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So gieb dem Fleische

So gieb dem Fleische, was des Fleisches ist,
Doch dies ist Alles, und noch mehr, was es vergißt,
Das Fleisch ist Augenblick, und Gier, und Sättigung,
Alles in Allem, Gleichgewicht und Fall und Sprung
Aus Augenblick in Augenblick, aus Gier in Gier,
Dazwischen satt (das Volle, der Schlaf, der Tod) und hier
Berührt der Augenblick nicht sich, das Auge blickt nicht mehr.
Verächter des Fleisches? Oh nein. Vorher und hinterher
Verachtet sich Fleisch. Nie Geist. Geist wird seiner nicht satt.
Fleisch wird leer und voll. Aber der Geist hat
Den Schaden. Ein Vater, der sein Kind frißt,
So der Asket. Eine Mutter, die ihr Kind vergißt,
So der Bauchmensch (d. i. Geist, der weg reist,
Das Fleisch schreit, wird aber vom Fleisch getränkt und gespeist,
Und verwuchert wurzellos). Weck Geist in dir!
Friß nicht deinen Leib! Dann bist du dort und hier.
Es ist wohl leichter, das Fleisch zu töten,
Denn es leben zu lassen aber vor ihm zu erröten.
Asket ist rachsüchtige Scham. Aber immerhin Scham.
Schändlich ist der Mensch, der sein Fleisch ins Hurnhaus nahm
Des Zuhaltegeists, und mit kleinem oder großem Pimmel
Zelebriert Fleischüberhöhung in dem Diesseitshimmel.
Dies ist Betrug. Ruchloser, umgedrehter Asket, enthaltsam
Vom Jenseits, es tötend, gewaltsam
Lügend Fleisch ins Fleisch, sein Töten
(Rachsüchtig): nicht vorm Fleisch sondern vorm Geist sein Erröten.
Seines Fleisches schämt sich vor seinem Geist der Asket –
Vor seinem Fleisch beschämt der Fromme steht,
Sein Geist sagt! Erkenntnis ist nie zu spät,
Daß sie dem Fleisch noch nütze. Aber der Abgefallne aberwitzig bläht
Fleisch auf: dies sei der wahre Geist,
Das Jenseits sei eine Blase, die mit Knall zerreißt,
Ein Furz, eine Latrine, er scheißt
Auf alle Ideale, die nicht Fleisch überhöhn
Zur Mimikry des Geists. Herrgott ist das schön,
Und unerbittlich ästhetisch,
»Beinahe« göthisch,
Aber wenn er alt wird, der geistreiche Gickler,
Der Fleischentzückler, der Geistzerstückler,
Fleischgeistgichtig wird er gierig in die Geistentrücklerkirche gehn.


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