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4.
Ein seltsamer Kunde

Das Zornsche Haus, am Molkenmarkt gelegen, war ein altes und weitläufiges Gebäude, das sich schon seit Generationen in der Familie vererbt hatte. Zu ebener Erde lag die Apotheke, eine der ältesten Berlins, deren Ladenklingel kaum je stillstand, denn der Ruf dieser Apotheke war der beste, und man wußte auch, daß ihr Besitzer ein guter Mann war, dem es nicht darauf ankam, den armen Leuten ihre Tränklein, oder was sie sonst an Heilmittel benötigten, nur für Gotteslohn zu geben und vielleicht sogar noch einen Groschen dazuzulegen. Im ersten Stockwerk wohnte das Ehepaar Zorn mit seiner zahlreichen Familie, im zweiten das Gesinde, die Angestellten der Apotheke, und daneben befanden sich noch eine Anzahl verschlossener Gemächer, die als Fremdenzimmer benutzt wurden, wenn die verheirateten Kinder der Zorns zu Besuch kamen. Unter dem Dach dehnten sich weite Speicherräume, angefüllt mit dem Krimskrams vieler Geschlechter, denn jedes hatte dorthin verräumt, was ihm überflüssig erschienen war, und was es doch nicht für immer von sich geben wollte. Wer da gestöbert hätte, würde gewiß allerlei seltsame Dinge gefunden haben, und wer an Spuk glaubte, wie etwa Peter Schnorr, der hätte sich vor den finsteren Winkeln und den gewundenen Gängen dieser Speicher weidlich fürchten können. Hinter festen Türen gab es auch allerlei Schlupfwinkel, in denen frühere Generationen wohl bei Kriegsnöten ihre Kostbarkeiten oder auch sich selber versteckt hatten, aber nun lag das Land schon lange in tiefem Frieden. Die Schlupfwinkel standen leer und ihre Türen kreischten in den Angeln, wenn man sie öffnen wollte, soferne das Schloß sie nicht eigensinnig festhielt, als wollte es sagen: »Es ist keine Gefahr im Verzug, also bleibe nur ruhig zu!«

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Der Molkenmarkt in Berlin mit der Zornschen Apotheke(X)
Ausschnitt aus dem Plan der Stadt Berlin von Bernhard Schultz aus dem Jahre 1688.

Dafür lag im weiten Keller, in Fässern und Tonnen aufgestapelt, was eines Chemikers Herz entzücken mochte, und als Fritz ihn zum ersten Male betrat, war er so benommen, daß er ihn am liebsten gar nicht mehr verlassen hätte. Der Apotheker freute sich über das Interesse seines Lehrlings, das vorteilhaft abstach von dem einfältigen Gesicht, das neueingetretene Lehrlinge zu machen pflegten, und seine Freude wuchs, als er sah, wie geschickt sich der junge Böttger auch im Laden anstellte, und wie alles leicht von seiner Hand ging, weil er es mit Lust tat.

Fritz kam sich vor, als wäre er in den siebenten Himmel versetzt worden. Keine Lernstunden beim strengen Stiefvater mehr, keine Strafen, keinen Zwang, dafür aber ein Arbeiten im Laboratorium der Apotheke, ein köstliches Mischen und Mischungen versuchen, und wenn das getan war, das nicht minder anziehende Leben im Laden! Die Gehilfen – er war der einzige Lehrling – begriffen gar nicht, warum der Neuling nicht ebenso wie sie maulte über die viele Arbeit und über die Kunden, die, wie sie sagten, teils patzig waren, teils die Herrn Gehilfen durch allzu große Redseligkeit von ihren verantwortungsvollen Geschäften abzogen. Fritz aber war immerfort vergnügt und bereit, Rede und Antwort zu stehen. Er war freundlich mit den Kindern, die um ein paar Pfennige Ahornzucker verlangten, beteuerte dem alten Mütterchen, das sich Baldriantropfen holte, daß es darauf schlafen werde wie nie zuvor, hielt mit ehrfürchtigem Gesicht das lateinisch geschriebene Rezept eines vielbeschäftigten Medikus in der Hand und hörte geduldig, ohne deswegen etwas zu versäumen, die Krankheitsberichte von Leuten, die gar nicht krank waren.

