Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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»Beynahe, sagte er, sollte ich mir ein Gewissen daraus machen, dich von einem so süßen und so unschuldig scheinenden Wahnsinne zu heilen: aber ich sehe, daß deine Fantasie dein Herz abermahl zum besten hat, und daß du bey diesem neuen Lebensplan um so größere Gefahr läufst, weil es vielleicht nicht so leicht seyn dürfte, dich, wenn die Täuschung vorüber seyn wird, von diesen ehrlichen Seelen wieder los zu winden, als von den Komödianten und Gauklern, deren Spiel du bisher gewesen bist. Ich sehe diesen Ausgang zu gewiß voraus, um eher von dir abzulassen, bis ich dich überzeugt habe, daß dir, nachdem du einmahl glücklich genug gewesen bist, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, keine andre Wahl übrig bleibt, als alle Gemeinschaft mit den Christianern aufzuheben.

»Dein Unglück, lieber Peregrin, (fuhr er fort) war bisher, daß du dich immer blindlings von zwey Führern leiten ließest, die dich nothwendig irre führen mußten. Gefühl und Imaginazion sind sehr angenehme Gefährten, aber gefährliche Wegweiser durch den Labyrinth des Lebens. Du hast dieß nun schon so oft erfahren, daß es wahrlich hohe Zeit ist, es endlich einmahl mit einem Führer zu versuchen, der unmöglich irre führen kann. Laß also, anstatt einem vielleicht betrüglichen Zuge nachzugeben, die Vernunft entscheiden, was für eine Partey du ergreifen sollst. Die Vernunft, glaube mir lieber Peregrin, die Vernunft ist der gute Dämon des Menschen, und die Eudämonie, nach welcher du strebest, ist die Frucht eines nach ihrer Vorschrift geführten Lebens; oder es giebt gar nichts, das diesen Nahmen verdient, diesseits des Mondes. Ich will jetzt nicht untersuchen, ob du, da du dich einmahl so tief mit Kerinthus eingelassen, da deine Fähigkeiten und Vorzüge dich zu einem ansehnlichen Posten in seinem unsichtbaren Reiche bestimmten, und die Freundschaft Diokleens (deren Aufrichtigkeit und Wärme zu bezweifeln, du, so viel ich sehe, keinen Grund hattest) dir unfehlbar das Innerste seines Ordens aufgeschlossen und einen unmittelbaren Antheil an den Vortheilen seiner Unternehmung verschafft haben würde, – ob du, sage ich, nicht klüger gethan hättest, bey ihm auszuharren, und ob nicht gerade das, was dich bewog seine Partey zu verlassen, dich zum Gegentheil hätte bestimmen sollen.

»Zwar bin ich so überzeugt als du, daß der außerordentliche Mann, nach welchem die Christianer sich nennen und für dessen Jünger sie sich ausgeben, einen ganz andern Plan hatte, als der ist, an welchem Kerinthus arbeitet. Ganz gewiß war das Reich Gottes, welches Er ankündigte, und zu welchem er (nachdem ihm seine Absicht bey den Juden, seinen Stamm- und Glaubensgenossen, fehl geschlagen war) alle Menschen eingeladen wissen wollte, nichts weniger als eine politische Universalmonarchie. Alles müßte mich trügen, oder dieses Reich hatte mit der Theokratie oder Hierarchie, an welcher seine vorgeblichen Anhänger im Verborgnen arbeiten, und womit sie über lang oder kurz die erstaunende Welt überraschen werden, nicht mehr gemein, als sein Geist mit dem ihrigen. Er war ein Enthusiast im erhabensten Sinne dieses ehrwürdigen Wortes, welches durch Vermengung mit Schwärmerey, Fanatismus und Magismus so häufig entheiligt wird: aber seine Lehre war zu einfach, sein Sinn zu lauter, die Vollkommenheit, zu welcher er einlud und die er an sich selbst darstellte, zu rein und groß, als daß es sich nur denken ließe, sie könnte jemahls das Antheil von Hunderttausenden und Millionen seyn. Was erfolgte also, und was mußte erfolgen? Eines von beiden: entweder seine reine Theosofie mußte, wie die Weisheit und Tugend (zwey nicht weniger profanierte Wörter!) eines Archytas oder Sokrates, sich immer nur, unsichtbarer Weise, unter den Wenigen erhalten und fortpflanzen, die seines Geistes waren; oder, wenn sie sichtbar werden, zu einer Art von Herrschaft über die menschlichen Gemüther gelangen, und irgend eine wichtige Veränderung in der Welt hervorbringen sollte, so mußte sie sich mit den Meinungen und Leidenschaften der Menschen amalgamieren, und in der Hand ehrgeitziger, planvoller und betriebsamer Menschen zu einer neuen Volksreligion, und als solche zum Mittel eines Zwecks, der nicht der Zweck des ersten Stifters war, kurz, zu dem gemacht werden, was der Glaube und die Mysterien der Christianer in den Händen eines Kerinthus und Hegesias sind.

