Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

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Fünfzehntes Kapitel

Am nächsten Tag, Sonntag, war Ruhe im Hause Nöhring. Die drei Insassen des Hauses gingen schweigend umeinander herum, die beiden Männer mit etwas schweren Häuptern, Freda mit offenen, scharfen, spottlustigen Augen.

Am Montag aber hatte man sich erholt, und am Abend sollte Familie Nöhring drüben überm Wasser bei Familie Bennecke sein; niemand außer ihnen.

»Heute abend«, sagte Freda, »werden Benneckes geimpft.«

»Geimpft? Wieso?«

»Mit dem Bazillus Schottenbauer.«

Das Bild war nicht gerade liebenswürdig gewählt; aber es gab die Sachlage wieder. Als man sich spät in der Nacht trennte, waren Herr Major Bennecke und Tante Löckchen über den ihnen bisher fremden Mann in einer Weise unterrichtet, als hätten sie monatelang mit ihm verkehrt. Der Vorschlag, am nächsten Sonnabend bei Nöhrings der zweiten Vorlesung beizuwohnen, war mit Begeisterung aufgenommen worden. Einigermaßen verstimmt kehrte Freda nach Hause zurück. Sie hatte sich gelangweilt. Der Papa hatte den ganzen Abend hindurch von dem Stück gesprochen und nur von dem Stück. Haarklein hatte er es Benneckes nacherzählt.

Dazu kam, daß sie doch nicht ganz allein drüben gewesen waren; sie hatten Therese Wallnow und deren Mutter vorgefunden. Und dann war Percival auf den Einfall geraten, daß die beiden Wallnowschen Damen am Sonnabend auch dabei sein sollten.

Freda hatte lächelnd zu bedenken gegeben, daß der Dichter eigentlich einen größeren Zuhörerkreis nicht wünschte, sie hatte also – und das war eigentlich komisch – in seinem Interesse gesprochen. Percival aber hatte sie rasch widerlegt, indem er daran erinnerte, wie Schottenbauer dem Regierungsrat erklärt habe, daß jeder ihm recht sein würde, den dieser einlade.

Daraufhin war dann mit Akklamation beschlossen worden, daß Thereschen und deren Mutter auch zuhören sollten, und beide hatten mit wahrer Dankbarkeit angenommen.

»Natürlich – die dummen Gänse!«

Es war Freda keineswegs entgangen, wie sie beide, als sie ihre Einwendung vorbrachte, rot geworden waren, rot bis über die Ohren, halb aus Verlegenheit, mehr aber wohl noch aus Ärger. Mutter Wallnow hatte ihr dabei einen Blick zugeworfen, der an Unzweideutigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. »Du hättest uns natürlich am liebsten da, wo der Pfeffer wächst – hilft dir aber nichts, meine Liebe.«

Nein – es half ihr nichts. Das war das Gefühl, mit dem sie nach Hause zurückkehrte. Schottenbauer würde kommen – Wallnows würden kommen – die Zukunft kam, und das Schicksal ging seinen Weg.

Im Laufe der Woche fing man an, in den Gesellschaftskreisen des Städtchens zu raunen und zu munkeln, daß noch ein zweiter Dichter außer Percival Nöhring im Orte sei, und »beinahe ein noch größerer«. Der komische kleine Referendar, der Schottenbauer. Freda selbst wurde darauf angeredet. Beim thé dansant war es, am Mittwoch, beim Regierungspräsidenten. Sie mußte ja Bescheid wissen; in ihrem Hause war ja das neue Licht aufgegangen! Außerdem lief der Regierungsrat Nöhring überall herum und posaunte förmlich den Ruhm des neuen Genies aus.

Also, was half's – sie mußte Rede und Antwort stehen, mußte von dem Menschen erzählen, und noch dazu in liebenswürdiger Weise; denn wenn sie anders tat, hätte es geheißen, daß sie eifersüchtig auf ihn sei wegen des Nöhringschen Hauspoeten, wegen ihres Bruders, und sie hätte sich lächerlich gemacht. Widerwärtige Qual!

Mit gleichgültigem Lächeln von Dingen sprechen zu müssen, die ihr ganzes Dasein umwälzten!

Heute war immer noch ein verstecktes Kichern dabei, wenn man von dem neuen Licht sprach; heute war Percival noch der erste. Wie lange würde es dauern, dann würde man nicht mehr kichern, sondern bewundern, und wo würde Percival dann sein?

