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1.
Das Geheimnis der eisernen Türe

Frau Marie Böttger, die schöne Frau des gräflich reußischen Münzkassierers Böttger, geleitete ihre Base, die verwitwete Frau Adelgunde Willich, bis zur Gartentüre, dankte ihr dort für die Ehre, die sie ihr mit diesem Besuch erwiesen hatte. Frau Adelgunde nahm diese Danksagung wie einen schuldigen Tribut entgegen, denn sie war seit mehr als dreißig Jahren Leinwandmeisterin im Schloß, bei Ihrer gräflichen Gnaden, der regierenden Gräfin Reuß, genoß allda kraft ihrer Treue und langjährigen Dienstzeit eine Art Vertrauensstellung, und die Gräfin sagte nie anders zu ihr als: »Meine liebe, alte Willich!« Frau Adelgunde betrachtete sich also nicht nur als unentbehrlich, sondern beinahe so, als ob sie zur gräflichen Familie gehörte und erachtete es daher als natürlich, daß ihr Schwesterkind sich's zur Ehre rechnete, wenn die Frau Leinwandmeisterin das Böttgersche Haus ab und zu mit einem Besuch beglückte. Ein Münzkassierer war zwar auch eine angesehene Persönlichkeit, konnte aber doch, so meinte wenigstens die Frau Leinwandmeisterin, den Vergleich mit ihr nicht aushalten, die seit dreißig Jahren im Schlosse waltete und zu der die Gräfin: »Meine liebe, alte Willich« sagte.

Sie reichte Frau Marie zum Abschied huldvoll die Hand.

»Es hat mich gefreut, dich wieder einmal zu sehen, liebe Marie, denn es ist immer hübsch und gemütlich bei dir! Auch deinen Mann mag ich gerne leiden, obgleich ich ihn kaum je zu Gesicht bekomme. Ja, ja, ich weiß, er ist immer sehr beschäftigt! Aber dein Junge –, wo steckt denn nur dein Junge? Ein zehnjähriger Bengel wie dein Fritz Fritz Böttger wurde am 4. Februar 1682 in Schleiz geboren. Er starb am 13. März 1719 in Meißen. ist doch nicht so in Anspruch genommen, daß er nicht ›guten Tag‹ sagen könnte!«

Frau Marie sah sich verzweifelt nach Fritz um, aber vergebens! Er konnte die Frau Leinwandmeisterin mit ihrem Hochmut, ihrer Selbstgefälligkeit und ihren ewigen Ermahnungen nicht leiden und verstand es meisterhaft, sich unsichtbar zu machen, sobald er sie in der Ferne auftauchen sah. Frau Marie stammelte etliche Entschuldigungen zugunsten ihres Sprößlings. Frau Adelgunde nickte huldvoll und meinte: »Gib auf den Jungen acht, Marie, denn mir scheint, daß er allerlei abenteuerliche Ideen im Kopfe trägt! Er kommt mir für sein Alter zu versponnen vor, und er fabelt allerlei Zeug zusammen, von dem man gleich merkt, daß er es erfunden hat!«

Frau Marie meinte entschuldigend, daß Fritz eben eine sehr rege Einbildungskraft habe, aber allzu überzeugend klangen ihre Worte nicht, denn ihr fiel ein, daß auch ihr Mann es Fritz oft verwies, wenn der Junge allerhand phantastische Geschichten erzählte, die er erlebt haben wollte. Ihr Gesicht wurde, als ihr dies einfiel, ein wenig trübe, so daß die Leinwandmeisterin begütigend sagte: »Nun, gar so schlimm habe ich es nicht gemeint! Fritz wird wohl etwas Tüchtiges werden, denn er ist begabt, hat ein gutes Herz, und da kann es ihm im Leben nicht fehlen! Ist er denn in der Schule immer noch so brav?«

Frau Marie war glücklich, zum Lobe des Sohnes sprechen zu können. »Er ist immer der Erste in seiner Klasse. Der Herr Lehrer meint, daß er einmal ein gelehrter Herr Doktor oder ein ausgezeichneter Apotheker werden wird, weil er sich so gut auf alle Metalle versteht und so viel Freude und Geschick zu allerlei Mixturen hat! Er selber möchte auch gerne Apotheker werden, weil er da den ganzen Tag mischen und Rezepte ausprobieren könnte!«

Die Leinwandmeisterin schüttelte den Kopf.