So konnte es nicht fehlen, daß Herr Zorn den neuen Lehrling schnell lieb gewann, zudem er ihm ja von Tiemanns Berliner Freund besonders empfohlen worden war. Er merkte, daß dieser Junge aus anderem, feinerem Holze geschnitzt war, als seine übrigen Leute, und darum räumte er ihm, soweit es möglich war, eine Vorzugsstellung ein. Er duldete nicht, daß Fritz in der Kammer der Gehilfen schlief, denn er dachte, daß der Fünfzehnjährige da wohl allerlei hören könnte, was nicht für seine Ohren taugte, und Fritz war darüber froh, denn er trug ja auf der Brust das Beutelchen mit den Goldstücken, und wenn er auch keinem der Gehilfen mißtraute, so schien es ihm doch besser, daß um dies Beutelchen keiner wisse. Und da er nun wieder ein kleines Geheimnis hatte, war er stolz und froh, lächelte eitel, wenn die Gehilfen ihn gutmütig verspotteten, daß er wohl ein verwunschener Prinz sei, weil er ein Kämmerchen für sich allein haben müsse.

Wenn Meister Zorn solche Worte hörte, sagte er wohl: »Ein Prinz ist er nicht, aber trotzdem könntet ihr, faule Schlingel, euch an ihm ein Beispiel nehmen! Ihr lauft am Sonntag auf den Tanzboden oder in die Jahrmarktsbuden; der junge Böttger aber kennt auch am Sonntag nichts als Arbeit. Für euch ist Arbeit ein Muß, für ihn ist sie eine Erholung!«

Mit dieser Behauptung hatte Zorn ganz recht. Fritz kannte nichts Schöneres, als jede Freistunde im Laboratorium der Apotheke zuzubringen oder im Keller die Fässer mit Quecksilber und Arsenik umzupacken. Und wie er so mit all den Schmelztiegeln und Ingredienzien hantierte, die ihm von früher so wohlvertraut waren, da fiel ihn eine große Sehnsucht an, sich wieder einmal in der oft versuchten Kunst des Goldmachens zu erproben. Aber wo sollte er die Metalle und Mischungen hernehmen, die zur Bereitung der Arkane nötig waren?! Es wäre freilich ein leichtes gewesen, sie aus den Vorräten der Apotheke zu entwenden, ohne daß einer es bemerkt hätte, aber Fritz war ein ehrlicher Bursche, und der Gedanke, seinen Brotherrn zu bestehlen, der so gütig gegen ihn war, kam ihm nicht eine Minute lang in den Sinn. Aber schade war es, jammerschade, daß man hier so dicht an der Quelle, nicht von ihr schöpfen und nie mehr versuchen durfte, was einst, als Vater noch lebte, so wunderschön gewesen war. Er barg den Kopf in den Händen und weinte vor Sehnsucht nach seinem Vater und nach den Stunden in der Goldküche.

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Inneres einer Apotheke um 1720.
(Die Sternapotheke in Nürnberg.)
Nach einem gleichzeitigen Kupferstich.

Eines Tages, als Fritz in der Apotheke eifrig Kunden bediente, trat ein seltsamer Mann ein, der ein wenig Honig sowie ein Gläschen Likör begehrte. Er hatte einen großen weißen Bart, trug einen weiten, polnischen Rock mit einer scharlachfarbenen Schärpe gegürtet, und auf dem Haupte eine ungarische Mütze. In der Hand hielt er einen langen Stock nach Art der Pilgerstäbe. Im ersten Augenblick meinte Fritz nicht anders, als daß der ewige Jude in den Laden gekommen sei, aber die Kunden rundum schienen den Fremdling zu kennen, und die Gehilfen sahen ein wenig geringschätzig auf ihn, weil er zwar öfters kam, aber immer nur für Pfennigbeträge einkaufte. Es hieß, daß er ein griechischer Mönch sei, der für die in türkischer Sklaverei schmachtenden Christen milde Gaben sammle, und dies Amt hätte ihm die Ehrfurcht der Menschen sichern sollen, aber es war wenig davon zu spüren, denn die einen gafften ihn ob seines Anzugs blöde an, und die anderen sahen in ihm nur den Pfennigkunden.

