Bettina von Arnim
Clemens Brentanos Frühlingskranz
Bettina von Arnim

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Liebe Bettine. Düsseldorf.

Du wirst Arnims Brief für Dich und Gundel erhalten haben, heute erhielt ich Dein liebes Schreiben und danke Dir herzlich. Ich hoffe von Dir einen Brief in Marburg zu finden, wohin ich in wenig Tagen abreise, und begehre denn auch sehnlich nach einem ordentlichen schriftlichen Verkehr mit Dir. Dein heutiger Brief hat mir einen ganz eignen Eindruck gemacht. Ich weiß nicht, inwiefern sich Dein Gemüt verändert hat durch Deinen Aufenthalt in Frankfurt, daß Du so ruhig in eine verneinende Position Dein ganzes Wesen übertragen hast. Ich kann mich nicht ohne Deine Treue im Leben denken, und so habe ich leicht Furcht, ich könne durch ein unwillkürliches Verletzen Dich verscheuchen wie ein Reh, dem einer nachging, und es liebt doch mehr den Wald als alle Liebe, die man ihm bietet. – Und was ist es denn, was ich in meinem letzten Brief Dir aussprach? – Alles, was ich von Deiner Liebe erwarte; ich erwarte in ihr die Liebe eines unverschrobenen, reinen, einfachen Gemütes. Wenn Du aller Verschrobenheit entgegenarbeitest, ich glaube zum andern, was ich Bildung der Seele nenne, brauchst Du keine Mühe. Um eines bitte ich Dich, lasse Dich nicht in die Basereien und Flüstereien ein, die dort in der Luft wehen, die als ewig langweiliger Schweif schiefer Liebeleien das Interesse für unmittelbaren Geist durchkreuzen! Bleibe um Gottes willen, wie Du warst. Sei jedermann höflich, aber nie, nie mit einem Menschen vertraulich, den Du nicht achtest. Ich weiß, wie leicht man durch das langweilige, unordentliche Leben in der Gesellschaft zu niedrigen Gattungen der Unterhaltung seine Zuflucht nimmt, da nichts Großes, nichts Edles in ihr unsre Fähigkeiten anregt, sondern Klatscherei, Kokettieren, dummes Witzlen etc., worüber der Mensch nach und nach schlecht wird. Und solltest Du mir's verdenken, daß ich zärtlich um Dich besorgt bin und daß ich in dieser Besorgnis jeden Schatten verfolge, der sich in Deine Nähe wagt, von dem ich nicht weiß, ob nicht ein falsches Licht diesen Schatten wirft, da seit einem langen Monat Du nicht geschrieben hattest. Du müßtest mir immer etwas zu sagen haben, aber Du vergißt mich gewiß einmal ganz. Andre mögen mir wohl gut sein, aber herzlich geliebt, scheint mir, war ich nur von Dir, bei der ich keine Nebenbuhler hatte, deren Lehren Dir mehr galten als die meinen. Menschen, die nie wünschen können, was ich wünsche, die waren nie Deine Freunde, und Du hast mich bisher nicht in meinem Glauben geschwächt und mich mit meinem Vertrauen noch nicht entzweit, wie mir schon manche schmerzliche Erfahrung geworden. Liebe Bettine, tue Dein möglichstes, mir getreu zu bleiben, hebe das Dunkle, Schwankende in Deinem Vertrauen zu mir auf, lasse es klar und fest werden, daß nie etwas zwischen uns treten könne, selbst Deine Nachlässigkeit nicht. Außerdem bitt ich Dich noch um eines: Ohne Dich öffentlich allzu hoch zu halten, so halte Dich doch innerlich über jeden Preis. Der Edelstein, der seinen Preis bestimmen kann, ist der Taxe immer noch unterworfen. Sich so betragen, daß man den verdient, den man nicht lieben kann, und den glücklich machen kann, den man liebt: das ist die Würde und die Höhe, auf die sich die Bildung der Seele schwingen soll, und das ist das ganze Geheimnis, was Du vorgibst oder auch meinst nicht verstehen zu dürfen. – O weiche mir nicht aus; – die Idee, daß ich Dich jemals weniger schätzen dürfte, als ich bis jetzt zu meinem Trost und meiner Lebensfreude immer noch getan, macht mich sehr betrübt. O ich bitte Dich, liebe Bettine, bringe es dahin, daß die Menschen und Du selbst Dich ehren. Wenn auch jene Dich nicht verstehen und Du selber Dich nicht begreiflich machen kannst. – Den zweiten oder dritten Jänner bin ich wieder in Marburg. Wenn es Dir und Gundel Freude macht, an Arnim zu schreiben, so erwarte ich Euern Brief in Marburg zum Einschluß. – Hast Du nicht wieder das ungezogne Hannchen oder Hänschen gesehen, Minchen vergiß um alles in der Welt willen nicht zu grüßen und zu küssen, ich kann sie manchmal tagelang nicht vor den Augen wegbringen, sie ist meine Opernheldin, nur noch viel lieber und zärter, sie hat mich einmal dazu verführt, daß ich diese Oper schrieb, täglich läßt mir der Kapellmeister Ritter ihre Grazie in den schönsten Melodien erklingen, und oft muß ich's selbst ihr sagen in Tönen; noch am Abend spät erfind ich mir Melodien zu meinen Versen, die Ritter mit freundlicher Anerkenntnis in die Oper aufnimmt, für mich klingt das alles schön, ja hinreißend. Aber kann mich's nicht auch bestechen, die Lust, sie doppelt zu besingen, mit der Melodie und den Worten. –

Deine Verhältnisse mit dem Stickermädchen berühr ich nicht ferner. – Es ist einmal traurig, daß oft das Einfachste, wenn es ungewöhnlich ist, eine Laufbahn der Gefahr wird, aber ich kenne auch Deinen Eigensinn oder Heroismus – um Dich nicht zu beleidigen –, dem Trotz zu bieten, wenn Du etwas für Recht hältst, kenne ich.

