Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus
Christoph Martin Wieland

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Peregrin. Du hast es errathen, Lucian! Meine Entfernung von Parium – welcher man, wiewohl sie nichts weniger als heimlich geschehen war, in der Folge den Anschein einer Entweichung zu geben suchte – hatte großes Aufsehen erregt, so bald man gewahr wurde, daß ich an kein Wiederkommen dachte, und so bald man ausgekundschaftet hatte, daß ich unter den Christianern lebe, und, wie es scheine, in sehr enge Verbindungen mit ihnen getreten sey. Einige Jahre lang hatten meine Verwandten sich vergebens Mühe gegeben, den Ort meines Aufenthalts, seit der Zeit da ich Nikomedien verließ, ausfündig zu machen; bis endlich der alte Menekrates von einem seiner Freunde, der einen Korrespondenten zu Antiochia hatte, erfuhr, daß ich mich, in der Qualität eines Profeten und Mystagogen der Christianer, bald zu Laodicea, bald zu Antiochia oder Seleucia aufhalte, und in großem Ansehen bey dieser Sekte stehe. Meine Verwandten gingen nun mit einander zu Rathe, wie sie es anfangen wollten, um wenigstens das, was von der väterlichen Verlassenschaft noch zu Parium war, und das Landgut meines Großvaters aus den Klauen der Christianer zu retten. Das Resultat ihrer Berathschlagungen war endlich: durch Vermittlung des besagten Antiocheners mich dem kaiserlichen Statthalter als einen Christianer von der gefährlichsten Art anzuzeigen, dessen unruhige Schwärmerey die Aufmerksamkeit der Regierung um so mehr erregen müsse, weil er seinem Eifer für die Ausbreitung dieser hassenswürdigen Sekte bereits den größten Theil eines ansehnlichen Erbgutes aufgeopfert habe.

Du erinnerst dich, Lucian, daß die Strafgesetze gegen alle heimliche Zusammenkünfte überhaupt, und gegen die ausdrücklich verbotenen geheimen Versammlungen der Christianer insonderheit, unter der milden Regierung des Kaisers Hadrianus zwar nicht aufgehoben, aber doch unvermerkt eingeschlafen waren. Da sich die Christianer um diese Zeit ziemlich ruhig verhielten, so waren die Obrigkeiten überall unter der Hand angewiesen worden, sie auch hinwieder in Ruhe zu lassen, und, ohne daß man sie ganz aus den Augen verlöre, zu thun als ob man sie nicht gewahr würde; so lange nicht besondere Umstände oder eine förmliche Anklage es etwa nöthig machten, gegen diesen oder jenen nach der Strenge der Gesetze zu verfahren. Die eben so unvernünftige als unmenschliche Maxime, keine andere Religion neben sich dulden zu wollen, war (wie du weißt) den Priestern der alten gesetzmäßigen Religion so lange fremd geblieben, bis diese neue, welche geduldet seyn wollte ohne eine andere zu dulden, im Dunkeln und durch die Nachsicht der Obrigkeiten und der Priester unvermerkt so weit um sich griff, daß die letztern nothwendig aus ihrer allzu großen Sicherheit erwachen mußten. Es war seit geraumer Zeit zur Mode geworden, die Christianer und Epikuräer (weil beide darin, daß sie die alte Volksreligion für Aberglauben erklärten, gemeine Sache zu machen schienen) gewisser Maßen mit einander zu vermengen; und da die Epikuräische Sekte schon einige Jahrhunderte lang bestanden hatte, ohne dem Interesse der Priesterschaft merklichen Abbruch zu thun, (denn man hatte ja Beyspiele, daß Priester selbst, ohne ihrem Amt oder ihrer Filosofie etwas dadurch zu vergeben, Epikuräer waren) so ging es ganz natürlich zu, daß man sich, gerade dieser Vermengung wegen, unvermerkt angewöhnte, die Christianer für eben so unschädlich anzusehen als jene. Gleichwohl war der Unterschied in diesem Punkte so groß, daß er auch den sorglosesten Priestern der alten Götter in die Augen springen mußte. Die Epikuräer glaubten zwar so wenig als die Christianer an die Pronöa (Vorsehung) des großen Jupiter, aber seine Gottheit machten sie ihm nicht streitig; sie spotteten über alle Arten von Aberglauben, aber die herrschende Religion respektierten sie als ein politisches Institut der Gesetzgeber. Indem sie also jenen verlachten, und diese unangetastet ließen, blieben sie (dem Geist ihrer Filosofie gemäß) in einer Gleichgültigkeit gegen beide, die keinen Eifer, ihre Sekte auf Unkosten der Staats- und Priesterreligion auszubreiten, unter ihnen aufkommen ließ. Bey den Christianern hingegen fand das vollkommenste Gegentheil Statt. Sie waren die erklärten Gegner nicht nur des Aberglaubens, sondern des gesetzmäßigen Dienstes der Götter selbst; und der Enthusiasmus, womit sie den Dienst ihres Einzigen, der keine andere neben sich duldete, und den Glauben an seinen Gesandten, welcher das Reich dieses Einzigen allgemein machen sollte, auszubreiten suchten, ließ mit Recht von ihnen erwarten, daß sie nicht eher ruhen würden, bis sie den alten Volksglauben und den darauf gegründeten Götterdienst, oder, in ihrer Sprache zu reden, das Reich der Dämonen, gänzlich vertilgt haben würden.