Am Sonnabend war es kaum sieben Uhr, als bereits das Ehepaar Bennecke erschien. Tante Löckchen glühte förmlich. »Kindchen, Kindchen,« erklärte sie, »ihr müßt entschuldigen, daß wir so früh kommen; ich hab' es vor Erwartung nicht mehr ausgehalten. Ist euer Dichter noch nicht da?«

Nein, er war noch nicht da; wohl aber Wallnows, die zusammen mit Benneckes gekommen waren, und gegen die man nun auch liebenswürdig sein mußte.

Pünktlich um halb acht schlug die Hausklingel an; Percival eilte hinaus; alle Hälse reckten sich; alle Köpfe wandten sich nach der Tür.

»Als wenn der Kaiser käme«, sagte Freda für sich. Besonders ärgerte sie sich über Therese Wallnow und deren Mutter, die schon wieder ganz rot waren, bis über die Ohren rot. Wenn das wirkliche Neugier war – so war es abgeschmackt. Wenn es erheucheltes Interesse war, um sich bei Percival einzuschmeicheln – so war es elende Koketterie! Schottenbauer trat ein und wurde von Herrn Regierungsrat Nöhring vorgestellt. Sein Manuskript trug er unter dem Arm; heute war es nicht mit einer »Strippe« zusammengewürgt, heute steckte es in einer manierlichen schwarzen Ledermappe.

Als er sich vor Tante Löckchen verneigte, die mit dem weißen Batisttaschentüchlein zwischen den weißen, runden Händen auf ihrem Stuhle saß und ihn mit wohlwollend neugierigen Augen anblitzte, lächelte er; man sah ihm das Vergnügen an, der lieben alten Dame einmal die Hand drücken zu können.

Sein ganzes Auftreten war heute überhaupt sicherer und unbefangener als das erstemal.

Freda stellte für sich fest, daß er schon anfing, sich bei ihnen »zu Hause« zu fühlen.

Herr Major a. D. Bennecke streckte ihm die Hand zu.

»Nummer eins haben wir leider versäumt,« sagte er mit jovialem Ton, »um so gespannter sind wir auf Nummer zwei. Mein alter Freund Nöhring ist ja Feuer und Flamme; soll ja etwas ganz Famoses sein.«

Es entstand nun die Frage, wo man heute abend lesen wollte. Freda war der Ansicht, daß das Zimmer des Vaters zu eng sein würde für die zahlreiche Gesellschaft; Papa Nöhring aber erklärte, daß der Dichter entscheiden sollte, ob man hier unten im Salon oder oben bei ihm lesen sollte.

»Oh,« sagte Schottenbauer, »wenn's auf mich ankommt – ich könnte mir kaum denken, daß ich woanders lesen sollte als in dem gemütlichen grünen Zimmer.«

»Also vorwärts, nach dem grünen Zimmer hinauf!« sagte Papa Nöhring, indem er Tante Löckchen den Arm bot.

Freda lächelte, wandte sich dann ab und biß sich auf die Lippen.

Er fing also schon an, in ihrem Hause zu kommandieren.

Herr Major Bennecke bemächtigte sich der Mutter Wallnow, Percival nahm Therese unter den Arm – also würde er wohl gar Freda führen wollen? Um Gottes willen – hastig wandte sie sich nach dem Speisezimmer. »Gehen die Herrschaften nur voran, ich komme gleich nach.«

Mit seinem Manuskript, aber ohne Dame unter dem Arm, trottete Schottenbauer hinter den andern her.

Oben angelangt, nahm er, wie neulich, hinter dem runden Tisch Platz; die Zuhörer brachten sich, so gut es gehen wollte, in Winkeln und Ecken unter.

Er zögerte anzufangen, bis Freda erschien. Endlich rauschte der Türvorhang, und da kein anderer Platz mehr frei war, setzte sie sich unmittelbar vor der Tür, so daß sie ihm gerade gegenüber saß und ihr Gesicht vom Lichte der Lampe beleuchtet wurde, nieder.

Es war ihm, als senkte sich ein Mund mit heißen Lippen auf seine Brust, und als dränge der glühende Kuß in sein Herz und bis in das Mark seines Lebens. Die Buchstaben, die er selbst geschrieben, tanzten vor seinen Augen. Dann raffte er sich zusammen, und wie ein lang anhaltender, gewaltiger Jubelschrei brach das Stück aus ihm hervor.

Es war noch einheitlicher und kürzer zusammengefaßt als das erste; gleichfalls in Versen wie dieses und von machtvoll spannender Gewalt.

Die Wirkung war eine ungeheure, bei denen, welche das erste Stück mit angehört hatten, noch mächtiger als damals. Ganz so lautlos aber, wie neulich, ging es heute nicht zu. Herr Major a. D. Bennecke war nicht der Mann, um seine Bewunderung im schweigenden Busen zu verschließen.