Fritz mit seinem Sinn für alles, was außergewöhnlich war und ans Wunderbare streifte, fühlte sich gleich zu dem Fremdling hingezogen, und darum und mehr noch, weil jener alt und gebrechlich schien, bediente er ihn so eifrig und ehrfurchtsvoll, als legte der Bettelmönch statt Scheidemünze Goldstücke auf den Ladentisch. Der Mönch sah ihn aus dunklen, rätselvollen Augen lange an, kam am nächsten Tage wieder, kaufte wie gestern, und Fritz bediente ihn mit demselben Eifer. Dies wiederholte sich mehrere Tage lang, so daß die Gehilfen Fritz mit seinem absonderlichen Freunde zu necken begannen. Der eine, Grupelius, ein lustiger Bursche, meinte: »Nimm dich nur in acht! Der Mönch ist vielleicht gar kein Mönch, sondern ein heimlicher Türke, der dich verschleppen und als Sschlaven verkaufen will!«

Der andere, namens Schrader, belehrte aber seinen Kameraden: »Erstens heißt es nicht Sschlaven, sondern Sklaven, und zweitens ist der angebliche Mönch vielleicht ein heimlicher Pascha, der Fritze an Kindesstatt annehmen und ihm ein paar Roßschweife verleihen will!«

Und dann lachten sie unbändig über ihre eigenen Witze, die ihnen ausgezeichnet vorkamen.

Als der Fremdling wieder einmal ein wenig Honig einkaufte und die Gehilfen vollauf mit anderen Kunden zu tun hatten, beugte sich der Mönch dicht zu Fritz hin und fragte ihn leise mit einer verschleierten Stimme, die das Deutsche mit fremdem Akzent sprach: »Möchtest du wohl über hundert Jahre alt werden?«

Fritz sah ihn erstaunt an und erwiderte: »Das möchte wohl jeder!«

»So komme einmal zu mir in meine Behausung; ich gebe dir das Rezept, das ich von einem wundertätigen Manne aus Indien erhielt, der selber über tausend Jahre alt war!«

Fritz stand wie im Traum. Er hatte gerade noch Fassung genug, um sich die Behausung des Fremdlings zu merken, die dieser ihm genau beschrieb, dann war der Grieche verschwunden, und Fritz wußte wirklich nicht, ob er völlig wach sei oder ob ein rasch verflogener Fiebertraum ihn genarrt habe.

Am nächsten Sonntag fand er sich bei dem Alten ein. Der wohnte in einem düsteren, heruntergekommen aussehenden Hause, und sein Zimmer erinnerte Fritz ein wenig, ein ganz klein wenig an die väterliche Goldküche, nur war alles viel geheimnisvoller, viel fremdländischer und auch viel schmutziger. Der Fremdling, der jetzt eine Art Talar aus weißer Wolle und darüber ein schmieriges Schaffell trug, fragte Fritz freundlich nach allen möglichen Dingen aus seinem Leben, und zeigte ihm ein dickes, in Schweinsleder gebundenes Buch, in dem in lateinischer Schrift allerlei Geheimrezepte und Wundermittel aufgeschrieben standen. Im Laufe des Gesprächs ergab sich dann, daß Lascaris (so hieß der Mönch) sich seit langem mit der Goldmacherei beschäftigt hatte, und zwar mit solchem Erfolg, daß er jede beliebige Menge Blei flugs in das feinste Gold verwandeln konnte. Mehr verriet er Fritz an diesem Tage nicht, an einem späteren Tage erfuhr dieser, daß Lascaris einen Würdigen suchte, dem er seine Geheimnisse und insbesondere sein Goldrezept schenken könne. Die Ehrfurcht, mit der Fritz gleich das begnadete Wesen in ihm erkannt habe, sagte er, überzeuge ihn, daß nun der Würdige gefunden sei, und so gab er dem hochbeglückten Fritz zunächst sein Buch, aus dem er sich das Rezept für ein unwahrscheinlich hohes Alter abschreiben durfte und auch sonst noch, was ihm gefiel, zuletzt erhielt Fritz von Lascaris ein Schächtelchen, angefüllt mit einem roten Pulver: »Es ist der höchste Schatz, den ich dir übergebe! Verwahre und verwende ihn wohl! Ich kann ihn keinen besseren Händen anvertrauen, denn du bist ein Sonntagskind und also zu Großem berufen!«

Fritz schauerte vor Ehrfurcht und auch ein wenig vor Eitelkeit, als er diese Worte vernahm. Waren es doch beinahe dieselben, die sein sterbender Vater gesprochen hatte, wie sollte er da anders, als an sich und seine wunderbare Bestimmung glauben! Jung und unerfahren wie er war, fiel es ihm nicht ein, daß Lascaris einer jener Betrüger sein könnte, vor denen sein Vater gewarnt hatte, und so war er aufrichtig betrübt, als Lascaris eines Tages verschwunden war, ohne eine Spur zu hinterlassen. Es gab Leute, die sagten, daß er bettelarm in einem Kloster gestorben sei, andere behaupteten, ein Fürst, dem er Unsummen Goldes versprochen hätte, hielte ihn gefangen – – aber Genaues wußte niemand. Umso eifriger ging Fritz nun daran, die Rezepte auf ihre Wirksamkeit zu prüfen, besonders das Goldrezept und das rote Pulver.

