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Die Männer der Mächens.

Zu den Mächens, die hauptsächlich im vorigen Kapitel und auch im Abschnitt »Kneipen« geschildert sind, gehören auch deren Männer. Auch sie waren Stoff für Heinrich Zilles Zeichenstift. Er hat sie von mancherlei Seiten erlebt, gesehen und dargestellt. Sie sind eben nicht nur mit dem bestimmten Wort »Zuhälter« abzutun. Unter ihnen gibt es die verschiedensten Typen, die verschiedensten Gründe und Ursachen für ihre Lebensweise. Auch hierüber habe ich ausführlich im »Galanten Berlin« geschrieben.

Ebenso wie diese Männer manchmal Mädchen und Frauen anlocken, unter ihre Botmäßigkeit stellen und zu dem »Lebenswandel« nötigen, ebenso locken auch solche Mächens Männer an. Und zwar besonders gern stattliche Gestalten.

»Bei mir hast' et ja viel besser!« (Bild 85.)

Sie kluften ihren Freund ein, machen ein »Klub«-Mitglied aus ihm (Bild 86), der auch manchmal »nachdenkt« (Bild 87), der voll Stolz herausfordernd mit den Mächens sich sehen läßt – der in Kneipen verkehrt, wo die Mächens zu »Witwen« gemacht werden (Bild 89) – und der schließlich im Dämmer der Gefängniszelle sinnt:

»Wer nie sein Brot mit Tränen aß.« (Bild 90.)

Zille hat diesen Werdegang in einer Reihe von Zeichnungen geschildert, die diesem und dem vorausgehenden Kapitel sowie den Kapiteln »Kneipen« und »Milljöh« beigefügt sind.

*

Und damit sind wir bei der Umwelt dieser Unterwelt angelangt.

Da kommt ein kesser Junge zum Witwenball, Berlin N, Müllerstraße:

Franz, der Löwe des Nordens:

»Ober, wo sind denn die Damen?«

»Ausjehoben!«

Bald sind sie sehr empfindlich und rufen übermütig dem Schupo nach:

»Wat, der Jrüne? Dem is woll lange keen Ooge über't Schemisett jerollt!!«

Aber sie parieren auch, wenn ihr Kaschemmenwirt kommandiert:

»Achtung, Kinder! Die Polente kommt – singt een frommet Lied!«

Alle: »– – Heil dir im Siegerkranz!« (Bild 113.)

Diese Herren erkennen auch die Tüchtigkeit ihrer »Leibeigenen« an.

»Ick kann nich klagen, meine is fleißig, die kiekt den janzen Tag aus d' Fenster!« sagte einer zum andern.

Zwar haben auch diese Freunde und Bräutigame sich der Neuzeit angepaßt, gehen nur selten noch in Sportwesten, ohne Kragen, mit flatterndem Apachentuch und flacher Mütze. Sie passen sich noch mehr als früher der Umgebung an und halten auf gute Kleidung, gehen zu ihren Festen und Beerdigungen mit Smoking und Frack, mit Zylinder und Lackschuh. Wie sie sonst zu ihren Mächen stehen, das zeigt nicht nur dies Kapitel, sondern mancher Satz aus mehreren anderen.

*

Viele meinen es gewiß gut mit ihren Mächens und suchen zu einem Erwerb zu kommen, bei dem sie ehrlich was leisten. Manchen gelingt es auch. Ebenso wie manchem Mächen.

Allerdings halten sie sich für den Wohltäter der Mächens und trösten sie:

»Frieda, sei zufrieden, daß de det blaue Ooge hast, sonst is der Steckbrief sehr jenau.«

 

84. Mächens und ihre Freunde.
Charlottenburg vor 1900.

Nach dem Original zum 1. Mal veröffentlicht.

