Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Unter tausend Zweifeln und Besorgnissen, die sich über diese unerwartete Begebenheit in meinem Gemüthe drängten, behielt endlich der Gedanke die Oberhand, daß die Göttin mich vielleicht auf die Probe stellen wolle, ob ich fähig sey, sie auch ohne Beyhülfe einer meine Sinne rührenden Gestalt eben so gegenwärtig zu denken, als ob sie in diesem Marmor vor meinen Augen stände. Aber wenn dieß ihre Absicht war, so ließ sie mir wenigstens nicht Zeit genug die Probe zu machen. Denn unversehens erfüllte den Tempel eine hell leuchtende Klarheit und ein leises Wehen der lieblichsten Rosendüfte; und statt der Bildsäule erblickte ich in einer helldunkeln Wolke, welche die ganze Vertiefung erfüllte, die Göttin selbst in lebendiger unaussprechlicher Schönheit und Glorie, zwischen ihren ewig jugendlichen Grazien, welche, Hand in Hand wie in einem leicht schwebenden Tanze sich um sie her bewegend, von Augenblick zu Augenblick ihre himmlischen Reitze bald umschleierten bald wieder sichtbar machten. Ich stand in Entzückung und Anbetung verloren, als die Göttin, mit einem Lächeln das den ganzen Tempel zu erheitern schien, einen Blick voll Huld und Majestät auf mich warf, und plötzlich wieder aus meinen Augen verschwand.

Lucian. Freund Peregrin! – was willst du daß ich glauben soll?

Peregrin. Daß ich dir nichts sage als was ich gesehen habe.

Lucian. Gesehen nennst du es? Geträumt willst du sagen –

Peregrin. Ich versichere dich, daß ich in diesem Augenblicke nicht mehr träume als damahls.

Lucian. So war es doch wenigstens einer von den wachenden Träumen, wovon du vorhin sprächest, wo man in vorbey blitzenden Augenblicken sieht, was kein besonnener Mensch, dessen Vernunft und Einbildung im gehörigen Gleichgewichte stehen, je mit gesunden Augen gesehen hat.

Peregrin. Denke davon was du kannst, Lucian.

Lucian. Bey allem dem müßten die geschworensten Gegner aller Täuschungen, Demokrit und Epikur selbst, gestehen, daß du in deinem Erdenleben mit einer beneidenswürdigen Imaginazion ausgesteuert warst! – Aber wie lange dauerte diese himmlische Erscheinung?

Peregrin. Diese Frage, lieber Lucian, ist schwerer zu beantworten als du glaubst. Erscheinungen dieser Art lassen sich mit keinem gewöhnlichen Zeitmaße messen; und wer, der mit einem solchen Gesichte beseligt wird, könnte daran denken dessen Dauer messen zu wollen, wenn es auch möglich wäre? Alles was ich dir davon sagen kann, ist, daß sie mir, als alles wieder verschwunden war, nur wenige Augenblicke gedauert zu haben schien, aber daß, meinem Gefühle nach, diese Augenblicke gegen die zwanzig Jahre, die ich bisher gelebt hatte, eine Ewigkeit gegen einen Augenblick waren.

Lucian. Ich merke aus allen Umständen, daß du noch etwas im Rückhalt hast, das mir auf die eine oder andere Art aus dem Wunder helfen wird: denn Alles, was dir in dem Zauberhaine der wundervollen Tochter des Apollonius begegnet ist, kannst du doch nicht wohl geträumt haben.

Peregrin. Wenigstens würde ich nicht so unbescheiden gewesen seyn, dich mit einem so langen Traume aufzuhalten. Aber ich fühle selbst, daß es Zeit ist, dir aus dem Wunder zu helfen, wie du es nennst, und wenn es auch nicht anders geschehen könnte, als indem ich dich in ein neues noch weit größeres werfe.

Lucian. Du wirst mich sehr verbinden; denn ich muß gestehen, daß ich den Gemüthszustand, in welchen du mich hinein gezaubert hast, nicht lang' ertragen kann.

Peregrin. Du glaubst mir wohl ohne Schwüre, daß Venus Urania nach dieser Erscheinung keinen inbrünstigern Anbeter in der weiten Welt hatte als mich. Das ganze System meiner theurgischen Schwärmerey hatte durch diese offenbare Theofanie eine neue Stütze erhalten, und war in diesen wenigen Augenblicken so verdichtet und über allen Zweifel hinaus gesetzt worden, daß ich nun das Wunderbarste und Unglaublichste zu ertragen fähig seyn mußte. So wie die wonnevolle Erscheinung verschwunden war, wurde mir auch der wieder verfinsterte Tempel zu enge. Ich eilte ins Freye, um meiner von Entzücken fast erstickten Brust Luft zu machen. Diese Nacht kam natürlicher Weise ebenso wenig Schlaf in meine Augen als in der vorigen; aber die aufgehende Sonne überraschte mich, da ich sie noch weit entfernt glaubte.

