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Lucian. Wie sehr, guter Peregrin, bestätigt dein Beyspiel die große Wahrheit, daß es nicht die Dinge selbst, sondern unsre durch die Individualität bestimmten Vorstellungen von ihnen sind, was die Wirkung auf uns macht, die wir den Dingen selbst zuschreiben, weil wir sie unaufhörlich mit unsern Vorstellungen verwechseln!
Peregrin. Ich sollte an diesem Morgen auf mehr als Eine Art überrascht werden. Indem ich verschiedene schöne Stücke, womit dieses Gemach ausgeziert war, durchging, ward ich auf einem kleinen Ecktische von Ebenholz eines elfenbeinernen Kästchens gewahr, worin ein goldner Schlüssel steckte. Da ich dieß für eine Erlaubniß ansah es zu öffnen, so schloß ich es auf, und fand – eine mit goldnen Buchstaben beschriebene Rolle von purpurfarbnem Pergament darin, welche die Überschrift hatte: Apollonius von Theofanien. Du kannst dir vorstellen, mit welchem Entzücken, und zugleich mit wie viel Ehrerbietung und Glauben ich diesen kostbaren Schatz in die Hand nahm, und wie begierig ich zu lesen anfing. Ich war noch nicht weit gekommen, als mir Dioklea durch die junge Nymfe wissen ließ, sie wäre verhindert mich diesen Morgen zu sehen; ich würde aber etwas gefunden haben, das meine Muße hinlänglich beschäftigen könnte, und ich möchte es übrigens in allen Stücken so halten, als ob ich in meinem eigenen Hause wäre. Ich steckte also die Rolle in meinen Busen, und begab mich in eine Laube des Rosenhains, der nahe an Diokleens Felsenwohnung lag. Bald darauf erschien der Knabe, der gestern mein Führer gewesen war, wieder, setzte ein aus Golddraht geflochtenes Körbchen, worin mein Frühstück war, auf einen kleinen Marmortisch, und schwand wieder aus meinen Augen, ohne ein Wort zu sagen. Ich brachte den ganzen Morgen mit Lesen und Wiederlesen der gefundnen Handschrift zu, die mir zwar in ihrer bildervollen mystischen Sprache nicht viel deutliches offenbarte, aber eben darum mein Gemüth nur desto lebhafter in Bewegung setzte. Unvermerkt überschlich mich die Mittagshitze bey dieser süßen Beschäftigung, und ich schlummerte unter den seltsamsten Träumereyen ein.
Als die schwülsten Stunden des Tages vorüber waren, ließ sich mein stummer Aufwärter wieder sehen, um mich in ein zierliches marmornes Bad zu führen, wo er mich stillschweigend mit allem bediente was man in einem Bade verlangen kann; denn bey Diokleen zeichnete sich alles durch Vollkommenheit aus. Wie endlich der Tag sich zu neigen anfing, ließ sie mir sagen, sie erwarte mich in der Grotte, wo sie in der heißen Jahrszeit den Abend zuzubringen pflegte. Sie empfing mich mit einem Ausdruck von Wohlwollen, der den Ernst ihrer Miene unvermerkt erheiterte. Das Buch des Apollonius von Theofanien wurde bald der Gegenstand unsers Gespräches; und da ich ihr auf die Frage, »ob ich alles darin verstanden hätte?« mit einem zögernden Nein antwortete, nahm sie davon Gelegenheit, mir über das, was mir nothwendig darin dunkel seyn müßte, so viel Licht zu geben, als ich dermahlen ertragen könnte. Sie unterschied zweyerley Arten von Theofanien. Die Götter, sagte sie, sind von jeher einigen besonders von ihnen geliebten Menschen sichtbar geworden: zuweilen ohne Zuthun der letztern, aus bloßem Antrieb ihres eignen freyen Wohlwollens; zuweilen auf Veranlassung der Menschen, und durch die Mittel dazu bewogen, welche die theurgische Magie in ihrer Gewalt hat. Nicht als ob es nicht immer von den Göttern abhinge, sich mehr oder weniger, oder gar nicht mitzutheilen; sondern weil es möglich ist auf die Neigung ihres Willens selbst zu wirken, und sie durch die Allgewalt der Liebe zur Gegenliebe zu nöthigen. In jedem Fall aber ist es unmöglich anders zu dieser Mittheilung zu gelangen, als stufenweise, und durch Mittel, wodurch sie selbst, in eben dem Maße, wie wir uns zu ihnen erheben, sich zu uns herablassen. Die höchsten und wohlthätigsten Götter haben sich daher immer in menschlicher Gestalt gezeigt; und bloß hierauf gründet sich die Verehrung, die wir ihren Bildern, als Denkmählern ehemahliger Theofanien, und weil sie diese Gestalt gewisser Maßen zu ihrer eigenen gemacht haben, schuldig sind. Nicht selten sind diese Bilder – nach Maßgabe der Stärke, womit die Seele durch ihr unverwandtes Anschauen sich von allen andern Bildern abzuscheiden, und in einem einzigen reinen Gedanken des Herzens sich die unsichtbare Gottheit selbst anschaulich zu machen fähig ist – Kanäle außerordentlicher Gnaden der Götter gewesen; und es ist daher immer wohl gethan, sich dieses Mittels zu bedienen, was auch der Erfolg seyn mag; der zwar immer von der Willkühr der Gottheit, aber gewiß sehr viel von der Beschaffenheit des Subjekts und der Energie der Gefühle abhängt, wodurch wir uns zu ihnen aufschwingen und sie zu uns herunter ziehen.
