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Peregrin. Nachdem ich mich in der heiligen Quelle, die aus einem Felsen des Hains hervor sprudelte, dreymahl gewaschen, und ein schneeweißes Kleid angezogen hatte, begab ich mich an den bestimmten Ort, und wartete mit klopfendem Herzen bis die Pforte sich öffnen würde. Sie öffnete sich endlich, und schloß sich sogleich wieder hinter mir zu. Ich befand mich zwischen zweyen mehr als mannshohen Myrtenwänden, in einem sehr langen Gange, der mich zu einem Rosenhain führte, wo die schönsten Rosen, die ich jemahls sah, in unendlicher Menge und Mannigfaltigkeit der Formen an hoch aufgeschoßnen und zierlich durch einander geschlungenen Büschen in voller Blüthe standen, und, im Glanze des beynahe vollen Mondes, durch die anmuthigste Vermischung von Licht und Dämmerung, und den Abstich starker Schlaglichter mit schwarzen Schatten, eine beynahe magische Wirkung auf mich thaten. Ich schien mir in die Sfäre verzückt zu seyn, die der eigene Wohnsitz der Göttin der Schönheit und Liebe ist; der Glanz, der mich umfloß, war der Wiederschein ihres Lächelns, und die Luft, die ich einsog, der Rosenathem ihres himmlischen Mundes. Das Wonnegefühl, wovon mein ganzes Wesen durchdrungen war, befreyte mich von aller Bangigkeit; mir war als ob ich keinen Körper mehr hätte, ich fühlte mich lauter Seele, und noch nie war ich mir so lebhaft und innig meiner dämonischen Natur bewußt gewesen.
In diesem Zustande irrte oder schwebte ich vielmehr unter den zauberischen Rosengebüschen umher, als eine ehrwürdige Gestalt langsam auf mich zu kam, in welcher ich, so wie sie sich näherte, (es sey nun daß es Täuschung oder Wahrheit war) immer mehr und mehr die auffallendste Ähnlichkeit mit dem Bilde des Apollonius, und der Abschilderung, die mir der alte Menipp von ihm gemacht hatte, entdeckte. Es war eine Frau von hohem schlankem Wuchs und feiner Gestalt, dem Ansehen nach zwischen dreyßig und vierzig, von einer schönen Gesichtsbildung, worin gerade so viel Weiblichkeit war, als erfordert wurde, den Ernst ihrer edeln, beynahe männlichen Züge angenehm zu machen. Sie war, über eine lange weiße schmal gefaltete Tunika, die ein breiter funkelnder Gürtel unter dem Busen zusammen hielt, in ein himmelblaues, mit silbernen Sternen durchwirktes Gewand gekleidet, dessen weite Ärmel bis auf die halbe Hand herab hingen. Ihre schwarzen Haare, um die Stirn mit einer weißen priesterlichen Binde umschlungen, wallten in langen dichten Locken um ihre Schultern den Rücken hinab. Ich blieb stehen, indem sie mit Grazie und Würde langsam auf mich zuging, und da sie in einer Entfernung von drey oder vier Schritten still hielt, näherte ich mich ihr ehrerbietig und sagte: Ich glaubte mich nicht irren zu können, wenn ich die Tochter des großen Apollonius und die Erbin seiner erhabenen Weisheit in ihr verehrte; wer ich selbst wäre, hätte ich nicht nöthig derjenigen zu sagen, die mich in diesem Lande Unbekannten, sogar ungesehen schon gekannt hätte. Sie erwiederte: »Ich würde mich nicht mehr hierüber wundern, wenn sie mir sagte, daß ihr in der ersten Nacht meiner Ankunft zu Halikarnaß Apollonius im Traum erschienen sey, und sie angewiesen habe, mir zur Befriedigung meiner Wünsche behülflich zu seyn.« – Ich gestehe, daß sich meine Eigenliebe durch diese Eröffnung nicht wenig geschmeichelt fand; denn sie versicherte mich der Wahrheit meiner Meinung von mir selbst und aller meiner Lieblingsideen, und ich schien mir nun mit meinen stolzesten Ansprüchen nach nichts zu streben, als wozu ich gleichsam durch meine Geburt berechtigt war.
Dioklea führte mich hierauf aus dem Rosenwäldchen in einen Gang, der mit einer doppelten Reihe hoher Pomeranzenbäume besetzt war, und auf einer sanft empor steigenden Anhöhe zu einem marmornen Tempel führte. Wir setzten uns unter dem vordern Säulengang auf eine Bank, und sie wußte mich, wiewohl sie wenig sprach, unvermerkt dahin zu bringen, daß ich ihr eine umständliche Erzählung der Geschichte meines Lebens machte. Bald darauf, als ich mit meiner Erzählung fertig war, stand sie auf, nahm mich bey der Hand, führte mich an der linken Seite der Anhöhe auf einem durch Gebüsche sich windenden Pfade herab, und, indem sie mich mit einem leisen Druck der Hand versicherte, daß ich bald wieder von ihr hören würde, sah ich mich unversehens wieder vor der Pforte, durch die ich herein gekommen war. Sie öffnete und schloß sich, wie das erste Mahl, von selbst, Dioklea war verschwunden, und ich befand mich in der Verfassung eines aus dem schönsten Traum erwachenden Menschen in dem äußern Bezirke des Hains allein.
