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Das war eine lange, ausführliche Beichte, die Fritz ablegen mußte, und beschämend war sie obendrein. Beschämend, weil er gestehen mußte, daß er sie alle an der Nase herumgeführt hatte, daß das Gespenst niemand anders gewesen als er selbst, der jede Nacht »auf Katzenpfoten«, wie Schrader gesagt hatte, nach der versteckten Bodenkammer geschlichen war, die er durch einen Zufall entdeckt und alsbald für seine Zwecke geeignet gefunden hatte. Seine Zwecke? Zorn hörte den Jungen kopfschüttelnd an, und schien keineswegs davon überzeugt, daß Lascaris ein echtes Goldrezept verschenkt habe und sein Lehrling fähig sei, nach besagtem Rezept die Welt mit Gold zu überschütten … Das einzige, was bis jetzt bei dem roten Wunderpulver herausgekommen, war, daß es Fritz beinahe das Leben gekostet hätte. Denn da die Bodenkammer keinen Kamin hatte, konnten sich aus dem Pulver, das offenbar Arsenik enthielt, betäubende Dünste entwickeln, und wäre in jener Nacht nicht Zorn gekommen, so wäre Fritz aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit wohl nie mehr erwacht. Fritz wollte für die Errettung aus Todesgefahr überschwenglich danken und hoffte, auf diese Weise dem immer peinlicher werdenden Verhör zu entgehen, aber Zorn hielt ihn beim Arm fest: »Halt, Bürschchen, so leichten Kaufes kommst du nicht davon! Ich will alles bis zu Ende wissen! Also: der Mönch hat dir das Rezept und das Pulver gegeben und die Kammer hast du bei einer Streife durch den Speicher entdeckt? Aber den Ofen, auf dem du deine mißlungenen Experimente gemacht hast, den famosen Ofen ohne Abzugsrohr, der dir beinahe das Leben gekostet hätte – –«
Apotheker Friedrich Zorn.
Nach einem Kupferstich von G. P. Busch, 1719.
»Den habe ich mir aus altem Eisengerümpel, das ich auf dem Speicher fand, gebaut!«
»Hm! Und die Schmelztiegel?«
»Ebenfalls aus Abfällen zurechtgemacht – –«
»Und was hast du ›tingiert‹? Denn so heißt es ja wohl in eurer Goldmachersprache!«
Fritz senkte den Kopf.
»Ich habe untauglich gewordenen Flaschen aus der Apotheke die Bleiverschlüsse abgedreht …«
»Auf deutsch: du hast dich an meinem Eigentum vergriffen …«
Fritz hob bittend die Hände: »Daran habe ich nie gedacht! Mein Wort darauf, das ist mir nie eingefallen, daß ich damit unrecht tun könnte! Ich habe überhaupt nichts anderes mehr denken können, als daß ich das Rezept ausprobieren muß, und wenn meine Seligkeit darüber zugrunde ginge!«
»Rede nicht so sündhaft daher! Die ewige Seligkeit ist wohl mehr wert als alles Gold der Welt, besonders wenn das Gold so aussieht, wie deines …«, schloß Zorn, seine Mahnung mit einer Wendung zum Scherze, denn in Fritzens Gesicht war jetzt ein Ausdruck von Hingebung und Leidenschaftlichkeit getreten, der ihn ergriff, wie einst den Münzkassierer die Sehnsucht auf dem Knabengesicht ergriffen hatte.
