen für Sachsen, – aber jeder war von Fritzens Fähigkeit überzeugt, und eben darum wurde der Meinungsstreit immer so heftig, wie sonst nur, wenn Deutsche um politische Dinge streiten. Sache der Behörden war es, zwischen den streitbaren und erhitzten Gemütern aalgleich durchzuschwimmen, den Herrn Leutnant Menzel samt seinem militärischen Kommando immer erlesen – liebenswürdig zu behandeln und dabei doch um die kostbare Beute zu prellen. Denn die erlauchten Häuser der beiden Herrscher hatten stets großen Wert auf freundschaftliche Beziehungen gelegt, und es war Augusts Wille, sie auch fürderhin aufrecht zu erhalten. Also Vorsicht, meine Herrn! Seid klug wie die Schlangen und sanft wie die Tauben, und bewährt euren alten Ruf, daß ihre gewiegte Diplomaten seid!

Aber die preußischen Herren waren nicht die einzigen, die den Sachsen Sorge machten. In fast ebenso großer Angst war man vor den Wittenberger Studenten, die hier, wie überall in kleinen Universitätsstädten, eine beträchtliche Rolle spielten und durch ihre Unbändigkeit die Stadt schon mehr denn einmal in Bewegung gebracht hatten. Waren sie erst gar noch lange genug bei dem weithin berühmten Bier gesessen, das den fröhlichen Namen »Guguck« trug, so war ihnen alles mögliche zuzutrauen, soferne es sich um einen Kommilitonen handelte, und ein solcher war Fritz, der sich als Student hatte einschreiben lassen. In ihrem jugendlichen Übermut suchten die Studenten gerne ein Hühnchen mit »den alten Haubenstöcken« (wie sie respektlos die Beamtenschaft nannten) zu pflücken, und es war zehn gegen eins zu wetten, daß sie, wenn erst einer die Parole ausgab, lärmend und stürmend gegen das Schloß ziehen würden.

Und die Erregung in Wittenberg wuchs und wuchs. Denn auch nach Magdeburg hin war Nachricht von Fritzens Verhaftung gedrungen, und Frau Maria lag vor Kummer schwerkrank darnieder, während Tiemann sich sofort nach Wittenberg aufgemacht hatte, um seinen Stiefsohn zu sprechen und seine Freigabe zu erflehen. Auch Röber war aus Berlin eingetroffen, durste aber nur in Gegenwart von Zeugen etliche nichtssagende Worte mit Fritz wechseln, dem allmählich wirbelig im Kopfe wurde, nicht nur von all den Verhören, sondern fast mehr noch von der Wichtigkeit, die man seiner Person beimaß. Zwei Könige stritten um seinen Besitz, Städte brandeten um seinetwillen in Erregung (er erfuhr es trotz aller Vorsichtsmaßregeln), die Studentenschaft würde sich vielleicht schon morgen erheben – – war es da verwunderlich, daß er selber nicht mehr recht wußte, ob sich all die Mühe verlohnte, die man sich um ihn gab oder nicht?! Wenn man einem Menschen unablässig vorsagt: »Du bist verrückt!« so wird er nach geraumer Zeit anfangen, an den eigenen geistigen Fähigkeiten zu zweifeln, und wenn man ihm immerfort beteuert, daß er ein Genie sei, so wird er sich bald für eines halten. Fritz erging es ungefähr so: er erlag den Einflüssen, die sich seiner Person nicht nur körperlich bemächtigt hatten, und da er niemanden mehr sprach, keinen Menschen um sich hatte, der ihm den Kopf zurecht gesetzt und ihm den Rückweg zur Wirklichkeit gewiesen hätte, so verschwamm ihm Gewesenes und Eingebildetes, und es gab Augenblicke, in denen er sich für den Erwählten hielt, den die anderen durchaus in ihm sehen wollten.