»Merkwürdig, daß ein wilder Junge – denn das ist er trotz aller Versonnenheit! – an solch stiller Beschäftigung Freude hat! Doch das kann sich noch ändern! Jedenfalls aber gib acht auf ihn! Bringe ihn aber morgen aufs Schloß mit und sei pünktlich! Punkt drei mußt du da sein, denn um diese Zeit fährt gräfliche Gnaden aus, und dann habe ich Zeit, euch die Pracht zu zeigen. So etwas hast du dein Lebtag nicht gesehen! Gräfliche Gnaden hatten ja immer schon herrliches Porzellan, aber so etwas wie das neue Service war noch nicht da! Porzellan, echtes, feines Porzellan, wie kein Kaiser es schöner haben könnte! Tassen, so fein wie ein Blumenblatt und ganz durchsichtig! Und gemalte Teller –, nein, man kann sie nicht beschreiben, man muß sie sehen! Und alles kommt direkt aus dem Chineserland, weißt du, aus dem komischen Land, in dem auch die Männer einen langen Zopf tragen, und wo sie um das ganze Land herum eine große Mauer gebaut haben, damit niemand hinein kann, der nicht hinein gehört!«

Frau Marie staunte über das tiefe Wissen ihrer Base und mehr noch über all das, was sie von dem neuen Porzellanservice erzählte. Denn man schrieb das Jahr 1692, und Porzellan war damals in Europa eine Seltenheit und kostbarer als Silber, denn Silber wurde auch in deutschen Bergwerken gegraben, wie aber Porzellan hergestellt wurde, wußte kein Mensch. Es kam aus China und Japan und war so teuer, daß nur Fürsten es kaufen konnten; in bürgerlichen Häusern, auch wenn sie begütert waren, aß man von Zinn, Holz, oder mußte mit Steingeschirr vorlieb nehmen, das wenig schön aussah und leicht zerbrach, weil es eben die Härte von Porzellan nicht besaß.

Frau Marie sann einen Augenblick nach, wie das wohl sein müßte, wenn auch sie täglich von solch weißem Wundergebilde speisen dürfte, aber der Gedanke schien so vermessen und absonderlich, daß sie im stillen über sich selber lachen mußte.

»Ich werde ganz pünktlich sein!« sagte sie, »es interessiert mich doch natürlich, etwas so Seltenes zu sehen, was unsereins kaum je zu Gesicht bekommt! Und den Fritz bringe ich gerne mit, Frau Base, wenn Sie es erlauben. Es kann nicht schaden, wenn auch die Kinder erfahren, was es alles auf der Welt gibt, wovon unsereins sich nichts träumen läßt.«

Als die Leinwandmeisterin gegangen war, wurde Fritz mit einem Male sichtbar. Wo er sich bis jetzt versteckt gehalten hatte, war nicht zu ergründen, aber jetzt lag er lang und behaglich ausgestreckt auf der großen Wiese, die zu dem Garten des Münzkassierers gehörte, und die mit Arnika, Margeriten, Lichtnelken und Klee so dicht übersprenkelt war, daß es aussah, als ob Fritz in einem buntgewürfelten Bauernbett läge.

Die Mutter fragte erstaunt und ein wenig vorwurfsvoll: »Fritz, wo warst du denn?«

Er lachte und entgegnete: »Mutter, ich war im Zauberlande! Ich habe eine Tarnkappe aufgehabt, die mich unsichtbar gemacht hat!«

»Rede doch nicht solchen Unsinn! Du hättest da sein sollen und der Frau Base die Hand küssen! Sie erkundigt sich immer so freundlich nach dir, und morgen darfst du mit mir ins Schloß und das neue Porzellanservice sehen, das die Frau Gräfin bekommen hat!«

