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Mr. Tschuppik war in seinen Sessel gesunken und fuhr sich erschöpft mit der blutigen Hand über die nasse Stirn. Dann saß er minutenlang mit herabhängenden Armen da und starrte Doris mit blöden Blicken unverwandt an. Auch das Mädchen stierte, ohne einen Gedanken fassen zu können, wie leblos vor sich hin.
Erst ein Klopfen an der Tür brachte die beiden wieder zu sich.
»Herein!« rief Tschuppik in herrischem Ton.
Der Prokurist Heilmann, eine Aktenmappe unterm Arm, trat ein.
»Ich weiß nicht, was da unten los ist«, sagte er zögernd. »Die Stenotypistinnen scheinen alle miteinander den Kopf verloren zu haben …«
»Das interessiert mich im Augenblick wenig«, unterbrach ihn Tschuppik kühl. »Sonst noch etwas?«
Heilmann hatte jetzt erst den kleinen Apparat auf dem Schreibtisch bemerkt. Sein Gesicht wurde fahl.
»Ich … ja, ich …« stotterte er, ohne die Blicke von der Kiste abwenden zu können. »Ich habe das Entlassungsschreiben für Miß Elmhurst anfertigen lassen. Hier ist es.« Damit legte er ein Schreibmaschinenblatt auf den Tisch.
»So? Das haben Sie anfertigen lassen?« fragte Tschuppik langsam. »Wer hat denn das angeordnet?«
»Niemand, aber Miß Elmhurst kam genau um siebenundfünfzig Minuten zu spät, – es ist bei uns in solchen Fällen üblich …«
»Miß Elmhurst bleibt«, sagte Tschuppik frostig und zerriß das Papier. »Aber der farbenprächtige Schmetterling, das geschminkte Ding, das Sie mir da heute hereingesetzt hatten, kann gehen.«
»Darf ich fragen, welchen Grund ich im Entlassungsschreiben anführen soll?« erkundigte sich Heilmann.
»Schreiben Sie, was Ihnen einfällt! Meinetwegen, daß ich keine Angestellten brauchen kann, die nicht mit Höllenmaschinen umzugehen verstehen!« war die wütende Antwort. »So, und jetzt rufen Sie mal die Polizei an«, fügte Tschuppik hinzu. »Man soll mir den fähigsten Kriminalbeamten herschicken. Ferner telephonieren Sie Huntington, er soll sofort hier erscheinen. Los, beeilen Sie sich!«
Nachdem Heilmann gegangen war, trat wieder Stille ein. Tschuppiks Gesicht hatte einen Ausdruck, als grüble er über ein ernstes Problem nach.
»Sagen Sie mal, Miß … hm … Dingsda«, knurrte er plötzlich, »welcher Teufel hat Sie geritten, daß Sie hier noch in letzter Minute hereinstürmten? Sie wußten doch, was Ihnen drohte! Und warum sind Sie nicht gleich wieder ausgerissen? War das Dummheit oder Tapferkeit?«
»Es war bestimmt Dummheit«, entgegnete Doris und sah ihm fest in die Augen. Dann ergänzte sie leise: »Wenn es nämlich nur diese zwei Möglichkeiten gibt, meine Handlungsweise zu erklären.«
»Es gibt keine dritte«, murrte er. »Und sogar diese zwei sind im Grund genommen eins. Tapferkeit in derartigen Situationen ist Dummheit und nichts weiter.« Er steckte die Hände in die Taschen und wanderte unruhig im Zimmer auf und ab.
»Nun, warum taten Sie es?« fragte er wieder und blieb vor ihr stehen.
»Sie werden lachen«, antwortete Doris sanft. »Ich tat es aus Pflichtgefühl.«
Mr. Tschuppik ließ einen kurzen Laut hören, der wie das Bellen eines Hundes klang.
»Pah! Pflichtgefühl!« grollte er. »Es gibt kein Pflichtgefühl, dessen Grenzen sich nicht ganz genau in Dollarwährung bestimmen ließen. Wenn Sie aber Ihr Leben verlieren, so kann das mit keinem noch so hohen Scheck genügend honoriert werden. Also waren Sie einfach dumm!«
»Zugegeben«, sagte sie achselzuckend. »Aber Ihr eigenes Benehmen vorhin widerspricht Ihren Worten: Sie zeigten einen Mut, wie man ihn selten findet.«
Mr. Tschuppik sah ihr eine Weile nachdenklich in die Augen, dann stand er langsam auf und trat an einen Vorhang in der Ecke des Zimmers. Mit einer raschen Bewegung zog er ihn beiseite, und Doris erblickte einen Wandschrank, in dessen Schloß ein Schlüsselbund steckte. Obwohl sie schon recht lange bei Tschuppik arbeitete, hatte sie von dem Vorhandensein dieses Schrankes nichts gewußt.
