Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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Da meine Unerfahrenheit mich in diesem Augenblicke noch unwissend darüber ließ, wie vielen Antheil vor zwey Tagen der Überfluß meiner Lebensgeister an meiner Bezauberung, und nun die Erschöpfung an der Auflösung derselben hatte: so war es bey einem Menschen von meiner Vorstellungsart nicht wohl anders möglich, als daß ich von einem Äußersten ins andere fiel, mich selbst sowohl als die Gegenstände, denen meine Fantasie und mein Herz unwissender Weise eine idealische Vollkommenheit geliehen hatte, auf einmahl tiefer als recht war herab würdigte, und indem ich mir alles, was seit acht Tagen mit mir vorgegangen, mit den kleinsten Umständen ins Gedächtniß zurück rief, nicht begreifen konnte, wie es möglich gewesen sey, daß ich die Kunst, womit Dioklea und die vorgegebene Göttin mir ihre Schlingen gelegt hatten, nicht viel früher gewahr geworden. Der Unmuth, womit mich diese Gedanken erfüllten, machte mir die Scene meiner Entgötterung unerträglich; ich floh in den entlegensten Theil des Waldes, der die Gärten umgab, warf mich unter einen Baum, und hatte schon einige Stunden in dieser von meiner vorigen Wonne so stark abstechenden Gemüthslage hingebracht, als eine Erscheinung, deren ich mich gerade am wenigsten versah, den Lauf meiner kränkenden Betrachtungen hemmte.

Es war die Tochter des Apollonius selbst, die mit der Ruhe und Unbefangenheit einer Person, welche keine Vorwürfe befürchtet weil sie keine verdient zu haben glaubt, auf mich zukam und mich anredete. Wie? sagte sie mit einer angenommenen Miene von Verwunderung, wie finde ich dich hier, Proteus? – Möchtest du mich nie gefunden haben! antwortete ich, mein Gesicht mit einem tiefen Seufzer von ihr wegwendend. – Ists möglich, versetzte sie schalkhaft lächelnd, daß Proteus, nach allem was seit unsrer Trennung mit ihm vorging, eines so undankbaren Wunsches fähig seyn kann? – »Undankbaren? – Und Du, kannst du nach dem schändlichen Betrug, den du mir gespielt hast, noch Dank erwarten?« – Seltsamer Mensch! Wenn du das Betrug nennest, wo ist der König, der sich nicht glücklich schätzte so betrogen zu werden? Du bist mir unbegreiflich, Proteus! »Und du, Dioklea, oder wie du heißen magst denn warum sollte nicht auch dein Nahme, wie alles andere an dir, falsch seyn? – kannst du läugnen, daß die Venus, in deren Arme du mich betrogen hast, eine –«

Dioklea ließ mich nicht vollenden was ich selbst nicht heraus zu sagen vermochte. Du bist in einer Laune, fiel sie ein, worin du nicht zu fühlen scheinst, was dir zu sagen, oder mir anzuhören geziemt. – Und mit diesen Worten entfernte sie sich mit ihrer gewöhnlichen Majestät, und ließ mich in einem Zustande von Verwirrung und Unzufriedenheit über meine eigenen Gefühle, den ich mir selbst nicht hätte erklären können. Genug, es zeigte sich bald, daß mein Unwille nicht lange gegen diese räthselhafte Frau aushalten konnte. Die Zuversicht mit der sie sich mir darstellte, ihr Anblick selbst, der edle Anstand womit sie dem Ausbruch meines Unmuths Einhalt that, alles an ihr gebot mir eine unfreywillige Ehrerbietung; und so wie sie sich entfernte, wurden alle die wunderbaren und zauberischen Eindrücke wieder rege, die sie von unsrer ersten Bekanntschaft an auf mich gemacht hatte. Kurz, sie erhielt wieder ihre vorige Gewalt über mich; und kaum hatte ich sie aus den Augen verloren, als ich in einer plötzlichen Anwandlung von Reue über mein ungebührliches Betragen aufsprang, und ihr, zwar nicht ohne innern Kampf, aber wie von einer stärkern Kraft fortgezogen, nachzugehen anfing.

