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»Berühmtheit ist eine schöne Sachel« meinte Heinrich Zille, »aber nicht immer! ... Manchmal nutzt sie einem ja. Man braucht nicht mehr überall so lange zu warten wie sonst. Die Verleger freuen sich mächtig, wenn man kommt – denn sie haben ja bloß Vorteile von den Berühmten und kein Risiko. Man kriegt auch manchmal 'n bißken mehr Geld für seine Arbeit und kann auch öfter mal 'n armen Deibel 'ne Freude machen oder da, wo's nötig ist, ein bißken nachhelfen – Menschen aus dem größten Druck rausholen.
Aber – die Berühmtheit hat auch ihre Schattenseiten. Verflucht unangenehme Schattenseiten – für den, der berühmt ist.«
Und Zille erzählte mancherlei Unangenehmes und Bitteres aus den letzten Jahren, als seine Popularität ihn zu einer maßgebenden Persönlichkeit der Reichshauptstadt, zu einem bestimmten Begriff gemacht hatte:
»Manchmal habe ich ja auch meinen gründlichen Ärger gehabt über meine Berühmtheit. Die ganze Welt denkt, ich habe nun so viel Geld gescheffelt, daß ich gar nicht mehr weiß, wohin damit. Jawohl – 'ne Villa im Grunewald hätte ich.
Na – hier seh'n Sie meine Villa.«
Er machte eine Handbewegung und ließ seine Blicke durch die große Stube laufen.
»Vier Treppen hoch – in dem alten Hause aus den achtziger Jahren. Höhenluft!« lächelte er und wies auf die Dächer mit den vielen Schornsteinen. »Hier mein großer Arbeits- und Eßtisch mit der elektrischen Lampe. Da mein Bett – mein Ruhe- und mein Sorgenlager. Da mein Arbeitsschrank mit der Klappe, an der ich zeichne und tusche. Die Staffelei und der Kleiderschrank – und der kleine Schrank mit den Andenken und den Photos von lieben Freunden. Ja, ja – Wieviel sind davon nicht mehr lebend zu seh'n ... Und denn da hinten meine kleinen Freunde, meine Vögelchen!
20. Die Stütze.
Ja, ja, seid man stille! Ich denke an euch!«
Er geht hin zu ihnen und klopft mit dem Finger an die Stäbe der Vogelbauer.
Und dann weist er auf die Tür zum Nebenzimmer:
»Da liegen meine Bücher – und meine Mappen und sonst mancherlei. – Und dann ist noch 'ne Küche da – und ein Zimmer für meinen Sohn und meine Schwiegertochter.
Det is nu meine Grunewaldvilla!«
Und nun erzählte er, wie seiner Schwiegertochter in den benachbarten Geschäften ganz unerhörte Preise abgefordert wurden nach seinem siebzigsten Geburtstag.
»Die Geschäftsleute sagten: ›Na, Professor Zille is doch jetzt 'n reicher Mann! Der hat doch mindestens Hunderttausende verdient. Der hat doch 'ne Villa im Grunewald und duht doch bloß so, als wenn er hier wohnen muß. Der kann doch zahlen! Der duht bloß so, als ob er noch nischt hat!‹
Meine Schwiegertochter mußte in eine andere Gegend zum Einkaufen gehen, wo sie keiner kannte!«
*
»Unzählige Bettelbriefe kamen, als sie von mir soviel in den Zeitungen schrieben.
Manche schrieben ganz frech, ich sollte ihnen ein kleines Kapital stiften zu einer neuen Existenz, zu einem kleinen Laden.
Andere wollten Geld haben für eine kleine Badereise. Sie möchten sich doch auch mal ein Stück Welt anseh'n.
21. »Ick habe meinen Weihnachten!«
Ich bin doch nich Ihr Bankier!
Was die Leute wohl glauben, für wen man alles sorgen soll und sorgen kann!
Und dann die fürchterlichen Menschen, die selber kamen!
Da wohnt da drüben einer, in der Nachbarschaft. Läuft rum mit 'n Hut ohne Krempe. Der geht schon lange bloß auf Fahrt.
