Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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Neunter Abschnitt.

Peregrin. Ich übergehe, um deine Geduld zu schonen, lieber Lucian, verschiedene Begebenheiten, die mir in den drey bis vier Jahren, welche ich in Italien, theils zu Rom, theils bey meinen Bekannten auf dem Lande lebte, zugestoßen sind. Aber eine einzige wird dir selbst vielleicht eine Ausnahme zu verdienen scheinen, wenn ich dir sage, daß es nichts geringeres war, als ein kleines Abenteuer mit der einzigen Tochter des Kaisers, Faustina, welche damahls schon einige Jahre mit seinem angenommenen Sohne Markus Aurelius vermählt war, aber noch in der vollen Blüthe der Jugend und Schönheit stand.

Es wird dir nicht unbekannt seyn, in was für einen schlimmen Ruf die Sitten dieser Dame bey der Nachwelt gekommen sind, ohne daß weder die zärtliche Achtung ihres Gemahls, welche sie bis an ihren Tod besaß, noch die ausgezeichneten Ehrenbezeigungen, die der Senat ihrem Andenken erwies, einige Unvorsichtigkeiten vergüten konnten, wodurch sie in ihren jüngern Jahren die Verleumdung gegen sich gereitzt hatte. Ich kann mich nicht von dem Vorwurfe frey sprechen, zu einer Zeit, da ihr Karakter einem Menschen meiner Art nothwendig in einem sehr zweydeutigen Licht erscheinen mußte, selbst nicht wenig dazu geholfen zu haben, daß das Römische Publikum (dessen herrschende Sitten dem Glauben an die Tugend der Frauen vom ersten Rang ohnehin wenig günstig waren) um so geneigter ward, die nachtheiligsten Anekdoten, die auf Unkosten der schönen Faustina herum getragen wurden, glaublich zu finden. Allein, seitdem der Scheiterhaufen zu Arpine den Zunder der Leidenschaften in mir verzehrt hat, sehe ich auch diese liebenswürdige Römerin und ihr Betragen gegen mich in einem andern Lichte, und finde mich – schon nach dem, was mir selbst mit ihr begegnet ist – sehr geneigt zu glauben, daß ihr wenigstens durch die Gerüchte, welche sie mit den Poppeen und Messalinen in Eine Linie stellen, großes Unrecht geschehen sey. Doch, du magst selbst von der Sache urtheilen.

Ungeachtet der ungeheuern Größe der Stadt Rom, und der Schnelligkeit, womit eine unendliche Menge aus allen Weltgegenden zusammen geflogener Menschen, deren jeder seinen eigenen Zweck verfolgte, sich wie Meereswogen durch und über einander her wälzten, war doch der Cyniker, welchen Cejonius aus Ägypten (dem Vaterlande so vieler Wunderdinge) mitgebracht hatte, eine Erscheinung, die in gewissen Zirkeln eine Art von flüchtiger Aufmerksamkeit erregte. Beynahe ein jeder, der ihn gesehen hatte, wußte irgend etwas lächerliches oder seltsames, irgend eine kleine, wahre oder falsche Anekdote von ihm zu erzählen, wodurch diese Neuigkeit aus Afrika dem müßigen Theile des Publikums interessant wurde. Jedermann wollte den Cyniker mit dem Pythagoraskopfe kennen lernen, um sagen zu können daß er ihn auch gesehen habe; und es fehlte wenig, daß man nicht den Kaiser selbst anging, zu befehlen, daß er an dem ersten besten Feste, unter andern seltsamen Thieren, die aus allen Enden der Welt nach Rom zusammen geschleppt wurden, dem Volk im Cirkus vorgezeigt werden sollte.

