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8.
Im Goldhaus

Der Statthalter trat ein. Stattlich und hochmütig war er anzusehen, gewohnt, gleich einem König Huldigung entgegenzunehmen.

Fritz ließ sich vor ihm auf ein Knie nieder und küßte ihm die Hand.

Fürstenberg ließ es geschehen, ohne den Knienden aufzuheben. Als Fritz wieder auf seinen Beinen stand, sagte Fürstenberg: »Du hast also das Arkanum ausgefunden, das Merkur oder andere Metalle in Gold verwandelt?«

Vor Fritzens Augen begann sich alles im Kreise zu drehen. Jetzt war die Entscheidung da. Jetzt mußte er bekennen und dann war seine Freiheit, wenn nicht gar sein Leben verwirkt. Oder er nahm abermals zur Lüge seine Zuflucht und überließ es dem Schicksal oder dem Zufall, alles zu enthüllen. Ja, eigentlich blieb ihm gar nichts anderes mehr übrig als diese letzte Möglichkeit zu ergreifen, denn selbst wenn er jetzt die Wahrheit eingestanden hätte, wäre niemand davon überzeugt gewesen, sondern sie hätten ihn für einen listigen Betrüger gehalten, der sein kostbares Geheimnis nicht preisgeben wollte. Sie würden ihn auf die Folter legen, um durch ungeheure Qualen zu erpressen, was er doch nicht wußte.

Fritz schauderte.

Nein, es gab kein Zurück mehr! Der Weg, der eingeschlagen war, mußte weitergegangen werden, mochte kommen, was da wollte!

Immerhin hütete er sich, die Frage Fürstenbergs zu bejahen. Er verbeugte sich nur schweigend.

Fürstenberg fuhr fort: »Mein Amt ruft mich in der allernächsten Zeit nach Warschau, zu meinem allergnädigsten Herrn! Der allergnädigste Herr brennt schon vor Begier nach deinem Arkanum und beauftragt mich, ihm eine Probe davon mitzubringen. Halte mir also ein Fläschchen davon bereit, sowie den nötigen Merkur, und weise mich an, wie alles zu handhaben sei, damit wir zu einem rechten Ergebnis gelangen, denn der Krieg verschlingt Unsummen, und mein allergnädigster Herr setzt all seine Hoffnungen auf dich!«

In Fritzens Kopf wogten die Gedanken wirr durcheinander, und als der Statthalter gegangen war, saß er eine Weile wie ein Betäubter, unfähig einen Entschluß zu fassen oder auch nur Ordnung in seine widerstreitenden Gefühle zu bringen. Allmählich aber wurde es klarer in ihm, und Trotz und Lebenswille und auch ein Teil Übermut gewannen die Überhand über Angst und Verwirrung. Man zwang ihn ja förmlich zur Lüge, – also gut, so würde, mußte er lügen, denn deutlicher als in all der letzten Zeit spürte er, daß er für etwas aufgespart war, daß seiner noch eine Sendung harrte. Lebendig wie seit langem nicht mehr standen die unvergeßlich schönen Stunden im väterlichen Laboratorium vor ihm, und daneben klangen ihm Sievers verführerische Worte wieder in den Ohren: »Man muß die Welt betrügen, damit sie einem Zeit läßt für die große Wahrheit, die man ihr später schenken wird … Und Fritz, der sich vor sich selber entlasten wollte, fragte: »Ist's nicht so, Vater? Was bleibt mir andres, als wieder und immer zu lügen?!«

Aber das Gesicht des Angerufenen blieb abgewandt wie immer, und seufzend ergab sich Fritz in das Unvermeidliche.

