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An Bettine.
Meine liebe Schwester, Dein letzter Brief hat mir einen recht traurigen Tag gemacht, weil ich so etwas nicht erwartete. Der Brief, den ich Dir anvertraute, ist einer der liebevollsten Briefe, deren ich mich erfreute, Du erklärst ihn für eine offenbare Lüge! Wer so lügen kann, liebe Bettine, der ist sehr geistvoll und sehr liebenswürdig, ich hab diesen Brief nochmals gelesen und mich trotz Deiner Beschuldigung wieder von ihm hingerissen gefühlt, – und wenn Du seinen Inhalt ebenso verstehst, wenn ich ihn nicht unrecht erkläre, so sind unsre Meinungen verschieden. Übrigens will ich Dir nicht unrecht geben, da Du wissen mußt, was Du schreibst; nur mußt Du mir erlauben, mich für Dein Recht hierin nicht zu interessieren. Ich sage nur soviel noch von jenem Brief, was ihn mir durch und durch unschuldig macht: erstens fängt er damit an, sich selbst zu beschuldigen, dann erzählt er eine Abfahrt zum Ball, die wohl nicht wahr sein muß, weil Du mir von ihr gar nichts geschrieben hast. Ein Ball, wo Dich die Leute alle ansahen und Du allen auffällst, ist ja auch nichts Merkwürdiges in Deinem Leben. – Sonst enthält er nichts als innige Rührung über Deine Liebe zu Franz und zu den Kindern, ja er tadelt sogar Franzens Neckerei und erkennt, wie Du Dich schön dabei beträgst. Was von Deinem Gemüt darin gesagt ist, das ist, nach meiner Kenntnis Deiner, nicht nur wahr, sondern sogar geistvoll dargestellt. Über den ganzen Brief ist Innigkeit, Begierde nach der Liebe eines würdigen Wesens und nach schöner Eintracht verbreitet.
Jetzt will ich aus dem Briefe das ausziehen, was allein gelogen sein kann, weil es allein Tatsache ist, weil der übrige Teil nur die Empfindung des Schreibers darstellt. – Erstens: Bettine war schön! das ist nun freilich gelogen und muß Dich ärgern; sie sprach viel auch wohl in den Tag hinein! das halte ich nicht ganz für gelogen, da ich es sehr oft bei ähnlichen Gelegenheiten mit einer unangenehmen Empfindung an Dir bemerkt habe. Ich weiß, wie leicht Du in unendliche Lebhaftigkeit übergehst, und um so auffallender aus einer traurigen Stummheit hervor. – Das Unschuldige darin kenne ich auch, aber das kennen nicht alle Menschen, nicht dieser oder jener, der gegenwärtig ist und dem Du dadurch frei oder töricht oder kokett vorkommst. –
Ob und wann ihr vor oder nach der Ankunft von Leuten retiriertet, ein Umstand, dem Du mit Unrecht einige Widerlegung widmest, ist ganz uninteressant. Genug, daß Ihr Euch zurückzieht, da Ihr wißt, daß Franz, dem wir nur seine Vortrefflichkeit danken können, Euch gern sieht, er, der mehr wert ist als wir alle, hat die paar Freistunden, nicht die Freude der Geselligkeit, er liebt uns so innig, und wir danken's ihm nicht. Ihr, die bei ihm wohnt, solltet ihm noch treuer anhängen, und er klagt so bescheiden über das, was er Dir befehlen könnte, daß Du nicht herunterzubringen bist. – Du mußt viel von Gundel zu lernen, mit ihr auszutauschen haben, da Du selbst die paar Minuten dem Franz nicht gönnen kannst. – Ich habe immer gefunden, daß mit mir zusammen Du nicht viel zu erzählen hattest, da wir keine große Abenteuer haben, warum mußt Du nun der Familie die Abendstunden rauben, um sie wieder da zu verbringen, wo man auch Dich nicht wünscht und wo Du beschwerlich fällst, was Du aus folgendem Brief ersehen kannst, in dem dargelegt ist, daß Gundel ihren ganzen Tag opfert, Dich anzuregen, daß Du Deine Schuldigkeit tust (ich hoffte, Du würdest sie von selbst tun). Ich finde es daher sehr indiskret von Dir, ihr diese Stunden, in denen sie allein sein möchte, auch noch zu stehlen.