Eines Tages klingelt's. Ich gehe an die Tür. Der Schnorrer steht da und sagt bloß:
›Ick bin schon dreiundsechzig Jahr!‹
›So – und ich bin siebzig!‹ antwortete ich. Aber der Kerl wollte nich weichen, wollte sich in die Türe drängen. Wahrscheinlich hatte er auch gehört, ich wäre reich ...«
Zille lachte belustigt auf und sah unter seinen buschigen Brauen mit seinen munteren Augen vor:
»Reich! Ja, wer mich hier so sieht, mang dem vielen Geld!«
Er hatte auf seinem langen Arbeitstisch lauter Päckchen von Kleingeldscheinen geordnet und klopfte zärtlich auf einige: »Ja – man möchte ja so gern an recht viel arme Biester denken. Alle sollen se wat haben ... Das da is für de Lise aus Moabit. Als sie noch nich in die Schule ging, habe ich sie mit ihrer Mutter gezeichnet. Vater war nich da. Jetzt hat sie selber schon ein paar Bälger. Aber 'n Vater hat sie ooch nich dazu. –
Gott ja – wie det so is! Die Marie aus de Fennstraße hat ja auch schon mehrere. Die hat ja nu einen Vater für ihre Göhren. Aber den muß sie noch mit pflegen wie 'n kleines Kind: er is verschütt' worden im Kriege ...
Na – überhaupt der Krieg! Der hat uns wat feines gebracht ... Die meisten Päckchen, die gehen an Witwen aus der großen Zeit. –«
Und ein wehmütiger, von Ironie bewegter Zug zuckte in seinem Gesicht, als er von der »großen« Zeit sprach.
»Nicht alle begnügten sich mit Briefen oder ließen sich an der Tür abfertigen. Einer, der ganz patent aussah, drang ganz dreist bis in mein Zimmer vor. Meine Schwiegertochter, die sonst alle erst abfängt, ist doch kränklich, das arme Wesen – und da hatte sie dem aufdringlichen Kerl wohl nicht energisch die Tür gewiesen.
Da stand er plötzlich in meinem Zimmer:
Er sei abgebaut. Sei Bankbeamter. ›Die Künstler haben doch in der Inflation so schöne Geschäfte gemacht bei der Handelsgesellschaft!‹
›Ich nicht!‹ antwortete ich ihm. ›Ich nich!‹
22. »Mutta, schmeiß Stulle runta!«
Und dann redete er lange auf mich ein. Er hätte nicht mal mehr eine feste Wohnung. Und das sei doch das Fürchterlichste. Wenn ein Mensch erst seine feste Bleibe aufgeben müsse ... Plötzlich fragte er mich:
›Kann ick nich da in der Ecke schlafen? Hinter dem Spinde? Ich schlafe im Stehen!‹
›Bauen Sie sich da auf!‹ antwortete ich ihm spöttisch. Aber dann machte ich ihm doch klar, daß mir das nicht paßte, wenn hinter mir beim Schlafen ein fremder Mensch im Zimmer sei. – Man kann ja auch nicht wissen, was der in der Nacht vorhatte. – Der dachte doch auch, er findet Schätze bei mir. Und denn: im Schlaf kann sich keiner wehren ... – Er war ja noch ganz gut in Kluft. Also war das bloß Schwindel mit der Obdachlosigkeit. Trotzdem es ja genug Brüder gibt, die keine feste Bleibe haben. Aber das ist auch nicht immer bloß Mangel an Geld. Sie wollen sich eben nicht finden lassen. Oder, das Hin und Her gefällt ihnen besser. –
Na – mit Mühe und Not habe ich den Bruder rausspediert!
Und einer kam und erklärte' mir, wenn ich ihm nicht sofort gründlich helfen würde, dann würde er sich vor meiner Tür aufhängen.
›Wollen Sie einen Strick von mir dazu haben?‹ fragte ich ihn.
Der sah bald ein, daß er an den Richtigen gekommen war – und zog stumm ab.«
Nach einer Weile steckte Zille einige Scheine in alte Briefumschläge, die er aus Sparsamkeit selbst gewendet und wieder verklebt hatte:
»Nee, nee – man hat so schon für genug Arme zu sorgen ...«
*
»Was meinen Sie wohl, wie man um Autogramme angebettelt wird! Aber die Leute, die um Autogramme schreiben, kriegen von mir einen Brief:
›Wenn Sie an die Frau Soundso fünf Mark schicken‹ – ich habe doch immer 'ne ganze Masse arme Witwen und andre arme Luders – ›dann will ich Ihnen gern meinen Namenszug zukommen lassen.‹
Und richtig – meistens schreibt mir dann auch irgendeine arme Alte, sie hätte von Demunddem fünf Mark gekriegt und sollte mir das mitteilen. Und 'n schöner Dank is auch meistens bei.« –