Diese Theorie – von welcher ich dir hier bloß einen leichten Umriß mache – hatte desto mehr einleuchtendes für mich, da sie mit meinen eigenen Vorstellungen sehr gut zusammen stimmte, und mir zu einer vollgültigen Bestätigung derselben diente. Dioklea setzte noch verschiedenes hinzu, das mir einen hohen Begriff von ihren Einsichten in die göttliche Magie gab, und sprach unter andern mit Verachtung von gewissen Mitteln, wodurch manche angebliche Theurgen die Götter zum Erscheinen nöthigen zu können vorgäben. Es sey zwar nicht zu läugnen, sagte sie, daß es, zum Beyspiel, gewisse auserlesene Wohlgerüche gebe, die ihnen angenehm seyen; denn sie liebten das reinste und vollkommenste in jeder Art: aber sie durch Räucherungen oder Zauberlieder anziehen zu wollen, sey ein kindischer Gedanke, und es werde nie ein anderes Mittel, sie zu uns zu ziehen, geben, als eben das, wodurch wir uns zu ihnen aufschwängen, nehmlich das heißeste Verlangen einer von jeder andern Begierde und Leidenschaft gereinigten Seele. Vielleicht hätten jene vermeinten Theurgen gehört, die Götter pflegten ihre Gegenwart zuweilen durch himmlische Wohlgerüche oder Harmonien oder ein überirdisches Licht anzukündigen, und hätten hieraus, ohne Grund, den Schluß gezogen, daß man sie durch Fumigazionen und Epoden herbey locken könne: immer sey es gewiß, daß die unechte Magie sich solcher Behelfe zu Bewirkung betrüglicher Theofanien und Geistererscheinungen bediene; aber eben darum enthielten sich die wahren Theurgen dieser zweydeutigen Mittel gänzlich.
Als sie zu reden aufgehört hatte, bat ich sie sehr inständig, mir, wofern sie mich dessen nicht unwürdig hielte, das Heiligthum der Göttin nicht länger zu verschließen, an dessen Schwelle sie mich vermuthlich bey unsrer ersten Zusammenkunft geführt hätte. Sie antwortete: dieser Tempel sey allen Profanen unzugangbar; aber mir sollte er, wie billig, noch in dieser Nacht geöffnet werden.
Bald darauf befahl sie unsre Abendmahlzeit zu bringen, welche, ganz nach Pythagorischer Weise, bloß aus einigen leichten Speisen und auserlesenen Früchten bestand; auch wurde bloßes Wasser aus krystallenen Bechern dazu getrunken, aber das reinste, leichteste und frischeste, das ich je getrunken hatte. Nach der Mahlzeit hörten wir in einiger Entfernung eine äußerst sanfte und herzerhöhende Musik von Instrumenten und Stimmen, ohne zu sehen wo sie herkam. Wir setzten uns auf eine Bank im Rosenhain, und hörten ihr eine Weile zu. Endlich wurde sie immer schwächer und schwächer, bis sie ganz in die Lüfte zu zerfließen schien. Wie wir nichts mehr hörten, stand Dioklea auf. Es ist Zeit, sagte sie, dein Verlangen zu befriedigen! – Du wirst das heilige Bild der Göttin sehen, und auf Sie allein wird es ankommen, wie viel oder wenig sie dir durch dieses Mittel von sich selbst erblicken lassen will. Von nun an bis zum Aufgang der Sonne versiegelt das heilige Schweigen unsre Lippen!