Bald darauf gab es im Zornschen Hause große Aufregung, und ein sonderbares Gerücht wollte sich verbreiten: Es spukte. Jawohl, das alte, brave Haus, in dem bis zur Stunde jeder in Ruhe und Frieden gelebt hatte, schien ein Gespensterhaus werden zu wollen. Wenigstens behaupteten es die Gehilfen, die nicht genug berichten konnten, von dem Unwesen, das nächtens über ihrer Kammer polterte, schlich, zischte und sie dermaßen erschreckte, daß sie zitternd unter ihre Federbetten krochen und ein Vaterunser nach dem anderen beteten. Zorn schüttelte ungläubig den Kopf. Sein Lebtag hatte er so etwas nicht gehört, und sein Unglauben wurde bestärkt, als Fritz erklärte, daß er nichts von all dem Schrecklichen vernommen, sondern friedlich wie jede Nacht geschlafen habe. Lächelnd setzte er hinzu: »Ich denke mir, daß ihr beide ein bißchen zu tief ins Glas geguckt habt! Das wird der ganze Spuk sein!«

Zorn nickte beifällig, Grupelius und Schrader aber ärgerten sich über »den Grünschnabel«, der nun immer ein besonderes Lächeln aufsetzte, sobald sie von Spukgeschichten anfingen. Und doch hörten sie fast jede Nacht das unheimliche Treiben: auf Katzenpfoten schlich es über die Treppe zum Speicher empor, huschte dort einen Gang entlang und begann dann zu fauchen, zu poltern und in Abständen zu zischen.

Fritz hörte ihnen überlegen lächelnd zu und meinte: »Da würde ich an eurer Stelle ihm einmal nachgehen und sehen, was es da oben treibt!«

Hu! sie dachten nicht daran, einem Gespenst zu begegnen! Sie begriffen nicht, daß Fritz, der doch ganz allein in seiner Kammer schlief, nicht vor Angst verging. Zorn aber bestand darauf, daß man dem Spuk nachforschen müsse, und weil er sich über die Furchtsamkeit seiner beiden Gehilfen ärgerte, befahl er ihnen, gemeinsam mit ihm in der nächsten Nacht, in der sie das Gespenst wieder vernehmen würden, auf den Speicher zu gehen und zu sehen, wer sich da eingeschlichen haben mochte.

Nun aber vergingen viele Tage, ohne daß sie etwas Verdächtiges vernahmen, und Zorn dachte schon, daß am Ende einer von ihnen selbst das Gespenst gespielt habe, um sich interessant zu machen oder um in irgend einer Bodenkammer heimlich Dinge zu treiben, die Zorn nicht wissen sollte. Aber eines Nachts, als man es schon fast vergessen hatte, geisterte das Gespenst wieder, und Schrader, von plötzlichem Mut erfaßt, sagte: »Ich wecke den Alten und gehe mit ihm hinauf!«

Mit einem dicken Knüttel und einer Pistole bewaffnet, vor der Schrader allerdings große Angst empfand, erklommen die beiden die Speichertreppe und tasteten sich im Mondschein, der durchs Gebälk fiel, vorwärts. Alles war still, nirgends die Spur eines Menschen oder eines Gespenstes zu entdecken.

Aber da! unter einer im Dunkel verborgenen Türe fiel ein schwacher Lichtschein hervor … Unerschrocken ging Zorn darauf zu, während Schrader am ganzen Leibe zitterte. Zorn tastete nach dem Schloß der Türe, vergebens! Sie war fest verschlossen. Er pochte … rüttelte … rief, daß man ihm öffnen solle … Alles blieb totenstill. Nun schlug Zorn mit dem Knüttel gegen die Türe: »Du, der da drinnen bist, mach' auf!« – Totenstille.

Zorn schlug mit mächtigen Schlägen die Türe ein … Ein Schrei der Überraschung und des Schreckens drang über seine Lippen …

Aus der winkligen Bodenkammer, die sich vor ihm öffnete, drangen weiße Rauchwolken und ein Geruch von giftigen Gasen. Auf dem Fußboden aber lag lang ausgestreckt und leblos niemand anders als sein Lehrling, Fritz Böttger.

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