Da der Statthalter schon in den nächsten Tagen nach Warschau wollte, blieb nicht viel Zeit, um einen neuen Betrug vorzubereiten. Fritz stellte also eine Sendung zusammen: ein Fläschchen Merkur, eine Dose mit dem roten Pulver, das Lascaris ihm gegeben hatte und noch allerlei andere nötige oder auch überflüssige Dinge, die sich geheimnisvoll und wichtig ausnahmen. Und während er so beschäftigt war, wurde ihm wieder leichter ums Herz, und er schalt sich selber einen Zweifler, der gar nicht würdig sei, mit der großen Kunst umzugehen. Was fiel ihm denn nur ein, sich für einen Betrüger zu halten?! Ja, er hatte Schrader und Zorn etwas vorgegaukelt, aber war darum gesagt, daß er überhaupt nicht fähig war, Gold zu machen? War damit Lascaris Pulver ein für allemal als wirkungslos erklärt? Keineswegs! Denn was an dem Abend bei Zorns nur Gaukelei gewesen, konnte morgen schon Wahrheit sein; es kam nur darauf an, endlich einmal die richtige Mischung zu finden. Vielleicht fand sie der König … Vielleicht fand er sie selber beim nächsten Experiment … Nur den Mut nicht verlieren und den Glauben an die eigene Kraft und Sendung! Waren die beiden erst dahin, dann war alles zu Ende, dann wär's besser, sie hingen ihn an den Galgen … Und der Glaube an sich selber war jetzt so mächtig, daß er ihn über alles Häßliche hinweghob und ihn in einen Rausch versetzte, in dem er sogar vergaß, daß er ein Gefangener war.

Umfangen von diesem Rausch und dem Glauben an sich tat er in dieser Stunde ein stilles Gelöbnis: Wenn ihm dereinst der große Wurf gelungen sein würde, dann wollte er stets voll Dankbarkeit des Fürsten gedenken, der ihn vor der Auslieferung bewahrt hatte, und den er jetzt, ob er wollte oder nicht, beschwindeln mußte. Niemals, so versprach er bei sich, werde ich in den Dienst eines anderen gehen, mag er mir auch bieten, was er wolle! Wenn es mir gelingt, hier mit heiler Haut durchzukommen und mein Werk zu vollenden, dann will ich es diesem Fürsten und diesem Lande nie vergessen! Dann sollen sie die ersten sein, die ich in Gold begrabe! Da war's ihm für einen Augenblick, als sähe ihn das abgewandte Antlitz gütig an.

Er übergab also Fürstenberg seine alchimistische Sendung, sagte, um sich für alle Fälle sicher zu stellen: »Durchlaucht, die Ingredienzien allein genügen nicht! Auch die Gestirne müssen günstig sein und, eine Hauptsache – –,« er hielt einen Augenblick inne, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, »die größte Seelenruhe ist vonnöten und die größte Andacht! Sobald Seine Majestät oder Durchlaucht innerlich unruhig oder nicht mit allen Gedanken in das Werk versenkt sind, kann es nicht gelingen!«

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August II., der Starke, Kurfürst von Sachsen, König von Polen.
Nach einem Gemälde von L. Silvestre, gestochen von Bernigeroth.

Fürstenberg merkte sich alles wohl und dachte bei sich, daß es kein leichtes Ding bedeute, in Kriegszeiten voll Seelenruhe und mit ganzer Andacht bei anderem als den großen Ereignissen zu sein.

Als Fürstenberg in Warschau eintraf, kam ihm der König sehr mißvergnügt entgegen. Die Schweden schlugen sich mit einer Tapferkeit und einem Glück, das unbegreiflich schien, die sächsisch-polnischen Kassen waren so leer, daß man nicht wußte, woher den Sold für die Soldaten nehmen, und der polnische Reichstag war in peinliche Nahe gerückt.

Der König umarmte Fürstenberg und sagte in seiner raschen, aufflammenden Art: »Fürstenberg, wenn Ihr mir nicht die Rettung bringt, so bin ich verloren! Alles geht schief, alles steht wider mich! Wenn mir der Mann nicht helfen mag, den Gott mir gesandt hat, dann bin ich am Ende!«

Fürstenberg war tief erschüttert, den kraftvollen, lebenstrotzenden Fürsten so niedergebrochen zu sehen: »Will's Gott, so ist mir die Gnade gegeben, Euer Majestät eine frohe Botschaft zu überbringen! Wenn Euer Majestät gestatten, hole ich sogleich, was mir unser Goldmännlein übergeben hat; eigenhändig hole ich es, denn keines anderen Seele soll darum wissen, als Euer Majestät und dero treuester Diener!«

