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6.
Majestät ruft!

Im Schlosse zu Berlin saß vor seinem mächtigen und prächtigen Schreibtisch König Friedrich I. und tat, was er nur sehr selten und sehr ungern tat: er rechnete. Er rechnete aus, was leider damals fast alle deutschen Fürsten immer ausrechnen mußten: daß er große Luxusbedürfnisse und nur wenig oder auch gar kein Geld hatte. König Friedrich war ein kleiner, etwas verwachsener Herr, mit einer großen Allongeperücke, die über die Schwächlichkeit und den hohen Rücken seiner Gestalt wegtäuschen sollte, geradeso wie verschwenderische Feste, kostspielige Jagden und anderer Prunk vergessen machen sollten, daß der König noch vor einem Jahre nur Kurfürst von Brandenburg gewesen war. Ein Fürst mit mehr innerem Selbstbewußtsein hätte wohl voll Stolz betont, daß es gerade ihm vergönnt gewesen, seinem Land die Königskrone zu erringen, aber der König war »groß im Kleinen und klein im Großen«, wie sein unvergleichlicher Enkel, Friedrich der Große, von ihm sagte, und so meinte er seine Königswürde mit Äußerlichkeiten beweisen zu müssen.

Er saß also an seinem Schreibtisch und hatte sein betrübliches Rechenergebnis vor sich, als im Vorzimmer, wo seine Adjutanten saßen, ein kleiner Tumult entstand. Herr von Haugwitz kam nämlich erhitzt, ganz aufgelöst in Eile und Wichtigtuerei, und verlangte, sofort zum König geführt zu werden. Vergebens machten ihm die Adjutanten klar, daß man erstens nicht ohne weiteres bei Seiner Majestät eindringen könne, was ein Hofmann wie Herr von Haugwitz doch selbst wisse, und daß zweitens Seine Majestät mit sehr wichtigen Angelegenheiten beschäftigt sei … »Majestät rechnet!« flüsterte der eine Adjutant in einem Tone, als wollte er sagen: »Da geht man ihm doch am besten zehn Meilen aus dem Wege!« Und der zweite echote: »Majestät rechnet!«, so melancholisch, als sähe er schon alle Abgründe eines Riesendefizits sich vor ihm auftun. Haugwitz rief erregt: »Majestät muß mich hören, denn wenn Majestät mich gehört hat, brauchen Majestät überhaupt nicht mehr zu rechnen! Führen Sie mich also sogleich zu Seiner Majestät!«

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Friedrich I., König von Preußen
(in der Tracht der Ritter vom Schwarzen Adler-Orden).
Nach Merian, Theatrum Europaeum.

Die beiden Adjutanten dachten ungefähr das gleiche. Sie wußten, daß Herr von Haugwitz sich eifrig mit Alchimie beschäftigte und alle vier bis fünf Monate den Stein der Weisen entdeckt haben wollte, was sich dann noch jedesmal als ein bedauerlicher Irrtum herausgestellt hatte. Sicherlich galten seine Aufgeregtheit und sein sich überstürzender Eifer wieder einer ähnlichen Sache, und sie zögerten immer noch, ihn, der keine Audienz erbeten hatte, beim König zu melden, als dieser, der den Wortwechsel vernommen hatte, von seiner unliebsamen Beschäftigung abließ und ins Vorzimmer hinausrief: »Was ist da draußen los?«

Als er aber vernommen hatte, um was und wen es sich handelte, sagte er: »Haugwitz mag eintreten!«

Das Rechenergebnis war ja so trostlos ausgefallen, daß schon der bloße Gedanke an einen Mann, der den Stein der Weisen suchte, etwas Tröstliches in sich barg.

Haugwitz nahm sich kaum Zeit, die vorschriftsmäßigen Verbeugungen zu machen.

»Majestät, eine wunderbare Sache hat sich in Eurer Majestät Hauptstadt zugetragen!«

»Ja, lieber Haugwitz, das ist nun 'mal so in Berlin und in Hauptstädten im allgemeinen!«, sagte der König, der den nicht eben übermäßig geistreichen Haugwitz gerne ein wenig hänselte. Aber Haugwitz fuhr unbeirrt fort: »Majestät, in der Apotheke von Eurer Majestät getreuem Untertanen Zorn hat ein junger Bursche, der dort als Lehrling eingestellt ist, Gold, echtes Gold fabriziert!«

Der König zog die Stirne kraus.