»Warum hast du die Komödie mit dem Spuk aufgeführt, statt dich mir anzuvertrauen?«
»Sie hätten doch nie erlaubt, daß ich meine Versuche mache …«
Zorn dachte bei sich: »Da mag er wohl recht haben!« Laut sagte er: »Wir wollen das Vergangene abgetan sein lassen! Ich verzeihe dir deine Unwahrhaftigkeit, und daß du mein Eigentum stibitzt hast, jawohl, das hast du getan, wenn du auch noch so abwehrend den Kopf schüttelst! Dafür aber fordere ich von dir, daß du nun ein für allemal das Sudeln und Laborieren sein lässest! Für deine echte Wißbegier genügt das Laboratorium der Apotheke, und für die Goldquacksalbaderei ist in meinem Hause kein Raum! Du könntest mir bei der Gelegenheit einmal das Haus über dem Kopf anstecken!«
In Fritzens Brust tobte ein heftiger Kampf. Er fühlte, daß er das Versprechen, das Zorn da forderte, wohl geben aber nicht halten konnte, und Zorn sah den Kampf, der sich deutlich auf dem Gesicht des Jungen malte. Fast tat Fritz und das Versprechen, das er forderte, ihm leid, aber nun ging es um die Autorität, und so streckte Zorn die Hand hin: »Fix, Junge, dein Wort, daß du vernünftig sein wirst! Denn für Unvernunft ist in meinem Hause kein Raum!«
Das war so deutlich, daß Fritz nichts übrig blieb, als in die ausgestreckte Hand einzuschlagen und zu versprechen, künftighin nur mehr ein Lehrling, aber beileibe kein Goldmacher zu sein.
Seit jenem Tage ging eine merkwürdige Veränderung mit ihm vor. Verschwunden sein Eifer, sein munteres und doch bescheidenes Wesen, das allen Kunden und nicht zum wenigsten Herrn Zorn so gut gefallen hatte, verschwunden der Fleiß, mit dem er an Sonntagen Fässer umgepackt oder im Laboratorium für die Apotheke gearbeitet hatte. Er war jetzt meist übellaunig oder auch ging er wie verträumt umher, verwechselte ab und zu die Medikamente, die gefordert wurden, und fuhr erschrocken, wie bei bösen Gedanken ertappt, zusammen, wenn man ihn unversehens anredete. Wie es zu Zorns Mißfallen ehedem andere Lehrlinge getan hatten, ging nun auch Fritz am Sonntag mit den Gehilfen aus, zog mit ihnen in Kneipen und auf Tanzböden umher und freundete sich mit Gesellen an, denen er früher aus dem Wege gegangen wäre. Mit Schadenfreude sahen die Gehilfen, wie der Junge, den der Meister stets als etwas Besonderes geachtet hatte, allmählich ihresgleichen zu werden schien, und sie hänselten Fritz weidlich über seine verunglückte Goldmacherei, und Schrader erzählte jedem, der es hören wollte, von der Expedition auf den Speicher, wobei er, Schrader, sich als Held malte, der Zorn die Pistole mit Gewalt hatte aufzwingen müssen, »denn ein Kerl, der Courage hat, geht nicht ohne Waffe einem Spuk zu Leibe, auch wenn der nur ein kleines Bürschchen ist!«
Und dann lachten alle, und Fritz lachte gezwungen mit, obwohl ihm nicht ums Lachen war, sondern eine große Wut auf Schrader in ihm saß, die er nur mit Mühe bändigte. War aber das Gelächter vorüber, dann vertieften sich doch alle in Gespräche über den Stein der Weisen und ähnliche alchimistische Probleme, denn die lagen damals in der Luft, und auch kluge und aufgeklärte Leute standen unter ihrem Bann.
Einer der Gesellen aus der Sonntagsgesellschaft, ein gewisser Sievers, machte sich im Lauf der Zeit näher an Fritz heran. Er war lärmend und trinkfest wie die anderen auch, aber der junge Lehrling, der schon eine gewisse alchimistische Vergangenheit hatte, interessierte ihn aus guten Gründen mehr als seine Spießgesellen, mit denen er eben nur schrie und trank. Dieser Sievers war ein verbummelter Student, der sich schon weit in der Welt herumgetrieben hatte, immer in Schulden steckte, und dem also der Gedanke der Goldmacherei sehr sympathisch war. Und als sie eines Abends spät im Sternenschein nicht mehr ganz nüchtern nach Hause zogen, schob er seinen Arm in den Fritzens und vertraute ihm an, daß auch er sich schon mit Goldmacherei abgegeben habe: »Leider bislang ohne rechten Erfolg! Aber wie wär's, Bruderherz, wenn wir uns zusammentäten? Du bist ein findiger Kopf, viel findiger als ich, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir beide nicht vollbringen könnten, was bis jetzt noch kein Mensch vollbracht hat!«
»Wir haben ja keine Küche!«
Der andere lachte.
