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VIII. Der Hafen.

Der Hafen ist die Lebensader Hamburgs, hier ist die Pulsader des ab- und zufluthenden Weltverkehrs am besten zu fühlen. Die zahllosen Fäden, welche den deutschen Handel mit den entlegensten Winkeln des Erdballs verbinden, laufen hier wie in einem Knotenpunkt zusammen, und wer sich einmal so ganz den Suggestionen des Hamburger Hafens überliess, der wird – um mit Zarathustra zu reden – das Gefühl gehabt haben, als ob ihm die Weltluft »selig die Nüstern kitzle«. Hier sind wir nicht mehr in einem kleinen Staate, hier sind wir in der Welt. Hier weht Luft aus allen Zonen, Klang und Duft aus allen Längen und Breiten der Erde. Die stolzen Masten der Schiffe ragen in blaue Höhen, ihr gierigscharfer weltmeerdurchfurchender Bug weist in blaue Weiten. Hier braust Dir in einem Augenblick durch alle Adern das ganze Kraftgefühl der Menschheit.

Wer den Hamburger Hafen in seinem Sonntagskleide sehen und mit allen seinen Reizen und in seiner ganzen Eigenart geniessen will, der muss ihn an einem klaren, sonnigen Arbeitstage sehen – es giebt kein überwältigenderes Bild der Arbeit als dieses. Hier scheinen sich alle Geräusche der Welt zu vereinigen zu einer rollenden, surrenden, hämmernden, pfeifenden, stöhnenden Symphonie der Arbeit, und das Heulen der Schiffssirenen klingt darein wie ein wildauffahrender, wahnsinniger Wuthschrei der unterjochten Naturkraft.

 

Auf diesem grossartigen Welthandelstheater, dessen Hintergrund die riesigen Speicher, dessen Coulissen die endlosen Quais der einzelnen Hafenbassins und die langen Schiffsreihen bilden, ändern sich die Scenen und wechseln die handelnden Personen von Stunde zu Stunde, doch der Schauplatz ist so ausgedehnt, dass man stets nur einzelne Theile desselben übersehen kann, aber wo man auch hinblickt, stets ist die Handlung neu und interessant. So ist der Hafen Hamburgs eines der grössten Zeugnisse des Welthandels, und Tausende und Abertausende Binnenländer, welche den Zauber dieser höchst merkwürdigen, interessanten und eigenartigen Hafenwelt geniessen konnten, verdanken diesem glücklichen Umstande ihre ersten concreten Vorstellungen von der Grossartigkeit des deutschen Seehandels überhaupt.

Hafen-Rundfahrten täglich mehrmals von Bangert's Hafen-Rundfahrt vom Baumwall mit mündlicher Erklärung und anschliessendem Besuch eines Ocean-Dampfers, sowie von Hunold's oder Käse's Rundfahrt-Dampfern. – Für den Geschäftsverkehr sind regelmässige Hafen-Rundfahrten eingerichtet von den Dampfern der Hafen-Dampfschiffahrts-Gesellschaft (grüne Böte), der Hafen-Rundfähre (weisse Flagge im Steven) und den Jollenführer-Dampfern (vergl. S. 19).

Pickhuben. Bei St. Annen.

Das Freihafengebiet. Am 15. October 1888 wurde Hamburg, das bis dahin neben Altona und Wandsbek Zoll-Ausland gewesen war, in das deutsche Zollgebiet einbezogen. Um jedoch Schiffahrt, Handel und Industrie (speciell für Export) die weitgehendste und von keinerlei Zolleinschränkungen beengte Bewegungsfreiheit zu sichern, wurde ein Freihafengebiet von 1015 Hectar geschaffen, davon sind 318 Hectar Wasser. Die Gesammtkosten dieser in den Jahren 1883/1888 unter dem Ober-Ingenieur F. Andreas Meyer ausgeführten wahrhaft grossartigen Hafenanlagen beliefen sich auf 140 Millionen Mark, und bis 1898 wurden fernere 40 Millionen Mark für Erweiterungsbauten bewilligt. Die Grenze des Freihafengebietes bilden nach der Stadt zu der Zollkanal, Binnen-und Niederhafen, sonst ist dasselbe durch hohe Planken und Gitter begrenzt; die Grenze wird zollamtlich bewacht, wie jede Auslandsgrenze. An den verschiedenen nach dem Freihafengebiet führenden Brücken befinden sich Zollabfertigungsstellen.

Kehrwieder-Fleeth.

Freihafenspeicher. Ueberschreitet man den Zollkanal auf einer der verschiedenen Brücken, so gelangt man in eine grosse Speicherstadt, imposante Gebäudeblocks, die mit Buchstaben und Nummern versehen sind und die Lager und Comptoire der Kaffee-, Wein-, Tabaksbranchen etc. enthalten, die hier ohne Zollerschwerungen ihre Waaren lagern und eventuell auch bearbeiten wollen und sie wieder in's Ausland bringen. Die Speicher sind so angelegt, dass sie mit einer Längsfront an einer Quaistrasse, mit der andern am Wasser liegen; sie sind mit electrischem Licht und nach allen Seiten mit bequemen Einrichtungen zum Aufnehmen und zum Verladen von Gütern zu Wasser und zu Lande versehen. Mit Ausnahme einiger Staatsspeicher sind diese Speicher von der Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft erbaut, und zwar auf einem Terrain, das erst durch Niederlegung eines enggebauten Stadttheils mit 24000 Einwohnern gewonnen werden konnte.