Es währte eine ziemliche Weile, bis ich sie wieder zu Gesichte bekam. Sie saß, mit einer Nadelarbeit auf ihrem Schooße, unter einer Laube des Myrtenwäldchens, und schien nicht zu bemerken daß ich ihr immer näher rückte. Nachdem ich in einiger Verlegenheit eine Zeit lang hin und her um die Laube herum gegangen war, ohne daß sie sich nach mir umgesehen hätte, konnte ich mich nicht länger zurückhalten hinein zu treten, und mich stillschweigend ihr gegenüber zu setzen. Sie schien meine Gegenwart noch immer nicht zu achten, und diese stumme Scene dauerte so lange bis ich zu seufzen anfing. War das nicht ein Seufzer, Proteus? sagte sie in einem scherzenden Tone. Du bist in der That sehr zu bedauern, daß man dich wider deinen Willen dahin gebracht hat, ein schimärisches Glück gegen ein wirkliches, das alles was du dir jemahls einbilden konntest übertrifft, zu vertauschen! – Ich glaube selbst, sagte ich, daß ich mich sehr glücklich finden würde, wenn ich so denken könnte, wie du es jetzt zu verlangen scheinst. – Glaubst du das? versetzte sie mit einem kleinen Nasenrümpfen. Aber, fuhr sie in dem ernsthaften Tone, den ich an ihr gewohnt war, fort, indem sie aufstand und auf den Pavillion zuging, wir sind jetzt nicht aufgelegt, von einem so zarten Gegenstande zu sprechen. Die Gebieterin dieses Ortes, von deren Stand und Vermögen du dir aus allem was du hier siehest die richtigste Vorstellung machen kannst, ist durch unvermuthete Geschäfte nach Milet abgerufen worden, und hat mir aufgetragen, in ihrer Abwesenheit dafür zu sorgen, daß dir die Weile nicht lang werde. Wenn es dir nicht zuwider ist, wollen wir die Zeit bis zur Tafel mit Besehung der merkwürdigsten Dinge in dieser Villa hinbringen.

Hiermit nahm sie mich bey der Hand, führte mich in die Gallerie, die ich zuvor nur flüchtig übersehen hatte, und zeigte mir, indem sie die mannigfaltigen Kunstwerke, welche Reichthum und Geschmack hier aufgehäuft hatten, mit mir betrachtete, so viele Kenntnisse in diesem Fache, und bey jeder Gelegenheit, die sich dazu anbot, so viel Weltkunde und Bekanntschaft mit allen merkwürdigen Personen der Zeiten Trajans und Hadrians, daß die Bewunderung, die sie mir einflößte, mit jeder Minute höher stieg, und alle Beschwerden, die ich gegen sie zu führen hatte, auf die Seite drängte. Kurz, Dioklea war so reich an Erfindung angenehmer Zerstreuungen, so unerschöpflich an Unterhaltung wenn wir uns allein befanden, und so aufmerksam, jeden leeren Zwischenraum mit Musik, Tänzen, Pantomimen, oder den übrigen Künsten, die hier für Mamiliens Vergnügen beschäftigt waren, auszufüllen, daß mir die drey Tage, welche die Dame des Hauses abwesend war, wie einzelne Stunden vorbey kamen. Die Wolken, die mein Gemüth umzogen hatten, zerstreuten sich; meine Einbildung klärte sich wieder auf; die tausendfachen zauberischen Eindrücke, welche Natur und Kunst auf alle meine Sinne machten, gewannen unvermerkt die Oberhand, und ehe der zweyte Tag vorüber war, befand ich mich wieder so lebendig und so hohen Muthes als jemahls; mit dem einzigen Unterschiede, daß die Götternächte der Venus Mamilia einen Sinn, dessen geheime Forderungen mir so lange unverständlich geblieben waren, in eine Thätigkeit gesetzt hatten, die sich nicht so leicht beruhigen ließ, und sich nun des Einflusses und der Obermacht bemeisterte, in deren Besitz ehemahls die Fantasie gewesen war. – Warum sollte ich dir, da ich doch einmahl im Bekennen bin, nicht alle meine Verirrungen und Bethörungen gestehen? Zwey Tage Abwesenheit, die Ruhe einer einsamen Nacht, und der üppige Überfluß einer Römischen Tafel hatten der schönen Mamilia in meiner Einbildung ihre ganze Gottheit wiedergegeben; ich sehnte mich nach ihrer Zurückkunft: aber sie war abwesend, und die Tochter des Apollonius war gegenwärtig. Ihre ehemahlige priesterliche Feierlichkeit war mit der Binde um ihre Stirn verschwunden; sie hatte sich allmählich ihrer natürlichen Lebhaftigkeit überlassen; und so wie sie alle Reitze ihres Geistes vor mir entfaltete, schien sie sich auch nicht länger verbunden zu glauben, mir aus den eben so mannigfaltigen Reitzen ihrer Person länger ein Geheimniß zu machen. Nie waren vielleicht die Grazien einem Weibe holder gewesen als ihr, und in der Kunst, die Gunstbezeigungen der Natur mit Anstand in das vortheilhafteste Licht oder Helldunkel, und was der Zahn der Zeit etwa daran benagt haben mochte, in den schlauesten Schatten zu setzen, hatte sie schwerlich jemahls ihres gleichen gehabt. Kurz, wiewohl sie die Hälfte ihrer Jahre hätte abgeben müssen um die Göttin der Jugend vorzustellen, so blieb ihr doch mehr, als für einen Neuling meiner Art nöthig war, um in einer dämmernden Rosenlaube oder in dem kleinen Tempel des Stillschweigens die Abwesenheit der Göttin Mamilia zu ersetzen.

Lucian. Und sie machte sich vermuthlich eben so wenig Bedenken daraus, als der Neuling sich machte diese Untreue an seiner Göttin zu begehen?