Meine Verwandten zu Parium hatten, bey dem Anschlag den sie gegen mich faßten, sehr richtig darauf gerechnet, daß Vorstellungen dieser Art die Priesterschaft zu Antiochia in Feuer setzen und geneigt machen würden, ihre Angebung bey dem Statthalter von Syrien durch eine förmliche Klage zu unterstützen; und, um dieser den gehörigen Nachdruck zu geben, hatte man solche Maßregeln genommen, daß ich in einer nächtlichen Versammlung der Brüder, mitten in der Begehung unsrer heiligsten Mysterien ergriffen wurde. Man begnügte sich, die übrigen, mit der ernstlichen Vermahnung, sich nie wieder in einer solchen gesetzwidrigen Zusammenkunft betreten zu lassen, nach Hause zu schicken – ich hingegen, als Vorsteher und Mystagog dieser verbotenen nächtlichen Zusammenkünfte, wurde vor den Richter der ersten Instanz gebracht, und so bald ich die Frage, ob ich ein Christianer sey? mit aller Entschlossenheit eines Märtyrers bejahet hatte, dem Trajanischen Edikt zu Folge in ein öffentliches Gefängniß abgeführt.

Diese Begegenheit machte Anfangs um so mehr Aufsehen zu Antiochia, weil sich seit mehrern Jahren nichts ähnliches in dieser großen, reichen und unendlich üppigen Hauptstadt zugetragen hatte. Man sprach ein paar Tage von nichts anderm; dafür wurde aber auch, so bald sie aufhörte etwas neues zu seyn, gar nicht mehr daran gedacht. Die Christianer hingegen, und besonders die mit Kerinthus verbündeten Gemeinen, geriethen dadurch in außerordentliche Bewegung: und, wiewohl man bald merken konnte, daß alles bloß auf meine Person gemünzt sey, und die Brüder überhaupt wenig oder nichts deßhalben zu befürchten hätten; so zeigten sie doch so viel Unruhe, nahmen so warmen Antheil an meinem Schicksal, und machten im Verborgenen so vielerley Anschläge und zum Theil so viel wirkliche Schritte zu meiner Befreyung, daß eben diese ihre unruhige Geschäftigkeit wahrscheinlich nicht wenig dazu beytrug, meine Gefangenschaft über ein ganzes Jahr hinaus zu ziehen. Kerinthus und Hegesias waren zwar viel zu klug, um in dieser Sache unmittelbar zu erscheinen; aber ich bin ihnen die Gerechtigkeit schuldig, zu gestehen, daß sie sich durch die dritte Hand mit vielem Eifer für mich verwendeten, und große Sorge trugen, daß es mir, so lang' ich im Gefängniß war, an keiner Bequemlichkeit, die um Geld zu erhalten war, fehlen möchte. Überhaupt, Lucian, ist dein Ungenannter zu Elis in seiner ganzen Erzählung der Wahrheit nirgends so getreu geblieben als da, wo die Rede von meiner Gefangenschaft ist. Alle Umstände, die er anführt, sind buchstäblich wahr; den einzigen ausgenommen, daß ich durch die Freygebigkeit der Brüder nicht so reich ward als er vorgiebt. Denn, wiewohl sie in solchen Fällen nichts zu sparen pflegten, den Zustand ihrer Märtyrer (wie sie einen jeden aus ihrem Mittel nannten, der deßwegen, weil er sich zum Christenthum bekannte, etwas leiden mußte) zu erleichtern, und, wo möglich, ihre Befreyung zu bewirken, so waren sie doch viel zu gute Ökonomen, um etwas überflüssiges und zweckloses zu thun. Man ließ keinen Bruder Noth leiden; aber ihn durch ihre Freygebigkeit reich zu machen, wäre gänzlich gegen den Geist des Ordens gewesen, bey welchem die einzelnen Glieder nur in so weit in Betrachtung kamen, als der Vortheil des Ganzen es erforderte.

