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Wiederbegegnung mit Tubutsch

Fünfzehn Jahre mag es sein, daß Tubutsch, diese allermerkwürdigste Wiener Gestalt, zum erstenmal in die Literatur trat, Tubutsch, dieser verlorene Schlemihl-Schatten seines Dichters Albert Ehrenstein. Gespenstische Gestalt, unheimlich in ihrer spaßhaften Grimmigkeit mit dem geduckten und gleichzeitig verwegenen Gehaben eines Bettlers um Mitleid, so trat dieser Tubutsch aus unbekannter Seitengasse: man erschrak zuerst vor dieser verschluchzten und bitteren Stimme, die ihre eigene Güte mit Sarkasmen, eine leidenschaftliche Gefühlshaftigkeit mit Kalauern überspaßte. Man erschrak, aber man vergaß sie nicht mehr. Da war etwas Neues, etwas sehr Ergreifendes, das wild vorsprang und sich doch selbst im Wege stand, eine maßlose Schmerztrunkenheit, die sich aber heillos schämte und hinter einer bösen Bissigkeit knurrig verkroch, nie war es wilder gestaltet, das furchtbar krasse Erlebnis des Nicht-Erlebens, des vom Mitleben Verstoßenseins. Und alles dies in einer hinreißend rhythmischen und absichtlich polternden, vom Ottakringer Dialekt ins Antikbildnerische boshaft überspringenden Sprache. Ein Buch, das einen aufreizte, begeisterte, empörte und beschäftigte zugleich. Es rüttelte damals an einer ganzen Jugend herum, und dieser Tubutsch gehört noch immer zu ihr.

Heute nun, nach fünfzehn Jahren, bin ich Tubutschen wieder begegnet. Albert Ehrenstein hat seinen alten Zauberlehrling in ein alt-neues Buch hinübergeholt, dort starrt einen die tragische Maske seiner Jugend neben all den anderen grimmigen Skalpen an, die Ehrenstein seitdem sich selbst und seinen Widersachern von der Haut gerissen. Bei Rowohlt ist es erschienen, ›Ritter des Todes‹ nennt Ehrenstein diese Sammlung, und ich nannte sie eben alt-neu, denn es ist Ehrensteins Spezialität, seine Bücher immer wieder zusammenzuschüttein, vergangene Produktion und die werdende in immer neuer Anordnung zu koppeln. Aber ihm, vielleicht nur ihm allein, mag dieser sonderbare Brauch erlaubt sein, denn – sonderbar! – gerade diese fast formlosen, aus Wermut, Witz und Galle scheinbar zufällig gebundenen Erzählungen haben eine merkwürdige Vitalität, eine so starke Saftigkeit und Sattheit des Wortes, daß man sie immer wieder wie zum erstenmal liest. Ihr Spezifikum, ihr Aroma ist derart stark, daß nichts an ihnen (von wievielen Büchern kann man ein gleiches sagen?) nach einem Jahrzehnt verdunstet und seicht geworden ist. Alle diese Erzählungen haben heute noch ihre straffe Haut, ihre gespannten Muskeln, und man liest selbst die altbekannten, den gallebitteren »Selbstmord eines Katers« oder jene grimmige Selbstgeißelung, die »Begräbnis« heißt, mit dem gleichen aufmuckenden und immer wieder niedergeprügelten Erstaunen, mit der gleichen gequälten Lust und dem gleich begeisterten Gereiztsein. Und vor allem wieder Tubutsch, den herrlichen Anfang!

Aber ich sagte da: »man liest sie«. Liest man sie wirklich? Ich glaube nicht und kann es schließlich den Menschen nicht verargen, daß sie sich ein wenig fürchten vor Ehrensteins Büchern: die lesen sich ja nicht gemütlich, nicht behaglich. Sie rinnen nicht wässerig und süffig die Kehle hinab, sie ätzen auf und lassen scharfe Spuren von Bissen und Kratzern. Sie haben krumme Rücken und plötzliche Krallen, sie tun weh und nicht wohl, sie haben herzeinreißende, gewaltsame Gikser mitten in der zartesten Wortmelodie – Notschreie eben eines verschütteten Menschen. In Ehrenstein schindet ein ewiger Apoll einen ewigen Marsyas ewig blutig, und dazwischen ist Musik, die vielgestufte Melodie der Syrinx und wieder die grimmigen Schreie des Geschundenen grell durcheinander. Er schneidet bis ins Herz, er zerrt an den Ohren, den Nerven ohne Schonung, barbarisch oft und oft göttlich. Aber hinter all dieser Ironie, diesen Spaßhaftigkeiten verkriecht sich immer ein furchtbarer Ernst, eine zurückgeschlagene Güte, ein leidenschaftlicher Liebeswille ins Leere, all das, was der Knabe Tubutsch schon verworren verriet.

Diese tiefe leidenschaftliche Macht in Zorn und Menschlichkeit, wir alle haben sie damals schon dunkel an Ehrenstein gespürt, ganz aber erst gewußt im Kriege, als diese Leidenschaft nicht mehr in sich sinnlos hineinwütete, sondern hinaus in die besessene Welt, Berserker eines prachtvollen lyrischen Zornes, eine unvergeßlichen. Seine Verse gegen den Krieg, gegen »Barbaropa«, gedichtete Peitschenhiebe, haben das herrliche Pathos gezeigt, das in diesem anfangs geduckten Ankläger der Ungerechtigkeit verkrümmt lag und die lyrischen Gedichte seitdem, aus Scham meist in chinesische Kleider sich bergend, den zarten Empfinder, den innerlich von jedem Anhauch Berührten. Nein, nun hilft es ihm nicht mehr, sein Verstecken hinter dem Spaßmacherischen, sein in Ironie gewaltsam verzerrter Mund. Durch das Kristall seiner reinsten Verse sieht man untrügbar ein an seiner eigenen Güte geradezu schmerzhaft leidendes Gesicht.

Aber wie wenige sehen's! Wie viele hat er befremdet durch seine alternierende, vom Zarten ins Bissige, vom Ernsten ins Spaßige zu hurtig überspringende Sprache, durch die aufstoßenden Rülpser der Bitternis mitten im klingendsten Wort! Wie steht dieser gute Dichter noch immer allein, noch immer Tubutsch, der Allerweltsverlassene, mitten in der Literatur, an niemand gebunden, an keine Gruppe, keine Gesellschaft, nicht zu den Jungen gehörend, nicht zu den Alten, immer noch Tubutsch seines eigenen Lebens. Und man wünschte ihm, daß endlich dies Scharfe und Saure, dieses Sich-Wehrende und Verkrümmende wenigstens für ein Werk, ein einziges sich von ihm löste, so wie es wunderbar sich in seiner Übertragung des ›Lukian‹ gelöst hat, dieses famosesten Buches sprachlichen, menschlichen und geistigen Übermuts. Da, in dieser funkelnden Erneuerung und Übertragung, da hat das Hellenische endlich einmal das Alttestamentarisch gegen sich Wühlende in Ehrenstein stumm gemacht und ist selbst Klang geworden. Und nichts wäre schöner, als wenn aus eigener Kraft, aus eigener Freiheit nun Ehrenstein einer unserer stärksten und nur gebundensten Menschen, einem eigenen Werk solche Schwinge finden würde, die nicht mit Spaß, nicht mit Boshaftigkeit und witzigen Sprüngen, sondern mit der wirklichen Schwunghaftigkeit seines Wesens ihn heiter hinaustragen könnte über sich selbst und seine Bitternis. Möchte es ihm doch gelingen! Heiliger Lukian, steh' ihm bei, unserem lieben Tubutsch!


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