Augusts umwölkte Miene heiterte sich auf. Und als Fürstenberg nach einer kleinen Weile zurückkehrte, wog August die Kiste, die Fürstenberg zwar mit Anstand, aber doch mühsam geschleppt hatte, in seiner Hand, als wäre sie ein Vögelchen, und rief: »Fürstenberg, Ihr seid ein wahrer Freund! Und wenn die Sache gelingt, soll es weder Euch noch das Goldmännlein reuen!«

Als Fürstenberg dann noch die seelischen Bedingungen enthüllte, die zum Gelingen nötig waren, runzelte August ein wenig die Stirne. Es widerstrebte ihm, daß ein wildfremder, junger Mensch ihm, dem König, vorschreiben wollte, wie sein Inneres beschaffen sein müsse.

In tiefverschwiegener Nacht riegelten sich der König und der Statthalter in ein abgelegenes Gemach ein, in das sich kaum jemals jemand verirrte, entledigten sich ihrer gestickten Röcke, banden Schurzfelle vor und standen nun hemdärmelig und gespannt, um ihre Kunst als Goldköche zu erweisen. Zunächst mußten sie Feuer anzünden, was weder ein König noch ein fürstlicher Statthalter ordentlich lernt, so daß sie vor jedem kleinsten Ofenheizer beschämt hätten stehen müssen, soferne einer zur Stelle gewesen wäre. Aber sie waren ja ganz allein, durften sich also plagen, ohne sich bloßzustellen, und weil das Holz zwar hart, aber nicht unerbittlich war, so brannte es endlich doch, und sie setzten die Tiegel, die Fritz dem Statthalter mitgegeben hatte, auf die Flamme, nachdem sie jeden zuerst innen ordentlich mit Kreide ausgestrichen hatten, wie es Fritz angeordnet hatte. Bedächtig, und mit sichtlicher Anstrengung, andächtig zu sein und alle Gedanken zu konzentrieren, schütteten sie Merkur, Borax und das rote Pulver hinein, stülpten den einen Tiegel über den anderen und ließen die Masse wohl an zwei Stunden kochen. Zwei Stunden – welch lange Zeit, um an nichts anderes zu denken, als an zwei kochende Tiegel, während doch alle Gedanken bei dem Heere sein wollen oder bei den polnischen Tücken oder auch vielleicht bei einer Jagd, die einem ein bißchen Ausspannung gewähren soll, von der Aufregung und Sorge dieser letzten Wochen.

Fürstenberg sah zuweilen sorgenvoll von den Tiegeln auf den König.

»Wenn Majestät nur auch die nötige Andacht aufbringt und die Seelenruhe! Besonders Seelenruhe ist gar nicht sein Fall; im gewöhnlichen nicht und in diesen Zeitläuften erst recht nicht! Gebe Gott, daß alles gut gehe!«

Und wiederum der König, der innerlich fieberte vor Ungeduld, sah Fürstenberg an und dachte: »Wenn nur Fürstenberg nicht alles vereitelt! Er ist ein zappeliger Mensch und hat jetzt, da er an meiner Stelle daheim regieren muß, den Kopf voll Sorgen!«

Zwei Stunden waren vergangen, – da öffnete der König in höchster Spannung den übergestürzten Tiegel. Erhitzt und mit begehrlichen Augen spähten die beiden Männer hinein.

»Fürstenberg …!«

»Majestät!«

Tiefes, entmutigtes Schweigen. Nicht das kleinste Goldklümpchen lag in der Retorte.

Fürstenberg war auf einen der großen Zornausbrüche gefaßt, die August jählings befielen, aber zu seinem Staunen blieb der König ganz ruhig, denn August fühlte, daß er nicht die rechte Gemütsverfassung gehabt hatte, gestand es auch freimütig ein, wie es in seiner Art lag. »Ja, Fürstenberg, so ist's! Aber auch Ihr sahet nicht danach aus, als ob Ihr nur an den Tiegel dächtet!«

Und als der Statthalter sich rechtfertigen wollte, winkte ihm August zu schweigen.

