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Über Danzig waren schwere Zeiten hereingebrochen. Nachdem es einmal gelungen war, den Widerstand des Rates zu beseitigen und die Führer mundtot zu machen, fand die Gewalt überall Tür und Tor offen. Eisern legte der Komtur seine Hand auf die Rechte Stadt. Zwar hatte sie nach demütiger Unterwerfung auf Fürbitte der anderen Städte vom Herrn Hochmeister Verzeihung erhalten, aber eine schwere Steuer als Lösegeld zahlen müssen. Zudem war die letzte Ratswahl für ungültig erklärt, und der Rat hatte die Männer aufnehmen müssen, die der gestrenge Komtur ihm bezeichnete. Das war die schwerste Demütigung der Herren, die einst schon daran gedacht hatten, das Schloß zu brechen und sich den Reichsstädten im Hansabunde gleichzustellen.
Die Tore nach der Schloßseite standen nun Tag und Nacht offen, die Außenwerke waren geschleift worden, die Palisaden fortgeräumt, die Steinbüchsen umgeworfen. Jederzeit konnten die Kreuzherren mit ihrem Gefolge frei ein- und ausreiten. Und sie zeigten sich gern.
Als Heinz von Waldstein nach Danzig gekommen war, hatte er den alten Huxer in schlechtester Stimmung angetroffen. Ganz ernstlich hatte derselbe daran gedacht, sein Hab und Gut zu Schiff zu bringen und nach Lübeck auszuwandern. Daran war er nur durch den Komtur gehindert worden, der ihm die Kette vorzog. Ein Teil seiner Seefahrzeuge lag abgetakelt neben den Holzgärten stromauf, seine Bordinge hatten nichts zu tun, auf dem Bauplatz bei der Lastadie stellte er die Arbeiten ein. Einige Schiffe waren zwar auswärts in den französischen und spanischen Gewässern tätig, aber oft genug saßen im Kontor die Schreiber stundenlang müßig oder warteten die Boten viele Tage auf Abfertigung, da sich die Brieftaschen nicht füllen wollten.
Nicht vertraulicher wurde der vorsichtige Kaufherr und Reeder, als Heinz ihm sagte, daß er von fremden Kriegsfahrten wenig halte und bei ihm die Kaufmannschaft und das Seehandelsgeschäft zu erlernen wünsche. Was der Junker sich wohl dabei denke und wie er ihn verwenden solle? Die städtischen Geschlechter ließen keinen ein, der nicht zur Sippe gehöre oder sich durch Heirat mit ihnen befreunde, es sei denn, daß er großen Reichtum mitbringe und dadurch eine Kompanieschaft erlange. Ein armer Junker, wofür Heinz sich ja selbst ausgebe, könne sich mit dem Degen bei streitlustigen Fürsten und großen Herren leicht eine ansehnliche Stellung schaffen, aber er habe noch nie gehört, daß es einem gelungen wäre, sich mit der Feder ein Kaufhaus, Schiff oder Warenlager zusammenzuschreiben. Wer nichts mitbringe, der bringe auch selten etwas heraus, und wer mit großen Ansprüchen komme, finde auch da nicht seine Rechnung, wo der bescheidene Mann mit seiner Ernte zufrieden sei. Heinz ließ sich so nicht abtrösten. Er habe sich's nun einmal in den Kopf gesetzt, etwas Tüchtiges zu lernen, und wenn Huxer ihn abweise, gehe er zu einem andern. Am liebsten wäre es ihm aber, hier einzutreten, wo alles ins Große wachse und in kurzem viel Kenntnis von jeder Art Handelschaft zu erwerben sei. Wozu er die in Zukunft nütze, das bleibe seine Sache. Auch verlange er keinen Lohn, hoffe aber bald gute Dienste zu leisten und sich zu bewähren. Huxer schüttelte den Kopf dazu, gab aber doch endlich nach und wies ihm einen Platz in seinem freilich jetzt stillen Kontor an.