Es konnte also nicht fehlen, daß endlich auch die Prinzessin, deren stärkste und vielleicht einzige Leidenschaft war, immer mit einer neuen Puppe zu spielen, neugierig ward, sich mit meiner Wenigkeit in Bekanntschaft zu setzen. Aber so leicht dieß an sich selbst zu seyn schien, so hatte die Sache doch ihre Schwierigkeiten; denn man beschrieb ihr das filosofische Wunderthier als ungewöhnlich scheu und störrig. Besonders, sagten ihre Kammerfrauen, äußere es eine Antipathie gegen das weibliche Geschlecht, welche, wie man wahrgenommen habe, mit der Schönheit und Jugend der Damen in gleichem Verhältniß stehe, und also für die Neugier der Prinzessin gar leicht unangenehme Folgen haben könne. Man erzählte ihr verschiedene Beyspiele dieser seltsamen Misogynie, welche wirklich nicht ohne Grund waren: aber bey Faustinen war dieß gerade ein Beweggrund mehr, sich von einer so unglaublichen Wirkung der Schönheit durch den Augenschein zu überzeugen. Sie wohnte während der schönsten Monate des Jahres gewöhnlich in den Sallustischen Gärten, deren anmuthige Lustwäldchen ich in der heißen Tageszeit öfters zu besuchen pflegte. Ihre Neugier blieb also nicht lange unbefriedigt. Man sagte mir daß sie mich zu sprechen wünschte, und, da ich mich dessen unter keinem schicklichen Vorwande weigern konnte, so ließ ich mich, wiewohl ungern, in einen kleinen Gartensahl führen, wo ich sie mit zwey oder drey von ihren vertrautern Gesellschafterinnen bey einer tändelnden Art von Arbeit antraf. Ihre Schönheit, wiewohl sie das untadeligste Modell zu einer Göttin der Liebe abgeben konnte und mit einem einladenden Ausdruck von Gefälligkeit und Gutheit verbunden war, machte, vielleicht eben dieses Ausdrucks wegen, beym ersten Anblick nur einen schwachen Eindruck auf mich. Aber desto mehr schienen die Damen in ihrer Erwartung getäuscht zu seyn, da sie, anstatt eines rauhen, übel gekämmten und ungeschliffnen Cynikers, einen Menschen vor sich sahen, der in guter Gesellschaft gelebt zu haben schien, nach Griechischem Kostum anständig gekleidet war, und seinem äußerlichen Ansehen und Betragen nach keine Gelegenheit zu den feinen Spöttereyen gab, womit sich eine von ihnen zur Belustigung der Prinzessin bewaffnet hatte, und die bey meinem Eintritt schon auf ihren Lippen schwebten. Kurz, ich sah daß der Pythagoraskopf auf den Schultern eines Mannes, den die Venus Mamilia vor dreyßig Jahren zu ihrem Adonis gewählt hatte, seine Wirkung that. Aber die Unterredung gewann nichts dadurch an Lebhaftigkeit: und da der Filosof die gute Meinung, die man auf Empfehlung seines Äußerlichen von ihm gefaßt zu haben schien, durch die Einsylbigkeit seiner Antworten auf alle Fragen, die man an ihn richtete, wenig aufmunterte; so wurde er zu seinem großen Troste ziemlich bald wieder verabschiedet, ohne daß man auch nur den leisesten Wunsch äußerte, die angefangene Bekanntschaft fortzusetzen.

Lucian. Ich liebe die Abenteuer, die einen so trocknen Anfang haben; und ich müßte mich sehr irren, wenn diese anscheinende Kälte nicht einen geheimen Anschlag gegen deine Weisheit verbarg, der bereits in dem leichten Gehirnchen der schönen Faustina brütete.

Peregrin. Ich wenigstens war damahls weit entfernt, so etwas zu argwöhnen. Wir sahen uns indessen nach dieser ersten Zusammenkunft zufälliger Weise noch öfters in den Sallustischen Gärten. Der sanfte Reitz, der alles, was die schöne Faustina sagte und vornahm, wie verstohlner Weise begleitete, ihre immer währende Heiterkeit und Fröhlichkeit, der gänzliche Mangel an allen Ansprüchen, welche sie als die einzige Tochter des Kaisers zu machen hatte, mit einer Gutherzigkeit und schönen Einfalt verbunden, die an einer Römerin von ihrem Stande und aus diesem Zeitalter noch unendliche Mahl überraschender war als der Pythagoraskopf an einem Cyniker, – das alles überschlich mein Herz unvermerkt. Die schöne Faustina ward mit jeder Unterredung schöner in meinen Augen: und da sie mir eben so empfänglich als geneigt schien, ihrem Geist eine Art von Ausbildung geben zu lassen, wodurch sie (wie sie sagte) der Ehre, die Gemahlin eines Mark-Aurels zu seyn, würdiger zu werden hoffte; so ließ sich dein alter Schwärmer – das wahre tribus Anticyris insanabile caput des Horaz – ohne Bedenken überreden, dieses gefährliche Amt bey einer jungen Fürstin zu übernehmen, deren wahrer Karakter, ungeachtet aller Aufschlüsse, die er durch die Kallippen, Mamilien und Diokleen über das große Räthsel des weiblichen Herzens erhalten zu haben glaubte, etwas ganz neues für ihn war.