»Wir sind nun einmal keine Goldköche, lieber Fürstenberg! Vielleicht war es töricht, den Versuch eigenhändig zu machen! Wir wollen zu gelegener Zeit den jungen Menschen nach Warschau kommen lassen, da mag er dann selber tingieren, und er wird sicher mehr Glück haben als wir armseligen Pfuscher!«

Fritz wartete indessen in begreiflicher Spannung auf Nachrichten aus Warschau. Die Behauptung, daß zum Gelingen Seelenruhe und größte Andacht nötig seien, war ja wohl ein geschickt gewähltes Mittel, um alle Schuld des Mißlingens auf den König oder Fürstenberg abzuwälzen – aber es blieb doch fraglich, ob dies Mittel sich auch bewähren würde. Da kam wieder große Unruhe über ihn, und der Zwang der Gefangenschaft drückte ihn so schwer, daß er zuweilen meinte, irrsinnig zu werden. Wutanfälle packten ihn, wie er sie nie zuvor gehabt hatte, so daß er brüllte wie ein wildes Tier, mit dem Kopf gegen die Wand rannte, als ob er sich den Schädel einrennen wollte, und mit dem Gedanken an Selbstmord nicht nur spielte, sondern ihn ernstlich erwog.

Seine Haft war ja auch überaus peinvoll. O nicht, daß es ihm an etwas gemangelt hätte, aber das kostbarste Gut des Menschen – persönliche Freiheit – war und blieb ihm versagt, und vor diesem Verlust verschwand alles andere, schwand sogar der Glaube an sich selber, und nichts blieb als der ungestüme Wunsch: »Freiheit, Freiheit!«

Besonders schrecklich war ihm, daß er nicht eine Minute lang allein bleiben durste. Immerfort war er bewacht, bald von Nehmitz, bald von dem Diener, der ja nur nebenbei ein Diener, in der Hauptsache aber ein Aufpasser übler Sorte war, der meinte, sich durch allerlei Schikanen, mit denen er Fritz plagte, bei seinen Vorgesetzten Liebkind zu machen. Seit vielen Wochen war Fritz auch nicht mehr in die frische Luft gekommen, und nicht einmal in die Kirche ließ man ihn gehen, so groß war die Angst, daß er entfliehen oder von preußischen Spionen ausgekundschaftet werden könnte. Und doch war seine Sehnsucht nach dem Gottesdienst sehr groß, denn in seiner Seele war viel Reue und Wirrnis, die er gern einmal vor dem Angesicht des großen Richters ausgebreitet und dazu gesteht hätte: »Hilf mir, denn ich bin arm und verlassen, und komme ohne deine Hilfe nicht mehr aus dem Irrgarten heraus, in dem ich mich verlaufen habe! Ich war doch nicht schlecht von Anfang an, nur leichtfertig und eitel, und nun soll ich dafür so hart gestraft werden! Mein Gott, sage du mir, ob ich wirklich so schlecht bin, wie ich mir mitunter erscheine, oder ob mein Glauben an mich, der mir immer noch treu geblieben, Vermessenheit ist! Ich kenne mich nicht mehr aus in mir selber, und das ist beinahe das schlimmste von allem! Hilf mir oder sage meinem Vater, daß er mich wieder gütig ansehen möge, wie in der Zeit, da er noch lebte!«

So betete er wohl in seinem Innern, aber es wäre doch schön gewesen, wenn sein Gebet mit dem anderer Beter hätte emporsteigen dürfen, statt wie ein einsamer Wanderer allein den Weg zum Himmel suchen zu müssen.

Dann kehrte Fürstenberg aus Warschau zurück. Berichtete von dem Mißerfolg, tat es aber in ziemlich kleinlautem Tone, denn er schämte sich ein wenig, daß sie ihre Gedanken nicht besser in der Gewalt gehabt hatten.

Ihm gegenüber brach Fritz in bittere Klagen aus.