»Wie viel Antheil aber auch Regiersucht und Eigennutz an der Unternehmung dieser Männer haben mögen, so ist doch nicht zu läugnen, daß etwas Großes in dem Gedanken ist, die Menschheit zugleich von den Ketten des Aberglaubens und des Despotismus zu befreyen, und alle Völker der Erde, durch einen Glauben, der die moralische Natur des Menschen reinigt und veredelt, sie zu Kindern Eines Vaters, zu Mitgenossen gleicher Rechte, zu Erben eben derselben Hoffnung macht, in eine einzige Brüdergemeine zu versammeln. Mag doch diese Idee, in ihrer höchsten Vollkommenheit gedacht, unerreichbar seyn! Aber würden auch Jahrtausende dazu erfordert, um ihr von Stufe zu Stufe näher zu kommen, und müßte gleich das Gute, das für die Menschheit dadurch gewonnen würde, mit tausend vorüber gehenden Übeln erkauft werden: immer bliebe der, der den Grund zu einer solchen Revoluzion gelegt hätte, ein Wohlthäter des menschlichen Geschlechts. Ich müßte mich sehr irren, oder Kerinthus betrachtet sich selbst in diesem Lichte. Und, wiewohl man den keinen Schwärmer nennen kann, der so künstliche Maschinen mit so viel Klugheit und mit so feinen Handgriffen zu Ausführung eines Werks, wovon Er selbst die Seele ist, zu verbinden weiß; wiewohl der Gebrauch wunderbarer Mittel und einer Art von moralischer Magie ihm sogar das Ansehen eines Betrügers geben: so wollte ich doch nicht behaupten, es sey unmöglich, daß er, von der Schönheit und Größe seines Plans begeistert, sich selbst über die Mittel täusche, und alles für recht und gut halte, was zu einem so herrlichen Ziele führe; und dieß um so mehr, je scheinbarer der Gedanke ist, daß durch eine solche Anwendung das, was in einem andern Zusammenhang der Dinge böse seyn würde, in so fern als das Gute dadurch befördert wird, sich wirklich in etwas Gutes verwandelt, und also aufhört zu seyn was es war. Ich erinnere mich, von Kerinthus etwas diesem ähnliches gehört zu haben; und wenn die Alexander und Cäsarn, wie zu vermuthen ist, Augenblicke hatten, wo eine unfreywillige innere Gewalt sie nöthigte einem Richter in ihrem eigenen Busen Rechenschaft zu geben, so waren es ohne Zweifel Sofismen dieser Art, wodurch sie ihn zu bestechen suchten.

»Wie es aber auch damit beschaffen seyn mag, immer macht es dem Genie des Kerinthus in meinen Augen Ehre, daß er (aller Wahrscheinlichkeit nach) der erste war, der in dem Glauben einer bisher so verachteten Sekte das Mittel und Werkzeug fand, die größte aller Revoluzionen zu bewirken. Es ist sehr möglich, oder vielmehr es ist sehr wahrscheinlich, daß er mit seiner Unternehmung scheitern wird. Er betreibt sie zu lebhaft, und, als einer der die Früchte seiner Arbeit selbst genießen möchte, zu eilfertig; die Welt ist zu einer so großen Katastrofe noch nicht reif. Aber ich bin gewiß, wenn auch Kerinthus unterliegt, das von ihm angefangene Werk wird von andern Händen im Verborgenen fortgeführt; und vielleicht in weniger als zwey hundert Jahren werden unsre Nachkommen erstaunen, eine in ihren Anfängen so unscheinbare und nichts geachtete Verbrüderung auf einmahl ihr Haupt erheben, die alte Religion und Verfassung verschwinden, und die Theokratie des Kerinthus, vielleicht unter einem andern Nahmen und mit einer andern Außenseite, aber ihrem Geist und ihren Grundsätzen nach eben dieselbe, der Welt Gesetze geben zu sehen. Ob diese sich viel besser dabey befinden wird, will ich dahin gestellt seyn lassen. Ich meines Orts gestehe, daß ich kein Freund von den Theokratien bin, in welchen man die Gottheit die Rolle eines morgenländischen Schachs spielen läßt, während Menschen, unter dem Nahmen seiner Satrapen und Wessire, sich seiner Allgewalt so wohl oder so übel bedienen, als es ihre Fähigkeiten, Leidenschaften, Schwachheiten und Laster erlauben oder fordern.