»Haugwitz, Sie faseln wieder einmal, wie schon oft!«

»Verzeihen, Majestät, ich rede die lautere Wahrheit! Ich habe unwiderlegliche Zeugen!«

Und er beschrieb dem König haarklein jenen Abend, da Fritz vor Zorn die Probe abgelegt hatte, denn natürlich hatte trotz des Schweigegebots niemand den Mund halten können, nicht einmal Fritz selber, der bald von Neugierigen aller Art so mit Fragen bedrängt wurde, daß er sich kaum mehr zu helfen wußte. Mit Windeseile hatte sich die Nachricht verbreitet, daß der Zornsche Lehrling »die große Kunst« verstehe, und die Apotheke wurde nicht mehr leer von Gläubigen, Schwätzern und Müßigen, die alle das junge Glückskind sehen und befragen wollten.

So war die Kunde auch zu Herrn von Haugwitz gedrungen, der mit Fritz sofort ein längeres Sachverständigengespräch begann und sich das tingierte Stück Gold zeigen ließ. Kaum hatte er es erblickt und, wie er meinte, als Kenner geprüft, da raste er auch schon ins Schloß, und seine ehrliche Begeisterung im Verein mit seiner Beredsamkeit schlugen jeden Zweifel nieder, der sich etwa regen wollte. Der König sandte einen Lakaien nach der Apotheke, der für Fritz Böttger den Befehl überbrachte, vor dem Antlitz Seiner Majestät zu erscheinen.

Fritzens Bestürzung war so groß, daß er im ersten Augenblick nicht daran dachte, sie zu verbergen. Sie fiel aber auch keinem auf, denn es war ja kein kleines Ding, wenn einen ein König rufen ließ. Scheinbar bereitete sich Fritz auch vor, dem königlichen Befehl Folge zu leisten, rannte aber indes mit brennendem Kopf zu Sievers und berichtete mit fliegendem Atem und erstickter Stimme, was geschehen war und was ihm bevorstand.

Sievers, der eben einen beträchtlichen Rausch ausgeschlafen hatte, wollte zuerst über den gelungenen Schabernack lachen, aber Fritz rief: »Jetzt ist keine Zeit zum scherzen! Ich muß fort, unverzüglich fort, sonst bin ich verloren! Stelle dir nur vor, was der König mit mir täte, wenn ich ihm gestehen müßte, daß ich ein Schwindler bin! Er ließe mich gefangen nehmen und wahrscheinlich schnell um einen Kopf kürzer machen!«

Sievers bemühte sich nachzudenken, soweit es ihm nach der durchzechten Nacht möglich war. Und obwohl sein Sinn nicht völlig klar war, begriff er doch, daß Fritz mit seiner Vermutung ungefähr das Richtige getroffen haben mochte. Er wäre nicht der erste Goldmacher gewesen, den ein grausames Schicksal als Lohn für seinen Betrug traf.

»Es ist richtig! Du mußt fort und zwar so schnell als möglich! Lasse mich nur einen Augenblick über das Wohin nachdenken!«

Mit sichtlicher Mühe zwang er seinen umnebelten Kopf zu eindringlichen Gedanken. Nach einer Weile: »Halt, nun hab' ich's! In dem Dorf Schöneberg, draußen vor dem Tor, wohnt ein Bekannter von mir, ein gewisser Röber, seines Zeichens nach Gewürzkrämer und ein guter Kerl, der mir schon aus mancher Schwierigkeit geholfen hat! Zu dem bringe ich dich; er nimmt dich sicher auf und versteckt dich in seinem Hause, bis die Gefahr vorüber ist, und du ruhig anderswo Unterschlupf suchen kannst!«

Sie warteten bis zum Abend, und in der dunklen Oktobernacht machten sich die beiden unverzüglich auf den Weg nach Schöneberg, wo sich der Gewürzkrämer, ein noch junger, freundlicher Mann mit einer gutmütigen, dicken Frau, alsbald bereit erklärte, den Flüchtling aufzunehmen. Zu Anfang wollte ihnen die Sache allerdings nicht unbedenklich erscheinen, denn sie dachten nicht anders, als daß Sievers ihnen einen Saufbruder oder Schuldenmacher gebracht hätte, aber als sie hörten, daß es sich um einen Goldmacher handle, zögerten sie nicht länger.

Sievers erklärte: »Ein richtiger Goldmacher ist's! Der König möchte ihn für sich haben, um seine Kunst für sich ganz allein zu nützen, aber mein junger Freund mag sich an keinen großen Herrn binden, denn man kennt deren Launen und wie sie geleistete Dienste mit Undank lohnen!«

Die Röbers nickten. Sie wußten zwar nichts vom Herrendienst, aber sie hatten einmal einen Prozeß gegen einen Herrn von Stand verloren und seit jener Zeit glaubten sie alles Schlechte von den großen Herren und der preußischen Justiz.