Gleich nach dem ersten Akt sprang er auf.

»Nee, hören Sie – geht das so weiter? Das ist ja etwas Riesiges!«

Er wußte gar nicht, an wen er sich wenden sollte, ob an den Dichter, der stumm auf sein Papier lächelte, oder an seinen alten Freund Nöhring, der wie eine Bildsäule an seinem Schreibtisch saß.

Endlich, als niemand ihm Antwort gab, zupfte Tante Löckchen ihn am Rockschoß und bedeutete ihn, sich hinzusetzen. Dabei flüsterte sie ihm etwas ins Ohr, wahrscheinlich eine Mahnung, seiner Begeisterung Zügel anzulegen und fürderhin nicht mehr zu unterbrechen.

Er folgte ihrer Aufforderung, aber seine Erregung verpuffte in halblaut gemurmelten Äußerungen.

»Na ja – na ja – aber es ist doch wahr – wenn man so etwas hört –«

Weit vorgebeugt, die Hände auf den Knien, verfolgte er den weiteren Verlauf des Stückes, nur von Zeit zu Zeit mit den flachen Händen auf die Beine schlagend. »Das muß man sagen – das muß man sagen!«

Als die Vorlesung beendigt war, trat wieder, wie neulich, ein tiefes Schweigen ein; auch Herr Major Bennecke war still geworden.

Papa Nöhring stand vor dem jungen Mann, beide Hände desselben in seine Hände fassend wie in zwei Schraubstöcke. Er umarmte ihn heute nicht, der Gäste wegen; sein stummer Blick sagte genug.

»Du wunderbarer Mensch!«

Tante Löckchen, die hinter dem runden Tische auf dem Sofa eingekeilt gesessen hatte, wickelte sich aus ihrer Polsterecke hervor, um Schottenbauer zu erreichen, und nun strömte auch Herrn Major Benneckes gewaltsam unterbrochene Begeisterung wieder hervor.

»Das kommt gleich hinter Schiller! So etwas ist seit Goethe und Schiller noch nicht dagewesen! A la bonheur! A la bonheur!«

Endlich gelangten auch die beiden Damen Wallnow dazu, dem Dichter die Hand zu drücken. Frau Wallnow trocknete, indem sie es tat, eine Träne im Auge; Therese glühte wie ein Purpurröschen.

»Herrlich – wundervoll – entzückend!« hörte man von ihren lispelnden Lippen.

Freda, die bis dahin im Zimmer mit den übrigen geblieben war, wandte sich hinaus, als sie die beiden Wallnows auf ihn zutreten sah. Die ganze Art der beiden Frauen erschien ihr gemacht und gesucht, ihre Worte waren so nichtssagend. Wozu brauchten sie überhaupt etwas zu sagen? Zuhören und schweigen, das war's, was sich für sie gehörte – wenn sie schon dabei hatten sein müssen, was ganz überflüssig war.

Sinnend stieg sie die Treppe hinunter, um nach der Abendtafel zu sehen.

Drei Sachen hatte sie nun von ihm kennengelernt, den Prolog, das neuliche Stück und das von heute. Sie sagte sich, daß hier ein Reichtum vorhanden war, in dem man geradezu mit Händen wühlen konnte. Der Gedanke erzeugte ihr beinahe einen Widerwillen, wie es einen widerwärtig überkommt, wenn man ein ungeheures Kapital aufgehäuft sieht und an diejenigen denkt, die nichts davon abbekommen und darben müssen.

Und nun gar, wenn es der eigene Bruder ist, den man dabeistehen und darben sieht!

Aber was wollte sie denn? Sie brauchte ja nur zu wollen, so bekam sie den Schlüssel zu dem Schatzgewölbe in die Hand! Dann konnte sie ja hineingreifen mit beiden Händen und wühlen und mit dem Golde umherwerfen nach rechts und links, und wie es ihr beliebte.

Ja, ja – das konnte sie.

Und indem sie also dachte, wurden ihr die Augen heiß und das Herz im Leibe kalt.

Die Gäste erschienen zum Abendbrot; voran schritt Tante Löckchen, von Schottenbauer geführt, mit dem sie sich sprudelnd unterhielt. – Percival war also schon abgedankt; Freda fühlte es wie einen Stich im Herzen.

