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Vierzehntes Kapitel.
Eine Wendung


Als der Wagen vor dem stolzen Herrenhause von Marscourt-Hall hielt, kam Mr. Howard selbst vor die Tür, um die Ankommenden zu empfangen und Ilse aus dem Wagen zu helfen. »Ich danke Ihnen, daß Sie meine Bitte so schnell erfüllt haben,« sagte er halblaut, indem er ihre Hand schüttelte. »Weiß Lady Jane alles und er noch nichts?«

Ilse nickte nur und fragte schnell: »Was sagt Mrs. Harrison dazu?«

»Sie ahnt noch nichts. Bitte, nehmen Sie Harry mit auf Ihr Zimmer, Miß Evelyn kommt dorthin.« Er begrüßte den Knaben, verwies dessen eifrige Fragen, warum er so plötzlich nach ihm geschickt habe, einstweilen zur Ruhe, indem er ihm versprach, ihm nachher alles zu sagen, und schob ihn die Treppe hinauf. Ilse hatte kaum Zeit gehabt, Hut und Mantel abzulegen und Harrys üppige blonde Locken zu ordnen, als sie die Tür im Nebenzimmer öffnen hörte; schnell eilte sie der Eintretenden entgegen und schloß Miß Harrison in ihre Arme. »Liebe Evelyn!« rief sie unter Lachen und Tränen, »habe ich nicht recht gehabt? Hat Gott es nicht wunderbar gut gemacht?«

Die andere antwortete nur durch eine stumme Liebkosung. »Wo ist er?« fragte sie mit vor Aufregung zitternder Stimme.

»Hier ist unser Harry!« sagte Ilse freudestrahlend, indem sie ihn bei der Hand nahm und der Freundin zuführte. Evelyn betrachtete den hübschen Knaben, der sich höflich vor ihr verbeugte, mit einem langen, prüfenden Blick; zuletzt feuchteten sich ihre Augen, aber sie widerstand der Versuchung, ihn an sich zu ziehen und zu küssen. »Willkommen, mein lieber Junge,« sagte sie, ihm die Hand reichend, »ich freue mich sehr, dich hier zu sehen! Ich hatte einmal einen kleinen Bruder, der gerade in deinem Alter sein müßte; aber er ist uns vor Jahren auf eine sehr schmerzliche Weise verloren gegangen.«

»Verloren – auf welche Art?« fragte Harry mit schnell erregter Neugier, »aber es ist Ihnen wohl zu traurig, davon zu sprechen,« fügte er mit dem Zartgefühl eines echten Gentleman hinzu.

»Nein, ich möchte dir die Geschichte gern erzählen.« Sie setzte sich und legte leicht den Arm um seine Schulter. »Unser Guy«, begann sie, »war ein lieber kleiner Bursche, der mit großer Zärtlichkeit an seiner Sissy hing. Er ließ sich von niemand zu Bett bringen als von Sissy, die auch noch ein Kind war, aber doch zehn Jahre älter als er. Wenn er mit Polly, seinem Mädchen, ausgegangen war und wieder heimkehrte, so war sein erster Ruf immer nach Sissy, denn er kam nie zurück, ohne ihr etwas mitzubringen, einen Stein oder eine Blume oder einen Apfel, den er selbst geschenkt bekommen hatte. Sissy spielte mit ihm und sang ihm Lieder vor, ein Verschen aber liebte er ganz besonders, das hieß so:

Es war einst ein Weiblein in Gretna,
Das fiel in den Krater des Ätna.
Man fragt' sie: War's heiß?
Sie sprach: Nicht, daß ich weiß!
Das Widerspruchsweiblein von Gretna!«

(Englisches Kinderlied.)