»Haben wir, mein Goldjunge, haben wir! In meiner Bude ist noch alles vorhanden; wenn wir alle Ecken auskratzen, vielleicht sogar noch ein bißchen mehr!«
So verabredeten sie denn, daß Fritz am nächsten freien Sonntag zu Sievers kommen sollte. Sein Gewissen, das ihn an sein Versprechen erinnern wollte, beruhigte er mit der Zweideutigkeit, daß er doch Herr über seine freie Zeit sei.
Sievers »Bude« sah fast eben so unsauber und verkommen aus, wie er selber. Sein Bett war noch nicht gemacht, obwohl Mittag längst vorbei war, und überall lagen Papierfetzen, Tabakkrümel und Brotreste umher. Um den Ofen herum war ein kleiner Verschlag, hinter dem sich sein »Laboratorium«, wie er sich großartig ausdrückte, befand. Es bestand aus einem niedrigen Dreifuß, der an den Ofen angeschlossen war, und aus einem einzigen, völlig verkrusteten Schmelztiegel, den er aus einem Wust von Fetzen, Scherben und halbzerrissenen Folianten hervorsuchen mußte; auch ein Gläschen mit Merkur fand sich unter ähnlichem Unrat. Fritz zog sein rotes Pulver hervor, das er von Lascaris erhalten hatte, und die beiden machten sich eifrig ans Werk, ohne einen anderen Erfolg zu erzielen, als daß nach kurzer Zeit der Deckel des Schmelztiegels mit einem Knall bis an die Zimmerdecke flog und dort zwar kein Gold, wohl aber einen beträchtlichen Schmutzflecken zurückließ.
»Satanas!« sagte Sievers scherzhaft und tat, als ob er sich bekreuzigen wollte.
Fritz lachte gezwungen; alles hier mißfiel ihm gründlich und er nahm sich vor, nicht wiederzukommen. Da Merkur und Pulver vertan waren, blieb ihnen nichts übrig als von dem zu reden, was sie beide so lebhaft beschäftigte. Und da spann Sievers Fritz wie in einen Zauber ein, denn er wußte seltsame Geschichten von allerlei Goldmachern zu erzählen, ähnlich wie einst Fritzens Vater und doch ganz anders. Der alte Böttger hatte immer betont, daß der Stein der Weisen noch nicht gefunden und also jeder ein Betrüger sei, der behaupte, ihn zu besitzen, Sievers dagegen hatte auf seinen Streifen durch die verschiedenen Länder und Städte immer wieder Leute gekannt oder von solchen gehört, die wirklich Gold machen konnten. Nur hatten sie leider ihr Geheimnis immer mit ins Grab genommen, wie jener berühmte Lulle, der für Eduard III. von England 50 000 Pfund Gold hergestellt hatte, aus denen der König dann die ersten Rosenobles prägen ließ.