Als sie dann aber Percival mit Therese Wallnow daherkommen sah, sagte sie sich, daß er überhaupt gar nicht nach Tante Löckchens Arm verlangt haben mochte. Und nun wurde sie sich bewußt, daß sie ja heute nicht die einzige junge Dame war, daß noch eine andere vorhanden war, eine sehr reizende, hübsche, die den Männern im allgemeinen viel besser gefiel als sie selbst. Wer weiß – vielleicht machte er es wie all die andern, und Freda Nöhring wurde über Therese Wallnow vergessen! Dann war sie ja ihre Sorgen und Gedanken mit einemmal los. Das mußte festgestellt werden. Und also, während die Gäste sich um den Tisch sammelten, blieb sie erwartungsvoll im Hintergrunde des Zimmers stehen und lauerte, ob er für Therese Wallnow Blicke und Worte haben würde.

Sie brauchte nicht lange zu warten.

Sobald Tante Löckchen ihn freigegeben hatte, tat er einen Schritt auf Freda zu; an dem Blick, mit dem er sie ansah, wurde sie sich klar, daß Therese Wallnow für ihn gar nicht vorhanden war, und indem sie das empfand, ging ihr ein heimliches Prickeln durch alle Nerven.

Er war ihr auch heute nicht um ein Haar breit lieber als das vorige Mal – wenn er sich um die andere bekümmert und sie darüber vergessen hätte, so wäre sie ihn los gewesen – und dennoch – als er jetzt an der andern wie an einem Schatten vorüberging und auf sie zukam, fühlte sie etwas wie eine Genugtuung, und als sie jetzt die Augen zu ihm erhob, war zum erstenmal ein Ausdruck darin, bei dem ihm das Herz im Leibe aufjauchzte.

Heute streckte er ihr die Hand zum Gruße entgegen, und sie legte die ihrige hinein, und als sie es tat, fühlte sie, wie neulich, den glühenden Ring um ihre Hand.

»Hat es Ihnen gefallen?« fragte er leise. Und im Augenblick, da er so fragte, zuckte wieder das spöttische Lächeln in ihrem Gesicht auf, und alles Herbe, Kalte, Trotzige war in ihr wieder wach.

Wozu sollte die Frage denn? Natürlich erwartete er, daß sie, wie all die andern, in Begeisterung ausbrechen würde: »Ausgezeichnet! Wunderschön!«

Sie zog die Hand zurück.

»Brauchen Sie wirklich noch die Anerkennung der einzelnen, nachdem alle Ihnen gehuldigt haben?«

Sie wandte sich ab, den Nacken aufwerfend, mit der kurzen Bewegung, die ihr eigentümlich war.

Nicht um die Welt hätte sie ihm ein gutes Wort geben können, dem Menschen, dem eingebildeten. Natürlich wußte sie recht gut, daß es gerade die Anerkennung »der einzelnen« war, auf die es ihm ankam. Und darum gerade verweigerte sie sie ihm.

Alles gehörte ihm, und alle beugten sich vor ihm – nur eine nicht, und diese eine war sie. Und indem sie sich versagte, fühlte sie, daß sie diesem Krösus die Perle aus der Krone seines Reichtums brach, daß sie der stolzen Freude, die ihn erfüllte, den letzten, süßesten Duft raubte, den Duft, der den Triumph des Ehrgeizes erst in Herzenswonne verwandelt haben würde.

Dies alles zu denken, verursachte ihr ein boshaftes Vergnügen, beinahe eine Schadenfreude. Wie stark sie war! Er war mächtiger als all die andern, und sie war mächtiger als er!

Mit solchen Gedanken setzte sie sich an den Tisch. Aber sie hatte es so eingerichtet, daß sie ihm gegenübersaß, nur durch die Breite des langen, viereckigen, nicht eben breiten Tisches von ihm getrennt. Wenn sie den Menschen auch nicht ausstehen konnte, wäre es ihr doch unmöglich gewesen, sich gleichgültig fern von ihm zu halten.

Warum eigentlich?

Sie hätte es selbst kaum sagen können, sie wußte nur, daß sie tun mußte, wie sie tat; daß sie ihn unter Augen behalten mußte, diesen Menschen, diesen – diesen – daß sie es weiterspielen mußte, das tolle, abenteuerliche Spiel, das sich zwischen ihnen beiden angesponnen hatte.