 

Zille neckt sie deshalb auch einmal. Er läßt ein Mächen der Friedrichstraße den Notschrei ausstoßen:

»Herr Schutzmann, mein Bräutigam will det Jeld nich nehm'n.«

In der Wirklichkeit geben nämlich auch oft die Mächens alles, was sie sich erwerben, ihrem »Bräutigam«. Eine will die andere übertreffen. Sie kaufen ihm Pelze und Ringe, Lackschuhe, silberne Zigarettendosen und goldene Uhren. Wer den andern in die Unterwelt hinabgezogen hat, wer ihn dort festhält – ob der Mann die Frau oder die Frau den Mann – oder ob die soziale Lage sie hineingezerrt hat, oder irgendwelche Sonderveranlagung – das ist nur sehr schwer in jedem Einzelfall zu ermitteln.

Und so kommt es denn oft zu Aussprachen heftiger Art, in denen er sie anschreit:

»Von wegen Bräutigam, dein Freund soll ick sind!«

Aber ebenso oft machen sie auch einander Freuden: diese Männer und diese Mächen. Da sagt z. B. Krawattenmaxe zu seiner Olga:

»In Paris tragen jetzt die feinen Meechens Ringe an die Zeh'n, und da bring ick dir ooch wat vor deine Pfoten, Olja.«

Und Ede denkt immer an seine Erna und überrascht sie zum Geburtstag:

»Nee, Ede, die Freide! Du hast dir for mir fotografiern lassen?«

»Ja, siehste, wie se mir damals uff'n Alexanderplatz zwangsweise geblitzt ha'm, hab ick mir gleich gedacht, det Bild klau ick for meine Erna!«

Sie haben denn auch manchmal Gelegenheit, miteinander zu arbeiten.

Doch ist es recht selten geworden, daß ein Mächen mit ihrem Mann losgeht und ihm nach einem Überfall auf einen von ihr Angelockten zuruft:

»Da haste nu schon wieda det Messer stecken lassen. So 'ne Bummelei! Du willst een Lude sind!«

 

85. »Oskar, laß doch die Olle! Bei mir hast et ja viel besser!«
Verführung eines Bauarbeiters durch ein Straßenmädchen.

Nach dem Original zum 1. Mal veröffentlicht.

 

 

86. »Klub«-Mitglied aus der Friedrichstadt.
1900–1914.

Nach dem Original zum 1. Mal veröffentlicht.

 

Immerhin kommt es schon mal vor, daß in die Kreise, die sonst jetzt ziemlich viel auf Reputation halten, sich auch Leute mischen, die nach verübtem Verbrechen den Bericht in der Zeitung lesen und voll Dankbarkeit den Vorschlag machen:

»Weeßte Schorsch, die Rezensjon von unsen Einbruch is einfach knorke! Ob wir den Pinkel mal nachts 'ne Stippvisite machen?«

 

87. »Laß mir mal nachdenken!«
Skizze nach einem Mädchenfreund.

Nach dem Original zum 1. Mal veröffentlicht.

 

Auch andere »Geschäftsleute« drängen sich in diese Kreise. Spieler amüsieren sich über den dummen Vogel, den sie rupfen:

»Weeßte Emil, Skat is langweilig, wir woll'n wat Besseres zeigen, weeßte! Jottes Segen bei Cohn, da kann er viel jewinn!«

Und wenn sie dann als Zeugen zum Kriminalgericht müssen, meinen sie:

»Man weeß nie, Oskar, ob se een wieder weglassen!«

Und der Transporteur, der die Festgenommenen und Verurteilten an den Ort der Buße bringt, neckt sie gar:

»Jetzt werden die Zellen alle rund jebaut!«

Der Sträfling: »Warum denn?«

Der Transporteur: »Daß ihr nischt mehr sollt in die Ecken machen!«

Während sie »sitzen« entsteht Trauer im Gesangverein:

»Die Bässe sitzen in Plötzensee, da krieg'n wir keen anständiges Lied mehr zusammen!«

Ehrfurchtsvoll mahnt der Vorsitzende ihres Ringvereins beim Stiftungsfest:

»Ehe die Fidelitas steigt, woll'n wir noch der Männer unserer Frauen in Plötzensee gedenken und einige Ansichtspostkarten loslassen laut § 3 unserer Statuten.«

Sind sie dann entlassen, singen sie wohl:

Ja, in Hamburg bin ich gewesen,
In Sammet und in Seide gehüllt.
Meinen Namen durft' ich nicht nennen,
Denn ich war ja ein Mädchen für Geld.