Fritz stand wie unter einer ungeheueren Last, die, er fühlte es wohl, immer schwerer werden würde, je weiter er sich in das Lügengewebe verstrickte, das er mit der ersten scheinbar kleinen Unwahrheit geschürzt hatte, und an dem er nun weiterspinnen mußte, ob er wollte oder nicht. Ihm war zu Mute, als schlüge schon jetzt das Unheil über ihm zusammen, und in seiner Herzensangst wollte er seinen toten Vater anrufen, daß er ihm in seiner großen Not beistehen möchte. Doch entmutigt ließ er Kopf und Hände wieder sinken. Nein, diesen reinen Geist durfte er nicht anrufen! Verstecken mußte er sich und sein Tun vor ihm, wie er sich vor den Menschen verstecken mußte! Alle ehrlichen Leute, die an ihn glaubten und es gut mit ihm meinten, mußte er betrügen, denn wenn er nicht weiter log und betrog, dann war es um ihn geschehen …

Als der junge Goldmacher nicht hochbeglückt dem Lakaien auf dem Fuße ins Schloß folgte, war man allda sehr erstaunt. Das Staunen ging aber schnell in zorniges Mißvergnügen über, als man vernahm, daß der begnadete Lehrling spurlos aus der Apotheke verschwunden war. Der König geriet in große Wut, stampfte mit den Füßen und nannte seine Beamten in drei Sprachen, deutsch, französisch und lateinisch, »Esel«, weil sie auf ein so wertvolles Subjekt nicht besser acht gegeben hatten … Und schnell verkündeten Maueranschläge, daß auf die Ergreifung Fritz Böttgers eine Belohnung von taufend Talern gesetzt sei.

Man kann sich denken, in welch zähneklappernder Angst Fritz in seinem Versteck bei den Röbers dies alles vernahm. Obendrein plagte ihn die Furcht, daß am Ende die hohe Summe auch die Röbers verführen könnte, die Angeber zu machen. Sievers, der tief in der Nacht kam, um nach ihm zu sehen, lachte ihm zwar diese Angst fort und wollte für die Röbers die Hand ins Feuer legen, aber Fritz merkte ihm an, daß er seiner Sache nicht so sicher war, wie er sich den Anschein gab. »Du mußt fort von hier, ganz fort! Ich werde mit Röber sprechen, daß er dir eine heimliche und sichere Fahrgelegenheit nach Sachsen besorgt! Er soll dich nach Wittenberg bringen, da bist du vor dem preußischen König sicher und kannst von der ganzen Hetze hier verschnaufen.«

Wirklich fand sich gegen ein reichliches Trinkgeld von Sievers, der sich an allem mitschuldig fühlte, ein Bursche, der Fritz nachts heimlich aus Berlin fort nach Wittenberg bringen wollte. Das Unternehmen war gewagt, denn die tausend Taler hatten eine Anzahl freiwilliger Aufpasser angelockt, und die ganze Stadt, die ehedem an Fritzens Erfolg Anteil genommen hatte, brandete jetzt in Erregung über sein Entweichen. Die abenteuerlichsten Gerüchte schwirrten umher, die alle geglaubt wurden; nur die einfache Wahrheit, daß es sich um Betrug und Betrügerangst handeln könnte, fiel niemanden ein. Man wollte an seine Wunderkraft glauben und darum glaubte man daran.

Nach dreitägigem, qualvollem Versteck bestieg Fritz, wiederum in einer dunklen Nacht, das einfache Gefährt, das Röber besorgt hatte. Damit man nirgends einzukehren brauchte, nahm man nicht nur Lebensmittel, sondern auch Pferdefutter für mehrere Tage mit, sowie einen Eimer, um die Tiere unterwegs tränken zu können. Dann gings – es war am 26. Oktober 1701 – nach Abschied und heißen Danksagungen für Röber dahin, ins Unbekannte.