Dioklea erblickte mich als ich vor ihrer Wohnung vorbey ging. Sie war schon völlig angekleidet, kam zu mir herab, und sagte: Sie wäre so früh aufgestanden, weil sie nothwendiger Geschäfte wegen in die Stadt reisen müßte: aber, setzte sie mit Verwunderung hinzu, wie kommt es, daß ich Dich zu einer solchen Tageszeit schon so munter finde? Ich erzählte ihr, mit aller Redseligkeit eines Menschen, der kein dringenderes Bedürfniß hatte als seinem zu vollen Herzen einige Erleichterung zu verschaffen, was mir diese Nacht im Tempel begegnet war. Ich mußte es ihr mehr als Einmahl mit allen Umständen erzählen, bis ich sie von allen Zweifeln geheilt sah, daß meine Fantasie die Schöpferin dieses schönen Gesichtes gewesen seyn könnte. Die Stärke meiner eigenen Überzeugung nöthigte ihr endlich auch die ihrige ab; sie freute sich meines Glückes, und trennte sich nun, wie sie sagte, mit desto leichterem Herzen auf einige Tage von mir, da sie so gewiß seyn könne, daß ich ihre Abwesenheit kaum gewahr werden würde. Ich sollte mich inzwischen als denjenigen ansehen, der in dem ganzen Bezirke des heiligen Hains unumschränkt zu gebieten habe; alle, die von ihr abhingen, wären angewiesen, meine Winke eben so gehorsam wie die ihrigen zu befolgen: auch hätte sie dafür gesorgt, daß es mir an nichts fehlen würde, was ich nöthig haben oder wünschen könnte, ohne daß ich mich selbst deswegen zu bekümmern brauchte. Nach diesen Worten umarmte sie mich mit der Vertraulichkeit einer alten Freundin, bestieg mit einer ihrer Nymfen und einem Diener einen mit zwey schneeweißen Pferden bespannten Wagen, und verschwand in kurzem aus meinen ihr nachfolgenden Blicken.

Die Entfernung der Tochter des Apollonius hätte mir nie weniger unangenehm seyn können, als in meiner damahligen Verfassung. Der ekstatische, oder, wenn du willst, nymfoleptische Zustand, worein mich die Erscheinung der vergangenen Nacht versetzt hatte, machte mirs zum Bedürfniß, mir selbst und meinen Empfindungen überlassen zu werden. Doch, was sage ich mir selbst? da mein ganzes Selbst in jenes himmlische Gesicht, das noch immer in ätherischer Klarheit vor mir schwebte, übergegangen war. – Nichts äußeres um mich her, nichts – als Diokleens Gegenwart, hätte mich in dieser süßen Entzückung stören können: denn sie würde mich freylich unvermerkt verleitet haben, von dem Unaussprechlichen, das mein ganzes Wesen ausfüllte, zu sprechen; und wie wenig wäre das, was ich ihr von meiner Wonne hätte mittheilen können, gegen das gewesen, was mir selbst dadurch entgangen wäre!

