Richard Zoozmann
Deutsche Minnesänger
Richard Zoozmann

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Herr Wolfram von Eschenbach

1203 – 1215

Der Wächter:

Seine Klauen
Schlägt er durch den Wolkenflor,
Aufsteigt er mit großer Kraft.
Seh ihn grauen
Täglich, wenn er steigt empor,
Der da bittre Trennung schafft
Und berauben will den Mann,
Den zum Lieb ich sorgend ließ.
Bring ihn doch vonhinnen, wenn ich kann,
Da michs seine hohe Tugend hieß.

Die Frau:

Ach, du singest,
Wächter, was mir Freuden nimmt
Und vermehrt des Herzens Not.
Kunde bringest
Du mir, die mein Herz verstimmt
Täglich noch vorm Morgenrot.
Daß du lieber schwiegest gar,
Will ich bei der Treue dein,
Und ich lohns nach Kräften dir fürwahr,
Lässest du den Freund noch bei mir sein.

Der Wächter:

Nein, vonhinnen
Muß er, und kein Säumen frommt,
Gieb ihm Urlaub, süßes Weib.
Laß ihn minnen,
Wenn er heimlich wiederkommt,
Daß er wahre Ehr und Leib.
Meiner Treu er trauen muß,
Ging er sicher sonst hindann?
Schon ist Tag! Nacht wars, als er dir Kuß
Und Umarmung heimlich abgewann.

Die Frau:

Nach Gefallen,
Wächter, sing, doch laß ihn hier;
Minne bracht er und empfing.
Durch dein Schallen
Allzuoft erschraken wir,
Eh empor der Frühstern ging
Ihm, der her zur Minne kam,
Eh noch schien des Tages Licht.
Ach dein Ruf ihn gar zu oft entnahm
Weißem Arm, doch heißem Herzen nicht.

Von dem Scheine,
Der durchs Fenster drang so klar,
Und vor Wächters Warnungssang
Schrak die Reine
Seinethalb, der bei ihr war,
Und sein Herz an ihres zwang.
Und er schlang um sie den Arm
Bis ihn rief des Hornes Ton –
Urlaub nahm von ihr er voller Harm,
Kuß um Kuß ward ihm als Minnelohn.

Tag ist es nun.
Daß längres Ruhn
Bei dir, mein Lieb, fürwahr nicht ziemen kann.
Die finstre Nacht
Entwich, und sacht
Bricht mir zum Leide schon der Morgen an.
»Weh, mußt du scheiden nun von hier,
Zu früh kommt, Freund, die Sorge mir,
Und ach! ich weiß, zu früh auch dir,
Den gern ich meinen Augen noch vergönnte,
Wenn ich dich so mir halten könnte.
Das muß mir Gram bereiten.
Wie kann ich lassen dich? O weh.
Des Höchsten Friede möge dich
Bald neu in meinen Arm geleiten.«

Das gute Weib
Des Freundes Leib
Herzlich umfing: da sank er süß in Schlaf.
Doch es geschah,
Daß bald er sah
Den grauen Tag – was hart ins Herz ihm traf.
An seinen Busen drückt er sie,
Und sprach zu ihr: »Mir kam noch nie
Ein Scheiden, schwer und schnell als hie;
Es hat die Nacht uns allzubald vergessen.
Wer hat sie nur so kurz gemessen?
Der Tag will nicht verschwinden.
Und wenn die Liebe Glück verschafft,
So helfe sie, dann darf ich dich
Mit Freuden wieder finden.«

Sie küßten sich,
Herzinniglich,
Den Tag verwünschend, daß er nicht erlischt.
Urlaub nimmt er,
Wirds ihm auch schwer.
Nun merket, wie sich Lust und Klage mischt.
Sie hatten beide gleichen Mut,
Da sie so nahe sich geruht,
Als Liebe heischt mit ihrer Glut.
Und wenn am Himmel selbst drei Sonnen schienen,
Sie leuchteten nicht zwischen ihnen.
Er sprach: »Nun muß ich reiten.
Erhalte deine Liebe mir;
Sie soll als Schild sich über mich
Heut und für ewig breiten.«

Ihr Aug so klar
Voll Tränen war,
Und ihm auch fiel die Trennung schwer von ihr.
Sie sprach: »Nun zieht
Davon und flieht
All meine Freude, wo du gehst von mir;
Weil nun versagt mir ist dein Kuß,
Und deinen Mund ich meiden muß,
Der mir entbot manchen lieben Gruß,
Wie er entsprang aus deines Herzens Güte
Und mich beseligt im Gemüte.
Wem willst du nun mich lassen?
Kehr mir zum Troste bald zurück,
O weh, wie sollt ich anders mich
Bei solchen, Herzleid fassen?«


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