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Heinz sattelte sein Pferd, band Sturmhaube und Harnisch an den Sattel, hüllte sich in einen Mantel von Tuch, der bis zu den Füßen hinabreichte, und ritt noch dieselbe Stunde aus dem Tor der Marienburg.
Er ritt gen Süden. Langsam kam er vorwärts auf den verschneiten Wegen. Zum Glück hatte die Kälte nachgelassen. Am dritten Tage nachmittags, als die Sonne schon unterging, hatte er die Engelsburg zur Seite. Er machte kurze Rast beim Krüger und ließ seinem Gaul Hafer schütten.
Der Mond ging früh auf und beleuchtete ihm den Weg. Er mußte unwillkürlich daran denken, wie er hier zum erstenmal vor Jahren bei bösem Wetter geritten und im Walde verirrt war. Da lag nun auch der Wald seitwärts; wie eine schwarze Wand hob er sich aus der mondhellen Schneefläche heraus. Er erinnerte sich lebhaft des alten Mannes, der ihn in seiner Waldhütte aufgenommen hatte und der, wie er nun wußte, sein Großvater war. Es zog ihn wieder dorthin. Die Nacht bei dem Einsiedler zuzubringen, war seiner schwermütigen Stimmung gemäßer, als sich im Gutshause zu Buchwalde einzuquartieren, wo man noch stundenlang in der Halle zusammenbleiben müßte und sein spätes Kommen überdies der Wirtin Unruhe bereiten könnte. Lieber morgen in der Frühe dorthin und vor Abend wieder fort.
Er lenkte also sein Pferd ab über Feld oder Heide und erreichte bald die Ausläufer des Waldes, mächtige Eichen, die hier Wache zu halten schienen. Der Mond war schon hoch hinauf und stand rechts und über dem Walde, so daß er ihn hell durchleuchtete und die Schatten der Bäume gegen den Reiter warf. Das Unterholz war kahl und hinderte die Durchschau nicht. Ein breiter erhöhter Gegenstand, wie die Waldhütte, mußte sich auf ziemlich weite Entfernung erkennen lassen. Auch glaubte Heinz der Richtung sicher zu sein.
Wirklich hatte er sie auch nur um ein Geringes verfehlt. Fernes Hundegekläff, das von links her zu ihm herüberschallte, machte ihn aufmerksam, daß entweder die Hütte oder der Heidenwall in der Nähe sein müsse. Er ritt darauf zu und erkannte bald das schneebelastete Dach, das hier auf der Rückseite auch den Hundestall deckte und fast bis zum Erdboden hinabreichte.
Er sprang ab und führte sein Pferd um das Waldhaus herum bis zu dem bekannten Eingange. Es am Zügel haltend, klopfte er mit dem Schwertgriff gegen die geschlossene Tür. Auch heute mußte er das Klopfen mehrmals wiederholen, bis ein Lichtschein durch die Ritzen fiel und eine Stimme anfragte: Wer ist da?
Macht auf, lieber Waldmeister! rief der Junker. Es ist einer, den Ihr schon einmal beherbergt habt. Bin den Tag über geritten und kann hier außen nicht bleiben im Schnee.
Erst nach einer Weile erfolgte die weitere Frage: Wen sucht Ihr?
Jetzt fiel es ihm auf, daß die Stimme einen hellen Klang hatte. Den Waldmeister Gundrat, antwortete er, der hier wohnt. Er scheint sich einen Gesellen angenommen zu haben. Für mich wird trotzdem wohl noch Platz sein für eine Nacht.
Er vernahm ein Lachen, das stoßweise einsetzte und plötzlich wieder abbrach. Ich kenne Euch, Herr Heinz von Waldstein, sagte der innen, ich kenne Euch gar gut. Der Waldmeister aber, den Ihr sucht, haust in der litauischen Wildnis. Bin nun an seiner Stelle hier der Waldmeister.