Ich begab mich nun in den dunkelsten und stillsten Theil des Hains, und es gingen einige Stunden hin, ehe die in meiner Einbildung noch immer fortdauernde Vision durch ein fast unmerkliches Ermatten des Lichts und der Farben so viel von ihrer ersten Lebhaftigkeit verlor, daß ich wieder zu mir selbst kam, mich wieder da sah wo ich war, mich mit einer Art von süßem Erstaunen fragte, ob ich es sey, dessen Augen mit dem unmittelbaren Anschauen der Göttin beseligt worden? und mir selbst diese Frage mit der Gewißheit des innigsten Gefühls beantwortete. Die Gedanken, die jetzt mit außerordentlicher Klarheit und Leichtigkeit in mir aufstiegen, waren nicht mehr Gedanken eines Sterblichen; mit meiner Liebe zu Venus Urania hatte sich bereits meine Dämonisierung angefangen. Konnt' ich noch zweifeln ob diese Liebe der Göttin angenehm sey? Sie hatte mir ja den stärksten Beweis davon gegeben; hatte sich herab gelassen, mir in der einzigen Art von Erscheinung, die meine Sinne ertragen konnten, in der Gestalt der höchsten weiblichen Schönheit, sichtbar zu werden. – Sollte sie bey dieser ersten Gunst stehen bleiben wollen? Unfehlbar war dieses Gesicht nur ein Pfand noch vollkommnerer Mittheilungen; mit jedem höheren Grade derselben, hoffte ich, würde sich meine eigene dämonische Natur mehr enthüllen, bis ich endlich, von einer Stufe zur andern, zum reinen unmittelbaren Anschauen Ihres Wesens, und zum vollen Genuß aller Vorrechte des Meinigen gelangen würde. – Welche Hoffnungen! Welche Aussichten! Wie ganz anders versprach ich mir selbst mir die Liebe der Göttin zu Nutze zu machen, als die Adonis und Endymionen der poetischen Fabel! Schon durchflog ich mit ihr in Gedanken das unermeßliche Weltall, durchschaute alle Geheimnisse der Pythagorischen Zahlen, hörte die Harmonie der Sfären, und begriff den tiefsten Sinn aller Hieroglyfen der Natur. Nichts was ein Dämon wissen kann, war mir verborgen, nichts was er wirken kann, unmöglich. – Welche Wonne, welch ein Vorgefühl neuer Kräfte, neuer weit ausgebreiteter Thätigkeit, lag in diesem vergötternden Gedanken! Und nun ergoß sich auf einmahl die ganze Gutmüthigkeit meines Herzens in ihn. Ein neuer Prometheus, bildete ich schon in meiner allvermögenden Fantasie das Menschengeschlecht zu gutartigen und glücklichen Geschöpfen um; alles Elend verschwand von der Erde; ich rief Asträen wieder vom Himmel herab, stellte die Unschuld und Gleichheit des goldnen Alters wieder her, und beseligte es mit allem, was Künste, Musen und Grazien zur Ausschmückung und Veredlung des menschlichen Lebens beytragen können.

Lucian. Armer Ikarus! wie hoch schwangst du dich auf deinen Wachsflügeln empor, und wie schmerzlich muß der Fall aus einer solchen Höhe gewesen seyn!

Peregrin. Ahndest du schon meinen Fall, Lucian? Ganz andre Ahndungen schwellten damahls meinen Busen! Auch nicht der kleinste Zweifel, nicht der leiseste Laut einer unglückweissagenden Vorempfindung, störte die Wonne meiner bezauberten Seele; und, wenn es wahr ist, daß kein wirklicher Genuß an das reicht was uns die Einbildung davon verspricht, so war dieser einsame Tag unstreitig der glücklichste meines Lebens.

Ich hatte inzwischen, ohne darauf Acht zu geben, den Ort mehr als Einmahl verändert, und befand mich in einer Laube des Rosenwäldchens, wo ich endlich in der heißesten Stunde des Tages unvermerkt eingeschlummert war, als ich beym Erwachen einen Tisch mit verschiedenen Speisen und einem in Eis stehenden krystallnen Krug Wein vor mir sah, ohne gewahr worden zu seyn wie er hierher gebracht worden. Solltest du es glauben? aller seiner hohen dämonischen Schwärmerey zu Trotz, fiel der bezauberte Liebhaber der himmlischen Venus mit der Eßlust eines gemeinen Erdensohns über die anziehend duftenden Schüsseln her, und ließ, wiewohl sie für zwey mäßige Esser zureichend gewesen wären, nicht so viel übrig, daß ein Schooßhündchen davon hätte satt werden können.

Lucian. Dieß ist gerade was mich von allen Symptomen deines damahligen Fiebers am wenigsten befremdet. Wiewohl man zu glauben pflegt, bezauberte Personen bedürften weder Speise noch Trank, so bin ich doch überzeugt, daß bey der verliebten Art von Bezauberung gerade das Gegentheil Statt findet, und daß von allen Arten der Liebe keine mehr Aufwand von Lebensgeistern verursacht, und also ihre öftere Ersetzung nothwendiger macht, als die Platonische. Vielleicht, da doch die Quelle der Ahndungen an diesem Tage so reichlich bey dir floß, war diese außerordentliche Eßlust auch eine geheime Ahndung, daß du zu den neuen, vermuthlich nahe bevorstehenden Mittheilungen der Göttin einer solchen Vorbereitung nöthig haben könntest.

Peregrin. Wie dem auch gewesen seyn mag, so zweifle ich nicht, daß Hippokrates oder Galenus diese Begebenheit sehr natürlich gefunden haben würden. Was ich dir übrigens für gewiß sagen kann, ist, daß die Schüsseln leer waren, bevor ich ein Wort davon wußte, und daß die erhabenen Träume meiner Fantasie sehr wenig durch dieses animalische Geschäft unterbrochen wurden. Wirklich habe ich in spätern Zeiten oft die Bemerkung gemacht, daß Seele und Leib bey der Art von Menschen, unter denen ich damahls keiner der geringsten war, eine ganz eigene Wirthschaft zusammen führen. Bald treibt jedes seine Geschäfte für sich, ohne von dem andern die mindeste Kenntniß zu nehmen; bald vertauschen sie unvermerkt ihre Rollen mit einander; bald leben sie in offenbarer Fehde; aber ehe man sichs versieht, sind sie wieder so warme Freunde, daß nichts in der Welt ist, was sie nicht für einander zu thun oder zu leiden bereit wären. – Doch vergieb, daß ich dich mit unnöthigen Bemerkungen aufhalte, da ich dir bloß meine Geschichte versprochen habe, und in der That einer seltsamen Auflösung der Räthsel nahe bin, womit ich dir eine Weile her den Kopf warm zu machen genöthigt war.