Solche Augenblicke, in denen seine Eitelkeit auf ihre Rechnung kam, gingen aber bald vorüber, und dann war die Wirklichkeit umso erdrückender. Dann saß er da und weinte, wie er als kleines Kind geweint, wenn er irgend etwas angerichtet hatte und Strafe fürchtete. Ja, der Vater hatte gestraft, die Mutter aber hatte nach der Strafe gar lieb getröstet, und in ihren Armen war bald all das kleine Kinderleid vergessen worden. Heute zitterte er vor noch ganz anderer Strafe, als der gütige Vater verhängt hatte, und keine Mutter war da, um ihn zu streicheln, um mit einem jener süßen Worte, wie nur die Mütter sie finden, den Schmerz oder die Furcht hinwegzujagen. Allein war er, mutterseelenallein, und war doch erst sechzehn Jahre alt! Zu Peter Schnorr hatte er wohl bei jeder Gelegenheit gesagt: »Ein richtiger Junge«, und immer war der »richtige Junge« dann ein Mucius Scävola oder etwas Ähnliches gewesen, jedenfalls aber ein heldenhaftes Wesen, das niemals weinte, niemals zagte und niemals des Zuspruchs anderer Menschen bedurfte. Und als Peter so schwer von Hause fortgegangen war, da hatte er ihn ausgelacht … Ach, heute fühlte er durchaus nicht römisch-heldenmäßig, und wenn er an die Mutter dachte, schluchzte er laut auf. Und dann wiederum versank er in Grübelei, wie all dies gekommen war, und tiefe Niedergeschlagenheit befiel ihn, wenn er bedachte, daß alles an der ersten Lüge festhakte … Vater, liebster Vater, hätte ich doch immer dein Wort im Herzen getragen, wie leicht wäre mir das Leben geworden … Und wieder gute Vorsätze und der Wille, ein neues Dasein zu beginnen, – als ob der Mensch das nach Belieben könnte, als ob nicht sein ganzes Leben ein zusammenhängendes Gewebe wäre, in dem sich Fehler nur schwer und unter großen Schmerzen wieder ausmerzen lassen.

Inzwischen waren die beiden Herrscher zwar noch nicht zum Kriege, aber doch schon an das Gebiet herangekommen, das man bei staatlichen Angelegenheiten »unfreundliche Handlungen« zu nennen pflegt. In Wittenberg sollte schon insgeheim die Garnison verstärkt werden, obwohl es bereits eine starke und trefflich bemannte Festung war, und auch in Preußen trug sich der Landesvater mit dem Gedanken einer Truppenentsendung, denn er war über diese Sache immer zorniger geworden und warf alle Berichte, die sein Menzel im Überfluß sandte, auf den Boden. Dummer Kerl, dieser Menzel! Was sollten alle Berichte, wenn man den Burschen, nach dem man fahndete, nicht in persona hatte!

Die Sachsen aber hatten ihn in persona und gedachten, immer freundlich lächelnd, ihn auch zu behalten. Und wenn ein alter Spruch behaupten möchte, daß die Nacht keines Menschen Freund sei, so war man in Sachsen anderer Ansicht und gewann sie zur Bundesgenossin.

Man war nun schon gegen Ende November angelangt. Immer kürzer schlichen die Tage, immer länger breiteten sich die Nächte, und als ob sie den Menschen immer noch zu viel Licht ließen, senkte sich, kaum daß die Dämmerung einsetzte, ein trüber Nebel über die Stadt und wich erst, wenn der Mittag ihn davonjagte. In solch einer Nacht lag Fritz schlaflos und fragte sich, wie schon so oft, ob denn seine Haft ewig währen sollte, wußte sich keine Antwort und ahnte nicht, daß schon der folgende Tag sie ihm geben würde.

An diesem folgenden Tage, dem 25. November, traten nämlich der eben aus Warschau eingetroffene Hofsekretär Nehmitz und der Generalmajor Albedyll vor ihn hin und verkündeten ihm, daß König August gesonnen sei, ihn gegen alle Feinde, besonders aber gegen preußische List und Gewalt wirksam zu schützen. Albedyll sagte: »Jawohl, junger Mensch, die Gnade unseres allermächtigsten Herrn ist über dir! Er hat Befehl gegeben, dich aus diesem langweiligen Nest fort und nach dem schönen Dresden zu bringen. Da wirst du Augen machen! Im Vergleich mit Dresden ist Berlin nur ein armseliges Dorf!«

Man kann sich denken, wie überglücklich Fritz bei diesen Worten war. Seine Augen leuchteten auf, alle Trübsal war vergessen. Gläubig wie ein Kind fragte er: »Und dann werde ich endlich frei sein?«

»Wir werden dich an einen sicheren und schönen Ort bringen, wo du ungestört und frei leben magst!«

Fritz breitete die Arme weit aus, als wollte das Glück ihm die Brust zersprengen.