Fritz schwieg. Das neue Porzellanservice interessierte ihn blutwenig, aber die Kinder jener Zeit durften ihren Eltern niemals widersprechen, und darum konnte Fritz auch der Mutter nicht sagen, daß es hier im Hause etwas gab, was ihn viel mehr gelockt hätte, als das feinste Porzellan des Kaisers von China. Das Turmgemach in dem Winkel unter dem Dach, die kleine Eisentüre, die sein Vater stets sorgfältig verschlossen hielt – ja, wenn ihm Vater einmal gestattet hätte, in dies geheimnisvolle Turmgemach zu gucken, das wäre etwas gewesen! Aber ein Porzellanservice – Fritz begriff gar nicht, wie seine Mutter davon Aufhebens machen konnte! … Die kleine Eisentüre aber und was sich hinter ihr bergen mochte – das ließ ihn nicht mehr los, darüber mußte er immer wieder nachdenken, wie er schon seit Wochen in jedem freien Augenblick darüber nachsann.

Er hatte die Arme unter dem Kopf gekreuzt, die Beine etwas gegen die Brust gezogen und grub vergnügt mit den Absätzen seiner Schuhe im weichen Rasen.

Die Mutter, die eben einen Salatkopf in der Hand wog, schönen, rotgefleckten Forellensalat, wie ihn ihr Mann gern zum Abendbrot aß, sah Fritzens unerfreuliche Tätigkeit und rief ihm zu: »Fritz, höre auf, denn du bist doch kein Teckel, der Mäuse graben muß! Und deine Jacke wird auch wieder voll Grasflecken sein, wenn du dich so fest in den Rasen hineinbohrst!«

Fritz aber hörte sie nicht, denn er war schon wieder in seine Träumereien versponnen, die immerfort um das Turmgemach mit der fest verschlossenen kleinen Eisentüre kreisten.

Dieses Turmgemach hatte sich natürlich von jeher dort befunden, aber so lange Fritz klein gewesen, war es ihm niemals aufgefallen. Nun aber, da er schon ein großer Junge wurde, nun merkte er, daß sein Vater jede Stunde, die ihm sein Amt ließ, in diesem Gemach zubrachte, ja, daß er ganze Nächte dort verweilte und an irgend einem geheimnisvollen Werke schaffte. An den Morgen nach solchen Nächten kam er bleich, mit geröteten Augenlidern und überwachten Zügen zum Frühstück, und seine Frau sah ihn dann immer mitleidig und besorgt an und hatte stets etwas Besonderes als Beigabe zu der bescheidenen Morgensuppe bereitgestellt: eingeschlagene Eier oder gebratenen Speck oder ein Brot mit fettem Käse. Er aß es, ohne zu merken, daß ein Leckerbissen vor ihm stand, war noch ganz versunken in das geheimnisvolle Werk, das ihm nicht nur seine Nachtruhe, sondern allmählich auch seine Gesundheit raubte.

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Die alte Münze auf dem Neumarkt in Schleiz, vermutlich das Geburtshaus Fritz Böttgers.

Fritz, der mit ehrfürchtiger und ungestümer Liebe an seinem Vater hing, sah wie dessen Gesicht immer blasser wurde, wie die Adern an seinen feinen Händen immer stärker hervortraten und auch Frau Marie sah es voll Sorge, wagte aber nichts zu sagen, denn sie wußte, daß der Mann nicht von seinem Werke lassen würde, dem er sein Leben geweiht hatte.

Während Fritz noch eingewiegt in seine Träumereien und stummen Fragen lag, rief ihn plötzlich, über Nachbars Zaun weg, eine laute Knabenstimme an: »Fritz, hast du deine Aufgaben für morgen schon gemacht?«

Es war Peter Schnorr, des Stadtschreibers Sohn und Fritzens liebster Spielkamerad, obwohl er und Peter in jeder Hinsicht grundverschieden voneinander waren. Fritz war lang und schlank, von feinem Gliederbau, hatte wie seine Mutter, Augen, die so blau waren, daß man hätte meinen können, der Himmel spiegele sich in ihnen, und das blonde Haar fiel weich in die Stirne. Über der Nase standen schon jetzt zwei Linien, die späterhin eine Grüblerfalte geben würden.