Wer Ihr auch seid, entgegnete Heinz, öffnet freundlich und gebt mir ein Obdach zur Nacht.
Wieder das unheimliche Lachen, begleitet von Hundegekläff. Reitet weiter – reitet weiter! Hier ist's nicht gut sein für Euch. Folgt meinem Rat: reitet weiter!
Die Stimme kam ihm nun bekannt vor, aber er bemühte sich wenig, seiner Erinnerung nachzuhelfen. Gewährt mir wenigstens kurze Rast, rief er, und gebt mir nähere Auskunft über Gundrat, wenn Ihr das vermögt. Seid nicht ungastlicher, als er's war!
Wie Ihr wollt, Junker, lautete die Antwort. Ich behalte Euch auch gern zur Nacht. Wenn's Euch aber bei mir nicht gefällt, ist's Eure Schuld. Hahaha – hahaha!
Nun durchschauerte ihn dieses Lachen ganz eigen. Das war – Da wurde auch schon der Riegel zurückgeschoben, die schwere Tür drehte sich knarrend in den verrosteten Angeln, und eine Fackel leuchtete hinaus auf den Schnee. Der sie in der Hand hielt, war ganz in einen Schafspelz und in ein graues Kopftuch gehüllt, so daß nur ein Teil des Gesichts kenntlich wurde. Das reichte aber aus, Heinz in eine taumelnde Bewegung zu versetzen. Er umfaßte den Hals des Pferdes und hielt sich daran. Natalia, schrie er entsetzt auf, Ihr seid's –!
Ich bin der Waldmeister, entgegnete sie, und nun tretet schnell ein, wenn Ihr mein Gast sein wollt – es ist kalt draußen, und ich mag die Tür nicht lange offenstehen lassen. Nun – wollt Ihr?
Ich will, sagte er entschlossen. Geschehe mit mir, was mir bestimmt ist.
Er schritt wieder gegen die Hütte vor. Sie gab ihm die Fackel in die Hand und ließ ihn vorüber, griff dabei nach dem Zügel des Gauls und führte denselben über die Schwelle. Das Tier kann nicht im Schnee stehenbleiben, äußerte sie dabei, und der Hundestall ist zu niedrig. Es ist Raum in der Ecke. Sie klopfte und streichelte den Hals und stäubte den Schnee aus der Mähne, fing auch an, das schwere Gepäck vom Sattel zu lösen.
Heinz steckte die Kienfackel in den Ring über dem Herd und schickte sich an, ihr zu helfen. Erlaubt, Fräulein, sagte er zutretend, das ist des Reiters Sache.
Sie warf das graue Tuch über den Rücken, indem sie den Kopf schüttelte. Die krausen Locken ringelten sich darüber in Unordnung; Stroh und Moos hatte sich in das wirre Haar gewühlt. Sie blickte über die Schulter und zeigte lachend die weißen Zähne. Es ist aus mit der Fräuleinschaft, Junker – aus, aus, aus! Was tut's? Es mag mich ja doch niemand leiden – außer die ich nicht leiden mag. Nennt mich Waldmeister, das klingt gut. Er wollte den Kehlriemen aufschnallen und den Sattel abnehmen, aber sie schob ihn mit dem Ellenbogen fort und tat's selbst. Bemüht Euch nicht, Junker, ich will Euer Stallbube sein. Hier müßt Ihr's doch leiden – hier seid Ihr mein Gast.
Sie öffnete die hölzerne Lade, nahm ein Stück Schwarzbrot heraus, zerbrach es und fütterte damit den Gaul.
Seid Ihr hungrig, Junker? fragte sie.