Harry sah lächelnd zu Evelyn auf und summte leise die einfache Melodie nach, die sie andeutete; als sie fragte, ob er noch mehr von Guy hören wolle, nickte er und drängte sich näher an sie. In sanftem, halblautem Ton erzählte sie von der Heimat drüben in Amerika, von Pa und Ma und Polly und von der See, an die sie so oft gegangen seien, um Muscheln zu suchen und den Schiffen zuzusehen, die mit vollen Segeln in den Hafen einliefen. Immer träumerischer wurde der Ausdruck in Harrys Antlitz; die weit geöffneten Augen schauten mit einem suchenden Blick ins Weite, als sähe er in der Ferne Bilder und Gegenstände, die er nicht deutlich zu erkennen vermöchte. Plötzlich schlang er den Arm um Evelyns Hals. »Sissy –« flüsterte er, »ich hatte auch einmal eine Sissy – aber das ist lange her – ehe das große, schreckliche Wasser dazwischen kam – ehe ich bei Tante Jane war ...«

»Bist du auch einmal über die weite See gefahren wie unser kleiner Guy?« fragte Evelyn, indem sie zärtlich über seine Locken strich. »Er fuhr mit Papa und Polly nach England, aber in einer Nacht kam ein großer Sturm, der zertrümmerte das Schiff und warf alle Menschen ins Wasser, auch Guy und seinen Vater. Seitdem haben wir nichts mehr von ihnen gehört, und Mama und ich haben bitterlich um sie geweint und getrauert. Aber denke dir, Harry, wenn unser Guy auf einmal vor uns stünde, frisch und gesund wie du, mit ebenso roten Backen und goldenen Locken – wäre das nicht eine unendliche Freude?«

»Lebt er noch? ist er gerettet?« fragte der Knabe in zitternder Spannung.

»Ich will dir noch eine andere Geschichte erzählen,« erwiderte Evelyn. »In derselben Nacht fuhr Mr. Howard, Vetter Archies Vater, über den Kanal, und derselbe Sturm packte sein Schiff und warf es gegen ein anderes, das aus Amerika kam. Mr. Howard setzte sich in ein Boot und fuhr aus, um die Ertrinkenden zu retten, aber er fand nur einen kleinen Knaben; den nahm er mit nach Hause und sorgte liebevoll für ihn. Als er bald darauf starb, übergab er ihn Lady Jane, die ihn mit seiner eigenen Tochter zusammen erzog und ihn liebte und für ihn sorgte, als wäre sie seine Mutter. Weißt du, wer der Knabe war, Harry?«

»War ich das?« fragte er nach einigem Bedenken mit einem Ausdruck von Staunen und Zweifel.

»Ja, Harry, das warst du. Aber was, meinst du, ist aus unserem Guy geworden?«

Der Knabe stand einige Sekunden still da; man sah es an seiner gefalteten Stirn, daß er in tiefe Gedanken versunken war; dann brach er plötzlich in Tränen aus. »Bin ich selbst euer Guy?« fragte er schluchzend, indem er sich an Evelyn klammerte.

»Ja, mein Liebling, du bist es!« rief sie, indem sie ihn in leidenschaftlicher Bewegung an ihr Herz zog und heiße Küsse auf seinen Lockenkopf drückte. »Und ich bin deine Sissy, die dich heute noch ebenso zärtlich liebt wie damals, als du ein kleiner Bursche warst. O Guy, Guy, wie wollen wir Gott danken, daß Er dir in der größten Not einen Retter sandte, der dich dem Tode entriß und so gütig für dich sorgte! Und was wird die Mama sagen, wenn sie ihr Herzblatt wiedersieht, um das sie so viele bittere Tränen geweint hat! Sie hat in den acht Jahren, seit du von uns gingst, nicht einmal gelacht, Guy; sie war zu traurig dazu, aber nun sollst du es sie wieder lehren.«

»Wo ist sie – meine Mama?« fragte Harry schüchtern.