»Ich weiß nur von Einer Theokratie, gegen welche keine Einwendung zu machen ist, weil sie weder Unrecht haben noch von irgend einer Macht aufgehalten werden kann; in welcher wir alle unsere Rolle spielen, ohne weder den Plan noch den Ausgang des Stücks zu kennen; in deren Plan alles, was ist und lebt, eingeflochten ist, alles von unbekannten Ursachen zu unbekannten Zwecken in ewiger Bewegung erhalten wird, alles zugleich Mittel und Zweck, Ursache und Wirkung ist, und der erste Beweger von allem ewig unsichtbar hinter der Scene bleibt.

»In dieser Theokratie, mein lieber Peregrin, bin ich was ich bin, wirke was ich kann, und leide was ich muß: von allen andern Autokratien, Demokratien, Aristokratien und Theokratien halte ich mich so fern als möglich. Ich verachte mich selbst nicht so sehr, daß ich von der Willkühr eines andern abhangen möchte, so lang' es in der meinigen steht frey zu seyn: aber ich bin auch nicht stolz oder eitel genug, um über meines gleichen herrschen zu wollen.

»Aufrichtig zu reden, ist bey einer solchen Sinnesart gewöhnlich eine gute Porzion Trägheit und Liebe zum seligen Leben der Götter im Himmel, dem goldnen Müßiggang; eine Liebhaberey, wovon ich mich selbst nicht frey sprechen will, und woraus du dir leicht erklären kannst, warum ich keine Lust hatte, mich mit dem hoch strebenden Kerinthus auf das gefahrvolle Meer weit aussehender, mühsamer, und vielleicht undenkbarer Abenteuer einzuschiffen.

»Du, Peregrin, hast keine Entschuldigungen dieser Art: aber, wie geschickt du dich auch während deiner Verbindung mit Kerinthus und Hegesias gezeigt hast, in ihrem Operazionsplan eine der thätigsten Rollen zu spielen, so begreife ich doch, wie dir durch die Entdeckung, daß, was du für Ernst hieltest, nur Spiel sey, die Lust dazu vergehen konnte. Aber, o mein Freund! du, dem es so innig zuwider ist andere zu betrügen oder von andern betrogen zu werden, warum wolltest du dich von neuem in Gefahr begeben, der Betrogne eines magischen Gauklers zu seyn, der in deinem eignen Busen sitzt? Die Farben, womit er dir die Seligkeit vormahlt, die im Schooße der vermeintlichen Engel auf dem Meierhofe bey Pitane deiner warten soll, sind Zauberfarben; das Licht, worin du diese guten Menschen siehst, ist Zauberlicht. Eine Zeit lang würdest du dich in das Paradies der Morgenländer versetzt glauben, und unter deinen Idealen von Unschuld und Liebe in den seligsten Gefühlen zerfließen. Aber so bald Zeit und Gewohnheit die erste Blüthe des Genusses abgestreift hätte, würden diese Engel unvermerkt zu armen, einfältigen Menschen herab sinken, mit denen du, außer einiger Gleichförmigkeit in Gesinnungen des Herzens, wenig oder nichts gemein haben könntest. Du bist von Jugend an gewohnt mit Personen von gebildetem Geiste zu leben, bist selbst viel zu sehr entwickelt, als daß du es, bey einer wenig oder bloß mechanisch beschäftigten Lebensart, unter so schlichten und einförmigen Landleuten in die Länge aushalten könntest. Ihr Unvermögen, das wirklich für dich zu seyn, was dir deine Fantasie in ihrem Nahmen versprach, würde dich zuletzt übellaunig machen: und wäre es einmahl dahin gekommen; so würde nicht nur das, was du an ihnen liebst, viel von seinem Werth und Reitz verlieren; es würden auch Unvollkommenheiten zum Vorschein kommen, die du ehemahls nicht gesehen hattest, und die nun in deiner umgestimmten Einbildung (eben so gewiß wie ehemahls das Schöne und Gute) größer erscheinen würden als sie sind. Was die natürliche Folge von diesem allen seyn müßte, brauche ich dir nicht zu sagen: aber ob es dann so leicht, oder nicht wohl gar unmöglich seyn dürfte, die Verbindungen, welche du in der ersten Schwärmerey des Herzens mit diesen guten Leuten eingegangen wärest, wieder aufzuheben, ist eine Frage, deren Beantwortung du nicht auf den Erfolg ankommen lassen darfst. Wenn also mein Rath etwas über dich vermochte, so folgtest du meinem Beyspiel, und brächest, nachdem du dich doch einmahl durch einen Sprung aus dem Fenster von dem Profeten Kerinthus los gemacht hast, alle fernere Gemeinschaft mit den Christianern ab. Das was du suchest, lieber Peregrin, ist weder hier noch dort, weder bey dieser noch bey jener Partey oder Sekte: es ist in dir selbst oder es ist nirgends


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