Ich freue mich doch sehr auf den Savigny, da ich nun wieder Proviant auf die langen Winterabende habe, ihm zu erzählen. Wenn er auch wenig oder gar nichts antwortet, so hört er doch mit einem Interesse zu, das entschädigt für die Antwort, die er einem schuldig bleibt. – Du glaubst nicht, wie wenige man findet in der Welt, die ganz frei sind vom Schlechten und Gemeinen, und wie ein Mann gleich Savigny ein wahres Wunderwerk ist.

Ich will Dir noch eine Ballade hierher schreiben, die ich gestern gemacht habe, nur um dem Arnim ein Gedicht schicken zu können; die Geschichte von Gottschalk Overstoulz und der Maus und Bischof Engelbrecht habe ich in der Köllnischen Chronik gelesen, es geschah im dreizehnten Jahrhundert, das andre ist hinzugedichtet, viel Gutes mag vielleicht nicht dran sein, aber es reimt sich doch, hat Anfang und Ende und gefällt Dir vielleicht.

Von Köllen war ein Edelknecht
Um Botschaft ausgegangen,
Den Vater hielt ihm Engelbrecht,
Der Bischof, hart gefangen.

Er ging gen Arle manchen Tag,
Er ging in schweren Sorgen,
Sein Liebchen ihm im Sinne lag,
Der hätt' er es verborgen.

Gar traurig er am Brunnen lag,
In Busch und grünen Hecken,
Da hört er schallen Hufesschlag
Und tät sich schnell verstecken.

Zum Brunnen ritt ein froher Mann,
Sein Hütlein tät er schwenken,
Ein andrer ging betrübt heran,
Die Lanze tät er senken.

Und sprach zum frohen – Froher Mann,
Was mag Dich so erfreuen –
Laß ab zu trauren, hub der an,
Gott will uns Trost verleihen.

Denn Gottschalk, der getreue Mann,
Geht frei aus seinen Banden
Durch Gottes Wunder er entrann
Mit allen den Verbannten.

Er hatte eine kleine Maus
Sich also zahm erzogen,
Die lief da freundlich ein und aus
Und war dem Herrn gewogen.

Doch einst der kleine Freund entlief
Und wollte nicht mehr kehren.
Und wie Herr Gottschalk pfiff und rief,
Das Mäuslein wollt nicht hören.

Da sprach betrübt der treue Mann,
Ich muß Dich wieder haben,
Und mit den Freunden er begann,
Dem Mäuslein nachzugraben.

Und in der Erde eingescharrt
Fand Meißel er und Feilen,
Womit er ihre Bande hart
Gar leichtlich konnte teilen.

Der andre sprach, mein Schwesterlein,
Das liegt gar hart gefangen.
So hart, daß selbst das Mäuslein klein
Nicht könnt zu ihr gelangen.

Des Schlosses Dach ist himmelblau,
Die Mauern grüne Wellen,
Die Graben rings sind Flur und Au,
Die Fenster Fluß und Quellen.

Der süße Knecht, die Liebe, brach
In ihres Herzens Kammer,
Ihm folgten die Gesellen nach,
Der Schmerz und böse Jammer.

Die Hoffnung blies ihr Lämpchen aus,
Die Schmerzen sie bezwungen,
Und legte sie ins dunkle Haus
Wohl auf den Tod gefangen.

Am Fels, wo wild der Rhein zerschellt,
Wo bös die Schiffe stranden,
Dort ewig sie gefangen hält
Der Schlund in kühlen Banden.

Ein Freund des Bischofs sie belog,
Herr Hermann sei erschlagen,
Der insgeheim gen Arle zog,
Den Vater zu erfragen.

Dann zäumten sie die Rosse auf,
Um von dem Quell zu scheiden,
Und gaben sich die Hand darauf,
Den Bischof zu bestreiten.

Und wie sie aus dem Walde schon,
Trat wieder an die Quelle
Hermann, des treuen Gottschalks Sohn,
Der traurige Geselle.

Er eilte an das Wasserschloß,
Wo bös die Schiffe stranden,
Und schrie, wer macht mich fessellos,
Wer sprenget mir die Banden.

Leb wohl, leb wohl, o Vater mein,
Leb wohl in großen Ehren,
Ich hab verloren das Mäuslein klein,
Es kann nicht wiederkehren.

Leb wohl, leb wohl, o Kerker mein,
Das Mäuslein ist verloren,
Das Schwert muß meine Feile sein,
Da tät er sich durchbohren.

Und stürzt hinab ins kühle Haus,
Wo Liebchen liegt gefangen,
O Liebchen, breit die Arme aus,
Ihn herzlich zu empfangen.

Ach läg gefangen im kühlen Haus,
Die mich so hart betrogen,
Sie hätte, eh dies Lied noch aus,
Mich auch hinabgezogen.

Grüße die Gundel und alles, wem es Spaß macht, dem lese mein Liedlein.

Clemens.


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