Ob es bloß eine Folge der natürlichen Veränderlichkeit der menschlichen Seele war, die sich nicht lange in einer und eben derselben Stimmung erhalten kann, oder ob die beträchtliche Verstärkung, die der Strom meiner Lebensgeister so eben erhalten hatte, das ihrige dazu beytrug, gewiß ist, daß die halcyonische Stille, welche in der ersten Hälfte des Tages mein Gemüth, wie ein heitrer wolkenloser Himmel die Erde unter ihm, umgeben hatte, sich in der andern Hälfte unvermerkt verlor. Ein geheimer Drang, ein unruhiges Sehnen, das mit jeder Stunde des sich neigenden Tages zunahm, trieb mich hin und her, und ließ mich nirgends lange verweilen. Das Bild der Erscheinung, die ich in der letzten Nacht gehabt hatte, stand wieder mit neuer Lebhaftigkeit und mit neuen unbeschreiblichen Reitzen vor meiner Stirne. Aber das ätherische Licht, worin es mir diesen Morgen vorschwebte, war nicht mehr. Ich sah die Göttin in einer Beleuchtung, die ihre Schönheit mehr zu verkörpern, ihren Reitzungen einen Zauber zu geben schien, dessen Gewalt ich noch nie so lebhaft gefühlt hatte. Das Verlangen sie wieder zu sehen wurde immer feuriger, immer ungeduldiger. Oft breiteten sich meine Arme unfreiwillig aus sie zu umfangen. Ich sprach mit ihr, sagte ihr alles was die höchste Schwärmerey der ersten Liebe dem Liebhaber einer Göttin eingeben kann, schweifte im ganzen Hain umher, und befand mich immer unvorsetzlich vor der Thür des Tempels. Je näher die Sonne ihrem Niedergang kam, desto länger wurde mir jede Minute, welche sie noch über dem Horizont verweilte. Eine geheime Ahndung – die im Grunde wohl nichts andres war als das instinktmäßige Harren dessen was wir sehnlich wünschen – hieß mich von dem Besuche, den ich diese Nacht wieder in dem Tempel machen wollte, irgend eine neue noch größere Gunst der Göttin hoffen. In jener ersten Erscheinung hatte sie bloß den Versuch gemacht, wie viel meine Sinne von ihrer Gegenwart ertragen könnten. Vielleicht, dachte ich, läßt sie sich dießmahl länger, vielleicht in einem noch mildern Glanze sehen; vielleicht nähert sie sich mir, würdigt mich einer Anrede, läßt mich aus ihren eigenen göttlichen Lippen hören, was ich thun muß, um unmittelbarerer, vollkommnerer Mittheilungen würdig zu werden. Wahr ists, daß ich mir von diesen Mittheilungen nur sehr dunkle, oder, besser zu reden, gar keine Vorstellungen machen konnte: aber die Wirkung dieses dunkeln Vorgefühls auf mein Gemüth war nur desto gewaltiger, und mein Wesen erlag beynahe unter der unnennbaren Wonne des Gedankens, von Venus Urania geliebt zu seyn – so wie mir in der That die Sprache zu gebrechen anfängt, da ich dir mit einiger Wahrheit schildern möchte, was in diesem seltsamen Zustande mit mir vorging.

Lucian. Es ist freylich schwer von unnennbaren Dingen zu sprechen, und von außerordentlichen Gefühlen einem andern, der in seinem Leben nichts außerordentliches gefühlt hat, einen Begriff zu geben. Ich entbinde dich also eines vergeblichen Versuchs um so lieber, da du mir bereits genug gesagt hast, um sehr deutlich einzusehen, daß du, mit aller möglichen Bestrebung, dem Blinden, den du vor dir hast, keinen anschaulichern Begriff von den Farben der unsichtbaren Gegenstände, die du ihm schilderst, mittheilen könntest.

Peregrin. Ich verstehe den Wink, und werde in meiner nächsten Beschreibung, wo nicht so deutlich, doch wenigstens so kurz als möglich seyn.


 << zurück weiter >>