Wenn Heinz erwartet hatte, sich auf solche Weise ungehinderten Zugang zu Maria Huxer zu verschaffen, so sah er sich ganz und gar getäuscht. In der Schreibstube und hinter dem großen Hausraum durfte er aus- und eingehen, in den Speichern und Holzgärten gab's für ihn zu tun, aber in seine Wohnung lud ihn der Kaufherr nicht. Kam er früher einmal als Gast, so konnte er nicht gut abgewiesen werden; jetzt war er der Untergebene, zwar nicht in Lohn und Brot wie die anderen Kaufgesellen, und in seiner Freiheit wenig beschränkt, aber doch gerade wie sie von dem Familienumgang ausgeschlossen. Als er sich einmal oben am Sonntagvormittag meldete, ließ ihm Huxer hinaussagen, er habe nichts für ihn zu tun und gönne ihm den freien Tag. Das war eine sehr empfindliche Abweisung.
Huxer wußte sich's sehr wohl zusammenzureimen, was den Junker in seine Nähe zog. Daß er's auf Maria abgesehen hätte, war ihm gewiß. Aber er meinte ihn so am besten unter Augen haben und von dem Kinde fernhalten zu können, das war der wichtigste Grund gewesen, weshalb er auf seine Wünsche eingegangen war. Bis der Junker es auf diesem Wege zu etwas brachte, darüber mußten Jahre vergehen, und so lange würde Maria, wie verliebt sie auch in den Krauskopf wäre, schwerlich warten wollen. Er glaubte die Art der jungen Mädchen zu kennen. Der fremde Junker, der sich ritterlich zu kleiden, stattlich zu reiten und geschickt zu stechen verstand, mochte ihrer Aufmerksamkeit wert scheinen, ihres Vaters Kaufdiener war nicht der Mann, mit dem ihr Stolz sich lange beschäftigen konnte. Sorgte er selbst dafür, in ihren Augen zu sinken, um so besser. Recht um den Unterschied klar ins Licht zu stellen, lud er nun Rambolt von Xanten häufig zu sich ein, mit anderen Patriziersöhnen oder auch allein. Der war der Schwiegersohn, den er sich wünschte; eine solche Heirat konnte ihn selbst heben. Denn die Xanten waren ein altes Geschlecht, das schon in Danzig saß, als die Stadt noch den pommerellischen Herzögen gehörte, er selbst aber war ein Aufkömmling und mußte sich zu befestigen suchen.
Seine Tochter freilich kannte er doch nicht gut genug. Die war geradeso ein Trotzkopf wie er selbst und meinte mit beharrlichem Willen wohl ihr Stück durchsetzen zu können. Heinz war ihr nun einmal ins Herz gewachsen, ihr Vater ahnte gar nicht wie tief. Tausendmal schwur sie sich's zu: er oder keiner sollte sie heimführen, und Rambolt wäre ihr gewiß verhaßt worden, wenn sie sich auch nur die Möglichkeit hätte vorstellen können, daß er ihrem Herzensschatz ein gefährlicher Nebenbuhler würde. Nun behandelte sie ihn nicht anders als die anderen jungen Herren, die ihrer Schönheit huldigten, und fertigte ihn mit leichtem Spott ab, wenn er einmal im Vertrauen auf des Vaters Gunst zu dreist zu werden wagte. Wie es um ihre wahre Neigung stand, wußte nur die gute Barbara, die zwar bei jeder Gelegenheit gewissenhaft abmahnte, aber Tränen und Schmeicheleien selten widerstand, wenn es werktätig zu helfen galt.