Sie kramte mit den Händen in der Lade und holte verschiedenes Gebäck, auch getrocknetes Fleisch und einen Steinkrug heraus. Das schicken sie mir vom Gut, damit ich in der Winterzeit nicht Hunger und Durst leide. Dafür versehe ich sie mit Rehen und Rebhühnern und was sonst die Jagd bringt. Nehmt und erfrischt Euch, es bleibt genug für mich übrig. Sie stellte es vor ihn hin, bückte sich über die Steinlage des Herdes und fachte die Kohlenglut an. Bald prasselte ein munteres Feuer. Und nun erzählt, wie es Euch seither ergangen ist, Junker. Wann sahen wir uns doch zuletzt?
Nein, rief er, laßt mich zuerst von Euch erfahren, was Euch bewogen hat, diese einsame Waldhütte aufzusuchen –
Sie sah ihn aus den braunen Augen traurig an, daß er nicht den Mut hatte, weiter zu fragen. Das wißt Ihr nicht –? sagte sie ganz leise. Dann lachte sie auf. Ich muß mich vor den Menschen verstecken – sie sprechen schlecht von mir. Hier aber geht's keinen was an, hier bin ich der Waldmeister.
Und fürchtet Ihr Euch nicht vor dem Gesindel, das im Heidenwall haust?
Der Heidenwall ist leer. Der Bischof hat das Volk austreiben lassen, und der alte Baum ist gefällt und verbrannt. Es wohnt da nur noch in einer Erdhöhle das alte Kräuterweib, das Krankheiten bei Menschen und Vieh heilt und selbst im Schlosse zu Rheden wohlgelitten ist.
Wo sind die Leute geblieben?
Man sagt, sie sind Gundrat nachgewandert in die Wildnis. Seit sie fort sind, mehren sich hier die Wölfe. Horcht einmal! Da heulen sie im Walde. Aber besser die Wölfe als die Heiden, meint der Bischof. Mein Bruder wollte sie in Schutz nehmen; deshalb war ihm bald selbst der Prozeß gemacht. Sie nennen ihn einen Hussiten.
Heinz hatte sich auf den Klotz gesetzt, der als Schemel diente, und blickte vornübergebeugt ins Feuer auf der Herdstelle. Und warum leidet's Hans, fragte er, daß Ihr hier unter den Wölfen haust?
Sie stand seitwärts an der großen Lade und lehnte jetzt den Arm auf seine Schulter. Warum leidet er's? Er muß wohl – hahaha, er muß wohl! Den Mund an sein Ohr haltend, fuhr sie fort: Sie haben Angst vor mir – alle, alle. Sie sagen, daß ich toll bin, und ich lache sie aus. Sie wissen, daß ich Gift habe, und fürchten, daß ich's gebrauche, wenn sie mir zuwider sind. Es ist in einem Kristallfläschchen und sieht aus wie flüssiges Silber. Ich hab's dem Juden genommen und wohlverwahrt. Niemand weiß, wo es versteckt ist. Wenige Tropfen –
Er schüttelte sich. Das ist das Gift, das Ihr mir reichen wolltet –
Natalia glitt an ihm nieder und umfaßte seine Knie. Verzeih, Liebster, rief sie in flehentlichem Tone, verzeih! Ich war so elend, so krank, so verzweifelt. Und da kamst du und sahst mich – und hattest mir so weh getan! Ich weiß es wohl: ich mischte dir das Gift in den Wein, und du solltest sterben. Verzeih!
Er nickte betrübt. Warum mußtest du den Wein verschütten? Es wäre besser gewesen, ich hätte damals sterben können!
Sie sah zu ihm auf und faßte seine Hände mit einem raschen Griff, als ob sie über seinen Anblick erschreckte. Aber wie finde ich dich wieder? rief sie. Deine Wangen sind eingefallen, dein Gesicht ist bleich, deine Augen blicken matt – Was ist dir geschehen, Heinz, was ist dir geschehen?
Frage nicht, bat er.
Sie schmeichelte sich an ihn. Ich will's wissen – ich muß es wissen –, es hat dich niemand auf der Welt so liebgehabt als ich. Warum wäre dir's besser gewesen zu sterben?
Weil ich dann die Schande nicht hätte erleben dürfen.