Die Quais. Ueber 10 Kilometer gemauerter Quaistrassen umsäumen die einzelnen Häfen: sie sind mit zahlreichen festen und fahrbaren Dampfkrähnen versehen, welche die Schiffe befrachten und löschen. Insgesammt sind 185000 Quadratmeter der Quais überdacht und bieten so vorübergehenden Lagerraum. An der Hinterfront dieser Schuppen laufen normalspurige Schienengeleise hin, die in directer Verbindung mit den Eisenbahnen stehen, so dass die auf der einen Seite aus den Schiffen kommenden Waaren auf der anderen Seite des Schuppens sogleich wieder verfrachtet werden können.

Die Häfen. Wir betreten den eigentlichen Freihafen vom Baum wall aus, wo schwimmende Pallisaden die Grenze bilden. Zur Linken erhebt sich hier an einem Lagerschuppen ein hoher Thurm, welcher oben den Zeitball trägt. Derselbe wird kurz vor Mittag hochgezogen und fällt in dem Augenblick herunter, wenn es auf dem Meridian von Greenwich 12 Uhr ist, d. i. nach mitteleuropäischer Zeit also genau 1 Uhr; die Schiffer regeln hiernach ihre Chronometer. – Die am Thurm befindlichen Zifferblätter sind Wasserstandsanzeiger. Die Zifferblätter sind in 10 Theile getheilt, die beiden Zeiger geben den Wasserstand in Meter und Centimeter an.

Die täglich zweimal eintretende Fluth erhöht den mittleren Wasserstand (bei Ebbe) um 2 m, bei Sturmfluth auch um 4 bis 5 m. Es ist jedoch kein Seewasser, welches die Fluth bringt, sondern zurückgestautes Flusswasser. Bei Fluth können die grössten Seedampfer in der Regel bis nach Hamburg kommen, nachdem sie bei Brunshausen geleichtert (d. h. einen Theil ihrer Ladung gelöscht) haben. Die Oberelbischen Frachtkähne können der Fluth wegen nicht weiter elbabwärts gehen.

Die einzelnen Häfen sind so angelegt, dass sie ähnlich wie Sackgassen vom Hauptstrom der Elbe abgehen. Die Schiffe liegen hier direct an den Quais oder sind inmitten der Wasserflächen an mächtigen Pfahlbündeln (Duc d'Alben) vertäut.

Sobald wir in den Hafen eintreten, liegen vor uns die grossen Passagierdampfer nach Brasilien und Argentinien. Links ist der Sandthorhafen, zur Aufnahme der Dampfschiffe nach dem Mittelmeer, nach England und anderen europäischen Häfen bestimmt. Begrenzt ist er vom Sandthor- und Kaiserquai. Der Staatsspeicher auf dem Kaiserquai, einer der grössten der Welt, hat eine Lagerfläche von 19 000 qm und verschiedene hydraulische Krähne, von denen einer 800 Centner hebt.

Es folgt der Grasbrookhafen mit dem Dalmann- und Hübenerquai, im Strome selbst liegt der Strandhafen mit dem Strandquai. Vorüber an der Gasanstalt, deren Gasometer von 40 000 cbm zu den grössten der Welt zählt, schneidet rechtwinklig der Magdeburger Hafen ein, begrenzt von der Brookthorstrasse und dem Magdeburger Quai. Ueber den Magdeburger Hafen führt eine hydraulisch zu bewegende Drehbrücke im Gewicht von 400 000 kg. Nun folgt der 1400 m lange Baakenhafen (an dessen Eingang ein Dampfkrahn von 50 000 kg Tragfähigkeit steht) mit dem Versmann- und Petersen-Quai. Den ganzen Petersen-Quai und ebenso den auf dem linken Elbufer am Hansahafen liegenden O'Swaldquai hat die Hamburg-Amerika Linie gepachtet zur Abfertigung ihrer grossen Post-, Passagier-, Auswanderer- und Frachtdampfer, darunter die geräumigsten der Welt mit einer Tragfähigkeit von 140 000 Doppelcentnern und Raum für 2000 Passagiere. Eine Besichtigung dieser Anlagen und eines der Riesenschiffe muss dringend gerathen werden.

Elbaufwärts gewahren wir die zwei mächtigen Elbbrücken, die erstere ist für den Eisenbahnverkehr bestimmt und viergleisig aufgebaut, die obere dient dem Strassenverkehr; die beiden Brückenköpfe stellen das Hamburger Wappen dar (stattliche Portale im Stil mittelalterlicher Stadtthore). Die Eisenbahnbrücke ist zugleich die Zollgrenze elbaufwärts.

Wenden wir uns dem gegenüberliegenden linken Ufer zu, so begegnen wir hier dem Oberländer-, Saale- und Spreehafen, welche zur Aufnahme der von der Ober-Elbe kommenden ungelenken Flusskähne bestimmt sind.