Ich bückte ihr meinen Dank und meinen Gehorsam zu, und wir gingen mit langsamen Schritten den Pomeranzengang zum Tempel hinauf. Als wir ankamen, fanden wir unter den Säulen rechter Hand drey junge Nymfen in langem weißem Gewande, und auf der linken drey zwölfjährige Knaben, ebenfalls weiß gekleidet, auf uns warten. Dioklea schloß die äußere Pforte auf, und wir traten in eine Halle, in deren Mitte eine vergoldete Thür unmittelbar in den Tempel führte. Zu beiden Seiten war ein Gemach, zum Ankleiden der Personen, die in den Tempel eingehen durften, bestimmt. Dioklea begab sich mit den drey Nymfen in das eine, und winkte mir, den Knaben in das andere zu folgen. Alles was hier zu thun war, wurde stillschweigend verrichtet. Ich wusch vor allem mein Gesicht und meine Hände. Hierauf zogen sie mir mein Oberkleid ab, bekleideten mich mit einem langen Rock von weißer glänzender Seide, und gürteten mich mit einem breiten Gürtel von glattem Goldstoff mit den feinsten Perlen gestickt. Als ich angekleidet war, führten sie mich heraus, bückten sich, die Arme über die Brust gefaltet, vor mir und verschwanden.
Bald darauf trat auch die Priesterin wieder heraus. Sie war, über ein rosenfarbnem Gewand das nur bis an die Knöchel reichte, in ein violett purpurnes Oberkleid mit langen weiten Ärmeln gehüllt; ihre dichten Haare flossen los gebunden um ihre Schultern, und mitten auf der priesterlichen Binde um ihre Stirn funkelte ein Stern von citronfarbnen Diamanten. Sie hatte in diesem Aufzuge beynahe selbst das Ansehen einer Göttin, und noch nie war sie mir so schön und blendend vorgekommen. Die drey Nymfen erschienen in einer Art enge gefalteter Leibröcke von weißer Seide, mit breiten rosenfarbnen Gürteln, und ihre Haare waren mit einem goldnen Bande aufgebunden, dessen Enden an beiden Seiten bis an die Knie herab hingen. Alle vier gingen mit zur Erde gesenktem Blicke vor mir vorbey; Dioklea öffnete mit einem goldnen Schlüssel die innere Pforte des Tempels, trat mit ihren Dienerinnen hinein, und schloß die Pforte wieder hinter sich zu. Nach einer kleinen Weile that sich diese wieder auf, sie kamen heraus und langsam auf mich zu, jede etwas in der Hand haltend, das sie aus dem Tempel mitgebracht hatte. Dioklea band mir eine der ihrigen ähnliche Binde um die Stirn; eine der Nymfen setzte mir einen Myrtenkranz auf, die zweyte gab mir einen Lilienstängel in die rechte Hand, und die dritte einen Rosenzweig in die linke. Hierauf berührte die Priesterin jedes meiner Augen mit den drey Mittelfingern ihrer rechten Hand, winkte mir in den Tempel hinein zu gehen, und schloß die Pforte hinter mir zu.
Lucian. Wahrlich, viel Ceremonien, und mehr als zu viel um diese Mysterien verdächtig zu machen! Ich bin ungeduldig zu hören, wie sich das alles enden wird.
Peregrin. Was auch der Zweck dieser Feierlichkeiten war, so viel ist gewiß, daß mir das Herz beym Eintritt in den Tempel merklich höher schlug. Ich blieb nahe an der Pforte stehen, und faßte mich zusammen so gut mir möglich war, indem ich mich umsah und den edeln Geschmack der innern Baukunst und Verzierung bewunderte, so viel ich davon bey dem Lichtstrom sehen konnte, der aus einer halb runden Vertiefung hervorbrach, wo die Göttin in einer hohen vergoldeten Blende stand. Vor ihr, etwas seitwärts nach der rechten Hand, kniete ein marmorner Amor mit einer goldnen Pfanne, an Form dem Horn der Amalthea ähnlich, aus welcher mit dem lieblichsten Wohlgeruch eine ungemein helle Flamme in der Dicke einer Zirbelnuß empor loderte, und dem geglätteten Marmorbilde der Göttin eine zum Verblenden täuschende Beleuchtung gab. Dieses Bild war merklich größer als alle Venusbilder die ich noch gesehen hatte, und verband in meinen Augen die Majestät einer Göttin mit einer Schönheit, welche gleich beym ersten Anblick alles, womit man sie hätte vergleichen können, auslöschte, und nichts vollkommneres wünschen ließ. Eine unfreywillige Gewalt warf mich vor ihm auf die Erde nieder; ich betete in ihm den sichtbaren Abglanz der höchsten geistigen Schönheit an, und fühlte in seinem Anschauen mein ganzes Wesen in die reinste Liebe aufgelöst. Doch ich will nicht versuchen, unbeschreibliche Empfindungen oder Täuschungen, wenn du willst, beschreiben zu wollen; denn in der That war es doch wohl Täuschung, daß ich zuletzt, ob schon nur einen Augenblick, die Göttin selbst in ihrer ganzen überirdischen Glorie vor mir zu sehen glaubte.
Lucian lächelnd. Das sollt' ich beynahe auch vermuthen. Aber was wurde zuletzt aus dem allen?