»Hier«, sagte Mr. Tschuppik, öffnete die Schranktür und deutete auf einige Blechbehälter und Glaskugeln, »hier befinden sich die Muster der noch nicht erprobten Erfindungen meiner Ingenieure … Vor einer Stunde erst brachte mir einer von ihnen – der Name spielt keine Rolle – einen von ihm entdeckten neuen Explosivstoff … Ob das Zufall war oder nicht, wird sich noch feststellen lassen; eins aber wußte ich: wenn die kleine Höllenmaschine hier explodiert wäre, so hätte die neue Erfindung meines Mannes den ganzen Häuserblock niedergerissen …«
»Dennoch waren Sie mutig«, beharrte Doris.
»Blech!« rief er unwirsch. »Ich bin nicht mutig; im Gegenteil – sehr feige. Nur Feigheit deckt sich mit Vernunft. Verlassen Sie sich darauf: wenn ich geglaubt hätte, der Explosion durch Davonlaufen noch rechtzeitig entgehen zu können, dann wäre ich bestimmt ausgerissen. Und wie!«
Er bückte sich etwas schwerfällig und holte aus einem verborgenen Fach seines Schreibtisches eine Likörflasche und Gläser hervor.
»So! Trinken wir ein Gläschen zur Stärkung«, sagte er mit einem Anflug von Lächeln. »Wir werden es beide brauchen können.«
»Es ist mir eine Ehre –« begann Doris höflich, aber Tschuppik ließ sie nicht zu Worte kommen.
»Lassen Sie für heute mal den Formenkram!« rief er barsch. »Als Sie vor zehn Minuten hier hereinstürzten, haben Sie auch keine großen Einleitungsreden gehalten.« Er hob sein Glas und prostete ihr zu.
Doris tat ihm lächelnd Bescheid.
»Und nun erzählen Sie mir mal, wie sich alles zugetragen hat«, fuhr er fort. »Ich vermute, Ihr Zuspätkommen heute hängt irgendwie mit der Geschichte zusammen. Oder nicht?«
Das Mädchen nickte. Dann berichtete sie nicht ohne Erröten von ihrem gestrigen Abenteuer und vom nächtlichen Einbruch. Tschuppik hörte aufmerksam zu und unterbrach sie mit keinem Wort.
»Sind Sie nun hinter den Zweck des Einbruchs gekommen?« erkundigte er sich, als sie geendet hatte.
»Ich hatte noch keine Zeit, darüber nachzudenken«, meinte sie.
»Aber das ist doch sonnenklar!« rief Tschuppik aus. »Die beiden Verbrecher von gestern werden sich nachträglich dessen erinnert haben, daß sie in Ihrer Gegenwart von dem Anschlag auf mein Leben gesprochen hatten, und wollten nun natürlich eine rechtzeitige Warnung durch Sie unter allen Umständen verhindern. Der Einbrecher in Ihrer Wohnung hat zweifellos nichts anderes getan, als nur Ihre Uhr um eine Stunde zurückgestellt.«
»Jetzt verstehe ich!« nickte Doris. »Er hätte die Uhr um zwei Stunden zurückstellen sollen, – dann wäre der ruchlose Plan geglückt.«
»Glauben Sie?« Tschuppik schien anderer Meinung zu sein. »So einfach ist das nicht. Wir haben es da anscheinend mit ganz abgefeimten Schurken zu tun. Sie erzählten doch eben selbst, daß es Ihnen auffiel, als es so früh hell wurde. Wäre der Zeitunterschied noch größer gewesen, so hätten Sie es vermutlich bemerkt.«
Es klopfte. Auf Tschuppiks Aufforderung betraten Kapitän Hearn und Huntington gleichzeitig das Gemach.
Der Generaldirektor erklärte kurz den Sachverhalt. Während Huntington mit angespannten Mienen zuhörte, schien Hearn zum nicht geringen Ärger Tschuppiks kaum auf dessen Worte zu achten. Er hatte sich über die Holzkiste gebeugt und untersuchte sie eingehend. Ebenso genau prüfte er den Schreibtisch und den Türverschluß.
»Nun, was halten Sie davon?« erkundigte sich Tschuppik etwas ungeduldig.
Hearn schüttelte nur den Kopf.