Du – die Schande?
Er vergaß, daß sie ihres Verstandes nicht mächtig, so wohl tat ihm die Teilnahme an seinem Leid. Ich wollte der Welt entsagen, antwortete er, und das Ordensgelübde ablegen – sie haben mich schimpflich vor dem ganzen Kapitel ausgewiesen – oh, oh, oh!
Die Kreuzherren? Und weshalb? –
Weil ich Heinrichs von Plauen Sohn bin, und meine Mutter –
Deine Mutter?
Eine Unglückliche, Unselige – dieses Waldmeisters Tochter, der hier im Elend büßte, daß er zornmütig sein Kind erschlug.
Sie schien nur langsam seine Worte zu fassen und über ihren Sinn zu grübeln. Deine Mutter – sein Kind – eines Waldwarts Kind – und sein Weib –
Vor Gott sein Weib.
Und das war den Menschen nicht genug – hahaha! Und darum wiesen sie dich ab, den Tapfersten, Ritterlichsten – Schmach und Schande über die Brut! Wollen sie den Stein werfen auf ihren Nächsten? Da ist einer unter ihnen – Georg von Wirsberg heißt er –, den hatten sie zum Komtur von Rheden eingesetzt, und der Bube – Nein! Die Schandtat gelang ihm nicht. Es schien sie kalt zu durchlaufen; sie schüttelte sich wieder wie im Fieberfrost, und ihre Hände zuckten krampfhaft in den seinigen. Nach einer Weile mochten sich ihre Gedanken wieder zurechtgefunden haben. Und was war der Grund, fragte sie, daß Ihr das Kreuz nehmen wolltet? Ihr gedachtet ja früher nicht daran, geistlich zu werden.
Erlaßt mir's, Euch darauf zu antworten, bat er, es ist ein sehr trauriger Grund.
Sie streichelte seine Hand. Ist Maria Euch untreu geworden?
Sie ist tot.
Tot –? Sie blickte ihn prüfend an, indem sie den Oberkörper zurückbeugte, ohne sich vom Boden zu erheben. Gewißlich tot?
Er teilte kurz mit, was er darüber erfahren hatte, und schloß: Auch wer sie nicht liebte, wird ihr trauriges Schicksal beklagen müssen, wenn sein Herz nicht von Stein ist.
Natalia strich mit den Fingerspitzen das wirre Lockenhaar von der Stirn zurück und wiederholte mehrmals, immer langsamer, diese Bewegung. Aus ihren Augen war jeder Glanz gewichen, sie schienen sich aufs Leere zu richten. Ich liebte sie nicht, murmelte sie, und doch – Aber es ist gut. Sie ist tot – sie soll tot sein. Und dann ist's doch aus – ganz aus. Wenn einer tot ist, dann ist's aus. Die Toten haben kein Recht an die Lebendigen und die Lebendigen kein Recht an die Toten – das muß er einsehen. Sie schien plötzlich wieder zu sich zu kommen, schob sich auf den Knien dicht an ihn heran und ergriff seine schlaffe Hand. Nicht wahr, Heinz, dann ist's aus?
Er hatte sich zur Seite gebeugt und den Arm auf die Lade gestützt. Sein Gesicht war sehr bleich, und das flackernde Feuer warf rasch wechselnde Lichter und Schatten darauf. Nun schüttelte er nur den Kopf und antwortete nicht.
Natalia stand auf, zog ihren Pelz fester über der Brust zusammen, wo die Haken sich gelöst hatten, warf das Lockenhaar zurück und wandte sich zum Herdfeuer, die Brände mit dem Eisen zusammenschiebend. Die Arbeit beschäftigte sie viel länger als nötig. Dann ging sie zu dem Pferde, klopfte ihm wieder zärtlich den Hals, flocht die Mähne in kleine Zöpfe, reichte ihm nochmals Brot und auch in einem Holzkübel Wasser und sang dazu leise einen Vers aus dem polnischen Liede vom Rößlein.
