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Motto:
Am Tage: Arbeit, ernster Wille,
Abends: einen Schluck in der Destille.
Dazu ein bisken Kille-kille,
Das hält munter –
Heinrich Zille.
Das Zillebuch –
Es ist selbstverständlich, daß sich dies Zillebuch nicht mit kunstwissenschaftlichen oder kunsttechnischen Betrachtungen abgibt, sondern vor allem der Persönlichkeit des Künstlers gerecht zu werden versucht.
Seine Bedeutung in der Kunst steht fest. Sie ist offiziell von seinen Kollegen durch seine Berufung in die Akademie der Künste anerkannt worden.
Auch in diesem Buch wird hier und da auf einige wichtige Seiten seines Schaffens eingegangen werden. Es soll eine Darstellung seines Gesamtwerkes werden. Das Wesentliche aber ist der Mensch, der aus seinen Werken und aus seinem Wirken zu uns spricht.
Zille ist immer ein ganzer Mensch gewesen. Als seine ersten Zeichnungen aus dem Volke in den humoristischen Zeitschriften auftauchten, um 1900 herum, empfanden alle Leser, daß hier eine durchaus besondere und bedeutende Persönlichkeit sich äußerte. Eine eigenartige, persönliche Auffassung sprach aus dem kräftigen Strich der Darstellung, die eine ebenso geschulte wie eigenwillige Hand erkennen ließ. Das Dargestellte aber selbst: Volk, elendes, gedrücktes Volk, das sich trotz allem den Humor nicht nehmen ließ, das mit Lachen gegen den Druck und gegen seine kümmerliche Lebenshaltung aufbegehrte.
Was andere in langen Reden und dicken Büchern sagten, wozu andere jahrelange Untersuchungen brauchten, das teilte er durch seinen Zeichenstift mit wenigen Linien mit. Er übermittelte aber mit seinen humorvollen Darstellungen nicht nur Elendsmenschen und Elendswinkel. Mit voller Liebe und mit vollem Bewußtsein berichtete er auch von der Kraft des Volkes.
Seine Gestalten sind durchaus nicht immer Elendsgestalten. Ja, auf den meisten Blättern sind Kinder und Frauen recht wohlgenährt und die Männer robust und kräftig.
Er glaubte ja auch an das Volk. Er glaubt auch heute noch an das Volk.
Vielleicht oft unbewußt half er mitarbeiten an der neuen Zeit. Häufig aber führte ihm auch Empörung über die Zustände die Hand bei seiner künstlerischen Arbeit.
In welcher Zeit reifte er zum Künstler! Bigotterie und brutaler Materialismus von oben und eine heftige natürliche Reaktion des Volkes auf den Druck von oben umgaben ihn in der Jugend und während der Jahrzehnte, in denen er zum Künstler heranreifte. Näheres darüber ist in dem Kapitel: »Zille als Künstler« und in den Kapiteln von seiner Kindheit, seiner Lehr- und Gesellenzeit zu finden. Das waren jene Jahrzehnte, als die Menschen in Deutschland darauf erzogen wurden, barsch kommandiert zu werden. Diese Gemütslage ging aber gegen die germanische Eigenart. Sie war uns erst in Jahrhunderten anerzogen worden. Die Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege hatte besonders das »Radlertum« (nach oben krummer Rücken, nach unten treten) gefördert. Gegen diese Knechtsgesinnung hat sich Zille immer empört.
In diesen Kapiteln äußert er sich auch ausführlich über das, was ihn zum Schaffen drängte, und über das, was ihn zum Zille werden ließ. Hier möge noch eine Mitteilung stehen, die er selbst nach seinem 70. Geburtstag über sich machte:
1. Pfefferkuchen nach einem Zillebild.
Mitmenschen!