Immer konnte doch Huxer nicht zu Hause sein und sein Kind bewachen. Bald hatte er außerhalb Geschäfte, die ihn stundenlang fernhielten, bald brachte er den Abend im Artushof oder im Garten zu und kam dann nie vor der ein für allemal bestimmten Zeit zurück. Es kam auch vor, daß er für einige Tage verreisen mußte. Da war es nun doch von gutem Vorteil, daß Junker Heinz nicht in der Stadt aufgesucht werden mußte, sondern im Vorbeigehen von der Treppe aus einen Wink erhalten konnte, wenn er nicht selbst bei Frau Barbe anklopfte und ihr ein Wörtchen ins Ohr flüsterte. Es ist eine wahre Sünde, sagte sie jedesmal, daß ich zu solcher Heimlichkeit helfe, und ich kann's nicht einmal meinem Beichtvater sagen; aber sie half doch. Fast kein Tag verging, an dem die Liebenden nicht Gelegenheit fanden, ein Viertelstündchen miteinander zu plaudern, und oft genug wurde ein Stündchen daraus. Sie war nicht einmal so grausam, dabei immer im Zimmer zu bleiben und aufzupassen, daß es beim Plaudern bewende. Gewöhnlich hörte sie bald draußen irgend ein verdächtiges Geräusch und mußte dann natürlich hinaus, um nachzuschauen, was es sein könnte, oder sie blieb auch von Anfang an in ihrer Kammer, um Wache zu halten, und klopfte dann nur leise an die Tür, wenn es nach ihrer Meinung Zeit zur Trennung war. Ihrer Maria konnte sie doch nichts abschlagen und dem Junker auch nicht.
Aber wenn sie mit ihrem Pflegekinde allein war, schalt sie mit recht heftigen Worten und sagte: Wo soll das hinaus?
Was kann daraus Kluges werden? Nimmer wird der gestrenge Herr Vater einwilligen, einem solchen Junker Habenichts sein Kind zu geben. Man sieht ja wohl, was er für Absichten hat. Den Rambolt hat er dir bestimmt, und der braucht wahrlich nicht lange zu bitten. Wenn er nun eines Tages sagen wird: Der Rambolt von Xanten hat um deine Hand angehalten, was willst du antworten? Kann's denn auf die Länge geheim bleiben, was du mit einem andern hast? Und wenn der Junker von Waldstein dann seine Werbung vorbringt, was wird der Herr Vater antworten? Mit Schanden wird's enden, Kind, denn er hat einen harten Willen und wird nimmer nachgeben, so lieb er dich hat, du aber – ich mag es nicht ausdenken.
Hatten diese Worte eine Wirkung, so doch durchaus nicht die beabsichtigte. Recht hatte die gute Barbe gewiß, nur nicht in dem, daß sie sich von dem Junker losreißen sollte, um dem Vater gehorsam sein zu können. Aber daß auf seine Nachgiebigkeit nicht zu rechnen sei, darin kannte sie ihn von Grund aus. Er war meist in verdrießlicher Laune; der geringste Widerspruch brachte ihn auf. Es ärgerte ihn schon sichtlich, daß sie sich stumm verhielt, wenn er von Rambolt sprach und seine Tugenden rühmte, deren vornehmste freilich die war, daß die Xanten zu den ältesten gehörten, die auf der Georgsbank gesessen, und daß der Schultheiß sich an Grundbesitz außer der Stadt dreist mit jedem Edelmann im Lande vergleichen könne.
Der Hoffnungsfaden wurde immer dünner, daß mit gütlichem Vorstellen, Bitten und Weinen bei ihm etwas auszurichten sein werde. Dann blieb aber nichts übrig, als Zwang zu versuchen: die Verzeihung könnte ja hinterher doch nicht ausbleiben. Der Gedanke, anfangs erschreckend und beunruhigend, wurde ihr von Tag zu Tag vertrauter.
Auch Heinz mußte bald einsehen, daß sein Plan, sich den stolzen Kaufherrn durch seine Dienste zu gewinnen, ganz abenteuerlich sei. So von außen her hatten die Dinge ein ganz anderes Aussehen gehabt: der reiche Großhändler, der im pelzverbrämten Rock, das Schwert an der Seite, über den Markt ging, mit tiefem Bückling von jedem Begegnenden gegrüßt; der im Rat oder auf der Schöppenbank saß und im Hofe bei den ritterlichen Georgsbrüdern seinen Platz fand – mit ihm zu tauschen, wäre ihm nicht so übel erschienen. Nun in der Schreibstube zeigte sich die Kehrseite des glänzenden Bildes: da galten nur die Zahlen, und es wurde gerechnet und immer gerechnet, um sich eines kleinen Vorteils zu versichern oder einen Schaden abzuwenden. Wer da brauchbar sein wollte, der mußte die Handelsbücher schreiben und lesen können, Zahlen und Zeichen leicht handhaben, die Marken aller großen Handelshäuser in den Hansestädten kennen, den Preis der Waren auf den verschiedenen Märkten taxieren, die Kosten der Seefahrten und des Landtransports richtig zu schätzen verstehen, das Risiko in Anschlag bringen, die Wege berücksichtigen, auf denen der Wechsel von Hand zu Hand zu laufen hatte, bis das Papier richtig zu Geld wurde. Dafür hatte Heinz gar nicht den Kopf, am wenigsten jetzt, da er verliebt war und nur immer daran dachte, wie schön das heimliche Beisammensein diesen nächsten Abend sein werde. Nie im Leben konnte ein tauglicher Kaufmann aus ihm werden.