»Abwarten, abwarten!« sagte er endlich und winkte mit der Hand, ihn ungestört zu lassen.
Huntington arbeitete anders. Er begann mit Fragen. Den Apparat selbst besah er sich nur flüchtig.
Kapitän Hearn, auf dem Boden kniend, richtete sich plötzlich auf.
»Führen Sie mich jetzt bitte in die Abteilung, wo Postpakete in Empfang genommen werden«, sagte er leise.
»Aber warum denn?« fuhr Tschuppik auf. »Glauben Sie etwa –«
Hearn zuckte die Achseln.
»Ich würde bestimmt nicht wagen, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen und Ihnen Mühe zu bereiten, wenn ich nur glaubte –« er unterbrach sich: »Ich weiß einiges. Bitte, zeigen Sie mir jetzt die betreffende Abteilung.«
Der Generaldirektor bemühte sich nicht, seinen Ärger zu verbergen, als er sich wortlos umdrehte und vorausging. Auch Doris und Huntington schlossen sich an. Das geringschätzige Lächeln, das die Lippen des Detektivs umspielte, drückte deutlich aus, daß auch er sich von Hearns Tätigkeit wenig versprach.
Sie gelangten in einen großen Raum, in dem etwa fünfzehn Angestellte emsig arbeiteten. Der Kapitän blieb sinnend an der Tür stehen, und seine Blicke streiften scheinbar achtlos über jeden einzelnen hinweg.
Plötzlich steuerte er auf einen kleingewachsenen, schmächtigen jungen Mann zu.
»He!« rief er laut und klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter. »Kommen Sie mal mit!«
»Wie? Wohin?« fuhr der andere auf. »Was meinen Sie?«
»Zunächst ins Gefängnis«, sagte der kleine Kapitän mit Würde. »Es soll dort ganz nett sein, und der Aufenthalt kostet nichts.«
Das Gesicht des Mannes war weiß wie Kalk.
»Ich bin unschuldig«, stöhnte er. »Ich habe es nicht getan.«
»Leugnen auch noch?« Aus der Stimme Hearns klang Entrüstung. »Lassen Sie das mal hübsch bleiben, junger Mann. Sonst gibt's dafür drei Jahre mehr. Außerdem ist es zwecklos: der Postbote wird bezeugen, daß Sie die Kiste in Empfang nahmen.«
»Ich wußte nicht, was die Kiste enthielt«, verteidigte sich der Mann verzweifelt.
»Ach, was Sie sagen!« höhnte Hearn. »Natürlich habe ich keinen Grund, an der Wahrheit Ihrer Worte zu zweifeln. Sie glaubten selbstverständlich, daß in der Kiste Bananen oder Apfelsinen waren, die Sie als Überraschung für Mr. Tschuppik so geheimnisvoll in seinen Schreibtisch zaubern sollten. Nicht wahr, das glaubten Sie doch?«
Der Mann schwieg. Seine Züge drückten tiefste Mutlosigkeit aus.
»Wer war denn Ihr Auftraggeber?« fragte der Kapitän weiter.
»Ich kenne ihn nicht«, war die mit unsicherer Stimme gegebene Antwort.
»Na, gut!« Hearn trat ans Fenster und gab einigen draußen stehenden Polizisten einen Wink. »Führen Sie ihn ab!« sagte er, als diese gleich darauf eintraten. Dann wandte er sich an Tschuppik: »Der Fall ist soweit wie möglich geklärt. Ob wir aber den eigentlichen Urheber dieses Verbrechens je fassen werden, daran zweifle ich sehr.«
Der Generaldirektor bot ihm Zigarren an.
»Ich bin über die rasche Lösung dieses Teiles Ihrer Aufgabe überrascht und erstaunt«, sagte er anerkennend. »Könnten Sie mir vielleicht verraten, wie Sie das herausfanden? Oder ist das ein Geheimnis?«
»Oh, durchaus nicht«, entgegnete Hearn lächelnd. »Der rasche Erfolg ist nur darauf zurückzuführen, daß der Fall gerade für meine Methoden sehr günstig lag. Als ich diesen Raum betrat, wußte ich: erstens, daß der Verbrecher einer von den fünfzehn hier beschäftigten Herren war; zweitens, daß an seiner Hand ein Hautritzer oder Pflaster sein mußte. Diese beiden Merkmale – oder wie Sie es sonst nennen mögen – trafen bei unserem Jüngling zu, und darum nahm ich ihn mir aufs Korn.«
»Aber woher wußten Sie denn das alles?« Aus der Stimme des Generaldirektors sprach jetzt ehrliche Bewunderung.