23. Alice Hechy in einer Zille-Rolle.
»Da kam auch einer aus einer bekannten Großindustriellenfamilie. Einer von den drei großen Hetzern. Der kaufte sich gerade gerne ›mein Volk.‹
›Das ist nicht die schlechteste Kapitalsanlage‹, meinte er. ›Man muß doch jetzt sein Interesse fürs Volk zeigen ... Wenn sie hier mal nachsehen kommen, dann kann ich doch beweisen, daß ich für das Volk was übrig hatte. Das ist gut angelegt für meine Familie; die Sachen behalten ihren Wert!‹
Als ich nun in die Akademie kam als Mitglied, da sagte der Sohn:
›Jetzt sind sie noch mehr wert! Und das Vergnügen dran haben wir dazu!‹
Sie luden mich denn auch ein in ihre Wohnung – Kurfürstendammgegend – Marmortreppe – Fahrstuhl – fingerdicke, echte Teppiche, 'ne Masse Silber und Kristall. Ja – wenn ich jetzt hier den Fahrstuhl im Hause hätte! ...«
Und er sah traurig auf seine Beine herab, die ihn nur selten die vier schmalen Holztreppen hinab und herauf tragen wollten. – Dann winkte er abwärts, wie wenn das versinken müsse und fuhr fort:
»Ja, und dann führten sie mich zu Tisch und sagten, heute gäb's mal was Besonderes. Saubohnen mit Fleisch.
Es war noch in der Zeit, als wir andern überhaupt nischt hatten, als so 'n Happen auf Marken zugeteilt wurde.
Na, ich sah mir denn das feingestickte Leinen, das echte Porzellan, die silbernen Löffel und Gabeln und Schüsseln an und sagte so 'n bißchen ironisch:
›Bloß – weil ich hier bin!‹
Und ich dachte mir: ›Sonst gibt's Fleisch und Geflügel und Wild und Schnitzel in Butter ...
Ja, ja, se wollen uns immer für dumm verkaufen – aber wir wissen ja doch, wie's gekocht wird ...‹«
*
Ein Verlag wollte seinen Lesern auch Zillezeichnungen bieten. Zille war populär, war so behebt geworden, daß jede an ein größeres Publikum sich wendende Zeitung und Zeitschrift seine Berliner Zeichnungen bringen mußte. Die Inhaber hatten aber die Tendenz, nicht das soziale Elend zu Worte kommen zu lassen. Sie verlangten auch von Zille, er solle in seinen Abbildungen keine Gebrechen zeigen, keine schwangeren Frauen, keine Kranken, kein Elendsmilieu.
24. Westermeier und Lotte Werkmeister im Zille-Akt der Revue »Das hat die Welt noch nicht gesehn!«
Da antwortete ihnen Zille:
»Dann kann ich Ihnen Berlin nicht zeichnen!«
Und der Verlag hat schließlich auch gern »die echten Zilles« genommen und veröffentlicht.
*
Zu dem Echtesten und Persönlichsten gehört das, was Zille bei seiner Einführung in die Akademie der Künste erlebte. In der ersten Sitzung, an der die neuen Mitglieder teilnehmen, müssen sie, wie das seit langem Gewohnheit ist, ihren eigenhändig geschriebenen Lebenslauf überreichen. Max Liebermann, der Präsident der Akademie, nahm aus Zilles Hand dessen Selbstbiographie – sah auf das eng beschriebene Blatt – las einige Zeilen und meinte lächelnd:
»Det is ja janz ulkig! Aber sagen Se mal – warum ham Se denn det so kleen jeschriem?«
Zille antwortete schlagfertig: »Erstens sollte das alles uff eene Seite jehn – und denn braucht es ja doch ooch keener zu lesen!«
»So – o – nu lesen Se't man selber vor?« sagte Liebermann.
Zille nahm das Blatt und las seinen Lebenslauf. Solche echten volkstümlichen Worte hatte die hochmögende Kameradschaft der Akademie wohl noch nie an dieser Stelle gehört. Aber die Professoren schüttelten nicht entrüstet den Kopf. Ihre Gesichter hellten sich auf. Stilles Lächeln glänzte in den Augen, in den Mundwinkeln. Das stille Vergnügen an dem »Frischen Ton«, wie er in dem feierlichen Sitzungssaal bisher unbekannt gewesen war, explodierte schließlich in einem laut schallenden Gelächter.