»Goldmünzen, die auf jeder Seite eine Rose zeigen – du kannst dir nichts so schönes denken …«
»Hast du eine gesehen?«
Sievers besann sich eine Sekunde lang, log dann keck: »Ja!«
»Und auch Lulle hat sein Rezept nicht hinterlassen?«
Diesmal konnte Sievers mit gutem Gewissen wahrheitsgemäß sagen: »Nein!«
»Welch ein Jammer, daß der Weg zu dem großen Geheimnis immer wieder verloren gegangen ist!«
Sievers entgegnete gleichmütig: »Auch der Weg nach Amerika war verloren und ist wiedergefunden worden! Man darf nur nicht verzweifeln und nicht auslassen!«
Eine Weile herrschte Schweigen, dann sagte Sievers mit einem Seufzer: »Man müßte eben Gold haben, dann ginge es!«
Fritz sah ihn verständnislos an. Sievers fuhr mehr zu sich selber sprechend fort: »Gold müßte man haben, um die Menschen zu täuschen, wie alle sie zuerst getäuscht haben, um Ruhe und Glauben für ihre Sendung zu erlangen! Denn Ruhe und Glauben braucht jeder, der sich einer großen Offenbarung bemächtigen will! Auch Lulle hat den König zuerst betrogen und ihm Gold, das er sich verschafft hatte, als sein Werk gezeigt! Mundus vult decipi, kannst du so viel Latein, Bürschchen?«
»Die Welt will betrogen sein!« übersetzte Fritz flugs, den der Zweifel an seinem Latein kränkte.
Sievers nickte.
»So ist's! Darum muß man sie betrügen, bis man ihr endlich die Wahrheit statt des Betrugs bieten kann!«
Fritz rief entrüstet: »Nein! Betrug bleibt Betrug, und nur ein reines Herz ist zu großen Dingen berufen!«
»Lulle war dazu berufen, und ich sage dir, daß auch er, zuerst betrogen hat! Und wenn wir beide, du und ich, Gold hätten, könnten wir der Menge ein Stückchen zeigen und ihr sagen: ›Seht ihr, das haben wir gemacht!‹ Und sie würden blöde staunen und uns glauben und uns immer neues Gold bringen –«
»So daß wir immer aufs neue betrügen könnten!«
»Nein, du Gelbschnabel! Ihr Gold gäbe uns Gelegenheit, immer neue Proben zu versuchen, bis endlich der Tag erschiene, an dem es uns wahr und wahrhaftig gelänge? …«
»Dazu würde ich niemals die Hand bieten!« rief Fritz heftig.
Sievers erwiderte phlegmatisch: »Es ist kein Grund vorhanden, sich aufzuregen, denn niemand gibt uns auch nur eine Unze Gold!«
Fritz verabschiedete sich sehr bald und war froh, als er die schmutzige Bude hinter sich hatte. Und wenn er an den folgenden Tagen an Sievers Worte dachte, schüttelte er sich, und lebhafter als sonst stand das Bild seines Vaters vor ihm, des unbestechlichen Mannes, der mit reinen Händen und einem reinen Herzen zu seinem Werke gegangen war. –
Fritz mied nun die Gesellschaft Sievers, der sich auch, wie er durch Schrader hörte, selten mehr in den Kneipen sehen ließ, in denen sie sich sonst getroffen hatten. Eines Tages aber erschien er wieder und zwar sehr großspurig, bestellte für alle Wein, hatte einen feinen neuen Rock an, allerdings einen Trauerrock, zu dem seine vergnügte Miene und sein ganzes Gebaren wenig paßten.
»Kinder, ich habe geerbt! In irgendeinem verschollenen Nest ist ein ebenso verschollener Vetter meines seligen Vaters gestorben und hat mir bare fünftausend Taler vermacht! Nun eßt und trinkt auf meine Kosten, was und wieviel ihr wollt, denn solch ein Glück kommt einem nicht alle Tage vor!«
Etliche Tage kam er nun aus der Kneipe gar nicht mehr heraus, wollte jeden freihalten, den er zu Gesicht bekam –, dann aber verschwand er mit einem Male und es hieß, daß er seine Türe vor jedem verschlossen hielt. Einen aber holte er sich fast mit Gewalt: Fritz.
Er paßte ihm den Weg ab, als Fritz am Sonntag in die Kirche wollte: »Höre, du ehrbares Männlein, jetzt habe ich Gold in Hülle und Fülle! Jetzt können wir darauf loslaborieren nach Herzenslust –«
»Und betrügen!« unterbrach ihn Fritz, der nichts mit ihm zu tun haben mochte und dennoch spürte, daß etwas ihm selbst Unerklärliches ihn zu dem verbummelten Studenten hinzog.