Das Feuer war im Erlöschen. Wollt Ihr noch essen und trinken, Junker? fragte sie.
Mich hungert und dürstet nicht, entgegnete er. Aber ich bin recht müde.
So ruhet Euch aus. Die Hütte hat Raum genug für den Waldmeister und seinen Gast, und eine Pelzdecke ist auch noch für Euch da. Ich schlafe fest und ruhig, und will Euch gewiß nicht stören.
Du bist gut, sagte er, hüllte sich in die Decke und legte sich an der Wand nieder.
Natalia verwahrte die Speisen in der Lade, scharrte die Kohlen zu einem Haufen zusammen, horchte eine Weile auf die Atemzüge des Gastes und legte sich dann gleichfalls zur Ruhe.
Als er am Morgen aufwachte, hörte er sie im Traume reden, ganz deutlich vernahm er das Wort: Maria.
Sie schien dabei zu erschrecken, öffnete die Augen und sprang rasch auf. Es ist Tag, sagte sie; Ihr müßt fort.
Er seufzte. In die weite Welt.
Die Waldmeisterin kochte eine Biersuppe, fütterte das Pferd, löste die Flechten, so daß nun die Mähne kraus aufwallte, und half beim Satteln. Kommt mit mir nach Buchwalde, bat er; Ihr könnt hier unmöglich den Winter über bleiben. Eher wär's ein Haus für mich. Ich will Hans fragen, ob er mich an Gundrats Stelle zu seinem Waldmeister einsetzen will.
Das sollt Ihr nicht, antwortete sie. Laßt's nur, wie es ist. Aber ich will Euch noch ein Stück Weges begleiten – bis zum Waldrande, wenn's Euch recht ist.
Er führte das Pferd hinaus. Aber dann müßt Ihr reiten, sagte er.
Das tu ich gern, erwiderte sie, und ließ sich hinaufheben.
Heinz legte die Hand auf den Sattelknopf und ging nebenher. Sie sprachen von vergangenen Dingen. Es kam ihm so vor, als ob ihre Reden heute nicht wirr und ihre Gedanken wohlgeordnet wären, und er sagte ihr, daß er sich darüber freue. Das macht die gute Nacht, antwortete sie lächelnd, ich schlief noch keine wie die.
Sie kamen an den Waldrand, und Natalia sprang vom Pferde ab, indem sie sich auf seine Schulter stützte. Und nun ist's ein Abschied auf Nimmerwiedersehen, sagte sie, glaube mir das. Auf den Weg aber will ich dir etwas mitgeben, das dir meine Liebe beweisen soll – damit du dein Leben lang freundlich an mich denkest, wie du jetzt freundlich von mir scheidest – Maria lebt!
Sein ganzer Körper zuckte. Maria lebt –? Aber gleich wieder wurde sein Gesicht noch trauriger als vorhin, und die Arme sanken matt herunter. Spotte meiner nicht, sagte er wehmütig. Wie willst du mir zum Trost behaupten, daß sie lebt, da sie doch in ihrer Väter Gruft in der Marienkirche begraben ist? Nein, nein! Du wirst mich nicht täuschen.
Ich sage dir, Ungläubiger, sie lebt! Ich selbst habe sie gesehen und gesprochen nach jenem Begräbnis.
Natalia –!
