Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

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Viertes Kapitel

Am nächsten Mittag um ein Uhr war Lunch, zu dem man sich wieder im großen Speisesaal versammelte. Freda hatte den ganzen Vormittag schneidernd über ihrer Garderobe gesessen, Papa Nöhring auf seinem Zimmer.

Die Sonne brannte vom frühen Morgen an mit solcher Gewalt, daß man sich nicht in die Hitze hinaus getraute.

Als sie ihre Plätze an der Tafel eingenommen hatten, bemerkten sie eine Persönlichkeit, die sie gestern nicht gesehen hatten.

Schräg gegenüber von ihnen, an der andern Seite des Tisches saß ein junger Mann in hellgrauem Anzug, elegant, beinahe auffallend elegant gekleidet.

Ein Brillant funkelte in seiner Krawatte; wenn er die Hände auf den Tisch legte, was er gern zu tun schien, sah man Ringe an seinen Fingern blitzen und unter der Manschette an der rechten Hand ein goldenes Armband, das sein Handgelenk umschloß.

»Wahrscheinlich irgend solch ein reicher, junger, englischer Lord,« dachte Freda für sich, »der sein Geld in der Welt spazierenträgt.«

Sie hatte zu ihm hinübergeblickt, nicht weil er sie besonders interessierte, sondern nur, weil das Gesicht ihr neu war.

Im Augenblick, als sie nach ihm ausschaute, sah er von seiner Seite zu ihr hin mit einem ruhigen, beinahe gleichgültigen Blick; dann richteten beide die Augen vor sich hin und sahen sich nicht mehr an.

Freda hatte so viel bemerkt, daß er einen sorgfältig frisierten, schwarzen Schnurrbart und einen spitzgeschnittenen Kinnbart trug, daß sein Haar in der Mitte des Kopfes gescheitelt und in zwei breiten, runden Flügeln in die Stirn hinuntergebürstet war, so daß es den etwas plumpen Stirnknochen halb verdeckte.

Im nächsten Augenblick dachte sie nicht mehr an ihn. Physiognomien an der Gasthaustafel – Tropfen im Strom, der vorüberrauscht. Abends, als Freda mit dem Papa zur Mahlzeit erschien, war der »englische Lord« schon an seinem Platz. Jetzt aber nicht grau wie am Vormittag, sondern tadellos schwarz, im Gesellschaftsfrack und weißer Krawatte.

Freda befand sich in einiger Aufregung, denn sie mußte heute abend den ersten Wettkampf mit den eleganten Französinnen und Italienerinnen bestehen. Sie hatte ein ausgeschnittenes Kleid angetan und über die Schultern ein Mäntelchen von orangefarbenem Sammet geworfen, das ihr der Papa einmal geschenkt und das ein rettender Instinkt sie hatte einpacken lassen.

Als sie sich jetzt auf dem Stuhl niedergelassen hatte und das Mäntelchen von den Schultern legte, flammte ihr die Röte über das ganze Gesicht – der entscheidende Augenblick war gekommen; die Augen der Damen und Herren richteten sich auf sie.

»Na – wie sieht es denn nun aus, das blonde Gretchen?«

Unwillkürlich schlug sie die Augen nieder; unter den gesenkten Augenlidern aber gewahrte sie, wie auch der »englische Lord« zu ihr herübersah, und jetzt ging es ihr wie eine angenehme Wärme über die Brust – sein Blick blieb an ihr haften, er sah nicht fort; sie fühlte, daß sie ihm gefiel – und es freute sie, daß sie ihm gefiel.

Ja, ja – sie freute sich, die stolze Freda. Nicht, weil es ihr auf den Menschen ankam, aber er erschien ihr in diesem Augenblick wie ein Prüfstein für ihre Erscheinung, beinahe wie ein Spiegel.

Wenn sie diesem übereleganten Dandy gefiel – nun, so war ja wohl Aussicht vorhanden, daß sie auch vor den andern Gnade finden würde.

Und sie fand Gnade, und wenn sie sich hätte sehen können, würde sie begriffen haben, daß es sehr erklärlich war, wenn sie Gnade fand.

Aus dem ausgeschnittenen Kleide von mattgelber Brussaseide blühte der Nacken schlank wie ein Lilienstengel empor; daneben die Schultern, noch etwas jugendlich eckig, eben erst sich wölbend zur Rundung der Weiblichkeit, und unter den Schultern die reizend modellierten nackten Arme. Es war wie ein leises Raunen und Flüstern um sie her, und dieses leise, summende Geräusch berauschte sie.

Ein Gefühl, das sie eigentlich noch nie im Leben empfunden hatte, das Gefühl geschmeichelter Eitelkeit, ging wie eine warme Welle über sie dahin; sie schwamm und badete förmlich darin, und indem sie anscheinend gleichgültig vor sich hin tafelte, bemerkte sie mit einer Freude, deren sie sich anfänglich erwehren wollte und schließlich ganz und gar nicht erwehren konnte, wie »der Lord« öfter und immer öfter die Augen auf sie richtete und mit unverhohlener Bewunderung auf sie hinstarrte.