Wenn ich in Frankfurt bin, so lese ich oft abends vor; alle hören mir gern zu und sind zufrieden mit diesen Stunden, warum kannst Du das nicht auch? – Ich verlange nicht von Dir, daß Du dem einen in der Familie mehr anhängst wie dem andern; man soll keinem Menschen anhängen, insofern er Partei macht! In Deinem Wesen sollte sich vielmehr jede zufällige Trennung vereinigen, jedes Mißverständnis lösen. Im Wesentlichen hat nach meiner Ansicht einer sowenig mit Dir gemein als der andre; und Du sollst Dir selbst vertrauen und dem, was Dein Herz am liebsten beschäftigt. – Erinnere Dich, daß man Dir sagte, Du würdest Dich an mir betrogen finden, und daß man Dir Dein Vertrauen zu mir vorwarf. – Du äußerst oft Ausdrücke von Charakterstärke; diese sind zum wenigsten, wenn Du sie auch noch nicht erprobt hast, doch ein Beweis, daß Du auf diese Eigenschaften den höchsten Wert legst; ich hoffe daher, daß Du nichts zwischen unsere Liebe kommen läßt, was sie erkälten könnte. Wie der Hunger der beste Koch ist, so ist auch die Langeweile der beste Kuppler. – Ich bin nicht vortrefflich, es sind daher nicht meine Verdienste, die mich Dir interessant erhalten können, oder das neue Überraschende in mir, es ist Deine Treue, wenn die nicht zur Lüge in Dir soll werden, wodurch alles in Dir zur Lüge werden müßte, was wir in diesen Jahren miteinander erlebt haben an guten und bösen Stunden, so kann der nächste Wind dies Band, das dann nur ein Strohband ist, zerpflücken und es als Spreu in die Lüfte zerstreuen. –
Wenn Du, wie ich hoffte, jene Erkenntnisse, die ich Dir immer gepriesen, wirklich liebtest, wenn Du Dich dem eigentlichen Wesen der Kunst und Poesie hingeben wolltest, so würdest Du Ruhe, Friede und Glück genießen, ohne Dich den andern zu entziehen; Du würdest als wahr empfinden, was ich Dich immer gelehrt habe, daß nur der Mensch kann geliebt werden, insofern er ein wahrer und reiner Spiegel des Ewigen und Göttlichen wird. – Und Du würdest selbst Deiner Liebe zu mir ihren Wert und ihr Gesetz geben können, insofern ich jener Voraussetzung entspreche. Ich habe Dir nie das Einzelne geraten. Ich habe Dir immer das Ganze zu zeichnen gesucht, wie ich es begriff; – um Deiner Persönlichkeit keine Gewalt anzutun. Ehre Deine Persönlichkeit und bilde sie zum Schönen für alle, dann wirst Du glücklich sein; werde nicht zur Törin wie die andern, bilde Dir nichts ein! Arnim läßt Euch grüßen; er schrieb mir von Genua, Nizza und Paris. – Mein Lustspiel wird jetzt zugleich mit einem Buch von Arnim in Göttingen bei Diedrich gedruckt.
Schreibe Deinem Clemens.
Grüße die Günderode, sage, daß ich schreiben würde, aber ihre Antworten sind nicht auffordernd, nicht erschließend, sondern vielmehr abschließend. Weiß Gott, warum wir alle aus dem Paradies des Vertrauens herausgeworfen sind und keiner findet irgendeinen Schleichweg dahin zurück. –