Denn ein Spiel war die ganze Geschichte – natürlich. Ob er, der ihr gegenübersaß, auch nur ein Spiel in dem allem sah? Wenn man ihn ansah, wenn man den heißen Blick gewahrte, mit dem er Freda Nöhring ihm gegenüber Platz nehmen sah, konnte man es nicht glauben. Man merkte ihm an, wie schwer es ihm wurde, die Unterhaltung mit Tante Löckchen an seiner Seite fortzuführen, wie sogar der Regierungsrat Nöhring, sein väterlicher Freund, der an seiner andern Seite saß, ihn kaum zu fesseln vermochte, wenn er von seinem Stücke sprach. Sein ganzes Wesen strebte zu dem Weibe hinüber, das ihm gegenübersaß. Eine Blumenvase stand zwischen beiden, und so oft Freda vom Gespräche mit ihren Nachbarn aufblickte, sah sie seine Blicke, die zwischen den Blumen hindurch wie lodernde Pfeile auf sie eindrangen. Jedesmal lächelte sie alsdann, jedesmal gedachte sie des Bärenkopfes dort oben vor ihrem Bett; aber unmerklich rötete sich ihr blasses Gesicht, und mit lüsternem Behagen fühlte sie, wie die Pfeile sie trafen.

Die Stimmung während des Abendessens war die gehobenste und wurde geradezu überschäumend, als Herr Major a. D. Bennecke sich erhob und einen knatternden Toast auf den »neu auferstandenen Schiller« ausbrachte.

Kaum daß er sich gesetzt hatte, stand Papa Nöhring auf und pries in dankbaren, innigen Worten das Schicksal seines Hauses, dem durch die Bekanntschaft mit dem genialen jungen Mann ein so köstliches Stück Menschentum angewachsen war.

Und sobald er geendigt hatte, erklirrte schon wieder das Glas, das vor Percival stand; mit einem Satze fuhr Nöhring der Sohn von seinem Stuhle auf und forderte die anwesenden Herren auf, anzustoßen und auszutrinken »auf das, was den Dichter begeistert und den Menschen erfreut, auf den Sonnenschein in unserm trüben Dasein, den Blütendufte im Aktenstaube unsres Lebens, auf die Damen, unsre Damen!«

Das war die Losung, um die bisher immer noch etwas feierliche Stimmung in Glückseligkeit zu verwandeln. Tante Löckchen schwamm in Wonne; die Herren schwangen die Gläser, und da gab es zwei Damengläser, die ernsthaft in Gefahr gerieten, durch die Gewalt, mit welcher daran gestoßen wurde, in Scherben zu gehen, das Glas von Therese Wallnow und von Freda Nöhring.

»Kinderchen, Kinderchen,« erklärte Tante Löckchen, »das ist ein zu schöner Abend heute, das müssen wir so bald als möglich wiederholen! Nächsten Mittwoch müßt ihr alle miteinander bei uns zu Mittag essen!«

»Und Sie, mein lieber Dichter, kommen doch natürlich auch?« fuhr sie fort, indem sie mit ihrem weißen, fleischigen Händchen Schottenbauers Hand tätschelte, die neben ihr auf dem Tische lag.

»Natürlich kommt er!« schrie Percival dazwischen, noch bevor Schottenbauer zur Antwort Zeit gefunden hatte. »Weit hat er ja nicht; weißt du denn, Tantchen, daß er dir gerade gegenüber wohnt?«

Tante Löckchen sah Schottenbauer an; dieser nickte lächelnd.

»Gott – nein – sagen Sie – dann sind Sie also wohl derjenige, bei dem des Abends immer solange das Licht brennt?«

»Ja, natürlich,« nahm Percival dem Befragten wieder das Wort vom Munde weg, »in dem Zimmer mit dem Balkon davor, du weißt ja, Tantchen, da sitzt er, eingehüllt in einen prachtvollen Schlafrock – Schottenbauer,« unterbrach er sich, »in dem Schlafrock mußt du dich photographieren lassen, dann widersteht dir niemand und keine!« Er langte mit dem Glase über den Tisch zu ihm hinüber.

»Verstehst du wohl? Niemand, niemand!«

Und während er das sagte, schielte er mit einem so pfiffigen Blick zu seiner Schwester hinüber, daß diese hastig auf ihren Teller niederblickte und Schottenbauers Gesicht sich bis über die Stirn in Glut tauchte.

Percival aber war in so ausgelassener Laune, daß er aufsprang, zu Freda lief, ihren Kopf in beide Hände nahm und hin und her schüttelte.

»Huhuhu, Herr Oberlehrer,« sagte er, »ich bitte um ein freundliches Gesicht, wie der Photograph sagt, heute abend wird gesempert!«

Und so stark war die Macht dieses einen Menschen über das trotzige Weib, daß ihr Gesicht, das anfänglich finster aufgeblickt hatte, indem es seine glückstrahlenden Augen vor sich sah, heiter wurde, freundlich wurde und zu lächeln begann.

Schweigend hatte Schottenbauer den kurzen, bedeutsamen Vorgang verfolgt.


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