Ja – ich erinnere mich; als ich zum erstenmal, auf Drängen meiner Freunde, in der ersten Schwarz-Weiß-Ausstellung der Sezession, so um 1901 herum, in der Kantstraße neben dem Theater des Westens, meine Zeichnungen hingegeben hatte – Zeichnungen, die viel besser, wahrer waren als die, die ich später zum Broterwerb geleckter, frisierter bringen mußte, die das herbe Leben der Armen zeigten –, da standen vor den Bildern viele Menschen; und ich hörte, als ich mal lauschte, wie ein älterer Herr, wie es schien, Militär in Zivil oder Hauptmann an der Majorsecke, zu seiner Dame sagte: »Der Kerl nimmt einem ja die ganze Lebensfreude« – da schämte ich mich, so verstanden zu sein!
Ja, und wie es mir passierte, daß ein reicher Kunstjünger, der »Armut« malen wollte und sich dachte, wenn er meine Modelle, die vom Wedding, hätte – daß er sich dann in das »Milljöh« könnte hineinarbeiten, oder daß ihm die Sache dann besser liege –, der aber auszusetzen hatte, der Mutter der Kinder gegenüber: »Det se doch so wenig sauber und so sehr dreckig wären« und daß die Mutter ihm entrüstet erwiderte: »Ja – und for Zillen ken'n se jarnich dreckig jenuch sind –« Soll man sich da eigentlich nicht schämen?
Da hab' ich mich, als ich das später erfuhr, doch etwas geschämt. – Und als mein lieber Freund Karl Arnold, der Zeichner im »Simplicissimus«, ein Bild brachte, das mich zeigt, wie ich vor zwei »wohlhabenden« Männern »untertänigst« stehe und der wohlhabendste mich mit den Worten anspricht: »Nehm' Se sich noch ne frische Habana, Meister Zille, Sie ham uns mit Ihren Nutten un arme Leute imma so ville Freude jemacht!«
... Da schämte ich mich, daß das so wahr war.
Z.
Wenn Zille auch hinterher in seinem Alter manchmal sich kränkt, daß seine Schilderungen nur als Humoristika aufgenommen werden, so liegt doch in seinem Wesen und seiner Kunst so viel Humor, daß er selbstverständlich nicht nur als Elendsmaler gelten kann. Er selbst steckt so voller Eulenspiegeleien, daß er sogar in seiner Krankheit und unter den Erscheinungen des Alters seinen Humor immer wieder explodieren lassen muß. Näheres darüber findet der Leser in den letzten Abschnitten dieses Buches.
2. Pennbruder. Studie nach der Wirklichkeit.
Zille ist aber ganz gewiß der moderne Eulenspiegel. Er löckt mit tolldreisten Streichen und Aussprüchen wider bösartige Erscheinungen aller Art an. Seine humoristische, allerdings manchmal mit einem »Bittern« durchwürzte Lebensauffassung hat zweifellos unsere Weltanschauung und die allgemeine Einstellung zum Volke und zum Leben überhaupt beeinflußt.
Zille selbst blieb allerdings durchaus in seinen Schichten, in seiner Lebensführung sowohl wie in seiner Anschauung. Er blieb im Volksviertel wohnen. Er blieb in seiner Empfindung und seiner Überzeugung kampflustiger Proletarier, der immer auf eine Besserung dieser »besten aller Welten« hindrängt. – Dies aber, daß er sich immer als »Knecht des Kapitals« fühlt, ist seine künstlerische Stärke. Dies befähigt ihn, aus innerstem Erlebnis heraus zu schaffen, jede Linie seiner Gestalten mit ihrem Empfindungsgehalt zu füllen.
Er ist eben aufgewachsen in einer Zeit, als auf der einen Seite das Bürgertum nach außen hin fromm tat, als es aber in Wirklichkeit, verführt durch den Milliardensegen der siebziger Jahre, in übermütigem Genuß viele Ideale verlor. Das einfache Volk fühlte nur die Last der Anforderungen, den harten Druck der Verwaltung und eine quälende Verlassenheit. Die Berufenen, Kirchendiener und Staatsangestellte, fanden nicht den Ton und die Tat, um dem Volke Liebe und reine Lebensfreude zu geben. Zille weiß aus jener Zeit genug volkliche Derbheiten zu berichten und zu schildern. In Wort und Bild.
