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Kaum eine andere deutsche Stadt von dem Alter und der Bedeutung Hamburgs dürfte so arm an baulichen Zeugen ihrer Vergangenheit sein, wie dieses. Wenn die schönen Erzeugnisse mittelalterlichen Bau- und Kunstfleisses, die anderen Städten Deutschlands ihren hohen Reiz verleihen, in Hamburg wenig oder gar nicht zu finden sind, so liegt der Grund hauptsächlich in dem von Alters her stets wachsend gewesenen Bedürfnisse der Einwohner nach Raum und der hierdurch bewirkten steten Verdrängung des Alten, um brauchbares Neues an seine Stelle zu setzen; in der durch enge Umwallungen fest eingeschlossenen Geschäftsstadt war für die Entfaltung der Baukunst kein Raum. Die häufigen Zerstörungen und Feuersbrünste haben dazu manches Denkmal früherer Zeiten noch vernichtet, besonders der grosse Brand von 1842, der 79 Stunden währte und das ganze Centrum der Stadt in Trümmer legte, sodass 20000 Menschen obdachlos wurden; 1740 Wohnhäuser, das Rathhaus, die Bank, die alte Börse, das Stadtarchiv, die Nicolai- und Petrikirche u. v. a. lagen in Asche. Und doch wurde dieses furchtbare Unglück für Hamburg der Beginn einer neuen, besseren Zeit. Unmittelbar nach der Katastrophe und trotz der ungeheuren Verluste, trotz der kolossalen Schuldenlast und der unsicheren Zukunft hatte Hamburg die Einsicht und den Muth – statt die zerstörten Gebäude einfach wieder aufzubauen – eine neue Stadt nach einheitlichem Plane und den Bedürfnissen der neueren Zeit entsprechend wieder aufzubauen, was allerdings nur durch Verfügung der Expropriation von 750 Grundstücken möglich war – wahrlich eine Grossthat, die uns eine hohe Bewunderung abnöthigt! So erfüllte sich, was Max v. Schenkendorf sang:
Lass Flammen dich zerstören,
Oh Hamburg, reich und schön –
Du wirst mit neuen Ehren,
Ein Phönix, auferstehn!
Der neue Stadtplan machte mit wohlüberlegter Absicht die Börse zum Mittelpunkt der neuen Stadt, auf welchen alle Hauptstrassen zusammenfliessen sollten. Und von der Börse ging in den nächsten Jahrzehnten die grossartige Umgestaltung des Handels- und Schifffahrtverkehrs aus, auf welchen die Blüthe Hamburgs beruht, und durch welche allein es ermöglicht worden ist, dass die Stadt sich so, wie es geschehen, ausdehnen und entwickeln konnte.
Ein grosser Theil der inneren Stadt ist sonach neueren Datums mit verhältnissmässig graden und breiten Strassen. In den älteren Stadttheilen finden wir aber noch sehenswerthe alte Gebäude, so im Grimm, in der Catharinenstrasse, der alten Gröningerstrasse, in den Reichenstrassen u. s. w. Der Character solider Festigkeit und ernster Würde ist diesen alten Kaufmannshäusern in hohem Maasse eigen.
Die eigenthümlich lange, schmale Gestalt der Grundstücke in diesen Stadttheilen war bedingt durch die Nothwendigkeit, den Hausbesitzern sowohl von der Strasse Zugang zu ihren Wohnräumen, wie an der Hinterfront vom Wasser aus Zugang zu den Speicherräumen zu gewähren. Die Grössenverhältnisse der Schiffe früherer Zeit gestatteten nämlich eine directe Einfahrt derselben in die verschiedenen Wasserstrassen oder Canäle, Fleethe genannt, welche von der Elbe aus den niederen Theil der Stadt nach allen Richtungen durchziehen, so dass eine unmittelbare Löschung der Fahrzeuge auf die Speicherböden durch Winden möglich war und umgekehrt.
Diese Umstände führten zu einer bestimmten Baudisposition: an der Strasse zunächst die schmale Front eines hohen, mehrstöckigen massiven Giebelhauses, das Contor- und Wohnzwecken dient; hieran schliesst sich ein nicht die ganze Breite des Grundstücks füllendes Mittelgebäude, welches einen kleinen Hof neben sich freilässt; daran stösst dann der Speicher – meist Fachwerkbau – dessen Hinterseite direct am Fleeth liegt und wieder die ganze Breite des Grundstücks einnimmt.