Sievers lachte.
»Nein, wir wollen die Mundus gar nicht betrügen, ja, wir wollen zunächst einmal gar nicht an sie denken, sondern nur an uns und unser Werk! Komm nur heute nachmittag und bringe dein rotes Pulver mit!«
Fritz wollte »nein« sagen, sagte aber »ja«, und so experimentierten sie wieder eifrig, denn Sievers hatte nicht nur Merkur gekauft, sondern auch etliche Stücke Gold, von dem sie Tropfen in ihre Arkana gossen, ohne ein anderes Resultat zu erzielen, als daß der Deckel diesmal nicht an die Decke flog, sondern brav an seinem Platze blieb … Sievers meinte: »Man darf die Geduld nicht verlieren! Einer von uns beiden findet das Geheimnis eines Tages – des bin ich gewiß!«
Fritz dachte bei sich: »Wenn einer es findet, so bin ich es, denn ich bin ein Sonntagskind!«
Durch Sievers Kopf schoß plötzlich ein lustiger Gedanke: »Höre, wir wollen wenigstens ein bißchen Spaß von unserem Nachmittag haben! Wir wollen Schrader einen tüchtigen Bären aufbinden und ihm weißmachen, daß es uns gelungen ist, ein Stück Gold herzustellen!«
»Nein,« sagte Fritz abwehrend, obwohl ihm der Gedanke verlockend schien, dem spöttischen Gehilfen einen Possen zu spielen. Sievers aber beharrte bei seinem Vorhaben und nötigte Fritz schließlich ein Goldstückchen auf, das er Schrader als »tingiert« weisen sollte.
»Er wird mir nicht glauben!«
»Dann bringst du ihn das nächste Mal mit und ich mache mein berühmtes Kunststück!«
Und während er sich ausschütten wollte vor Lachen über Fritzens Entsetzen, zeigte er ihm einen Kniff, den er auf dem Jahrmarkt einem Taschenspieler abgeguckt hatte. Er wies Fritz eine Münze, ließ sie vor seinen Augen verschwinden und wieder erscheinen, ohne daß man gewahr wurde, wie er die Täuschung vollzog.
Endlich gelang es ihm, Fritzens Widerstand zu überwinden, und wirklich fand sich am nächsten Sonntag Schrader ein, sah dem Tingierversuch zu, merkte nichts von Sievers Hokuspokus, sagte aber auf dem Heimweg dennoch zu Fritz: »Die ganze Sache ist doch Schwindel! Ich weiß nicht, wie ihr es gemacht habt, aber daß es Schwindel ist, darauf wette ich meinen Kopf!«
Fritz erwiderte nichts, aber der überlegene und anmaßende Ton Schraders ärgerte ihn. Und Schrader wiederum, den es verdroß, daß der Junge sich in ein hochmütiges Schweigen hüllte: »Na, du hältst dich wohl auch immer noch für ein Dukatenmännlein der Zukunft?!«
»Vielleicht!«
»Glaubst immer noch an dein rotes Pulver?«
»Ich weiß, was es ist!«
»Rote Kreide ist's!« höhnte Schrader.
»Das ist nicht wahr!« rief Fritz empört.
»Beweise mir das Gegenteil!«
»Du würdest nichts glauben, auch wenn man dir das Gold zeigt, wie soeben!«
Schrader sah ihn nachdenklich an.
» Dir würde ich immerhin eher glauben als Sievers, der ein bekannter Aufschneider ist!«
Fritz zuckte die Achseln.
»Glaube oder glaube nicht, mir ist es gleichgültig!«
Diese stolze Ruhe – so erschien sie wenigstens Schrader – wirkte.