Aber Zille blieb ernst und las die letzten Sätze vor:
»– Jetzt bin ich sogar Mitglied der Akademie geworden. Dazu schreibe ich, was das Blatt ›Fridericus‹ sagt: ›Der Berliner Abortzeichner Heinrich Zille ist zum Mitglied der Akademie der Künste gewählt und als solches vom Kultusminister bestätigt worden. Verhülle, o Muse, dein Haupt!« (Siehe Bild 10.)
25. »Komm man, Kleene!« Westermeier und Lotte Werkmeister in einem Zille-Akt.
Diese Worte zündeten derart, daß die Mitglieder in stürmischem Beifall Zille umringten.
So unakademisch war wohl selten ein neues Mitglied begrüßt worden. Dann aber mußte er als jüngster Akademiker, trotz seiner sechsundsechzig Jahre, die Blechbüchse in die Hand nehmen und die Stimmen für seine Wahl von Mitglied zu Mitglied einsammeln. Bei dieser Arbeit meinte er:
»Na, det jeht ja noch. Aber muß ick als Lehrling nu ooch den Schnaps for de andern holen?«
Die Sitzung wurde schleunigst aufgehoben – und woanders weitergetagt, wo es gemütlicher war als in der Akademie.
*
Viel Freude hatte Zille durch andere Folgen seiner Berühmtheit. Die Pfefferkuchen, die nach seinen Bildern hergestellt wurden (siehe Bild i und die diesem Kapitel beigefügten Abbildungen), brachten gewisse heimatliche Schwingungen ins Berliner Weihnachtsfest. Und die vielen Filmstücke, die unter Berufung auf Heinrich Zille über die Flimmer-Leinwand gingen, haben seinen Ruf ebenso ausgenutzt wie gefördert. Bei einigen hat er mit geholfen durch Szenenentwürfe und Figurinen. So z.Nbsp;B. beim Film vom fünften Stand. Das reizte ihn sogar zu einer Zeichnung, auf der viele seiner Typen vor einem Kintopp erschienen und sagten:
»Das sind wir ja alle!«
Manchen Schauspielern gaben diese Zillefilme auch Gelegenheit, sich erst richtig zu entfalten, mehr auf der Leinwand als auf der offenen Bühne zu zeigen. Heinrich George bewies eine tragische Wucht in dem von Carl Boese ausgezeichnet gestellten Film: »Kinder der Straße«, die man ihm bisher nicht zugetraut – und die man auch den Gestalten Zilles, dem Berliner Volk nicht zugetraut hatte. Aber es hat ganz gewiß auch seine tragische Größe in sich ...
So ist es auch zu verstehen, daß Zille in einem Bildchen (siehe Bild 3) einmal indirekt gegen die Filme sich äußerte – zugleich aber auch eine Anerkennung jenen Schauspielern aussprach, die seine Gestalten auf der Flimmerwand »geschoben« hatten.
Der Erfolg dieser Filme – sie mußten meist viele Wochen lang gespielt werden und waren in allen Filmtheatern Berlins und von ganz Norddeutschland zu sehen – bewies, wie echt die Zillekinder und -mädchens gespielt wurden – und wie berühmt Zille ist ....
*
Hat nun die Berühmtheit auch Zille manches von dem gebracht, was eben jeder Berühmte über sich ergehen lassen muß: Belästigung durch die Organe der Öffentlichkeit, Hineinströmen aller möglichen und unmöglichen Menschen in sein eigenes Heim, neugieriges Hineinstarren in sein Leben, in sein alltägliches Gehaben, in sein Tun und Lassen, Hineindrängen in sein innerstes Wollen und Nichtwollen – und nicht zum wenigsten auch das Hereinzerren seiner Persönlichkeit in die Öffentlichkeit und in den Vergnügungsrummel von Groß-Berlin (siehe den Zilleball und die herben Worte, die er im Kapitel von den Zillefesten über ihn sagt) – er hat sich gewiß mit diesen Unannehmlichkeiten abgefunden und ist gewiß froh darüber, daß er auch dort berühmt geworden ist, wohin ihn seine menschlich stets mitempfindende Künstlerseele gezogen hat:
Beim Volk, bei den Schichten, die in den dumpfen Winkeln und Mietskasernen wohnen. Von den Auswirkungen in diesen Kreisen mögen die Abschnitte »Zille in der Liebe des Volkes« und »Zille und seine Modelle« künden.
Aber nicht nur bei ihnen, denen er durch seine ungeschminkten Schilderungen gedient und geholfen hat, ist er berühmt geworden. Er wird auch weiter berühmt bleiben als jener Meister, der das Volk unserer Tage mit der größten Liebe dargestellt hat.