Lucian. Deine Dioklea legitimiert sich als eine echte Tochter des großen Apollonius; denn sie konnte ein wenig hexen, wie es scheint. Ich gestehe daß du meine Neugier gewaltig aufgeregt hast.
Peregrin. Du wirst dich nicht betrogen finden, wenn du von einem solchen Anfange nichts alltägliches erwartest.
Die Sonne hatte die Hälfte ihres Laufs zurückgelegt, als ich, nach einem leichten Mahle, unter dem angenehmen Gewirre von Gedanken, Ahndungen und Träumereyen, die das Abenteuer der vergangenen Nacht in meiner Seele theils zurück gelassen theils erweckt hatte, einschlummerte, und nicht eher wieder erwachte, als nachdem sie bereits untergegangen war. Wie ich die Augen aufschlug, sah ich einen nackten Knaben von neun bis zehn Jahren vor mir stehen, dessen Schönheit mir mehr als menschlich schien. Mit Rosen bekränzt, in der Hand einen Lilienstängel, der mich an Anakreons Amor erinnerte, winkte er mir mit einem lieblich unschuldigen Lächeln, ihm zu folgen. Er ging immer schweigend vor mir her, und führte mich durch ein Gewinde unbekannter Büsche, auf einem durch Kunst geebneten schneckenförmig steigenden Pfad an einem Felsen hinauf. Auf einmahl standen wir am Eingang einer hohen gewölbten Grotte, die von einer einzigen Lampe erleuchtet war, und in ihrer Vertiefung mit jedem Schritte niedriger und enger wurde. Mein kleiner Führer öffnete eine Thür, und ich befand mich in einem mit Marmor zierlich ausgelegten Vorsahle, durch dessen innere Öffnung ich in einem größern schön erleuchteten Gemach eine kleine Tafel gedeckt sah.
Indem ich mich nach meinem verschwundnen Führer umsah, kam mir die Tochter des Apollonius entgegen. Du bist mir zu gut empfohlen worden, Proteus, – sagte sie mit einem leisen Lächeln, das den Ernst ihrer Züge sehr angenehm erheiterte und ihrer Miene etwas einladendes gab – als daß es mir erlaubt wäre, dich nicht als einen Gast zu betrachten, den mir Apollonius zugeschickt hat. Und hiermit nahm sie mich bey der Hand und führte mich zu einem vergoldeten Stuhl, wo ich mich an der kleinen Tafel ihr gegenüber setzen mußte. Sie war leichter und einfacher als gestern, aber äußerst edel angezogen, und hatte mit ihrer priesterlichen Binde um die Stirn das Ansehen einer Vestalin in ihrer Hauskleidung. Die kleine Tafel war niedlich besetzt, und eine einzige junge Nymfe, lieblich und unentfaltet wie eine Rosenknospe, verrichtete den Dienst, der dabey nöthig war.
Während ich mit aller Eßlust eines Menschen von meinem damahligen Alter, der seit etlichen Tagen nur sehr leichte Mahlzeiten gethan hatte, dem Gastmahl meiner freundlichen Wirthin Ehre machte, sprach sie mit mir von meiner Reise, von den Schönheiten der Stadt Smyrna, und von dem Dianentempel zu Efesus; und es schien ihren Beyfall zu haben, daß ich, vor lauter Verlangen bald zu Halikarnaß zu seyn, keine Zeit gehabt hatte, dieses Wunder der Welt in Augenschein zu nehmen. Als die Tafel abgetragen war, goß sie etwas Wein in eine goldene Schale, machte der Göttin eine Libazion damit, und, nachdem sie die Schale wieder gefüllt hatte, brachte sie mir den gewöhnlichen Gast- und Freundschaftstrunk in einem Weine zu, der nur dem Nektar der Götter weichen konnte. Wir standen endlich auf; und während uns die junge Nymfe Wasser zum Waschen in einem vergoldeten Becken reichte, verschwand die Tafel, ohne daß ich sah wohin sie gekommen war.
