Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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Dritter Abschnitt.

Peregrin. Die Sonne war nicht lange untergegangen, als ich mich nach den gewöhnlichen Vorbereitungen auf den Weg zum Tempel machte. Aber, wie groß meine Ungeduld nach diesem Augenblick gewesen war, so befiel mich doch, da ich unter den Säulengang trat und im Begriff war den Schlüssel in die Pforte zu stecken, ein so wunderbares Schaudern, daß ich wieder umkehren, und den langen Gang von Pomeranzenbäumen zwey- oder dreymahl hin und her gehen mußte, bis ich Muth genug gefaßt hatte, die Pforte aufzuschließen.

Ich fand das Innerste des Tempels nur schwach beleuchtet, ohne zu sehen wo das Licht herkam; der Amor mit der Fackel fehlte, und die tiefe bogenförmige Blende, wo das Bild der Göttin zu stehen pflegte, war mit einem purpurnen Vorhang bedeckt.

Mit hoch schlagendem Herzen stand ich in ehrfurchtsvoller Entfernung, die Augen auf den Vorhang geheftet, als er von zwey eben so schnell erscheinenden als verschwindenden Liebesgöttern plötzlich aufgezogen wurde, und die Göttin in ihrer gewöhnlichen Stellung meinen entzückten Augen zeigte. Der einzige Unterschied war, daß sie nicht auf ihrem Fußgestelle, sondern auf einer kleinen, mit einem purpurnen Teppich belegten Erhöhung stand, zu welcher man auf zwey niedrigen Stufen empor stieg.

Während ich dieses Ideal der höchsten Schönheit mit einer Liebe und einem Verlangen, als ob ich es mit meinen Augen einsaugen wollte, betrachtete, schien mirs, die Statue belebe sich unvermerkt unter meinen Blicken; ihre Augen funkelten von einem überirdischen Lichte, ihr Busen schien sich zu heben, und eine liebliche Röthe alle Lilien ihrer nach dem schönsten Ebenmaße gebauten Glieder in Rosen zu verwandeln.

Du wirst mir gern glauben, daß mein Gefühl bey dieser Erscheinung – mochte sie nun Täuschung oder Wahrheit seyn – alle Beschreibung zu Schanden machen würde. Von einem unwiderstehlichen Zug überwältigt wagte ich es endlich, mich ihr mit zögernden Schritten zu nähern; ein unbeschreiblich süßer Blick schien mich dazu einzuladen, und in eben dem Augenblicke, da ich meinen unfreywillig sich öffnenden Armen nicht länger gebieten konnte, breiteten sich die ihrigen gegen mich aus. Ich flog ihr entgegen, schlang jeden glühenden Arm um ihren Leib, fühlte ihren elastischen Busen den meinigen umwallen; dieses göttliche Feuer, das die ganze Natur beseelt, blitzte und strömte aus ihr mit einer Wollust, die ich nicht ertragen konnte, in mein ganzes Wesen über, alle meine Sinne taumelten, alle Bande meines Körpers lösten sich auf, meine Augen erloschen, und ich verlor alles Gefühl meiner selbst.

Lucian. Eine seltsame Geschichte! – und im Grunde doch die gemeinste von der Welt. Alles kommt bey diesen Dingen auf die vorhergehenden und begleitenden Umstände, und vornehmlich auf die Beschaffenheit und Stimmung des Subjekts an. – Indessen muß ich gestehen, Peregrin, du warst ein glücklicher Erdensohn; und wäre deine Verbrennung zu Harpine die einzige Bedingung gewesen, unter welcher das Schicksal dir erlaubt hätte solche Erfahrungen zu machen, du hättest sie wahrlich nicht zu theuer bezahlt! Wenn die Sterblichen eines Genusses fähig sind, der ihnen das Gefühl sich zu vergöttern giebt, so ist es das, was Du in diesen Augenblicken erfuhrst.

Peregrin. Die Vergötterung, lieber Lucian, erfolgte erst, als sich der Todte, ohne zu wissen wie ihm geschah, auf einem zugleich äußerst weichen und elastischen Ruhebette – in den Armen der Göttin wiederfand. Aber über diese Mysterien versiegelt (mit der Hohenpriesterin Dioklea zu reden) das heilige Schweigen meine Lippen. Alles was ich dir schuldig zu seyn glaube, ist, dich nicht länger in der Ungewißheit zu lassen, wer diese irdische Venus Urania war, die den unbedeutenden Sohn eines Bürgers von Parium, mit einem solchen Aufwand von wunderbaren Anstalten und theurgischen Vorbereitungen, zu ihrem Adonis zu machen würdigte.