Weiter elbabwärts steht gewissermassen als ein Wahrzeichen des Hamburger Hafens der 150 Tonnen-Krahn, der ein Gewicht von 300 000 Pfund hebt und als Gegengewicht mit einem Ballast von 5000 Centnern beschwert ist; dieser Riesenkrahn dürfte der grösste Krahn der Welt sein.

Gleich darauf folgt der Segelschiffhafen, der 1530 m lang ist und eine Wasserfläche von 350 000 qm hat. Mit seinem grandiosen Mastenwald gewährt der Segelschiffhafen einen imposanten Anblick. Zeitweilig löschen hier 20 und mehr Getreideschiffe mit Ladungen von 50-100 000 Centnern.

An den Segelschiffhafen, der übrigens auch Dampfer aufnimmt, schliessen sich der Hansa- und Indiahafen, und neben diesen liegt der Eingang zum Petroleumhafen, der durch schwimmende Wellblechthore abgeschlossen ist und das Petroleum in Fässern und Tanks auf Lager nimmt.

Am Amerikahöft, der Spitze zwischen Segelschiff- und Petroleumhafen, liegt eine der verschiedenen im Gebiete des Freihafens vorhandenen Volks-Kaffee- und Speisehallen. In den unteren Räumen erhalten Arbeiter gegen ein Geringes gutes Essen, in den oberen Räumen ist bessere Restauration. Von hier bietet sich auch eine wundervolle Aussicht über den Hafen.

Weiterhin folgen am linken Ufer eine Reihe kleinerer und mittlerer Schiffswerften mit ihren Trocken- und Schwimmdocks, zuletzt die Schiffswerft von Blohm & Voss, die zweitgrösste Werft Deutschlands mit dem grössten deutschen Schwimmdock, das Schiffe bis zu 17 500 Tons aus dem Wasser heben kann.

Hinter der Werft von Blohm & Voss sind auf Kuhwärder drei weitere grosse Häfen im Bau begriffen, darunter auch ein neuer Hafen für die Hamburg-Amerika Linie, um dem wachsenden Raumbedarf derselben zu genügen.

Schräg gegenüber liegen die St. Pauli-Landungs-brücken, über ihnen auf der Höhe die Seewarte (vergl. S. 78), das Seemannshaus und Wiezels Hotel. Die herrliche Aussicht von hier oben verlohnt den Aufstieg.

Hafen mit Landungsbrücken.

Das 1863 errichtete Seemannshaus, auf dem ehemaligen Hornwerk belegen, im Jahre 1900 umgebaut, gewährt den Seeleuten gegen ein Billiges gute Unterkunft; es enthält auch die Navigationsschule, das Seemanns-Amt, Seeamt, die Heuerstelle des Vereins Hamburger Rheder und die Seemanns-Mission. Unentgeltlich zu besichtigen an Wochentagen nach 2 Uhr, Sonntags von Vormittag ab.

Von hier oben vermögen wir nochmals den grössten Theil des prächtigen Hafenbildes mit einem Blick zu erfassen und die ganze Menge überraschender und anfänglich fast verwirrender Einzelheiten wie in einem Panorama wohlgeordnet zu überschauen. Die scheinbare Regellosigkeit löst sich hier vor unsern Augen in die strengste Ordnung auf. In langen Reihen – breite Gassen bildend – liegen die zahllosen Schiffe wohlgeordnet hintereinander. Soweit das Auge reicht, reiht sich Schiff an Schiff, das Ende ist nicht abzusehen, und noch in der Ferne nichts als Schiffsrümpfe und Mastspitzen mit flatternden Wimpeln. Und überall auf dem Strome unaufhörliche Bewegung: Ruderboote schiessen zwischen den Schiffen hindurch, Schleppdampfer kommen und gehen. Kleine Dampfer vermitteln den Verkehr von Ufer zu Ufer, von Hafen zu Hafen, andere besorgen den Personenverkehr in dem weitausgedehnten Wasserrevier; Schuten und Leichter legen an den grossen Dampfern an, um sie zu löschen oder zu befrachten; schwerbeladen kommen und gehen die Schiffe, und unbeirrt um das rege Leben rings um sich herum, schaukelt der Elbbuttfischer in seiner Nussschale auf dem Wasser und wirft ruhig seine Netze aus.

An sich ist der Handel zwar eine prosaische Beschäftigung, aber in seiner Zusammenfassung als welteinendes, erdumspannendes Band, als Träger einer grossen geschichtlichen Culturmission entbehrt er keineswegs der Weihe der Poesie, und nirgends wirkt diese Poesie des Welthandels bewusst und unbewusst stärker auf den Menschen ein, als beim Anblick dieses rastlosen Lebens und Treibens im Hafen, wo sich alle Continente die Hände reichen und die tausend Fäden des weltumspannenden Verkehrs in einem Knoten zusammenlaufen.

Euch, ihr Götter, gehört der Kaufmann;
Güter zu suchen, geht er,
Doch an sein Schiff knüpfet das Gute sich an.


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