Höre mich an. Mein Kopf ist wohl schwach, und manchmal glaube ich, daß mir jemand unsichtbar den Finger auf die Stirn legt – hier oben zwischen den Augen – und immer stärker drückt, bis der Knochen nachgibt. Dann ist's ein wütender Schmerz, ich tobe und rase, und hinterher muß wohl eine Zeit kommen, von der ich gar nichts weiß. Das ist die glücklichste Zeit, da ruh ich aus. Plötzlich aber ist's, als ob die Wolken sich heben, eine Schicht nach der andern – es wird hell um mich, ich erkenne mich wieder – aber wie ein bleiches Gespenst taucht auch die Erinnerung auf und erschreckt mich. Ich fliehe, aber es ist kein Entfliehen, bis ich zuletzt mattgehetzt niedersinke und der unsichtbare Finger sich wieder auf meine Stirn legt. Was kümmert's dich, wie alles genau geschah? Als ich dem Leibarzt des Königs entsprungen war, bettelte ich mich durch Polen. Ich bettelte mich durch das Preußenland bis zur Stadt Danzig. Was ich da wollte? Ich hatte einen Haß geworfen auf das Mädchen, das du liebtest und nicht aus deinem Herzen lassen mochtest – ich meinte mit Maria nicht zusammen leben zu können in der Welt, denn sie war die Ursache meines Elends – und ich hatte in einem Fläschchen Gift! Das trieb mich, sie aufzusuchen. Halb nackt, mit wunden Füßen, fieberkrank kam ich nach der Stadt und klopfte an das Tor des Hospitals der Reuerinnen. Man ließ mich ein, und ich sagte, ich wolle in den Orden treten, wenn ich wieder gesunde. Länger als eine Woche litt man mich dort, und ich merkte wohl, daß sie mich ganz verstörten Geistes glaubten. Deshalb hüteten sie sich auch nicht vor mir, und so erfuhr ich manche Heimlichkeit. Maria war im Kloster. Sie hatte sich nicht einkleiden lassen, bediente aber willig die Kranken im Hospital und tat's allen Nonnen zuvor. Sie wusch und salbte täglich meine Füße, und einmal sagte sie: Du gleichst einem, der mir großes Leid zugefügt hat. Ich antwortete nicht. Da ich aber sah, daß sie mich wohl erkannte und doch mit barmherziger Liebe pflegte, hatt' ich nicht den Mut, ihr das Gift zu reichen, und verschob's von Tag zu Tag. Da hörte ich eines Abends, wie die Priorin heimlich mit einer von den Schwestern sprach, der Ratsherr Tidemann Huxer sei dagewesen und habe gesagt, es sei am besten, wenn man Maria in der Stadt tot glaube. Denn in sein Haus könne er sie nicht zurückführen, das Gerede der Leute aber auch nicht zum Schweigen bringen. Er wolle nach Stockholm übersiedeln und sie später dorthin mitnehmen: aber die Zeiten seien schlecht, und er könne sein Vermögen hier nicht so bald freimachen. Dem Kloster aber sei eine große Schenkung gewiß, wenn man ihm freundlich zu Dienst sei. Nun war gerade eine von den Schwestern gestorben und sollte begraben werden. Die legte man in einen kostbaren Sarg und ließ sie aus dem Kloster hinaustragen. Es wurde aber draußen unter den Leuten verbreitet, daß des reichen Ratsherrn Tochter gestorben sei und mit Fackeln nach der Marienkirche gebracht werden solle. So ist denn auch, wie ich demnächst erfuhr, die Leiche dorthin getragen und unter dem Altar beigesetzt, den Huxer schon vor Jahren gestiftet hat. Maria aber erfuhr nichts davon und blieb im Kloster. Da es nun so gut war, als sei sie wirklich gestorben und begraben, meinte ich ihres Leibes schonen zu können und mein Gewissen nicht beschweren zu dürfen. Meine Rache sollte sein, daß ich von dem schwiege, was ich wüßte. Bald darauf muß ich wohl wieder in meine Krankheit verfallen und tolle Ding getrieben haben. So ließen die Schwestern mich in das Heilige-Geist-Hospital bringen, das in der Verwaltung der Stadt steht. Von dort entsprang ich, trieb mich noch eine Weile um und ging dann hierher in Gundrats verlassene Waldhütte. Da gedenk ich mein armseliges Leben zu beschließen.