»Sie weiß nicht, daß ihr Sohn in ihrer Nähe ist, nicht einmal, daß er lebt; ich muß ihr die frohe Kunde vorsichtig beibringen, sonst würde sie krank davon werden. Ich gehe jetzt zu ihr, Guy; nachher komme ich dich holen.«

Harry sprang hinaus, um, nach Knabenart, die erfahrene tiefe Erschütterung in körperlicher Bewegung auszutoben; mit Innigkeit schloß Evelyn Ilse in ihre Arme. »Mein Sonnenkind!« sagte sie bewegt, »was für ein Segen bist du mir! Das erste Mal brachtest du mir nach langer Nacht eine trostreiche Dämmerung, das zweite Mal den hellen Sonnenschein – wie soll ich dir genug dafür danken?«

»O Evelyn, laß uns Gott allein danken, ich habe kein Verdienst an diesem Wiederfinden; es macht mich nur unsäglich glücklich. Aber glaubst du im Ernst, daß deine Mutter vor Freude kränker werden könnte?«

»Einem kranken Körper und Gemüt kann jede plötzliche Erschütterung verhängnisvoll werden; aber laß uns auf Gott vertrauen,« erwiderte Evelyn mit sanfter Freudigkeit; »Er hat schon so viel an uns getan, daß ich nicht mehr sorgen und zweifeln kann.«

Evelyns Vertrauen wurde belohnt; die ungeheure Freude wirkte wie ein heilender Balsam auf Mrs. Harrisons Nerven und Gemüt, und sie erschien plötzlich um zehn Jahre verjüngt. Auch Evelyn erblühte wie eine Blume, die ein heller Sonnenstrahl geküßt hat; es lag ein gedämpfter Glanz auf ihren regelmäßigen Zügen, der sie unendlich verschönte. Nicht Ilse allein sah das, auch Mr. Howard schien es zu bemerken, wenigstens beobachtete er sie einige Male so aufmerksam, daß sie unter seinem Blick errötete, was sie nur noch hübscher machte. »Verzeihen Sie, Miß Harrison,« sagte er entschuldigend, »Sie erinnern mich heute so lebhaft an eine mir bekannte Dame, daß ich darüber die Höflichkeit vergaß.«

»Ich suche auch immer nach einer Ähnlichkeit«, fiel Ilse ein, »und kann sie nicht finden; vielleicht meinen wir dieselbe Person.«

»Kaum,« erwiderte er, »denn ich denke an Miß Svendson. Dieselbe Gestalt, dieselbe Farbe der Augen und Haare, derselbe Schnitt des Gesichts, bei mancher Verschiedenheit im einzelnen – es ist ganz merkwürdig. Stammt Ihre Mutter etwa aus Schweden, Miß Harrison?«

»Das glaube ich nicht, doch weiß ich es nicht bestimmt. Meine Mutter mochte nie von ihrer Jugend und Heimat sprechen, und ich wollte nicht in sie dringen, als ich ihre Abneigung erkannte. Ich dachte aber, meine Großeltern müßten Holländer gewesen sein.«

Da Mrs. Howard-Marscourt kränklich war und ihr Zimmer nicht verlassen durfte, so bildeten die Harrisons im Verein mit Ilse und Mr. Howard einen glücklichen kleinen Kreis, dessen gehobene Stimmung durch kein störendes Element beeinträchtigt wurde. Kein sorgender Gedanke an die Zukunft durfte dieses erste Hochgefühl überströmenden Glückes trüben; die Mutter begehrte nichts weiter, als den wiedergefundenen Sohn neben sich zu haben und ihre Hand auf seinem Haupte ruhen zu lassen. Sie und Evelyn wurden nicht müde, sich Mr. Howard, den Vater, den Retter und Wohltäter ihres Lieblings, schildern zu lassen, und der einzige Wunsch, der ihnen in diesem Augenblick übrig blieb, war der, Lady Jane bei sich zu sehen, um ihr den vollen Dank ihrer Herzen für eine achtjährige treue Pflege des Verlorenen auszusprechen. Aber die Bitte, die Evelyn schriftlich an die Dame richtete, fand keine Erhörung; es kam nur ein sehr höflicher Brief von ihr, worin sie bedauerte, durch Mauds Zustand ganz in Anspruch genommen zu sein, und ihre Befriedigung darüber aussprach, ihren bisherigen Pflegling bei einer unvermeidlichen längeren Abwesenheit in den besten Händen zurückzulassen.