»Nun reden wir einmal ernsthaft! Hat Sievers heute nicht einen Schwindel gemacht?«
»Du hast doch selbst scharf zugesehen …«
»So war's doch dein rotes Pulver?«
»Es ist ja rote Kreide!«
Schrader schwieg eine Weile. Dann: »Hast du den Mut, vor mir ein Experiment zu machen? Du allein, ohne Sievers, vor mir allein?«
Fritzens Gewissen rief ihm vernehmlich zu: »Sage nein!« Aber sein Verstand, oder was er dafür hielt, meinte: »Es ist ja nur ein Schabernack, den ich dem eingebildeten Burschen spiele, und wenn ich ihn erst fest hinters Licht geführt habe, kann ich ihm ja die Wahrheit sagen.« Und weiter redete ihm sein Verstand, oder was er dafür hielt, ein, daß solch eine Lehre dem anmaßenden Schrader nur gut tun könne.
Eingeriegelt in seine Kammer nahm Fritz das Beutelchen mit seinen Goldproben aus Schleiz vor, die er bislang vor Sievers wie vor jedem anderen gehütet hatte. Der Taschenspielerkniff gelang ihm alsbald, als hätte er ihn schon hundertmal gemacht, und so gelang nicht minder gut die Goldprobe, die er zu mitternächtiger Stunde im Laboratorium der Apotheke vor Schraders kritischen Augen ablegte.
Von Gottes und Rechts wegen konnte Schrader nun nicht länger zweifeln, tat es aber dennoch, schalt sich zwar selber darob und wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er nach einer aufgeregten Nacht vor Zorn hintrat und ihm alles erzählte.
»Ich mag es nicht glauben und muß es dennoch! Der Junge kann in der Tat Gold machen!«
Zorn bekam einen roten Kopf. Die ganze Apotheke war offenbar verrückt geworden, seit er diesen Strick von einem Lehrling ins Haus genommen hatte! »Der Fritz ist ein Narr, und du bist erst recht einer! Solltest in deinen Jahren wahrhaftig mehr Besinnung haben!« Und da Schrader etwas erwidern wollte, fuhr er ihn an: »Halte das Maul, denn Schweigen ist gescheiter als solchen Unsinn zu verzapfen! Und merke dir: wenn der Fritz nochmal laboriert, fliegt er hinaus, und wenn du nochmal von dem Schnickschnack zu mir redest, fliegst du ebenfalls! Verstanden?!«
Schrader ging beleidigt, und aus diesem Beleidigtsein erwuchs eine gewisse Gemeinschaft mit Fritz, der nun allmählich wieder so wurde wie in der Zeit, da er durch seine Überheblichkeit und seinen Dünkel sich bei allen mißliebig gemacht hatte. So oft er Schrader ansah, fiel ihm immer das entsetzte Gesicht Peter Schnorrs ein, wenn Fritz ihm eine seiner Gruselgeschichten erzählt hatte. Beinahe ebenso hatte Schrader ausgesehen, als Fritz sein Taschenspielerkunststück gemacht hatte … War das lustig gewesen, gerade diesen Menschen zu foppen! Sein Gewissen machte ihm gar keine Beschwerden mehr. Alles war ja nur ein Schabernack gewesen – nichts weiter! Zuweilen aber nagte es doch an ihm, besonders als er bemerkte, daß Schrader ihm seit jenem Abend mit einer gewissen Hochachtung begegnete, was ja am Ende nicht unbegreiflich war. Aber schnell beruhigte er die mahnende Stimme und sagte ihr, daß es nur recht und billig sei, wenn er an dem spöttischen, hochnäsigen Gehilfen eine kleine Rache nehme, von der der Betroffene ja nicht einmal wüßte, die ihm also folglich gar nicht wehe täte, dagegen ihm, Fritz, die Stellung einräumte, die ihm gebührte. Denn gleich allen Beharrlichen wurde auch Fritz durch den Mißerfolg nicht entmutigt, sondern erst recht angespornt, und die leichtfertigen Worte Sievers, gegen die er sich zuerst gesträubt hatte, klangen unaufhörlich in ihm nach. »Die Welt will betrogen sein« – – »Man muß sie betrügen, um Ruhe für die Wahrheit zu haben, die man ihr später schenken will« … O, das war eine andere Weisheit als die von der Reinheit des Herzens und dem Betrüger, der den Galgen verdient … Und wenn selbst Lulle betrogen hatte, der große Lulle, das Idol aller Goldmacher, der fünfzigtausend Pfund Rosenobles hatte tingieren können, – was wollte daneben der winzige Betrug besagen, der noch dazu keinem Menschen etwas gekostet hatte, als dem Goldmacher ein Goldstückchen.