Ein Blick von einer der zahlreichen Brücken auf ein von beiden Seiten mit solchen hohen Speichergiebeln eingefasstes Fleeth gewährt einen eigenartigen Reiz. Diese langen, durchweg etwas windschiefen Giebelfronten sehen malerisch genug aus, um auf den Beschauer einen gewissen poetischen Zauber auszuüben, und wenn die Abendsonne ihre letzten Strahlen darüber wirft, könnten wir uns nach der Lagunenstadt versetzt fühlen, nur dass statt der romantischen Gondel die sehr prosaische, flache, breite Schute die Staffage bildet.
Abweichend von dem Character vornehmer Abgeschlossenheit, welche die Strassen und Häuser in den tiefgelegenen und an Canälen reichen und fast nur Grosshandelszwecken dienenden Stadttheile auszeichnet, ist der Eindruck, den die hochgelegenen Stadttheile machen; hier dominiren Kleinhandel und Gewerbe. Die dichte Bevölkerung hat hier eine geradezu beispiellose Ausnutzung des Raumes im Gefolge gehabt. Durch finstere, niedere und schmale (oft nur ½ m breite und 1½ m hohe) Gänge die durch die an der Strasse liegenden Häuser führen, gelangt man in die sogenannten »Wohnhöfe«, welche dem ärmsten Theil der Bevölkerung Wohnung und Obdach bieten. Die Besichtigung derartiger Höfe in der Steinstrasse, Niedernstrasse, Spitalerstrasse ist für den Fremden im höchsten Grade interessant; es wird ihm – wenn er durch den abschreckenden Eingang vorgedrungen ist – die für Hamburg rühmliche Erscheinung der verhältnissmässigen Sauberkeit nicht entgehen, welche auch diesen Heimstätten eine immerhin bescheidene Behaglichkeit verleiht. Das hygienische Gewissen der Neuzeit hat trotz alledem den Stab über diese Wohnungsform gebrochen, und Hamburgs Gänge und Wohnhöfe werden nach einem Menschenalter verschwunden sein.
Nachdem.mit dem 1. Januar 1861 die Thorsperre aufgehört hat, ist die Ursache der argen Zusammenpferchung geschwunden und haben die bebauten Bezirke ausserhalb der früheren Festungswerke eine ungeheure Ausdehnung angenommen. Die früheren Vorstädte und Bezirke St. Georg, Hammerbrook, Rothenburgsort, Veddel, Hamm, Horn, Eilbeck» Barmbeck, Uhlenhorst und Winterhude einerseits der Alster, St. Pauli, Eimsbüttel, Hoheluft, Harvestehude (Pöseldorf) und Eppendorf andererseits der Alster sind Zeugen hierfür. Diese seit 1. Januar 1894 Hamburg einverleibten Vororte sind in ihrem neuern Theile im Stile moderner Grossstadtanlagen gehalten; in den vornehmeren Quartieren der Stadt, namentlich in der Umgebung der Alster, sind die Strassen und Wohnhäuser mit umsomehr Pracht, Luxus und Comfort angelegt.
Auch das Colorit der alten Stadt verändert sich von Jahr zu Jahr. Die Anspruchslosigkeit unserer Vorfahren hinsichtlich ihrer Geschäftsräume ist einem gewissen Bedürfniss nach Comfort gewichen, und allenthalben erheben sich bereits reichgeschmückte, stil- und charactervolle Facadenbauten, sowohl Staatsgebäude als auch Hôtels und Restaurationsgebäude, Bank und Waarenhäuser, Geschäfthäuser u.s.w. So seien beispielsweise genannt Dovenhof (mit 130 Comptoiren), Artushof, Laeiszhof, Nobelshof, Karlsburg, das Geschäftshaus der Hamburg-Amerika-Linie am Dovenfleth und deren neues stattliches Verwaltungsgebäude zwischen Alsterdamm nnd Ferdinandstrasse, das Woermann'sche Afrikahaus, die Dresdner Bank am Jungfernstieg und die anderen stattlichen Bankgebäude in der Nähe der Börse.