»Was bedeutet das?« fragte Ilse Mr. Howard; »gedenkt Lady Jane zu verreisen?«

»Ich habe keine Ahnung,« erwiderte er achselzuckend, »will aber sofort nach Hause fahren und nachfragen. Kommen Sie mit, Miß Stein?«

Ilse war unschlüssig; sie hätte die gute Gelegenheit gern benutzt, aber sie fürchtete, Lady Janes Unzufriedenheit noch einmal zu erregen, und entschloß sich seufzend, zurückzubleiben. Doch ließ sie um sofortige Anweisung bitten, ob sie noch länger hierbleiben oder zurückkehren solle. Gespannt wartete sie auf die Antwort; sie sehnte sich nach Maud und ihrer lange unterbrochenen Tätigkeit; ein heißes Heimweh nach Ivy-Lodge überfiel sie, eine unerklärliche Bangigkeit, als ob ein unbekanntes Etwas sie von dort ausschlösse. Lady Janes Antwort klang kühl und geschäftsmäßig: da der Arzt für ihre Nichte einen Aufenthalt im Süden wünsche, um verhängnisvolle Folgen der Krankheit abzuwenden, so sähe sie sich genötigt, ohne Verzug abzureisen; sie habe für Miß Stein die Gastfreundschaft von Marscourt-Hall erbeten und ersuche sie, diese Wochen dort zuzubringen. Ihr Gehalt erfolge anbei; ihre Sachen würden von Arnott eingepackt und auf sichere Weise an sie befördert werden.

Der Brief entsank Ilsens Händen, Tränen bitterster Kränkung stürzten aus ihren Augen. Was hatte sie verbrochen, daß man sie ohne weiteres beiseite schob? War Maud wirklich so krank, daß sie nicht einmal von ihr Abschied nehmen durfte? Würde Mr. Howard die Damen begleiten? Ein neuer Gedanke stieg plötzlich in Ilse auf: wünschte Lady Jane vielleicht dem freundschaftlichen Verkehr zwischen ihrem Neffen und der Erzieherin ein Ende zu machen? Ach, dieser Verkehr war so schön und beglückend gewesen, er hatte sie vollständig vergessen lassen, daß sie in der Fremde war, und ihr das Haus von Ivy-Lodge so lieb und vertraut gemacht wie die Heimat. Wie hatte sie sich auf diesen Winter mit allen seinen gemeinsamen Unternehmungen gefreut – und nun sollte alles vorüber sein?

Sie sprang auf und ging mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab; sie wollte die lockenden Bilder und Gedanken, die sich ihr aufdrängten, nicht Raum gewinnen lassen, sondern ruhig und verständig an die nächste Zukunft denken. Was sollte sie in den langen Wochen in Marscourt-Hall anfangen? In einigen Tagen kam Mr. Wilmot zurück und übernahm Harrys Unterricht; dann war sie hier ganz überflüssig. Sie fühlte es, daß ihre Anwesenheit für den Knaben hinderlich sei, um sich seiner Mutter und Schwester innig anzuschließen, denn nachdem der erste Freudenrausch verflogen war, ließ es sich nicht leugnen, daß er den Seinen recht fremd gegenüberstünde. Die Erinnerung an seine früheste Kindheit war nur wie ein blasser Schatten an ihm vorübergeglitten; es ließen sich keine Beziehungen daran knüpfen, und an dem, was dazwischen lag, an seinem ganzen bewußten Leben, hatten Mrs. Harrison und Evelyn keinen Teil. Er sehnte sich nach Lady Jane und Maud, nach den gewohnten Umgebungen, Spielen und Beschäftigungen, und je bänger ihm ums Herz wurde, um so fester hielt er sich an Ilse, die ihm wie ein Teil seiner bisherigen Heimat erschien. Das durfte nicht sein, und während sie angstvoll grübelte, wo sich ein Ausweg fände, stand plötzlich die freundlich-ernste Erscheinung des Fräulein Althaus im Londoner Home vor ihrer Seele. Ohne sich lange zu besinnen, setzte sie sich hin, um an die Dame zu schreiben und sie zu bitten, ihr für diese Zwischenzeit irgendeine Tätigkeit zu verschaffen, die mit jedem Monat wieder abgebrochen werden könne.

