Ernst von Wildenbruch
Schwester-Seele
Ernst von Wildenbruch

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Vierzehntes Kapitel

Mit dem Spott auf den Lippen war sie davongegangen, und als sie jetzt in die Einsamkeit ihres Zimmers gelangt war und Anstalten traf, zu Bett zu gehen, war es wie ein Kichern und Lachen in ihr und rings um sie her.

Aus allen Ecken des Gemachs, hinter Fenstergardinen und Türvorhängen tauchten Kobolde auf, krausköpfige, bockbeinige Gesellen, mit pfiffigen, listigen, grinsenden Gesichtern.

»Na, was sagst du nun? Was sagst du nun?«

Ja – was sagte sie?

Mitten im Zimmer, dem Spiegel gegenüber, vor welchem sie an jenem Abend gestanden, blieb sie stehen, die Arme, von denen sie das Kleid bereits abgestreift hatte, die nackten weißen Arme ausbreitend und hinter dem Kopfe ineinanderschlingend; dann nickte sie ihrem Spiegelbild zu.

»Spieglein, Spieglein an der Wand«, fing sie an, aus dem alten Märchen von Schneewittchen zu rezitieren – dann brach sie in lautes, tolles Lachen aus.

Solch eine Geschichte! Solch eine komische, komische Geschichte! Auf dem Fußboden an ihrem Bett, wo es immer gelegen hatte, lag das Bärenfell mit dem Kopf des Bären daran.

Sie saß auf dem Bettrand.

»Bist du da, Petz? Bist du da?«

Und rasch, bevor sie unter die Decken schlüpfte, setzte sie noch einmal beide Füße auf den Bärenkopf, und mit beiden nackten, weißen Füßen trommelte sie darauf, immerfort kichernd und lachend, als müßte sie all den Teufeleien, die sie heute abend gedacht und gefühlt, einen Ausweg geben, um nicht daran zu ersticken.

Dann streckte sie sich auf das Lager und löschte das Licht, und nun kam die Nacht, die große, dunkle, ernsthafte Nacht. Und es war, als träte sie wie eine feierliche Frau an das Fußende ihres Bettes und blickte auf sie nieder, kopfschüttelnd, mit großen, fragenden Augen.

»Du tolles, unbegreifliches Weib – was treibst du? Mit was für Dingen spielst du?«

Sie kicherte nicht mehr, sie lächelte nicht mehr, still lag sie unter ihren Decken; und indem ihr Selbstbewußtsein und ihr Wille im Dämmer des Halbschlafs zu zerschmelzen begannen, kam ihr der ganze heutige Abend noch einmal zurück, und sie fühlte, daß dieser Abend ein Erlebnis gewesen war, ein Ereignis, dessen Spuren sich nie mehr verwischen lassen würden, das hinauswirken würde in eine Zukunft, deren Ferne sie noch nicht absah, von der sie nur ahnte, daß es die Zukunft ihres eigenen Lebens sein würde und ihres eigenen Schicksals.

Sie warf das Haupt auf dem Kopfkissen herum. Er war ja nun aus dem Hause, war fort – aber sie seufzte auf – er war ja nicht fort. Percival hatte Brüderschaft mit ihm getrunken, der Vater ihn ans Herz gedrückt und geküßt, er war ja wie ein Kind des Hauses geworden!

Nein, er war nicht fort, würde nie wieder ganz fort sein, denn seine Seele war hier geblieben; drüben im Zimmer des Vaters lag sein Manuskript, und das würde nun da bleiben, solange es ein Haus Nöhring gab.

Und nun, indem sie des Manuskripts gedachte, war es, als schwömme aus den Tiefen der Nacht etwas empor wie eine dunkelrot leuchtende, glühende Kugel, langsam steigend wie der rote Vollmond, der am sommerlichen Himmel aufgeht; das war das Stück, das sie heut abend gehört hatte, vor dem sie sich verschlossen, gegen das sie sich gewehrt hatte.

Sie drückte die Augen zu, sie wollte nicht sehen – aber sie sah. Sie vergrub den Kopf in den Pfühl, sie wollte nicht daran denken – aber es half nichts, sie mußte.

Haß und Eifersucht sind ja viel genauere Zuhörer als Liebe und Verehrung; und mit Haß und Eifersucht hatte sie heute abend zugehört, mit der inbrünstigen Hoffnung, daß es schlecht sein würde, daß, wenn es zu Ende wäre, sie beruhigt würde aufstehen und sagen können: »Es ist nichts.«

Darum war ihr kein Wort von dem Stück entgangen, darum kam es ihr jetzt wieder, Besitz nehmend von ihrer Erinnerung, Gewalt gewinnend über ihre Seele, unwiderstehlich, mächtig, übermächtig.