Peter dagegen war klein, gedrungen, mit dunklen Augen und dunklen Haaren, die sich gerne, hauptsächlich wenn's ums Lernen ging, zu einem struppigen Schopfe bäumten, der wie in gelinder Verzweiflung dastand, als wolle er kund tun, daß Peter in allen Dingen der Wissenschaft kläglich abschnitt, sofern ihm Fritz nicht bei den Aufgaben half. Dafür aber hatte Peter praktischen Sinn, verstand sich auf die Nützlichkeit der Dinge, besonders auf ihre Nützlichkeit für ihn.

Der Stadtschreiber hätte es freilich gern gesehen, wenn sein Sohn Anlage zu einer Leuchte der Wissenschaft gehabt hätte, gab sich aber schließlich zufrieden. Denn erstens konnte er seinen Peter nicht ändern, und zweitens war es vielleicht ganz gut, daß Peter war wie er war, denn er hatte in Sachsen einen Erbonkel, einen reichen Grubenbesitzer, und in Anbetracht dieser zu erwartenden Erbschaft mochte es nicht schaden, wenn der Junge kaufmännisches Talent besaß. Im Augenblick freilich, da der künftige Grubenbesitzer seine Aufgaben für morgen machen sollte, bot er ein ziemlich klägliches Bild, und Fritz, der die ständigen Schmerzen seines Kameraden wohl kannte, rief gutmütig und ein wenig begönnernd: »Komm nur herüber, ich helfe dir!«

Peter kam, brachte Bücher und Tafel mit, ließ sich erklären, stotterte, begriff nicht, sagte: »Schrecklich schwer!« und sah mit Vergnügen, wie Fritz spielend leicht mit dem Aufsatz fertig wurde. Die Rechnungen dagegen machte er ganz allein, denn er war ein vorzüglicher Rechner und in der Kunst Adam Rieses Fritz überlegen.

Eine Stunde später waren sie schon in eine lustige Rauferei verwickelt, bei der Peter seinen Mann stellte, und dann legten sie sich lang ins Gras und schwiegen eine Weile. Peter, der dies Schweigen bald langweilig fand, frug: »Du machst ein so spassiges Gesicht! An was denkst du?«

»Ich denke an etwas, was ich nicht weiß und doch fürs Leben gerne wissen möchte!«

Peter lachte lärmend und meinte: »Du mußt doch alles wissen können! Hast ja selber oft gesagt, daß du ein Sonntagskind bist, und die können sogar in die Zukunft sehen!«

»Bah, das verstehst du nicht!«

»Also bist du gar kein Sonntagskind!«

»Natürlich bin ich eines, aber trotzdem –«

Er wollte wieder in seine Träumereien zurücksinken, aber da kam ihm ein Gedanke, der ihn belustigte. Er wollte Peter, der sehr leichtgläubig war, wieder einmal, wie schon oft, einen Bären aufbinden. Er begann also eine gruselige Gespenstergeschichte zu erzählen, die er angeblich selber erlebt hatte, und bei deren Worten Peters Haarschopf sich in Grauen sträubte.

»Hör' auf!« rief er ein übers andere Mal, »ich getraue mich ja nicht mehr allein in ein dunkles Zimmer zu gehen!«

Aber Fritz, der keine Furcht kannte, lachte über Peters Zaghaftigkeit, fabelte lustig weiter, bis eine hohe, schlanke Männergestalt vor den Knaben stand und eine ihm wohlbekannte Stimme verweisend rief: »Fritz!«

Der Münzkassierer war von seinem Amt nach Hause gekommen und sah jetzt ernst auf seinen Sohn, freundlich auf Peters erschrockenes Gesicht unter dem gesträubten Haarschopf.