Ohne Zweifel mußt du schon selbst gefunden haben, daß dein Verdacht irre ging, da er auf die ehrwürdige Tochter des Apollonius fiel. Wäre die Priesterin und die Göttin nur eine und eben dieselbe Person gewesen, so müßte ich den Betrug schon bey der ersten Theofanie, da sie mir mit ihren Grazien in der Wolke erschien, und noch deutlicher in dem Augenblicke, da ihre Bildsäule sich so unverhofft für mich belebte, nothwendig entdeckt haben, und sie hätte sich also dieser Mittel zu meiner Bezauberung nicht bedienen können. Denn, wiewohl Dioklea, den Mangel der Jugend abgerechnet, eine sehr schöne Frau genannt werden konnte, so sah sie doch der Bildsäule nicht gleich; hingegen war die Ähnlichkeit des Bildes mit der Göttin, die ich in den Wolken sah und in der Blende des Tempels umarmte, durchaus in allen Theilen, Formen und Zügen so vollkommen, daß das Leben allein den Unterschied zwischen dem einen und der andern machte.

Wisse also, Freund, daß der heilige Hain, die Felsenwohnung der Dioklea, die Gärten um sie her, und der Tempel der Venus Urania – einen Theil eines großen Landgutes ausmachten, welches, nebst vielen ansehnlichen Ländereyen in Ionien, Karien, Lycien und auf der Insel Rhodus, das Eigenthum einer edlen Römerin war, die hier, im Mittelpunkt ihrer Besitzungen und in der vollkommensten Unabhängigkeit, den Rest ihrer Jugend, und die Reichthümer, die ihr ein betagter Gemahl hinterlassen hatte, nach einem eigenen, romantischen, aber (wie du gestehen wirst) nicht übel ausgedachten Plane zu genießen beschlossen hatte. Sie nannte sich Mamilia Quintilla, und würde in den Zeiten eines Kaligula, Klaudius oder Nero durch ihre außerordentliche Schönheit sich eben so leicht zu dem Range der Poppeen und Messalinen erhoben haben, als es ihr unter der Regierung Hadrians gelang, sich – mit Aufopferung ihrer ersten Blüthe an einen alten Römischen Ritter, der durch Handelschaft, Glück, und Pachtung der Staatseinkünfte ganzer Provinzen in Asien ein unermeßliches Vermögen zusammen gebracht hatte – in wenig Jahren zur Erbin desselben zu machen.

Wenn die Dame Mamilia Quintilla den besagten Kaiserinnen, außer der Schönheit, noch in einer andern Eigenschaft, die ihren Ruhm bey der Nachwelt mehr als zweydeutig gemacht hat, ähnlich war, so ist wenigstens nicht zu läugnen, daß sie einen so sinnreichen Geschmack in der Art, wie sie ihre Lieblingsleidenschaft befriedigte, und so viel Feinheit in der Wahl der Personen, welche sie dazu vonnöthen hatte, zeigte, daß es nicht gerecht wäre, sie mit jenen übel berüchtigten Augusten, oder andern Römerinnen ihrer zahlreichen Klasse, in eben dieselbe Linie zu stellen. Ihre Fantasie hatte, wie die meinige, in früher Jugend einen gewissen dichterischen Schwung bekommen – und da sie vermuthlich von den Tischfreunden ihres alten Tithons oft genug mit der Göttin von Cythere verglichen worden war; so mochte ihr, als sie sich mit zwanzig Jahren, in der Fülle des Lebens und der Schönheit, frey und im Stande sah jeder ihrer Neigungen und Launen ein Genüge zu thun, der Gedanke leicht genug gekommen seyn, sich einiger Vorrechte dieser Göttin anzumaßen, und die Freuden, welche sie zu empfangen und zu geben gleich geschickt und geneigt war, einer gewissen idealischen Vollkommenheit so nahe zu bringen, als es einer Sterblichen nur immer möglich seyn könnte.