Evelyn, die hiervon nichts ahnte, war entzückt von der Aussicht, Ilse für längere Zeit in ihrer Nähe zu behalten, und diese suchte der Freundin ihre tiefe Verstimmung zu verbergen. Aber ihr Gesicht und ihr ganzes Wesen waren ein zu treuer Spiegel ihrer Seele, als daß sie jene hätte täuschen können. »Was hast du, Ilse?« forschte sie liebevoll. »Ist es dir so zuwider, daß wir eine Weile zusammen leben sollen?«

»O nein nein, das nicht – ich fürchte nur, Lady Jane ist unzufrieden mit mir – ich gräme mich um Maud – ich sehne mich – bitte, frage mich nicht weiter, quäle mich nicht!« fügte sie fast heftig hinzu, während sie hart mit den hervorbrechenden Tränen kämpfte.

Evelyn sah sie ganz erschrocken an. »Ich wollte dich nicht quälen,« sagte sie sanft; »aber es schmerzt mich tief, daß sich auch dein sonniger Himmel einmal mit dunkeln Wolken umziehen kann.«

Ilse fiel ihr um den Hals und verbarg ihr Gesicht. »Vergib mir, Evelyn,« schluchzte sie, »ich bin schlecht und undankbar – meine ganze Seele ist verstimmt – will's Gott, so findet sie bald wieder den rechten Ton. Habe nur ein wenig Geduld mit mir.«

Der Bote, der Ilsens Koffer brachte, gab zugleich einen Brief von Mr. Howard ab, worin sich dieser den Damen empfahl, da er auf Wunsch seiner Tante sie und Maud nach Italien begleiten werde. Über die Dauer des dortigen Aufenthalts sei noch nichts bestimmt, doch werde er wohl bis zum Frühjahr dauern. Von Maud bestellte er herzliche Grüße und aufrichtiges Bedauern, nicht persönlich Abschied von Miß Stein nehmen zu können. Ilse fühlte ein leidenschaftliches Verlangen, nach Ivy-Lodge zu eilen, um die Reisenden noch zu sehen und zu sprechen, aber sie widerstand der Versuchung, wenn auch mit schwerem Herzen. Sie schrieb einen langen, zärtlichen Abschiedsbrief an Maud, worin sie ihrem ganzen Kummer über diese plötzliche und unerwartete Trennung Ausdruck gab, und dem sie Grüße für Lady Jane und Mr. Howard beifügte. Sie fühlte sich tief betrübt und sehnte sich ungeduldig nach einer neuen Tätigkeit, die alle ihre Kräfte in Anspruch nähme.

Einige Tage später kam ein Brief von Fräulein Althaus mit der Nachricht, daß sich soeben eine Dame aus guter Familie bei ihr gemeldet habe, die eine daily governess für ihre Töchter suche, da die bisherige Erzieherin erkrankt sei. Die Bedingungen seien günstig, doch sei augenblickliche Vorstellung und Übernahme der Wirksamkeit notwendig. Evelyn war tief betrübt, als Ilse ihre sofortige Abreise meldete. Doch schwieg sie gekränkt, als sie sah, wie sehr jene fortzukommen strebte. Als Ilse am Torwärterhäuschen vorüberfuhr, glaubte sie plötzlich die Stimme der sterbenden Bridget zu hören: »Möge Gott Sie strafen, wenn Sie Ihr heiliges Versprechen nicht erfüllen.« Sie fuhr erschrocken zusammen – hatte sich die Drohung der Alten schon erfüllt? Warum hatte sie den Auftrag immer noch nicht ausgerichtet? Nun war die Möglichkeit, Mr. Howard zu sprechen, wieder für Monate – vielleicht für immer hinausgeschoben. Tief bekümmert und mit peinlicher Unruhe im Herzen schied Ilse von dem stolzen Herrensitz, und mit banger Erwartung sah sie dem Leben in dem ungeheuern London entgegen.


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