»Was hat er dir denn wieder vorgelogen?«

Peter erwiderte ängstlich: »Ach nein, er hat gar nicht gelogen, er hat mir nur eine schreckliche Geschichte erzählt, die er selbst erlebt hat!«

»Glaube ihm doch nicht! Gar nichts hat er selber erlebt, als daß ich wieder einmal das Rohrstöckchen zur Hand nehmen muß, um ihm seine Lügengeschichten abzugewöhnen!«

Peter sah bei diesen begütigenden Worten etwas weniger verängstigt aus und faßte sogar im stillen den heldenhaften Entschluß, heute abend doch noch allein in ein dunkles Zimmer zu gehen. Er sagte ›gute Nacht‹ und lief nach Hause, während Fritz etwas betreten seinem Vater ins Haus folgte, wo schon die Mutter mit der Abendmahlzeit wartete. Der Münzkassierer war müde und schweigsam, wie immer, wenn er von seinem Amte kam, und Frau Marie sah ihn wieder voll sorgender Liebe an. Unvermittelt sagte er während des Essens: »Merke dir, Fritz, wer lügt, betrügt, und wer betrügt, kommt an den Galgen!«

Fritz erwiderte kleinlaut: »Vater, ich habe doch nur ein klein wenig geflunkert, weil Peter so dumm ist und alles glaubt!«

»Ein ehrlicher Mensch mißbraucht die Gutgläubigkeit eines anderen nicht! Ich wiederhole dir: wer lügt, betrügt, und wer betrügt kommt an den Galgen!«

Als die Mahlzeit beendet war, saß der Vater noch ein Weilchen bei seiner Frau und ließ sich berichten, was der Tag gebracht hatte. Sie merkte aber wohl, daß er ihr nur mit halbem Ohre zuhörte. Er zog sich auch bald in das geheimnisvolle Turmgemach zurück, und Fritz, dessen Kammer unter diesem Gemach lag, hörte ihn noch lange hin und her gehen, hörte auch noch andere seltsame Geräusche, die seine Neugier reizten. In dieser Nacht keimte in ihm ein Plan, der, wenn er gelang, ihm Eintritt in das verriegelte Gemach gewähren würde …

Fritzens Geburtstag nahte heran. Da er, abgesehen von gelegentlichen Lügereien, seinen Eltern nur Freude gemacht hatte, fragte ihn sein Vater: »Was wünschest du dir zu deinem Geburtstag? Sei nicht unbescheiden, aber sage, was dir Freude machen würde!«

Fritz holte tief Atem. Jetzt kam der große Augenblick, den er sich in jener Nacht ausgedacht hatte. Bislang hatte er nie gewagt, den Vater nach dem geheimnisvollen Gemach zu fragen, denn als er einmal bei der Mutter schüchtern anklopfen wollte, war sie, die sonst so Gütige, streng geworden und hatte ihm ein für allemal verboten, solche Fragen zu tun.

»Das geht dich nichts an! Kinder haben nicht nachzufragen, was ihre Eltern tun! Merke dir's und frage Vater nie! Du bist zu jung und dumm, um das zu verstehen!« Heute aber durfte er sich vom Vater etwas wünschen und darum sagte er stockend: »Ich … ich … wünsche mir … daß … daß … ich … ich …«

Der Vater lächelte. Es gefiel ihm, daß sein Knabe zaghaft im Wünschen war.

»Also heraus mit der Sprache! Es wird ja wohl nicht gerade das gräfliche Schloß sein, das du auf deinem Geburtstagstisch haben möchtest!«

»Nein! Aber wenn ich mir etwas wünschen darf, dann möchte ich ein Mal, ein einziges Mal, in das verriegelte Turmgemach gehen dürfen!«

Der Münzkassierer schwieg. Er sah seinen Knaben an und erkannte, daß in dessen Gesicht eine große Sehnsucht stand, seiner eigenen ähnlich, die ihn zwang, sein Leben dem Werke zu opfern, das sich in dem Turmgemach barg. Eine leise Rührung fiel ihn an und er dachte im stillen: »Er ist ja ein Sonntagskind! Vielleicht darf er einst das Werk zur Vollendung führen, wenn der Herrgott mich frühzeitig abrufen sollte!« Laut aber sagte er: »Gut, Fritz, dein Wunsch soll erfüllt werden! Schon heute abend sollst du mit mir in meine Werkstatt gehen!«

In fieberischer Ungeduld erwartete Fritz den Abend. Als er dann vor der eisernen Türe stand und sein Vater den Schlüssel ins Schloß steckte, hatte er solches Herzklopfen, daß er kaum atmen konnte … Dann flog die Türe auf …