In dieser Absicht hatte sie ihre Villa zu einem wahren Zauberpalast, und den weitläuftigen Bezirk, der zu derselben gehörte, zu lauter Idalischen Hainen und zu einem zweyten Dafne umgeschaffen. Die prächtigen Gebäude, woraus die Villa bestand, waren mit einer zahllosen Menge wunderschöner Knaben zwischen acht und zwölf, und reitzender Mädchen zwischen zwölf und sechzehn Jahren angefüllt, die sie aus allen Provinzen des Römischen Reichs mit der eigensinnigsten Auswahl hatte zusammen kaufen lassen. Kein Fürst konnte sich rühmen, schönere Stimmen und Instrumente, vollkommnere Tänzerinnen, bessere Köche, und geschicktere Künstler von allen Gattungen die dem Vergnügen und dem Luxus dienen, in seinen Diensten zu haben, als die schöne Mamilia; und sie hatte sich der letztern so gut zu bedienen gewußt, daß ihr Palast und ihre Gärten eben so vielen künstlichen Scenen glichen, wo alles zu jedem Schauspiel, jeder Theaterveränderung, die zu ihrer Absicht nöthig seyn konnten, aufs sinnreichste eingerichtet und vorbereitet war. Und wie es von Zeit zu Zeit solche Günstlinge der Glücksgöttin giebt, zu deren Vortheil alle Zufälle sich mit einander verabredet zu haben scheinen, so mußte es sich fügen, daß auch diese Römerin, deren Einbildung auf einen so romantischen Lebensgenuß gestimmt war, die einzige Griechin antraf, die ganz dazu gemacht war, ihr zu Ausführung ihrer feinsten und sonderbarsten Ideen behülflich zu seyn.

Doch, ich will mir nicht länger selbst durch eine nähere Erklärung zuvor eilen, die noch zeitig genug an ihrem rechten Orte kommen wird. In den Augenblicken, wo die Erzählung meiner Abenteuer stehen geblieben ist, war ich noch unendlich weit von dem leisesten Argwohn entfernt, daß ich in allem dem Außerordentlichen, was mir seit einigen Tagen begegnete, nur das Spielzeug einer fantastisch-wollüstigen jungen Römerin und einer – alternden Griechischen Schauspielerin seyn könnte. Freylich würde jeder andere, der nicht so ganz unerfahren in den Angelegenheiten der Göttin von Cythere gewesen wäre als ich, durch eine solche Entwicklung des Lustspiels auf einmahl ins Klare gekommen seyn: aber bey mir stieg gerade durch das, was jedem andern die Augen geöffnet hätte, die Täuschung auf den höchsten Grad. So glücklich, als ich in den Armen der schönen Mamilia war, konnte, meinem Gefühle nach, nur die Göttin der Liebe machen, und nur ein Halbgott konnte unter solchem Übermaß von Wonne nicht erliegen. Wirklich wandte die schlaue Römerin alles an, mich nicht einen Augenblick aus dieser Berauschung aller Sinne zu mir selbst kommen zu lassen; und die Leichtigkeit, womit es ihr gelang, schien etwas so neues für sie zu seyn, daß sie (ohne einige täuschende Künste von meiner Seite) endlich selbst versucht war, mich für etwas mehr als einen Sterblichen zu halten.

Indessen, da sogar die Götter von Zeit zu Zeit nöthig haben, der unverlöschbaren Flamme ihrer ewigen Jugend etwas Nektar und Ambrosia zuzugießen, so erschienen, vermuthlich auf irgend ein geheimes Zeichen, plötzlich eben die drey lieblichen Mädchen, die bey ihrer ersten Theofanie die Grazien vorgestellt hatten, und boten uns auf goldenen Schalen und in zierlichen Gefäßen von geschliffenem Krystall Erfrischungen an, die einen bey großer Frugalität auferzogenen Bürger von Parium sehr leicht in dem Wahn erhalten helfen konnten, daß er in die Wohnung der Liebesgöttin versetzt sey. Die Grazien ließen uns wieder allein, und – kurz, Freund Lucian, als ich nach einem kleinen Schlummer wieder erwachte, war der Tag angebrochen, die Göttin verschwunden, und ich befand mich, ohne zu wissen wie, von einem Gewimmel kleiner Amoretten umschwärmt, in einem lauen Bade, dem vermuthlich einige Tropfen Rosenöhl den ambrosischen Wohlgeruch mittheilten, der auch hier nicht fehlte, sich mit so vielen andern Umständen zu vereinigen, um meine Sinne in immer währender Trunkenheit und Täuschung zu erhalten.


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