Papa Nöhring schien von der ganzen Aufregung, die neben ihm kochte und brodelte, nichts zu bemerken; in sich gekehrt widmete er sich der Mahlzeit, und es kam für Freda ein Augenblick, wo sie sich beinahe ärgerte, daß der Vater so gar keine Notiz von ihrem Triumphe nahm. Einen Frack hatte sie ihm nicht eingepackt; jetzt machte sie sich Vorwürfe darüber, denn die Folge davon war, daß er unter all diesen eleganten, befrackten Herren in seinem einfachen Alltagsrock saß.

Morgen wollte sie wenigstens seinen schwarzen Überrock aus dem Koffer holen, denn daß er so dasaß – unmöglich!

Als man das Dessert abgespeist hatte und die Tafel sich dem Ende näherte, erhielt Papa Nöhring von seiner Tochter einen leichten Ellenbogenstoß.

Es begab sich etwas – er sollte aufblicken.

Der junge Herr drüben hatte sich erhoben und verneigte sich gegen Nöhring Vater und Tochter mit einer beinahe feierlichen Höflichkeit.

Freda war bis über die Stirn rot geworden und erwiderte seine Verbeugung, indem sie das Haupt neigte. Sie neigte sich um so tiefer, als sie bemerkte, daß der Papa den Gruß des Gegenübers nur ziemlich leicht zurückgab. Er hätte eigentlich etwas mehr tun können – einem solchen Mann gegenüber. Als sie von Tisch aufstanden, fühlte sie sich beinahe schwindelig. Das Blut war ihr zu Kopf gestiegen; und der letzte Vorgang war es, der hauptsächlich dazu beigetragen hatte.

Was sollte das nur bedeuten?

Das war ja eine Demonstration gewesen! Nicht viel anders als eine Huldigung!

Sie raffte ihr Mäntelchen wieder um die Schultern und hing sich in den Arm des Papas, um mit ihm auf der Terrasse zu lustwandeln.

Heute durfte der Papa auch nicht so früh wie gestern hinauf; es war ja zu köstliche Luft hier unten.

Er schlug ihr vor, daß sie noch ein wenig vom Hotel fort und auf der Straße draußen spazierengehen wollten.

Freda war nicht dafür.

In ihrem Staatskleid, mit den zarten Schuhen draußen auf der Straße – er mußte selbst einsehen, daß das nicht gut ging.

Natürlich sah er das ein und sagte nichts weiter. Daß es für sie viel verlockender war, hier auf der hellen Terrasse zu bleiben, wo alle Welt sie sehen und bewundern konnte, während draußen auf der dunklen Straße niemand sie gesehen hätte – ob er das auch einsah?

Jedenfalls sagte er darüber nichts.

Die Gesellschaft des Hotels saß teils in der Vorhalle, teils auf der Terrasse plaudernd und kaffeetrinkend um kleine Tische gruppiert.

Freda schlug vor, daß sie sich doch auch an ein solches Tischchen setzen sollten; warum wollten sie sich immer absondern, als gehörten sie nicht dazu?

Im nächsten Augenblick saßen sie bereits, und ein Kellner brachte ihnen Kaffee.

Kaffee, zu so später Stunde, wäre wohl eigentlich nichts für ihn, meinte Papa Nöhring.

Freda redete ihm zu.

Es würde ihm gewiß nichts schaden; alle täten ja so, und es wäre doch so gemütlich. Er könnte ja seine Zigarre dazu rauchen. Also zündete er sich die Zigarre an und saß mit seiner Tochter, bis daß es ziemlich spät geworden war und Zeit, um hinaufzugehen.

Als sie sich droben trennten, um sich zur Ruhe zu begeben, nahm er Fredas Kopf zwischen beide Hände, wie er es gewöhnt war, und küßte ihre weiße Stirn. Er sprach kein Wort, er sah ihr nur in die Augen, mit dem gleichmäßigen, freundlichen Lächeln, das sie an ihm kannte.

Sie fragte nicht, was er meinte; sie begnügte sich damit, ihm schweigend auch ihrerseits zuzulächeln; dann ging sie in ihr Gemach.

Die beiden Kerzen, die auf ihrem Tisch standen, zündete sie an und stellte sie zu beiden Seiten des Spiegels auf, der an der Wand des Zimmers hing. Dann nahm sie das Mäntelchen von den Schultern und betrachtete sich, wie sie im ausgeschnittenen Kleid im Spiegel erschien.

Die Betrachtung dauerte ziemlich lange. Während sie sich ansah, kehrte das Lächeln in ihr Gesicht zurück, mit dem sie vorhin dem Vater gute Nacht geboten hatte, und dieses Lächeln blieb. Es ging auch nicht fort, als sie sich entkleidete und ins Bett legte; es war sogar noch da, als sie das Licht auslöschte.

Nun war es dunkel, und niemand hätte mehr das zufriedene Gesicht sehen können, das in den Kissen lag. Und das war eigentlich gut; denn das Lächeln stand nicht so recht zu dem stolzen Gesicht der stolzen Freda Nöhring. Die klugen, bedeutenden Züge bekamen dadurch etwas Leeres, beinahe Törichtes, als wäre es gar nicht mehr Freda Nöhrings wirkliches Gesicht.


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