Peregrin. Er glaubte Mamilien keine Treue schuldig zu seyn. Aber die erfahrne Dioklea kannte die Männer zu gut, als daß sie ihm den Sieg, den er über ihre Weisheit erhielt, nicht schwer genug zu machen gewußt hätte, um den Werth desselben in seinen Augen zehnfach zu verdoppeln. – Soll ich dir noch mehr sagen? So lächerlich es in unserm dermahligen Stande seyn mag, von den Spielzeugen und Kurzweilen unsrer ehemahligen Kindheit mit einem gewissen Wohlbehagen zu sprechen, so kann ich mich doch der Tochter des Apollonius nicht ohne das Vergnügen erinnern, welches den Gedanken, irgend etwas Schönes oder Gutes in seiner höchsten Vollkommenheit genossen zu haben, natürlicher Weise begleitet. Wie weit war die Römerin auch in diesem Stücke unter der feiner organisierten, seelenvollern, erfindungsreichern Griechin! einer Griechin, die, von allen Musen und Grazien mit ihren Gaben überschüttet, einige Jahre lang unter andern Nahmen, als Mimentänzerin die Augenlust und der angebetete Liebling der halben Welt gewesen war!

Lucian. Du kannst dich nun verbrennen wenn du willst, Peregrin! Du hast gelebt, und in einer einzigen Woche auf der Villa Mamilia zu Halikarnaß des Lebens mehr genossen, als Millionen Menschen in der ganzen Zeit ihres Daseyns.

Peregrin. Gut! Aber ehe wir zu jenem letzten und höchsten Lebensgenuß, zu meinem Verbrennen kommen, Lucian, wirst du wohl noch einige Scenen meines Lebens-Mimus (wie es Cäsar Augustus nannte) anhören müssen, die zur Vorbereitung dieses letzten Auftritts nothwendig waren.

Lucian. Für jetzt bin ich nur begierig zu sehen, wie du dich aus den Händen zweyer so gefährlichen Personen, als deine Venus Mamilia und ihre Priesterin zu seyn scheinen, retten wirst.

Peregrin. Wiewohl Dioklea die priesterliche Maske mit der Gleichgültigkeit einer Schauspielerin, die ihre Theaterkleidung von sich wirft, abgelegt hatte, so war sie doch viel zu klug, meinen Enthusiasmus, durch dessen magische Wirkung sie Vortheile, die ihr nicht gleichgültig zu seyn schienen, über mich gewonnen hatte, geradezu bestreiten zu wollen. Sie suchte ihm nur eine andere Richtung zu geben, und unvermerkt den Gedanken in mir zu veranlassen, daß es keine andere Göttinnen gebe als liebenswürdige Weiber, und keine höhere Magie als den Zauber ihrer Reitzungen und des Instinkts der uns zu ihnen zieht; und diesem Plan zu Folge fand sie für gut, mir in einer vertraulichen Stunde den Schlüssel zu dem ganzen Zauberspiele zu geben, dessen Held ich, ohne es zu merken, gewesen war.

Nachdem sie mir von Mamiliens Person und Karakter, und von ihrer eigenen Verbindung mit dieser Römerin, so viel als ich (ihrer Meinung nach) zu wissen brauchte, entdeckt hatte, sagte sie mir: Diese Dame werde durch gewisse Kundschafter, welche sie zu Halikarnaß und an verschiedenen noch entferntern Orten halte, so gut bedient, daß sie schon am ersten Tage meiner Ankunft eine ziemlich genaue Beschreibung meiner Person erhalten habe. Da ihre Aufmerksamkeit dadurch nicht wenig gereitzt worden sey, habe sie nicht nur alle meine Schritte aufs genaueste beobachten lassen, sondern auch bald Mittel gefunden, aus meinem alten Diener (einem arglosen und kurzsinnigen Frygier) so viel von meinen Lebensumständen auszufischen, daß der Anschlag, sich meiner auf die eine oder andere Art zu bemächtigen, schon vor dem Empfang meines seltsamen Briefes an die göttliche Dioklea eine beschlossene Sache gewesen sey. Dieser Brief, (sagte Dioklea) indem er die schöne Römerin mit einem Karakter bekannt machte, der allen möglichen Reitz der Neuheit und des Wunderbaren für sie hatte, trieb ihre Vorstellung von der Wichtigkeit deiner Eroberung auf den höchsten Grad, und zeigte uns zugleich den einzig möglichen Weg, auf welchem sie zu machen war. Wie viel Dank wurde jetzt dem Unbekannten gesagt, der vor mehrern hundert Jahren einen Theil der Waldungen, welche zu Mamiliens Halikarnassischen Gütern gehören, der Venus Urania geheiligt hatte! Wie glücklich pries man sich, daß man den Einfall gehabt hatte, der Göttin, statt ihres alten in Ruinen gefallnen Kapellchens, den schönen marmornen Tempel aufzuführen, und ihn mit den Hauptgebäuden der Villa, besonders mit demjenigen, welches zu theatralischen Vorstellungen eingerichtet war, in unmittelbare Verbindung zu bringen! – Der Plan und die Ausführung gab sich nun von selbst; und die wenigen Tage, die du in dem heiligen Hain und bey mir in meiner Felsenwohnung zubrachtest, waren völlig hinreichend, alle zu unserem Zauberspiele nöthigen Maschinen in Bereitschaft zu setzen.


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