Heinz hörte kaum noch aufmerksam zu. Maria lebt! rief er. Du betrügst mich nicht – sie lebt?
Sie lebte, da ich das Kloster verließ. Und sie lebt sicher noch heute; denn diese Nacht erschien sie mir im Traume, sehr holdselig anzuschauen, wenn auch bleich und abgehärmt. Sie bat so rührend, daß ich dir alles sage, und küßte mich und flüsterte: Sage ihm, daß ich lebe, und dir soll das Schwerste verziehen sein. Da war mir's, als ob der Stein in meiner Brust sich erweichte und wieder ein klopfendes Herz würde. Mir war so wohl und frei –! Und als ich am Morgen erwachte, da war's entschieden: ob zu deinem Glück oder Unglück – die Wahrheit solltest du wissen!
Er drückte ihre Hand und küßte ihre Stirn. Dank – Dank! sagte er. Ob zu meinem Glück oder Unglück, das mag Gott nach seinem Willen fügen. Mir aber gibst du das Leben wieder, denn du gibst mir die Hoffnung. Jetzt will ich nicht verzweifeln, sondern mutig den Kampf aufnehmen und zeigen, was ein Mann aus sich selbst werden kann. Ich danke Gott, daß er die Schande hat über mich kommen lassen, mir die Freiheit zu bewahren.
Er schwang sich aufs Pferd. Natalia streichelte dessen Hals und Kopf. Dann führte sie es einige Schritte am Zügel, gab ihm noch einen leichten Schlag mit der flachen Hand, wandte sich ab und rief: Lebe wohl! Er trabte fort. Als er nach einer Weile zurückschaute, war sie schon hinter den Bäumen verschwunden. –
Ohne Fährlichkeit gelangte Heinz nach Buchwalde. Es war große Freude über seine unvermutete Ankunft. Der Gutsherr war augenscheinlich bei kräftiger Gesundheit, und seine liebe Hausfrau hatte womöglich an Schönheit noch zugenommen. Sie trug das Haar nicht mehr lang und offen, sondern in zwei dichten Flechten, die sich über dem Scheitel kreuzten und zuletzt unter einer kleinen Haube von grünem Samt versteckten; aber um die Stirn und im Nacken wollte sich das krause Goldhaar so nicht bändigen lassen und bildete ein freies Gelock über der zarten, wie durchsichtigen Haut. Und wie schön war sie erst, als sie aus der Schlafkammer zurückkehrte und ihren Knaben auf dem Arm trug und ihre Augen voll Freudigkeit leuchteten wie milde Sonnen. Hans von der Buche umfaßte ihre Schulter, legte seinen Kopf an den ihren und sagte: Sieh, so glücklich sind wir!
Als man dann am Kamin zu ruhigerem Gespräch kam, zeigte sich's freilich, daß auch mancherlei Sorgen um das Haus schlichen. Zwar verhielten die Eidechsen sich ruhig, da sie des Hochmeisters Zorn fürchteten, aber heimlich suchten sie ihren Bund zu kräftigen, um gerüstet zu sein, wenn der König sie brauchte. Sie standen ohne Zweifel auch mit den vier Genossen, die geächtet waren, in steter Verbindung und taten dem Komtur von Rheden, als er deren Güter in Beschlag nehmen wollte, so viel Schaden auf den Vorwerken des Ordenshauses, daß er seine Verwalter zurückrufen mußte. Hans von der Buche war ihnen verhaßt, und obschon sie nicht wagten, ihm offene Feindschaft zu beweisen, ließen sie es doch an Drohungen nicht fehlen, daß er sich in acht nehmen solle, wenn der König ins Land komme. Die Geächteten hatten ihm Briefe geschickt, daß sie ihn vor eine Ritterbank fordern, und wenn er sich von dem Verdacht des Verrats nicht losschwöre, sich ihres ganzen Schadens an seinem Gut erholen wollten. Damit war's ihnen sicher Ernst. Am bedenklichsten schien's aber, daß Switrigal, der junge Herzog von Masowien, keine Ruhe hielt, einmal mit einer Schar Reiter über die Grenze gekommen war und das Haus förmlich einen Tag lang belagert hatte, ein andermal dem Ritter durch einen Boten wissen ließ, er möge sein schönes Weib hüten, es sei noch nicht aller Tage Abend! Hans hielt daher den Plan fest, Buchwalde zu verkaufen und sich höher im Norden ein neues, sicheres Heim zu gründen. Er bemühte sich, Heinz zu bewegen, bei ihm zu bleiben, zu seiner Schwester Schutz; der aber meinte, er habe keine Zeit zu versäumen und müsse draußen im Reiche zusehen, wie er sich stattlich vorwärtsbringe. Was er genauer im Sinn hatte, verriet er nicht.