Als Berlin hinter ihm im nächtigen Dunkel verschwand, hatte Fritz für einen Augenblick die Empfindung, als ob er nun aller Gefahr entronnen sei. Aber dies wohlige Gefühl hielt nicht vor, machte vielmehr bald neuer Angst Platz. Wie, wenn der Fuhrknecht, geblendet von der Tausendtalerprämie, ihn auslieferte? … In zerreibender Spannung fuhr Fritz dahin. Sievers, der immer noch einen Rest seiner Erbschaft besaß, hatte ihm für die ersten Tage in der fremden Stadt eine kleine Summe zugesteckt, aber Fritzens ganzes Denken war so sehr an die gegenwärtigen Stunden gebunden, daß er an Wittenberg kaum dachte. Wenn der Bursche ihn verriet, war alles zu Ende, und eben darum umkreisten all seine Gedanken nur die eine Frage: »Wird er mich verraten oder nicht?« So oft der Wagen hielt, fuhr Fritz zusammen, jeder Baum am Wege erschien ihm wie ein Verräter, das Murmeln eines Baches klang ihm wie das Flüstern von Spionen … Endlich gelangte man bei Tagesanbruch in die äußerste Wittenberger Vorstadt, und der Bursche brachte ihn zu einem Bekannten Röbers, an den dieser Fritz empfohlen hatte. Goldmann hieß er, war ein altes, verhuzeltes Männchen, das Fritz neugierig und freundlich entgegenkam. Fritz spürte erst jetzt, wie übermüdet er von all den Aufregungen und der Reise war, legte sich mit dem köstlichen Gefühl »endlich in Sicherheit!« schlafen und verschlief in wundervollem, vierundzwanzigstündigem Jugendschlaf alle Schuld, alle Ängste und alle Erregungen der letzten Tage.

Als er erwachte, war sein Kopf ganz klar, leider aber auch das Schuldbewußtsein, das sich mit ihm zur Ruhe gelegt und ebenfalls vierundzwanzig Stunden geschlafen hatte … Aber er brach nicht darunter zusammen, sondern gelobte sich selber: »Von heute an werde ich ein anderer Mensch! Nichts soll mich fernerhin von dem Weg mehr abbringen, den mir der Vater gewiesen hat! Nie mehr werde ich zur Lüge meine Zuflucht nehmen, ganz so wahrhaftig will ich fernerhin sein, wie mein Vater es gewollt hat! Alles, was hinter mir liegt, sei ein für alle mal abgetan! Ein neues Leben beginnt mit dem heutigen Tage!« Erregt faltete er die Hände wie zum Gelöbnis: »Sieh auf dein Kind herab, Vater, verzeihe ihm und hilf ihm, daß es besser werde!«

Doch sein Gebet brachte ihm keine Erlösung. Er spürte nichts von einem versöhnten Geist, nein, ihm war's, als ob sein Vater mit abgewandtem Gesicht vor ihm stünde, wie in Gram und Scham über den eigenen Sohn.

Fritz raffte sich zusammen.

»Ich will dich versöhnen, Vater, so daß du noch deine Freude an mir haben sollst!«

Er beschloß, vorderhand der Goldmacherei Valet zu sagen; die Erfahrung, die er mit ihr gemacht hatte, war bitter genug. Er wollte sich nun einmal ordentlich ans Studieren machen, lernen, mit den verschiedenen Metallen und chemischen Verbindungen richtig umzugehen, und dann, wenn er ein gut Stück an Kenntnissen reicher war als heute, dann würde er das Werk vollenden, zu dem ihn sein Vater und, er fühlte es nach wie vor, das Schicksal bestimmt hatten.

Er ließ sich also an der Universität als Student einschreiben, belegte neben anderen Kollegien auch eines bei dem berühmten Anatomen Kirchmair, der ihm gleich sehr freundlich entgegenkam, weil er Empfehlungen von einem alten Freunde Kirchmairs, dem Geheimrat Kunkel von Löwenstern, ausrichten konnte. Der Geheimrat war ein bekannter Alchimist, der öfters in der Zornschen Apotheke verkehrt und großes Gefallen an dem anstelligen Lehrling gefunden hatte. Nach dem Abend mit der Goldprobe aber hatte der Geheimrat ihm ein übers andre Mal gesagt: »Bursche, du solltest nicht dein Lebenlang in einer Apotheke stehen, sondern fest studieren, und wenn du willst, bringe ich dich noch heute oder morgen zu meinem alten Freunde Kirchmair, dem du sicher Ehre machen würdest!« Fritz hatte sich diese Worte und diesen Namen wohlgemerkt und so war es keine Lüge, wenn er sich bei einem Antrittsbesuch, den er Kirchmair machte, auf Kunkel berief. Kirchmair verschaffte ihm ein billiges Studentenzimmerchen und versprach, sich in jeder Weise für ihn zu interessieren. So schien alles auf dem besten Wege in eine lichte Zukunft, und die Berliner Schreckenstage lagen bald wie etwas Unwahrscheinliches hinter ihm. Aber da erschien eines Tages unvermutet mit einem Militärkommando der königlich preußische Leutnant Menzel und verlangte im Namen seines Königs die Auslieferung »eines ›Kerls‹, der beim Berliner Apotheker Zorn in der Lehre gestanden und ›gewisser Ursachen halber‹ geflüchtet sei«. Und ehe Fritz wußte, wie ihm geschah, saß er im Arrest im Wittenberger Schlosse.

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