»Wann darf ich fort?«

»Noch heute nacht. Aber alles muß mit größter Vorsicht gemacht werden, damit die preußischen Herren nicht mißtrauisch werden! Schweige also zu allem und gehorche in allem ohne Widerrede! Es ist nur zu deinem Besten!«

Fritz lachte vergnügt in sich hinein. Die Lust am Schabernack erwachte wieder in ihm und die begreifliche Schadenfreude, seinen Verfolgern ein Schnippchen zu schlagen, ließ ihn den Abend kaum erwarten.

Als die Nacht angebrochen war, ließ Albedyll die polnischen Wachen vor Fritzens Zimmer abtreten: »Die einfache Wache genügt! Der Kerl ist schon zahm! Wozu also dem Staat doppelte Kosten aufladen?!«

Im Finstern führte er Fritz in sein eigenes Zimmer, ließ aber im Gemach des entweichenden Häftlings das Licht brennen, damit die Wache meinen sollte, daß er sich noch darin befände, und gab für zwei weitere Tage alle Weisungen so, als ob alles beim alten wäre. Ja, durch einen Vertrauten ließ er sogar noch diese zwei Tage lang Speise und Trank wie immer in Fritzens Zimmer tragen.

Atemlos horchten Fritz, Albedyll und Nehmitz hinaus. Alles blieb still. Nichts war zu hören als der gleichmäßige Tritt der Wachtposten, die auf den Wagen eines so hohen Offiziers, wie der Generalmajor war, nicht acht zu geben brauchten. Tief in dunkle Mäntel gehüllt stiegen die drei in die bereitstehende Kutsche, und geleitet von etlichen berittenen Offizieren ging die Fahrt hinein in die neblige Novembernacht. Auf Umwegen (man fürchtete überall und immer preußische Spione!) gelangte man zuerst nach Schloß Moritzburg, das dem Fürsten von Fürstenberg gehörte, der Fritz sehr freundlich aufnahm, und am andern Morgen ging es weiter nach Dresden.

Alles verlief glücklich. Jeder war mit Fritz so gütig und zuvorkommend, daß er sich mit Fug und Recht für einen bedeutenden Menschen hätte halten können, aber seltsam! Er konnte ein bängliches Gefühl nicht los werden! Immerfort war ihm zumute, als ob alles nur Komödie sei, und als ob hinter allen Dingen etwas Schreckliches stehen müsse. Schüchtern fragte er: »Werde ich in Dresden wohl auch ein so billiges Zimmer bekommen, wie meines in Wittenberg war?«

»Dafür werden wir schon sorgen!« entgegnete der Statthalter lächelnd, und Fritz meinte zu sehen, daß er einen schnellen Blick mit Albedyll wechselte.

»Du wirst durch die Gnade des Königs im Goldhaus wohnen dürfen!« ergänzte der Statthalter seine Rede. »Ich denke, solche Wohnung muß dir entsprechen und dich zu neuen Taten anregen!«

»Das Goldhaus?« fragte Fritz, böser Ahnung voll.

Fürstenberg nickte. Und sie erklärten ihm nun, daß das Goldhaus ein Teil des Dresdener Schlosses sei, und daß in diesem Teil mehr denn ein Vorfahre des Königs die edle Kunst der Alchimie gepflegt habe.

Fritz wurde einsilbig. Es war ihm schwül zumute. Der Namen »Goldhaus« weissagte nichts Gutes, und im stillen verwünschte er die »edle Kunst der Alchimie« samt allen königlichen Vorfahren, die sich ihr zu eigen gegeben hatten. Und als er erst im Goldhaus saß, merkte er trotz seines prächtigen Zimmers, trotz der köstlichen Speisen, die ihm aufgetragen wurden, daß er auch hier ein Gefangener war. Es gab zwar an den Türen keine eisernen Schlösser und Riegel, keine Militärposten vor dem Gemach und in den Gängen, aber Nehmitz wich ihm nicht von der Seite; ein Bedienter, der angeblich zu seinem persönlichen Dienst befohlen war, hatte den Auftrag, ihn nicht einen Augenblick lang aus dem Gesicht zu verlieren, und zu allem Überfluß ließ sich der Statthalter für den nächsten Morgen zu einer geheimen Unterredung ansagen.

Wie ein Verzweifelter blickte Fritz um sich. Immer fester zog sich das zusammen, das er selbst in jugendlichem Leichtsinn und aus Eitelkeit geschürzt hatte.

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