Was mich betrifft, so hatte die Einkerkerung, durch den Gedanken, für welche Sache ich litt, und durch alles das Heroische und Glorreiche, das in meiner Einbildung mit dem Nahmen eines Bekenners und Dulders verbunden war, zumahl in den ersten Tagen und Wochen, etwas so Herzerhöhendes für mich, daß ich mich vielleicht in meinem ganzen Leben nie freyer fühlte als damahls –

Lucian. Zum klaren Beweise, daß die Stoiker ihrem Weisen zu viel schmeicheln, wenn sie behaupten, Er allein habe das Vorrecht, selbst in Ketten und Banden frey zu seyn. Der Schwärmer, der doch, um nichts härteres zu sagen, gerade das Gegentheil des Weisen ist, kann diesem auch hierin den Vorzug sogar noch streitig machen. – Übrigens, Freund Peregrin, würdest du mich verbinden, wenn du, diesem edeln Freyheitsgefühl unbeschadet, deinen Ausgang aus dem Kerker so viel möglich beschleunigen wolltest.

Peregrin. Sehr gern. Denn, wiewohl diese Epoke meines Lebens die letzte war, wo mir die hohe Stimmung meiner Einbildungskraft eine Art von Glückseligkeit verschaffte, deren Verlust ich in der Folge oft genug zu bedauern Ursache hatte: so muß ich doch gestehen, daß die allzu große Einförmigkeit dieses fantastischen Glücks nach Verfluß einiger Monate seinen Zauber merklich schwächte, und mich das Unangenehme der Einkerkerung und der Ungewißheit meines Schicksals zuweilen sehr lebhaft fühlen ließ.

Auch der Mangel an Umgang mit Menschen, die, anstatt bloß an mir zu saugen, auch mir, wie Hegesias und Kerinthus, etwas zu geben fähig gewesen wären, trug nicht wenig dazu bey, das Unbehagliche meines Zustandes zu vermehren. Zwar ermangelten die andächtigen Schwestern und gutherzigen alten Mütterchen, welche meiner pflegten, nicht, durch Bestechung des Kerkermeisters von Zeit zu Zeit kleine Versammlungen von Glaubigen, die das Wort von mir zu hören Verlangen trugen, und bey dieser Gelegenheit sehr reichliche Liebesmahle in meinem Gefängnisse zu veranstalten, auch überhaupt ihr möglichstes zu thun, mir ihre herzliche und eben dadurch oft sehr beschwerliche christliche Liebe mit Worten und Werken zu beweisen: aber –

Lucian lachend. Armer Peregrin! – Kein Aber, wenn ich bitten darf – nur immer zu!

Peregrin. Genug, es kam endlich so weit mit mir, daß in gewissen Stunden – zumahl wenn ich (wie öfters geschah) auf meinem nicht allzu weichen Lager den Schlaf nicht finden konnte – Erinnerungen und Bilder aus der zauberischen Villa Mamilia in mir erwachten –

Lucian. Und du wunderst dich noch darüber?

Peregrin. Wenigstens geschah es sehr wider meinen Willen, das kannst du mir glauben! und ich kämpfte oft bis aufs Blut, um dieser Anfechtungen, (wie sie in unsrer Sprache hießen) als Eingebungen böser Dämonen, los zu werden. Ich sage bis aufs Blut, im wörtlichen Verstande; denn ich geißelte mich zuweilen, wenn mir Satan zu mächtig werden wollte, so unbarmherzig, daß mein Rücken des folgenden Tages meinen mitleidigen Wärterinnen nicht wenig zu schaffen machte.

Lucian. Und was war der Erfolg dieser listigen Art dem Feind in den Rücken zu fallen?

Peregrin. Ich kann nicht läugnen, daß ich übel dadurch ärger machte.

Lucian. Das hätte ich dir vorher sagen wollen, mein guter Peregrin. Diesen Dämon mit Fasten und Beten zu bekämpfen, das laß' ich allenfalls gelten: aber Ruthen und Geißeln sind immer für ein besseres Mittel gehalten worden, ihn vielmehr aufzureitzen als zu dämpfen.

Peregrin. Der Hauptfehler war wohl, daß ich (nach den Grundsätzen der Kerinthischen Filosofie) gleich Anfangs solchen sehr natürlichen Anfechtungen die Wichtigkeit gab, sie in meinem Wahne zu übernatürlichen zu erheben. Eben daß ich sie für Anfälle böser Geister hielt, und mich mit so großen Bewegungen und Anstalten gegen sie zur Wehre setzte, mußte die Sache immer ernsthafter und schwieriger machen. – Doch, es ist hohe Zeit, auf die Begebenheit zu kommen, die das Ende aller dieser Ausschweifungen und meine gänzliche Trennung von den Christianern herbey führte.

Lucian. Ich bin lauter Ohr.


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