Eine Anmerkung, die ich erst lange hernach machte, war, daß Dioklea bey allem Wunderwürdigen, das ihren Aufenthalt von der Wohnung gewöhnlicher Sterblichen unterschied, gerade so aussah als ob nichts alltäglicheres seyn könnte als diese Dinge, und daß sie meine wenige Befremdung darüber eben so wenig zu bemerken schien. Bald nachdem wir von Tische aufgestanden waren, öffnete sie eine Thür, die auf eine kleine Terrasse führte, von welcher man über einen Theil dieser anmuthigen Wildniß, und weiter hin durch eine Öffnung des Waldes in die See, wie ins Unendliche, hinaus sah. Hier setzten wir uns wieder, und die junge Nymfe brachte ihr eine Laute. Dioklea spielte einige sanfte melodische Stücke, und endigte mit einem Hymnus an Venus Urania, der meine Seele mit heiligen Gefühlen durchdrang; ich glaubte, die hohe Theano oder ihre Tochter Myja dem still horchenden Pythagoras und seinen Freunden himmlische Ruhe zusingen zu hören. Nach dieser Pythagorischen Vorbereitung zum Schlafengehen gab sie die Laute zurück, führte mich in ein kleines, nur vom Mondschein schwach erhelltes Schlafgemach, das für mich zubereitet war, wünschte mir mit feierlicher Miene einen gesunden und heiligen Schlummer, und entfernte sich.
Was dir vielleicht sonderbarer als alle diese Feerey vorkommen wird, ist dieß: daß ich dieß alles, wie gesagt, ohne Erstaunen oder Verwunderung, als etwas das meine Erwartung nicht übertraf, kurz als die natürlichste und schicklichste Sache von der Welt aufnahm. Die ganze Wirkung, die es auf mich that, war, mich gleichsam unter Gewährleistung aller meiner Sinne gewiß zu machen, daß ich wirklich bey der Tochter des Apollonius, der Erbin seiner Weisheit und erhabenen Geheimnisse, sey. Dieß vorausgesetzt, hätte alles noch weit außerordentlicher bey ihr seyn können, ohne daß ich einen Augenblick stutzig darüber geworden wäre. Meine Einbildung war von früher Jugend an mit allen Arten des Wunderbaren vertraut, und was im gemeinen Laufe der Dinge wunderbar heißt, war, nach meiner Vorstellungsart, in dem höhern Kreise, zu welchem Dioklea gehörte, natürlich. Ich überließ mich also mit dem ruhigsten Zutrauen der Freude über eine Aufnahme, die alles was ich erwarten konnte übertraf, und schlief in Hoffnungen ein, die der Traumgott selbst mit aller seiner grenzenlosen Macht nicht hätte übertreffen können.
Als ich mit dem Tag erwachte, war das erste was mir in die Augen fiel, ein wunderschönes Gemählde, welches in einem prächtigen Rahmen von vergoldetem Schnitzwerk eine ganze Wand meines Schlafgemachs einnahm. Es stellte Venus und Adonis vor: jene, in dem Augenblicke, wie sie, von einer rosenfarbnen Wolke umgeben, auf einer Anhöhe des Idalischen Hains aus ihrem Schwanenwagen steigt, indem eine von ihren Grazien die Zügel hält, und die beiden andern, mit der Göttin die schönste Gruppe machend, ihr im Aussteigen behülflich sind; diesen, wie er, zu ihren Füßen liegend, mit dem wärmsten Ausdruck der anbetenden Liebe zu ihr empor schaut, in einer Stellung als ob er die Arme gegen sie ausbreiten wollte, aber plötzlich von einem heiligen Schauer zurück gehalten würde.
Es wäre schwer die Bewegungen zu beschreiben, die dieser unerwartete und meinen eigenen innern Zustand mir so lebhaft vorspiegelnde Anblick in meinem ganzen Wesen hervorbrachte. Genug, dieses Gemählde beschäftigte mich einige Stunden lang um so angenehmer, da ich es als ein Unterpfand betrachtete, daß ich dem Ziele meiner Wünsche nahe sey. Indessen, wie groß und blendend mir auch die Schönheit der Göttin Anfangs vorkam, so verlor sie doch bey so oft wiederhohltem Anschauen und Betrachten unvermerkt, und schien mir zuletzt weit unter dem Ideale zu bleiben, das ich in meiner Seele trug. Nicht als ob ich mir wirklich schönere Formen, oder im Ganzen ein vollkommneres Bild von ihr hätte einbilden können: sondern weil ihm die Glorie, worin ich sie mir dachte, alles das Unaussprechliche, Himmlische und Göttliche, das sich nicht mahlen läßt, fehlte, – oder vielmehr, weil das gemahlte Bild die ganze Wirkung nicht auf mich that, die ich von einer Erscheinung der Göttin selbst erwartete. Indessen kam ich doch von Zeit zu Zeit zu ihm zurück, um den Gedanken an ihm zu nähren, was Adonis beym Anschauen der gegenwärtigen Göttin empfunden haben müsse, da der bloße gefärbte Schatten des Bildes, das ein Mahler sich von ihr vorstellen konnte, schon so viel Anziehendes und Liebeathmendes hatte.