Sie waren wieder in seinem Arbeitszimmer angelangt, und Hearn zog schmunzelnd seinen abgetragenen Überzieher an.
»Das war ganz leicht festzustellen«, erklärte er gemächlich. »Der Türverschluß war in Ordnung und wies weder Kratzer noch andere Merkmale gewaltsamen Öffnens auf. Die Vermutung lag nahe, daß einer Ihrer Angestellten, denen es nicht schwerfallen dürfte, sich einen Nachschlüssel zu verschaffen, die Hand im Spiele hatte.«
»Aber die Abteilung? Ich beschäftige hier über hundert Leute … Wenn Sie die Abteilung nicht richtig erraten hätten –«
»Ich habe nichts erraten«, sagte der Kriminalbeamte sanft. »Es ist übrigens nie gut, wenn ein Zauberkünstler seine Tricks erklärt. Danach hört die Bewunderung sofort auf, und jeder denkt, er könnte es genau so gut machen.« Er lächelte. »Alle Lösungen sind im Grunde genommen verblüffend einfach. So auch hier! Werden Sie meine Leistung noch bestaunen, wenn ich Ihnen nun verrate, daß an der Kiste ein Streifen braunen Packpapiers klebte, worauf sich ein Teil des gestrigen Poststempels befand?«
»Daher also!« rief Tschuppik aus. »Jetzt verstehe ich!«
»Nicht wahr? Der schwierigste Teil dieses Verbrechens bestand doch darin, die Kiste an Ihrem Portier vorbei hierher zu schaffen. Die Kerle wählten das einfachste Mittel: sie sandten den Apparat per Post. Natürlich nur das Uhrwerk; der Explosivstoff wurde erst später dazu getan – die Geschichte hätte andernfalls beim Schieben und Werfen schon unterwegs explodieren können. Ebenso selbstverständlich war es, daß ein Spießgeselle in Ihrem Geschäft den Apparat in Empfang nehmen, zurechtmachen, in Ihren Schreibtisch verstauen und die Uhr einstellen mußte.«
»Aber die Hautritzer des Mannes? Wie kamen Sie darauf?«
»Das war womöglich noch leichter festzustellen: An einem Nagel der Kiste hing nämlich ein kleiner Hautfetzen, und ein schwarzes Blutfleckchen daneben besagte, daß das Häutchen nicht von Ihren Händen stammte, da Ihre Blutspuren noch frisch und rot waren. Einfach, nicht wahr?«
Ehe jemand etwas erwidern konnte, war Hearn mit einer kurzen Verbeugung zur Tür hinaus.
»Da können Sie etwas lernen«, sagte Tschuppik sichtlich gereizt zu Huntington. Dann wandte er sich in freundlicherem Ton an Doris: »Miß … hm … wie heißen Sie doch – Sie sind für heute dienstfrei.«
*
Doris schritt langsam die 59th Avenue hinunter. Jetzt hatte sie Zeit zum Überlegen; sie ließ die wechselvollen Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden noch einmal vor ihrem Geist vorüberziehen. Das meiste war nun klar, nur eines konnte sie nicht deuten: das seltsame Benehmen und plötzliche Verschwinden des Wagenlenkers gestern nacht. Jetzt fiel ihr auch auf, daß er im Gespräch mit dem Polizisten offensichtlich bemüht gewesen war, das Gesicht vor ihr zu verbergen.
Als sie in ihren Gedanken bis hierher gekommen war, glaubte sie die Lösung des Rätsels gefunden zu haben. Sie betrat eine öffentliche Fernsprechzelle, ließ sich mit Frank Leroy verbinden und bat ihn, eine knappe Stunde mit ihr in einem nahegelegenen Kaffeehaus zu verbringen.
»Sie spielten gestern den Chauffeur! Sie befreiten mich dadurch aus einer großen Gefahr!« sagte sie gerade heraus, als er kurz darauf neben ihr an einem kleinen Tisch Platz genommen hatte.
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, antwortete er kühl und strich sich mit der Hand über sein schwarzes, glattgescheiteltes Haar. Seine Mienen waren unbewegt, aber die Blicke, mit denen er das enganliegende graue Kleid und den geschmackvollen, jedoch nicht auffallenden Hut des Mädchens streifte, waren nicht mehr so streng wie gestern.
»Sie wissen es ganz genau«, war Doris' bestimmte Entgegnung. »Warum wollen Sie es jetzt leugnen?«
Leroy zuckte die Achseln.
»Und wenn ich es war? Was dann?« beantwortete er ihre Worte mit einer Gegenfrage.