Gründlich verfehlt wäre es jedoch, nach manchen Zille-Gestalten zu schließen: Zille habe nur die fragwürdigen Elemente des Berlinertums und der Hauptstadt schildern wollen oder er habe nur solche Gestalten als »Volk« gesehen. Nein, er hat alle Schichten des Volkes mit gleicher Liebe geschildert. Das Kleinbürgertum, das arbeitende und werktätige Volk sind in seinem Werk mit gleicher Liebe behandelt worden wie die Außenseiter der Gesellschaft. Ja, wer sein Werk mit Gründlichkeit betrachtet, wird finden, daß er mit besonderer Liebe das sich ehrlich ernährende Volk dargestellt hat. Allerdings ist er an den Außenseitern, an den Entgleisten und Verkommenen nicht lieblos vorbeigegangen.
3. »Wenn man so in de Kintöppe sieht, wie se sich haben – die Lotte Werkmeister, die Cläre Waldoff, die Söneland – der lange Westermeier und der schlacksige Lambert Paulsen – un' wie die Prominenten alle heißen, dann denkt man, det se woll alle in de Kaschemme sind uffgewachsen – aber keene Spur von Klammergast – de janzen Fisimatenten ham se sich von hinten rum abjekiekt und sich so quasi weggestohlen – Kunststück!!«
Er nahm sie als Ergebnis sozialer Bindungen und Vorgänge und erhob durch ihre Schilderung ebenso eine laute Anklage gegen die Verantwortlichen wie in den Darstellungen, in denen er die tausendfachen Nöte und die Duldungsfähigkeit der Werktätigen, besonders aber auch der Kinder und Frauen des Volkes allen jenen Menschen vor Augen führte, die nicht selbst in diesen erbärmlichen Höfen, Hinterhäusern und Mietskasernen leben brauchen. Auch im Bild 3 äußert er das in seiner humoristischen Weise. Über das Mittel der humoristischen Zeitschriften und Bücher führte er die Kenntnis und die Anteilnahme an dem »fünften« Stand auch in die eleganten und in die gutbürgerlichen Wohnungen und Landhäuser der besseren Wohngegenden ein ...
So ist denn Zille selbst auch durchaus nicht begeistert darüber, daß sich der »Hofball bei Zille« ebenso wie die sich daraus entwickelnden Zille-Bälle im riesenhaften Sportpalast zu einem Stelldichein aller nachgemachten Kaschemmenmiezen, unechten Pennbrüder, Schieber und falschen Apachen auswuchsen. Er sagte selbst darüber:
»Das sind alles bloß nebensächliche Sachen. Das ist jerade wie der Zille-Ball, was auch bloß een abjelöster Apachenschwoof is, als wenn es nischt wie blaue Oogen, Schiebermützen und Salonluden uff de Welt jäbe. Das war jarnicht das, was ich zeichnen wollte.«
Und doch ist Zille nicht nur der soziale Kämpfer. Er ist und bleibt in seinem innersten Wesen eine vollblütige Eulenspiegelnatur, eine immer muntere und ermunternde Eulenspiegelseele. Darum werden ihn alle lieben – selbst jene, die seine Überzeugung nicht teilen. Denn ursprünglicher Humor ist immer willkommen.
Und weil in diesem Buch das Wesentliche von seinen Scherzen und Schnurren und viel mehr Bedeutsames und Belustigendes, das noch nirgends veröffentlicht war, gesammelt ist und seinen Freunden und Verehrern dargebracht wird, hoffe ich, daß alle sich gern dem kräftigen und ermunternden Humor Heinrich Zilles hingeben werden.
1929.
Hans Ostwald.
Manche Abschnitte hat Heinrich Zille selbst geschrieben, die anderen schrieb ich nach den ganz persönlichen und sehr anschaulichen Erzählungen Zilles.
4. Mutter aus dem Volke.