Ach Mutter, ach herzliebste Mutter,
Verstoß' nicht dein unglücklich Kind!
Unterm Herzen hast einst mich getragen,
Für das Gute, da war ich zu blind.

Und schließlich sagen die armen Verwandten, wenn sie die reiche Tochter ihres Onkels besuchen:

»Weeß Jott, Lilli, bei dir ist's dufter als in ›Tegel‹!«

*

Zille selbst erzählt von manchem, der wegen irgendeiner Rauferei vor dem Kriege nach Plötzensee mußte:

»Im Krieg machte ich auch manchmal meine Runde durch die Lokale. Da traf ich sie alle, die Mitglieder vom Verein Norden und den andern Ringvereinen. Draußen war keiner.

Und wer nicht da war: ›saß‹! –«

Z.

 

88. »Das war die Liebetrut,
die war dem Berger gut.
Sie war erst 15 Jahr,
als er ihr Lude war.«

 

Straßenmädchen und ihre Freunde. Entwurf aus dem Jahre 1903.

Nach dem Original.

 

Von einem, der sich besonders überlegen fühlte, berichtete Zille:

»In einer Kellerkneipe lernte ich auch den ›Fürst ohne Hirn‹ kennen. Der warf einfach einen andern Gast, dessen Nase ihm nicht gefiel oder der ihn angesehen hatte, durchs Fenster auf die Straße.

Kam – schob seine breiten Schultern durchs Lokal – kriegte ein rotes Genick, riß das Messer raus – haute es in den Tisch.

Wenn gespielt wurde, stieß er den Bankhalter weg und schrie:

›Wat is los?‹

Strich alles Geld vom Tisch und steckte es ein.

Alles war mäuschenstill.

Später war er im Krieg. Soll 'n Leutnant über Bord gestoßen haben. Vor Gericht spielte er den ›wilden Mann‹ – kam ins Irrenhaus – nachher wieder raus.

Keiner wollte sich mehr mit ihm einlassen. Er hatte den ›Jagdschein‹, d. h. er stand unter § 51 = unzurechnungsfähig ...«

*

»Einst sagte ich an einem Tisch in einer Kaschemme:

›Als ich in Sonnenburg (Zuchthaus) war –‹

›Unter welchem Direktor?‹ fragte einer hastig.

›Als ich euch bewachte!‹ antwortete ich.

›Ach so –‹ antwortete er enttäuscht.«

*

»Im Krieg war einer, der hatte es weg.

Als sie den einzogen, bückte er sich nach rechts und sagte:

›Das ist es nicht!‹

Dann bückte er sich nach links und sagte wieder:

›Das ist es nicht!‹

Und so bückte er sich immerzu und sagte:

›Das ist es nicht!‹

Sie untersuchten ihn.

Aber bei den Ärzten machte er's ebenso.

Und da sie nicht aus ihm klug wurden, kriegte er Strafe.

Aber er bückte sich immer nach der einen und nach der andern Seite und sagte:

›Das ist es nicht!‹

Schließlich bescheinigten sie ihm seine Krankheit.

Und als er entlassen war und die Dokumente hatte, sagte er: ›Das ist es‹!«

 

89. »Jetzt wollen se uns schon wieder zu ›Witwen‹ machen.«
Razzia in einer Kneipe der Männer und Mächens.

Nach dem Original.

 

»Da ist der Klub in der T-straße. Wer nicht 180 Pfund stemmen kann, wird nicht Mitglied.

