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Mr. Frederick Manhattan frühstückte. Er hatte gerade das dritte weichgekochte Ei mit seinem kleinen, silbernen Teelöffel eingeschlagen, als sich die Tür lautlos öffnete, und sein Kammerdiener mit der Morgenpost den Raum betrat. Mit eherner Miene näherte er sich seinem Herrn und überreichte ihm auf einer goldenen Schale drei Briefe und zwei Postkarten.
»Ist das alles, Lux?« fragte der Hausherr.
»Jawohl, Mr. Manhattan«, antwortete »Lux«, der in Wirklichkeit Jack Hunter hieß.
»Es ist wenig, Lux.«
»Sehr wenig, Mr. Manhattan«, pflichtete der getreue Diener bei.
Diese Unterhaltung bot nichts Außergewöhnliches, denn sie wiederholte sich in denselben Worten und demselben Tonfall jeden Morgen. Lux erwartete nun die nächste Frage, die sich auf das Wetter bezog, worauf er dann gewöhnlich wieder gehen durfte.
Jack Hunter hatte allen Grund sich zu wundern, denn die Frage nach dem Wetter blieb heute aus. Mr. Manhattan hatte sich vorgebeugt und starrte mit derart entsetzten Blicken nach der Schale mit den Briefen, wie sich Lux erinnerte, seinen Herrn nur einmal gesehen zu haben – als sich auf dem Butterbrot eine kleine Spinne vorfand.
»Ist da nicht wieder ein Brief ohne Marke?« erkundigte sich Manhattan unvermittelt.
»So ist es, Mr. Manhattan«, antwortete Lux, und seine Mienen drückten Erstaunen aus. »Dieser Brief wurde vor fünf Minuten durch einen Boten abgegeben.« Da sein Herr noch immer kein Wort sprach, fuhr er fort: »Im übrigen scheint heute die Sonne, und der Himmel ist fast unbewölkt …«
»Scher dich zum Teufel!« knurrte Mr. Manhattan in plötzlich erwachtem Zorn.
»Wie Sie wünschen, Mr. Manhattan«, entgegnete Lux gemessen.
Er hatte die Tür noch nicht erreicht, als Manhattan ihn schon wieder zurückrief. Seine Hand, die einen geöffneten Brief hielt, zitterte leicht.
»Rufen Sie sofort den Detektiv Huntington her!« kreischte er. »Sofort!«
»Mr. Huntington wird sogleich hier sein. Er wartet unten.«
»Er wartet? Warum meldeten Sie ihn denn nicht an, Sie Kamel?!«
Lux zog kaum merklich die Brauen in die Höhe.
»Mr. Huntington wünschte nicht zu stören. Seit etwa acht Tagen wartet er jeden Morgen über eine Stunde hier, will aber nur dann vorgelassen werden, wenn Sie selbst nach ihm verlangen.«
»Verrückt! Das hätten Sie mir melden müssen, ich erwarte von Ihnen, daß Sie mich über alles unterrichten, was in meinem Hause vorgeht. Verstanden?!«
Der Diener nickte ernst.
»Sehr wohl, Mr. Manhattan. Es ist mir auch lieber, wenn ich vor Ihnen keine Geheimnisse zu haben brauche. Es tat mir weh, Ihnen bis jetzt verschweigen zu müssen, daß Mr. Huntington acht Tage lang hier frühstückte und dabei jedesmal vier Eier verzehrte. Ich habe ihm gesagt, daß Sie zum Beispiel nur drei zu essen pflegen, aber er antwortete, mit weniger als vier könne er nicht gut gedeihen. Wir haben somit einen Verlust von zweiunddreißig Eiern. Sie werden verstehen …«
»Ich verstehe, daß Sie ein Esel sind! Rufen Sie sofort Huntington. Schnell!«
Lux sollte heute aus dem Staunen nicht herauskommen. Zwei Minuten später meldete er nämlich kühl und gelassen wie immer, doch mit merklich schwankender Stimme:
»Mr. Huntington ist nicht mehr da. Es ist das erstemal, daß er gegangen ist, nachdem er erst drei Eier verzehrt …«
Manhattan warf mit einer zornigen Gebärde den Kopf zurück.
»Ah! Zum Donnerwetter!« knurrte er wütend. »Lassen Sie mich mit dem Kram ungeschoren!« Nach einer Weile beruhigte er sich und fügte in verändertem Ton hinzu: »Nun, Huntington wird schon wiederkommen. Das hat auch schließlich keine Eile. Aber jetzt muß ich vor allem einen Notar haben. Ich will nämlich mein Testament machen. Wie finden Sie diesen Gedanken, Lux?«
Der Diener wiegte nachdenklich den Kopf hin und her.
»Sehr beachtenswert, Mr. Manhattan. Ich sagte dies schon, als Sie vor zwei Monaten Ihr letztes Testament machten. Jeder Mensch sollte ab und zu ein Testament machen.«
»Reden Sie kein Blech! Nur ein Mensch mit Geld kann und soll ein Testament machen. Ich habe Geld, und ich will es unter meinen Verwandten gerecht verteilen. Keinen Cent sollen sie bekommen. Ich weiß ganz genau, daß sie alle nur auf meinen Tod und mein Geld lauern …«
»Nicht alle, Mr. Manhattan«, warf Lux dazwischen.
»Ach, Sie meinen die kleine Evelyn, die mich pflegte, als ich krank war? Sie täuschen sich: auch sie ist nicht besser als die anderen. Sie pflegte mich nur, damit ich ihr etwas vermache. Ich habe ihr jeden Morgen klargemacht, daß sie in meinem Testament mit keinem Cent bedacht ist. Sonst hätte ich den Abend nicht mehr erlebt; sie hätte mich sofort vergiftet – verlassen Sie sich darauf!«
»Nicht alle Menschen sind so schlecht«, widersprach Lux abermals traurig.
»Alle!« schnitt Manhattan ab. »Wieviel hatte ich übrigens Ihnen vermacht, Lux?«
»Nichts«, antwortete der Diener gelassen.
»Hm … etwas wenig … nicht wahr … hm …« meinte Manhattan unsicher.
»Oh, nicht doch!« entgegnete Lux höflich. »Bei einiger Sparsamkeit läßt sich schon eine Zeitlang ganz nett davon leben.«
»Ich werde Sie diesmal mit achttausend Dollars bedenken!« erklärte Manhattan gnädig.
»Ich danke Ihnen, Mr. Manhattan! Ich werde mich als reicher Mann fühlen, bis Sie Ihr übernächstes Testament machen.«
»Sie sind ein Schaf! Das Testament, das ich jetzt mache, ist mein allerletztes. Unwiderruflich! Punktum!«
Lux schickte sich an, seines Weges zu gehen.
»Ich weiß«, nickte er, »ganz so wie immer, Mr. Manhattan.«