Trotz dieser Beruhigungspillen, die er sich verabreichte, wurde ihm doch recht bang zumute, als Zorn ihn eines Tages rufen ließ und in einem Ton, der nichts Gutes verkündete, sagte: »Ich höre, mein Söhnchen, daß du, entgegen deinem Versprechen, immer noch sudelst, ja, daß du jetzt sogar vorgibst, Gold machen zu können! Der Sache will ich nun endlich einmal auf den Grund gehen! Es heißt jetzt entweder – oder. Bist du bereit, in meiner Gegenwart Gold zu machen? Kannst du es, schön! Dann lasse ich dich, obgleich du noch ein Jahr Lehrlingszeit durchzumachen hast, zum Gesellen freisprechen! Kannst du es nicht, so verlässest du das Haus, denn ich will keinen Lügner und Betrüger bei mir halten!«
Es war eine furchtbare Lage. Fritz überlegte blitzschnell: eingestehen oder den Betrug weiterspinnen? Am einfachsten wäre es natürlich gewesen, sich Zorn zu Füßen zu werfen und Verzeihung zu erbitten. Aber die Eigenliebe sträubte sich dagegen, und auch die Wahl, vor die der Apotheker ihn gestellt hatte, fiel schwer ins Gewicht. Geselle oder davongejagt werden – – Fritz zitterte vor beiden Möglichkeiten; aus Freude vor der einen und aus Angst vor der anderen. Geselle sein! – welch ein Glück wäre das! Ein freier Mensch wäre er dann, der tun und lassen könnte, was er wollte, und daneben jedem Staunen abzwingen, daß einer in so jungen Jahren schon als Geselle freigesprochen werden mußte! Und deutlicher als je zuvor klangen Sievers Worte in ihm, und nach einem kurzen Kampfe sagte er, zwar mit blassen Lippen, aber doch entschlossen: »Ich bin bereit, die Probe vor Ihnen zu machen!«
Zorn war sprachlos vor Überraschung. Absichtlich hatte er mit schmählicher Entlassung gedroht, weil er meinte, auf diese Weise ein Geständnis zu erreichen, und nun blieb der Junge bei seiner Behauptung! Zorn wußte nicht, was er von alledem halten sollte, und nahm sich vor, Fritz scharf auf die Finger zu sehen.
Noch am selben Abend sollte die Feuerprobe stattfinden. Fritz ging umher wie in einem bösen Traum. Immer wieder war er drauf und dran, Zorn alles zu gestehen, aber je länger er zögerte, umso größer wurde seine Angst vor solchem Geständnis. Aber wenn für Augenblicke das Traumgefühl wich, dann sagte er sich voll Reue, daß er sich alle Ängste hätte ersparen können, wenn er niemals von dem Weg abgewichen wäre, den sein Vater ihm gewiesen hatte, statt den anderen einzuschlagen, auf dem Sievers gehen wollte … Da sagte sein Gewissen wohl laut und deutlich: »Gehe hin und bekenne!« Aber er verschob dies Bekenntnis wieder und immer wieder, speiste das Gewissen mit der Zusicherung ab, daß er dazu immer noch Zeit habe, und so kam endlich unter Hangen und Bangen und Zögern und Reue der Abend heran, an dem sich nicht nur Herr und Frau Zorn, sondern auch deren Schwiegersohn, der Pastor Porst, im Laboratorium der Apotheke einfanden, um Fritzens Meisterstück zu erwarten. Und wieder gelang alles über Erwarten gut, obwohl Pastor Porst so klug war und so scharf aufpaßte, daß Fritz beinahe der Angstschweiß ausbrach. Aber da Fritzens Geschicklichkeit größer war, als des Pastors Klugheit und Mißtrauen, so stand auch Porst tiefbetroffen, als nach einer bangen und langen Wartezeit ein kleiner Goldklumpen aus dem Tiegel gehoben wurde.