Der hatte in einem Prachtsaal des Nordens sein Fest. Ein Riesensaal voll Menschen, von denen jeder sein Aktenstück hatte ...

An den Seiten standen die vom 17. Mai, Sie wissen ja: § 175. An den Tischen Budiker, Kuppelwirte, Ärzte dazwischen, bekannte Leute. Tausende von Menschen.

Und ein Stück wurde gespielt: ›Die Halbwelt im Westen und im Osten‹. Die eine mit seidenen Betten und Spitzenhemden. Die andere mit 'n wackeliges Holzbette und in Lumpen.

Gespielt wurde gut. Die brauchten ja nur aus ihrem Leben raus spielen. Auch 'n Gardeoffizier spielten sie – mit Reitstiefeln, 'n Adlerhelm auf dem Kopf, was sonst verboten war.

Aber diese geschlossene Gesellschaft konnte sich das erlauben. – Die Damen waren natürlich auch dabei und lachten am lautesten über die Witze, die auf der Straße nicht zu erzählen waren. –«

*

»Einen Verbrecherball habe ich auch mitgemacht. Auch irgendein Verein. Irgendwo in einem Hinterhaus in der Volksgegend – 'ne Wendeltreppe rauf.

Scharfe Kontrolle: ›Woher haben Sie das Billett?‹

›Na – von einem Wirt in der Linienstraße.‹

›Was heißt Wirt – Linienstraße! Die is lang! ... Wie heeßt er denn?‹

›Den Namen weiß ich nicht.‹

›Denn könn' Se nich rin!‹

›Na – er is tätowiert – vom Fingernagel bis zur großen Zeh'.‹

›Ach so – der? – Na, denn jehn Se man ruff.‹

Oben im Saal erregte ich mächtiges Aufsehen. Ich paßte doch gar nicht zu ihnen. Die waren alle im Smoking – ich bloß in grauem Anzug. Gleich kam mir ein Bekannter entgegen:

 

90. Wer nie sein Brot mit Tränen aß –
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht – ihr himmlischen Mächte –

Im Gefängnis.

Nach dem Original.

 

›Zille! – Na meinswegen. Aber nich zeichnen! Det gib's hier nu nich!‹

›Nee – nee! Sag man den andern, daß ich ungefährlich bin!‹ beruhigte ich ihn.

Bescheiden setzte ich mich an einen Seitentisch.

Dann kamen sie auch bald an aus der Friedrichstadt. Elegant die Damen, mit Hosenrock, wie das gerade modern war. Manche Herren kamen gleich mit drei Damen an, die für sie tippelten. Die schönsten Gelbsternfiguren.

Dann zeigten die Männer Kraftproben. Athletenstücke, nackend, nur einen schmalen Schurz vor.

Aber das Verblüffendste war mir doch 'ne Nebensache: der Flügel stand ihnen im Wege. Da nahmen ihn zwei und stellten ihn von der Bühne runter in den Saal, wie wir einen Stuhl aus dem Wege stellen.

Dann wär's mir beinah schlecht gegangen. Ich mußte doch zeichnen, konnte nicht anders. Da saßen in meiner Nachbarschaft Internationale. Fesche elegante Kerls. Mit Mädchen. Sprachen fremd. Englisch. Da zog ich 'n Blättchen und skizzierte heimlich unterm Tisch.

Gleich kamen sechs angetrappst durch den Saal:

›Det haben wir uns gedacht!‹

Ich sagte: ›Seh'n Sie mal Ihre Gardrobenfrauen. Die drücken sich die Nase breit an den Glastüren. Die können ja viel mehr erzählen als ich!‹

Da sagten sie schließlich: ›Bleib man!‹

Aber die Notizen mußte ich zerreißen.

Ich war schließlich auch 'n ›Gezeichneter‹ – weil ich so viel gezeichnet hatte! ...«

 

91. Der feine Alex und »Seine«.

Nach dem Original zum 1. Mal veröffentlicht.

 


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