Bey allem dem war das, was ich für die liebenswürdige Faustina fühlte, so rein und unschuldig, hatte so wenig Leidenschaftliches, und glich, mit Einem Worte, so sehr der Liebe eines zärtlichen Vaters für eine gutartige Tochter, daß ich unmöglich in die mindeste Unruhe darüber gerathen konnte. Aber eben diese Ruhe meines Herzens war es, was Faustinen – welche wirklich (wie du sagtest) einen kleinen schelmischen Anschlag gegen meine Weisheit in der Arbeit hatte, und in der Ausführung ihrer launischen Einfälle ziemlich ungeduldig war – den bösen Gedanken eingab, daß sie schlechterdings die unterste von den drey Seelen, welche Plato den menschlichen Körper bewohnen läßt, auf ihre Seite ziehen müsse, wenn sie den Triumf über die Apathie ihres Filosofen erhalten wollte, worauf sie nun einmahl ihren Sinn gestellt hatte, und worüber es (wie ich in der Folge erfuhr) zwischen ihr und einer vertrauten Freundin eine große Wette galt.

Sie veranstaltete es also mit dem Zufall so geschickt, daß ich sie einsmahls an einem sehr heißen Tage, in der einsamsten Grotte ihrer Gärten auf einer mit Rosen dicht bestreuten Moosbank, ziemlich leicht bekleidet schlummern fand. Es war der schönste Anblick, der meinen Augen jemahls gewährt worden war; wenigstens däuchte es mir so, da die Zeit die Bilder ehemahliger Visionen dieser Art zu matt gemacht hatte, um von dem lebendigen Eindruck der gegenwärtigen nicht ausgelöscht zu werden. Ich verweilte zwar nicht lange; aber meine Apathie war erschüttert; die Erinnerungen an diesen Augenblick schwächten die Gewalt, welche meine Vernunft durch eine vieljährige Übung in der strengsten Enthaltsamkeit über meine Einbildung erhalten hatte; und, wiewohl ich weder jung noch thöricht genug war, einer unziemlichen Leidenschaft für die Gemahlin eines Mark-Aurels Raum zu geben, so blieb es doch nicht mehr in meiner Macht, sie bey unsern fortgesetzten Zusammenkünften mit so unbefangenen Augen wie ehemahls anzusehen.

Diese Veränderung konnte der Prinzessin nicht lange verborgen bleiben. Sie ließ zwar nichts davon gewahr werden, daß sie ihren Lehrer bey jeder Zusammenkunft wärmer, belebter und unterhaltender fand; aber sie hielt sich von nun an gewiß, ihre Wette gewonnen zu haben, und beschleunigte die Ausführung ihres Plans. Einsmahls fand ich sie mit einem Buche auf dem Schooß, in dessen Lesung sie so vertieft schien, daß ich ihr schon ganz nahe war, ehe sie meine Gegenwart bemerkte. Du hättest zu keiner gelegnern Zeit kommen können, sagte sie, um mir zur Gewißheit zu helfen, ob ich die Theorie einer sehr sublimen Dame, die mich schon seit einer halben Stunde unterhält, recht begriffen habe oder nicht. – Das Buch, worin sie las, war Platons Symposion, und also Diotima die Dame, von welcher die Rede war. Diese schöne und geistige Art von Liebe, welche man, mit undankbarer Verschweigung ihrer wahren Erfinderin, die Platonische zu nennen pflegt, ward nun der Gegenstand einer Unterredung, welche mich, der schönen Faustina und einer Gruppe der Grazien von Praxiteles gegenüber, unvermerkt in die Gemüthsstimmung meiner ersten Jugend versetzte.

Ich war vielleicht der einzige Mensch in der Welt, der einer Frau, wie diese die ich vor mir hatte, in solchem Ernst und mit so vielem Feuer von der Möglichkeit einer unkörperlichen Liebe zu der liebenswürdigsten aller Frauen, das ist, (wie ich ihr deutlich genug zu verstehen gab) zu ihr selbst, sprechen konnte. Faustina schien eben so vergnügt als verwundert darüber zu seyn, zum ersten Mahl in ihrem Leben einen Mann von einer so feinen und mit ihren Begriffen so übereinstimmenden Denkungsart zu finden: aber sie konnte nicht umhin, dem Schüler der Diotima, mit einer Miene, worin Naivität und Schalkheit sich zugleich mit einer ihr eigenen Grazie ausdrückten, einige Zweifel über die Möglichkeit, eine so geistige Art von Liebe auf beiden Theilen in die Länge auszuhalten, zu zeigen.


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