Eine Weile herrschte Schweigen. Die Menschen mußten sich erst an den Gedanken gewöhnen, daß sich vor ihren Augen das Wunder vollzogen, nach dem Geschlecht auf Geschlecht geschmachtet hatte. Allmählich löste sich das Schweigen in Glückwünsche, die Fritz bescheiden und etwas verwirrt entgegennahm. Alles um ihn her drehte sich im Kreise, und er wußte kaum, was er sprach oder was man ihm sagte. Nur zu einem blieb ihm noch Klarheit: er nahm allen Anwesenden das Wort ab, über diesen Abend tiefstes Stillschweigen zu wahren: »Denn heute ist es mir geglückt, ich kann aber nicht dafür einstehen, daß es jedesmal eben so glückt! Hängt doch das Gelingen nicht nur von der richtigen Mischung des Arkans ab, sondern auch vom Stand der Gestirne und nicht zuletzt von geheimnisvollen Einflüssen, denen wir machtlos preisgegeben sind! Ich habe heute nur eine geglückte Probe abgelegt, möchte aber vor die Welt erst dann hintreten, wenn ich meiner Sache sicherer bin als heute.«
Man lobte seine Bescheidenheit, versprach ihm gerne Schweigen, und Zorn war gerührt, als Fritz ihn bat, doch mit der Freisprechung noch zu warten, da es sonst unnötiges Gerede geben könnte. Hochbefriedigt trennte man sich, und in den Traum aller Schläfer schimmerte es wohl golden hinein, wie es vorhin aus der Retorte geglänzt hatte. Nur Fritz fand lange Zeit keinen Schlaf. Schwer lag ihm seine Verfehlung auf der Seele. Konnte er Zorn überhaupt noch unter die Augen treten?! Konnte er sich's gefallen lassen, bewundert zu werden, da er doch bei sich wußte, daß er ein Betrüger war?! Die Worte fielen ihm ein, die sein Vater so oft gesprochen hatte, und stöhnend barg er sein Haupt in den Kissen.
Wie schrecklich war dies alles und wie unheilvoll verkettet! Mit einer kleinen scheinbar harmlosen Lüge hatte es angefangen, und nun wuchs es höher und immer höher, und wollte ihn schier ersticken! Wie einst Sievers im Scherz »Satanas!« gerufen hatte, so wollte auch er sich einreden, daß »der Böse« ihm ein Netz gelegt hatte, in das er sich unlöslich verstricken sollte. Als ob »der Böse« nicht immer das Böse in der eigenen Brust wäre, das gar kein Netz zu legen vermag, sofern das Herz sich nur tapfer zur Wehre setzt! Jetzt freilich, da es zu spät war, quälte ihn das Herz mit Vorwürfen, und er nahm sich vor, das Teufelsnetz, das er um sich geschlungen hatte, doch noch mit einem kühnen Ruck zu zerreißen. Er ahnte nicht, daß schon in den nächsten Tagen ein Glück über ihn hereinbrechen sollte, so riesengroß, wie keiner der Schläfer und am allerwenigsten er selber sich träumen ließ, ein Glück, wie es kaum je einem Sechzehnjährigen zuteil geworden, und das dennoch zur entscheidenden Katastrophe seines Lebens werden sollte.