Ein kleines, gewölbtes Gemach war es, das bei Tage nur von einem schmalen Fenster, dessen Scheiben in Blei gefaßt waren, spärliches Licht erhielt. Jetzt brannte hoch oben an der Decke eine Ampel und beleuchtete alle Gegenstände mit gespenstischem, rötlichem Schein. Mit großen Augen sah sich Fritz um. In der Mitte des Gemachs stand ein kleiner Herd, in dem der Münzkassierer alsbald ein Feuer entzündete, das mit seltsamem Knistern brannte. Er rückte Schmelztiegel zurecht, warf Bleistücke hinein, die er mit absonderlichen Namen nannte, und die er von Borden nahm, die rundum an den Wänden entlang liefen und mit allerlei Flaschen, Phiolen und Dosen dicht bestanden waren. Alles war so seltsam, daß Fritz sich wie in einem Traum vorkam. Er meinte auch nie zuvor ein solches Gesicht an seinem Vater gesehen zu haben. Tiefer, feierlicher Ernst lag darauf und feierlich klang, was er jetzt dem Sohne enthüllte.

Der Münzkassierer war, wie viele jener Zeit, ein Alchimist, das heißt, ein Mann mit mannigfachen chemischen Kenntnissen, der sich aber in dem Irrglauben befand, daß man Metalle wiederum in andere Metalle verwandeln, also etwa aus Blei Gold machen könne. Alle diese Alchimisten suchten den sogenannten »Stein der Weisen«, nämlich eine Tinktur oder ein Pulver, das »tingieren«, also aus unedlem Metall Gold herzaubern sollte … »Arkanum« nannten sie ihre Mischungen und Lösungen, und dem Wunderarkanum forschte der Münzkassierer seit Jahren nach und war entschlossen, bei seinen Schmelztiegeln auszuharren, bis er es gefunden hatte oder bis der Tod ihn abrief.

Fritz lauschte, und als er verstanden hatte, jubelte er und rief: »Vater, wenn du Gold machen kannst, dann sind wir ja die reichsten Leute auf der ganzen Welt! Dann kannst du wirklich das Schloß kaufen, und die Mutter kann alle Tage in Seide gehen, wie die Frau Gräfin, und du kannst ins Münzamt reiten, als wärest du der Herr Graf!«

Sein Vater aber verwies ihm solch törichte Reden. Feierlicher noch als vorhin klang seine Stimme: »Einfältiger Knabe, meinst du, daß ich um solch eigennütziger Wünsche willen in das große Geheimnis der Natur eindringen will? Nein, wer es finden will, muß reinen Herzens sein, darf nicht an sein eigenes Glück denken, sondern nur, wie er durch sein Werk die Welt erlöst! Wenn Gott mein Werk segnet, wenn es mir gelingt, Gold zu machen, dann hat alle Not der Menschen ein Ende! Dann gibt es keinen Hungrigen mehr, keinen Bettler, dann hat jeder Mensch, was er wünschen mag. Aber dies merke wohl: ohne ein reines Herz gelingt es nimmermehr! Schon viele haben es versucht, aber sie scheiterten, weil nur Selbstsucht sie trieb, oder Eitelkeit! Noch andere haben versucht, die Welt durch Gaunerstückchen zu täuschen und der Galgen war ihr Lohn! Verstehst du jetzt, warum ich bei der kleinsten Lüge so streng gegen dich war? Ich war es, weil ich wußte, daß du eines Tages hier eintreten würdest, und wenn ich sterben sollte, ehe ich das Werk vollenden darf, dann sollst du mein Erbe sein und weiterführen, was ich als Stückwerk lassen muß. Dazu aber muß dein Herz rein sein. Nicht der kleinste Makel darf dir anhaften. Keine Lüge darf dich locken, keine prahlerische Eitelkeit dich verführen! Selbstlos und wahrhaftig mußt du sein, dann wird Gott dir das Gelingen wohl bescheren, das er mir vielleicht versagt, denn nicht umsonst ließ er dich an einem Sonntag zur Welt kommen!«

Fritz stand erschüttert und war unfähig, ein Wort zu stammeln. In stummer Ehrfurcht küßte er die Hand seines Vaters und gelobte immer so zu sein, wie er für das Werk sein mußte, das sein kostbares Erbe sein sollte … –

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