»Durchlaucht, es ist unmöglich, daß mein Leben so weitergehen soll! Ich muß Freiheit haben! Ich bin kein Tier, das man in einen Käsig sperren und beliebig Kunststücke machen lassen kann! Ich muß frische Luft und Bewegung haben, ich muß Menschen um mich sehen, nicht nur Gefängniswärter und Aufpasser! Und ich muß, wie jeder andere Christenmensch, am Sonntag zur Kirche gehen können! Das Leben, das ich jetzt führen muß, ertrage ich nicht länger, ohne verrückt zu werden!«

Tränen stürzten ihm aus den Augen, und feine Erregung war so groß, daß Fürstenberg Mitleid mit ihm empfand, obwohl er seit dem mißlungenen Versuch in Warschau ein wenig mißtrauisch geworden war. Er sagte: »Gut! Du sollst künftighin oder wenigstens für einige Zeit in meinem Hause bleiben und dich so frei bewegen, wie du willst.«

»Aber die Freiheit, die wirkliche Freiheit, – wann werde ich sie endlich wiedererlangen?« fragte Fritz bange.

Der Statthalter schien die Frage zu überhören und sing ein anderes Gespräch an.

Nicht nur aus Mitgefühl erschloß Fürstenberg Fritz sein Haus – er erwartete in eben diesen Tagen den Besuch seines alten Freundes Tschirnhaus und wollte von ihm gerne ein unbefangenes Urteil über den jungen Goldmacher hören. Da offenbarte er Fritz einen Plan, der diesem sehr gefiel und seiner Eitelkeit schmeichelte: Fritz sollte Tschirnhaus als ein Neffe Fürstenbergs vorgestellt werden, als ein wißbegieriger Neffe, der sich auf der Durchreise nach Wittenberg befand, allwo er studieren wollte.

»Du wirst also ›lieber Herr Oheim‹ zu mir sagen und dich auch sonst verwandtschaftlich benehmen. Umso unbefangener wird mein Freund mit dir plaudern, denn er wird sich gewiß gleich für dich interessieren, wenn er hört, daß du ein Studiosus bist! Er ist gerne mit den Jungen jung, wenn er gleich ihr Vater sein könnte. Mache mir also Ehre und verdirb mir den Spaß nicht!«

Fritz ärgerte sich im stillen über diese letzten Worte, denn er merkte wohl, daß der Statthalter fürchtete, er könnte am Ende der seinen Umgangsformen entbehren, die man von einem Neffen des Statthalters erwartete. Er dachte bei sich: »Warte nur, du hochmütige Durchlaucht, du sollst schon sehen, daß ich nicht umsonst Studiengenosse von Edelknaben gewesen bin.«

Am Abend wurde Fritz vor der Tafel dem Herrn von Tschirnhaus vorgestellt, der nur zu vorübergehendem Aufenthalt von seinem Gut Kießlingswalde in Dresden eingetroffen war. Fürstenberg erläuterte, daß sein Neffe Physik und Mathematik studieren wollte, und Tschirnhaus zog daraufhin Fritz gleich in ein längeres und sehr gründliches Gespräch. Wohlgefällig sah Fürstenberg auf die kleine Gruppe und hielt sich mit seinen anderen Gästen etwas abseits, um die beiden nicht zu stören.

Von dem Augenblick an, in dem Fürstenberg gesagt hatte: »Lieber Tschirnhaus, erlaube, daß ich dir meinen Neffen präsentiere, der als Studio nach Wittenberg zu gehen beabsichtigt!« hatte sich Fritz zu diesem Manne hingezogen gefühlt, der ihn seltsam an seinen verstorbenen Vater erinnerte. Es war dasselbe gütige und ernsthafte Gesicht, derselbe verinnerlichte Blick der blauen Augen, aber der Mund verriet, daß Tschirnhaus auch ein Mensch von Tatkraft war. Er hielt Fritz in der Tat für den Neffen des Statthalters und war erstaunt über die mannigfachen Kenntnisse Fritzens, die dieser besonders auf dem Gebiet der Alchimie offenbarte. Auch das ganze Wesen des jungen Menschen gefiel ihm gut, denn Fritz war zu gleicher Zeit bescheiden und dennoch sicher und gab sich, ohne daß er selber es wußte, so offenherzig, ließ Tschirnhaus so deutlich spüren, daß dieser schon jetzt sein Herz besaß, daß der ältere Mann sich zu dem Jüngling hingezogen fühlte und nach einer Weile dem Statthalter ins Ohr flüsterte: »An dem Jungen werdet ihr noch viele Freude erleben! Der wird einmal ein ganzer Mann in seinem Fach!«