»Sie geben es also halb und halb zu«, stellte sie fest. »Was für einen Grund hatten Sie, Ihr Leben aufs Spiel zu setzen? Warten Sie!« fuhr sie fort, als er aufbegehren wollte. »Es ist ganz klar, daß Sie dabei Gefahr liefen. Hätten die beiden Kerle früher etwas gemerkt – eine Kugel wäre Ihnen sicher gewesen. Also – warum taten Sie es?«
Er blies den Rauch seiner Zigarette weit von sich und blickte ihm gedankenvoll nach.
»Nun gut«, sagte er endlich. »Ich gebe zu, den Chauffeur der beiden in eine Kneipe gelockt, ihn dort für einige Stunden kampfunfähig gemacht und dann seine Rolle gespielt zu haben. Ich tat das, weil Sie Ihren Dummenjungenstreich nicht zu teuer bezahlen sollten.«
Doris lächelte nur. Es hatte den Anschein, als wäre sie heute nicht leicht zu kränken.
»Möglich, daß das die Ursache war«, meinte sie. »Gewöhnlich geschieht so etwas ja aus anderen Beweggründen.«
»Ich weiß«, warf Leroy ein. »Jedes Mädchen glaubt, wenn ein Mann für sie etwas tut, müsse er unbedingt in sie verliebt sein. Das meinten Sie doch? Es trifft in diesem Falle nicht zu.«
»Vetter Frank, Sie sind unglaublich!« rief Doris lachend und ärgerte sich, als sie merkte, wie ihre Wangen erglühten.
»Ich werde nie ein Mädchen lieben, das sich nicht dazu eignet, meine Frau zu werden«, fuhr er ruhig fort, ohne ihren Einwurf zu beachten.
»Sie wollen damit wohl sagen, daß ich mich dazu wenig eigne?« fragte sie, und ihre Augen blitzten.
»Ein Mädchen, das sich nachts in Bars herumtreibt, eignet sich dazu ganz und gar nicht«, antwortete er gelassen. »Ich muß übrigens jetzt gehen«, fügte er nach einem Blick auf die Uhr hinzu.
»Warten Sie!« befahl sie mit zuckenden Lippen. »Sie haben mich gestern und heute wiederholt und absichtlich gekränkt. Wie vereinbart sich das mit Ihren strengen Anschauungen, Sir?«
»Ganz vorzüglich«, sagte er und griff nach seinem Hut. »Sie werden zugeben, daß Sie sich nicht im geringsten gekränkt fühlen würden, wenn Ihnen ganz dasselbe irgendein alter, häßlicher Greis gesagt hätte. Sie nehmen es mir also nur übel, weil Sie von mir erwarten, ich würde gleich anderen geschniegelten Stutzern Süßholz raspeln. Dort liegt das Telephonbuch – schlagen Sie nach –: Ihr Bedarf an Jünglingen, die programmäßig beim zweiten Beisammensein Liebeserklärungen stammeln, dürfte leicht zu decken sein.«
»Jedes Wort ist eine Beleidigung!« rief Doris hitzig. »Sie wissen doch ganz genau, daß ich gestern jenes Lokal nur aufsuchte, um die Verbrecher zu verfolgen.«
»Beinahe hätten Sie sie erwischt«, sagte Leroy doppelsinnig.
»Und Sie?« Doris ließ sich nicht von ihrem Gedanken abbringen. »Wollen Sie etwa behaupten, daß Sie den Mörder Manhattans nicht suchen?«
»Ich suche ihn nicht«, erwiderte er sehr bestimmt. »Ich suche ihn nicht, weil ich längst weiß, wer es ist.«
Das Mädchen riß verblüfft die Augen auf.
»Sie … wissen … wer es ist?« stotterte sie verwirrt.
»Kapitän Hearn weiß es auch«, erläuterte er. »Ich muß warten, bis ich genügend Beweise zusammen habe. Worauf Hearn wartet, ist mir allerdings unerklärlich, denn ich vermute, er hat Beweise.«
»Wer … wer ist der Mörder? Kenne ich ihn?«
»Sie kennen ihn«, nickte Leroy. Dann fügte er rasch und leise hinzu: »Ich glaube, Sie haben gestern etwas gelernt und werden schweigen können, nicht wahr?«
»Ich verspreche es.«
Leroy beugte sich tief zu ihr herab.
»Der Mörder heißt Gerhard Huntington«, flüsterte er kaum hörbar. Im nächsten Augenblick, noch ehe Doris sich von ihrer Verblüffung erholt hatte, war er verschwunden.