Solange sie heute abend mit dem Vater und dem Bruder zusammen gewesen war, hatte deren überschwengliche Begeisterung ihren Trotz geweckt und ihr Kraft verliehen, sich spöttisch über die Sache zu erheben. Und sie hatte wirklich geglaubt, mit der Sache fertig zu sein.

Jetzt waren die beiden nicht mehr da; jetzt war sie mit dem Werke allein, und indem es nun auf sie zuschritt, erlag sie unter seiner Gewalt.

Aber ihr Erliegen war kein schmerzlich-süßes Dahinsinken, nicht der vernichtungsselige Schauer, mit welchem der Mensch sich der eigenen Persönlichkeit einer größeren Persönlichkeit gegenüber begibt – es war ein wütendes Ankämpfen und Zurücksinken, ein Zerbrechen, als ginge eine feindselige Gewalt über sie dahin, unter der sie gerädert liegenblieb.

Ja freilich – das wußte sie nun, daß hier eine Kraft auftrat, die über Mauern und Dächer der kleinen Stadt hinauswachsen und sich Bahn brechen würde in die Welt. Mochten die Theater heute noch seine Stücke ablehnen – sie hätte nicht Freda, die kluge Freda Nöhring sein müssen, wenn sie sich damit hätte trösten wollen.

Jetzt noch an einen Wettkampf Percivals mit dem da zu denken – bei aller Liebe zu dem geliebten Heißsporn –, der Gedanke war ja nur zum Lachen.

Das hatte Percival ja auch selbst gefühlt, hatte es rascher gefühlt als sie selbst, denn ohne weiteres hatte er kapituliert und sich dem Gegner auf Gnade und Ungnade ergeben.

Und das alles nicht aus ruhiger, kühler Überlegung, nicht, weil er, der Not gehorchend, einen vernünftigen Frieden schließen wollte, sondern aus Herzensdrang, weil er den Menschen liebgewonnen hatte. Jawohl – dagegen half auch kein Verleugnen mehr, er hatte ihn liebgewonnen, und der Vater auch. Mit einem Schlag hatte er die beiden überwältigt und erobert.

Und so kam ja nun alles, wie sie vorausgeahnt hatte, daß es kommen würde, wenn der unheimliche Wurzelmann ihr Haus beträte. Wie eine neue Atmosphäre kam er ins Haus, die sich in alle Winkel drängte, in alle Seelen drängte wie ein fressendes Feuer, das alles verschlang. Bald würde kein Eckchen im Hause mehr sein, das ihm nicht mitgehörte.

Wer gab ihm zu dem allem das Recht?

Nur weil er ein bißchen Talent besaß?

Daraufhin wollte er sich auch ihr aufdrängen? Daraufhin sollte auch sie ihm zur Beute fallen?

»Ach, Narr!« Und sie streckte sich im Bett aus, daß sie starr wie eine stählerne Stange lag.

Mochten Vater und Bruder, mochte die ganze Welt ihm zujauchzen und zu Füßen fallen – was galt das ihr? »Liebe, mein eingebildeter Herr, erkauft man sich noch nicht durch Talent!« Und sie ihn lieben – sie lachte laut auf, indem sie es nur dachte.

Und nun sah sie ihn wieder vor sich stehen, mit der schwer atmenden Brust, mit den trunkenen Augen, die Hand um ihre Hand geschlossen wie einen glühenden Ring – und plötzlich sagte sie sich, daß sie eine Närrin sei, sich aufzuregen und ihn als ihr Schicksal zu empfinden, während er es ja war, der wie ein Bettler vor ihr stand und Seligkeit oder Verzweiflung von ihren Lippen erwartete.

Ja freilich, so war es – die starr gewordenen Glieder lösten sich. Törin, die sich ängstigte und marterte, während sie einen ungeheuren Triumph errungen hatte! War's denn etwa kein Triumph, daß dieser plumpe Herkules vor sie hintrat, den Nacken vor ihr beugte und sagte: »Steig' auf, ich will dich tragen und dein Knecht sein?«

Und indem sie also dachte, stieg halb wie ein Traum ein Bild vor ihr auf, ein seltsames, fremdartiges Bild:

Einen Zentauren sah sie. Auf seinem Rücken saß ein Weib mit flatterndem, blondem Haar, mit blauen, blitzenden, wilden Augen; in seine Weiche grub sich die Ferse ihres Fußes.

Funken stoben unter seinen Hufen; unaufhaltsam ging sein Lauf; seine Brust keuchte; Schaum troff ihm vom Bart, aber die stachelnde Ferse trieb weiter, weiter und immerzu.

Und plötzlich kam ein Augenblick – er konnte nicht mehr, er bäumte sich auf, und dröhnend kam er zu Fall.

Das Weib glitt herab, aufgerichtet stand sie auf ihren Füßen; zusammengebrochen, verendend lag er da, und während sie mit blauen, blitzenden Augen triumphierend auf ihn herniedersah, schaute er zu ihr auf mit einem langen, stummen, nicht zu beschreibenden Blick.


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