Fürstenberg entgegnete: »Wenn du das sagst, muß es wahr sein! Du glaubst nicht, wie mich deine Worte erfreuen!«

Bei der Tafel saß Fritz auf Tschirnhaus' ausdrücklichen Wunsch neben diesem, und es belustigte ihn sehr, als Fürstenberg wie zufällig das Gespräch auf den Apothekerlehrling aus Berlin lenkte, von dem auch Tschirnhaus schon viel gehört hatte, und für den er sich, wie er sagte, lebhaft interessierte.

Fürstenberg warf scheinbar gleichgültig hin: »Ich denke, du glaubst nicht mehr an den Stein der Weisen!«

»Ich glaube an alles, was meine Augen sehen! Und wenn dieser kleine Apotheker wirklich Gold machen kann, will ich der erste sein, der ihn dazu beglückwünscht! Jedenfalls scheint er ein sehr begabter Bursche zu sein, nach allem, was ich bis jetzt über ihn gehört habe!«

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Ehrenfried Walther von Tschirnhaus.
Nach einem Kupferstich von Bernigeroth.
Aus dem Neuen Lausitzischen Magazin, Band 88 (1912).

Fürstenberg verbiß das Lachen, zwinkerte Fritz verstohlen zu und erhob sein Glas: »Da wollen wir doch 'mal auf seine Gesundheit trinken!«

Fritz saß puterrot, kämpfte zwischen Lachen und Verlegenheit, die sich noch steigerte, als Tschirnhaus mit ihm anstieß und dazu sagte: »Ich habe mich sehr gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen – nun hoffe ich aber auch, daß mein Freund Fürstenberg mich demnächst mit dem fabelhaften Apotheker bekannt macht!«

Aus dem allgemeinen Gelächter, in das auch Fritz mit einstimmen mußte, merkte er dann, daß sein Wunsch schon erfüllt war, und seine Freude darüber äußerte er in lebhaften Worten. Lange hielt er beim Abschied Fritzens Hand in der seinen: »Glück auf den Weg, junger Mann, ich werde Sie nicht mehr aus den Augen verlieren! Denn ein rätselhaftes Gefühl sagt mir, daß unsere Wege sich noch einmal begegnen werden. Wie es sein wird, ist noch im Dunkel verborgen, aber mir ist's, als könnte ich Ihnen weissagen, daß Sie zu Großem berufen sind!« Tief sah er ihm jetzt in die Augen. »Sie sind begabt, Sie haben vielleicht eine glänzende Zukunft vor sich, – lassen Sie sich nicht verblenden, wie so viele! Bleiben Sie ein ehrlicher Mensch!«

Fritz stand betroffen. Was hatten die Worte Tschirnhaus' zu bedeuten? Und waren es nicht fast die gleichen, die sein Vater stets mahnend gesprochen hatte? Einen Augenblick lang war ein ungestümer Drang ihn ihm, sich diesem Manne ganz zu erschließen, – aber der Augenblick ging vorüber, und Fritz begnügte sich damit, ehrfürchtig die Hand zu küssen, die Tschirnhaus ihm reichte und deren feines Aderngeäst wiederum an die des Vaters erinnerte.

Als Fürstenberg mit Fritz wieder allein war, legte er ihm wohlwollend die Hand auf die Schulter. »Nun da mein Freund Tschirnhaus so großes Vertrauen zu dir hat, sollst du auch den Tag erfahren, den der König für deine Freilassung festgesetzt hat …« Atemlos stand Fritz, wollte fragen: »Wann?« und brachte doch vor Spannung kein Wort heraus.

Fürstenberg sagte freundlich, denn nach seiner Meinung gab er gute Kunde: »Du bist an dem Tage frei, an dem du dem König die erste Unze Gold übersendest!«

Fritz war einer Ohnmacht nahe. Dieser Tag konnte allerdings, wenn ein Wunder geschah, schon morgen anbrechen, konnte aber ebenso gut der Sankt Nimmermehrstag sein.

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