Auch auf Natalia kam die Rede, und es bestätigte sich, daß man sie nicht hatte bewegen können, das Waldhaus zu verlassen und nach Buchwalde zu ziehen. Sie habe gedroht, daß der Knabe es entgelten solle, wenn man sie zwinge, und die alte Gudawe habe vor ihr gewarnt, da sie im Besitze von Gift sei. Man suche ihr nun Beistand zu leisten, wie man könne.
Nachmittags wurde gemeldet, daß über dem Walde am Melno-See ein dichter Rauch aufsteige; in der Richtung liege das Waldhaus. Erschreckt und von böser Ahnung ergriffen, ließ der Gutsherr sofort einige Schlitten bespannen und mit Leuten vom Hofe besetzen. Er selbst fuhr mit Heinz, der ihn begleiten wollte, voran.
Unterwegs trafen sie das Kräuterweib, das berichtete, das Waldhaus stehe in lichten Flammen. Von dem Fräulein wisse sie nichts; sie habe vergebens an die Tür geklopft und sie mit ihren schwachen Händen nicht gewaltsam öffnen können. Nun habe sie's auf dem Gute melden wollen.
Die beiden Männer verdoppelten ihre Eile. Als sie an die Brandstelle kamen, war schon das Dach eingestürzt, das Holzwerk der Wände ringsum von der Flamme erfaßt. Das ganze Haus schien ein in sich zusammenbrennender Holz- und Kohlenhaufe.
Es wurde Schnee darauf geschaufelt. Mit langen Stangen und Haken rissen und warfen die Leute die Brände auseinander und löschten sie aus. Endlich fand man die Steine der Herdstelle. Der Fußboden wurde weiter aufgeräumt; die Freunde achteten nicht darauf, daß die Glut ihnen die Sohlen versengte. Sie suchten nach dem Lagerplatz. Er war überschüttet von dem brennenden Sparrenwerk. Als man es endlich gelöscht und entfernt hatte, zeigte sich darunter eine verkohlte Leiche.
Die Gesichtszüge waren nicht mehr kenntlich. Aber der Körper lag lang ausgestreckt wie der eines ruhig Schlafenden. Unter der rechten Hand fand sich ein kleines Kristallfläschchen – es war offen und leer. Sie hat Gift genommen, sagte Heinz. Es waren die ersten Worte, die er sprach, seit sie das brennende Haus erreicht hatten.
Und dann hat sie sich schlafen gelegt und das Haus über sich angesteckt, fügte Hans hinzu. Nicht im Feuer ist sie umgekommen – sie sorgte nur dafür, daß es ihre Leiche zerstöre. Die Arme! Sie fürchtete, daß die Kirche ihr ein ehrlich Begräbnis versagen werde, wenn sie sich das Leben nahm. Gott sei ihrer Seele gnädig!
Heinz faltete die Hände und blickte starr auf den verkohlten Leib. Unruhig schlug sein Herz: er wußte ja doch, daß sie seinetwegen nicht länger hatte leben wollen. Was war ihre Schuld, was die seine?
Friede ihrer Asche! betete er.