So wurde es auch ihm immer gewisser, daß etwas gewagt werden müßte, wenn sie an das gewünschte Ziel gelangen wollten. Erst nur schüchtern deutete er's an, wenn Maria zärtlich das Köpfchen an seine Brust schmiegte und seufzte, daß man nicht aller Welt sagen könne, wie gut man einander sei. Dann, als sie nicht schalt und wohl gar wie zum Zeichen des stillen Einverständnisses seine Hand drückte, sprach er dreister und zuversichtlicher wie über etwas, das eigentlich nur eine Frage der Zeit sei. Und sie antwortete ihm, daß sie in alle Ewigkeit nicht von ihm lassen wolle und, wenn es sein müßte, auch Not und Gefahr mit ihm teilen werde. Da taten sie einander einen Schwur, daß sie keinerlei Gewalt nachgeben und lieber das Äußerste leiden, als sich trennen lassen wollten. Und das war ihnen beiden heiliger Ernst.
Zu der Zeit nun schrieb Heinz an den alten Waldmeister. Es war ihm nur darum zu tun, ein verborgenes Winkelchen in der weiten Welt zu ermitteln, in dem er sein Glück sicher unterbringen könne. Wie das zarte, verwöhnte Mädchen in der rußigen Waldhütte bei dem wunderlichen alten Waldmeister auch nur wenige Tage würde das Leben erträglich finden können, kam ihm nicht in den Sinn. Aber wie er's mit freundlichen Farben schilderte, wenn er sie im Arm hielt – der stille Wald, der See mit den Uferschluchten, das Holzhaus unter den schattigen Bäumen, der knorrige Alte, der darin die Herrschaft führte und jeden Angriff mit bewaffneter Hand abzuwehren bereit war –, es hatte gar nichts Schreckhaftes, und fürs erste war's ja auch nur ein Spiel mit Vorstellungen. Sie konnten sich recht tief darein versenken und das Bild immer verführerischer ausmalen, wie Heinz sich mit des Alten Beistand eine eigene Waldhütte baute und sie für Mann und Weib einrichtete, täglich seine Jagdbeute nach Hause brachte und Holz zum Herdfeuer herantrug, während sie die Hühner und Tauben fütterte, das Stübchen sauber hielt und das einfache Mahl besorgte, so daß es ihnen fast unlieb war, zu denken, der Vater könne sich rasch zur Versöhnlichkeit bekehren und zu ihrem Bunde amen sagen, ehe das herrliche Waldleben noch recht habe anfangen können.
Es kam keine Antwort. Hatte Gundrat den Brief nicht erhalten? Weigerte er sich, Maria aufzunehmen? Fehlte es ihm nur an Gelegenheit, seinen jungen Freund wissen zu lassen, wann er ihn erwarte? Heinz wartete von einem Tage zum andern vergebens und fing an ungeduldig zu werden. Als er eines Abends in sein Quartier am Glockentor kam, erzählte ihm die alte Wittib, bei der er wohnte, daß ein junger Mensch bei ihr gewesen sei und sie sehr eifrig nach ihrem Mietsmann ausgefragt habe. Es sei ein ganz junges, hübsch gewachsenes Bürschchen gewesen mit einem rechten Milchgesicht, scheine auch noch nicht einmal die Stimme gewechselt zu haben. Sie habe ihm alle schickliche Auskunft gegeben, ihn auch gefragt, wie er heiße und ob etwas an den Junker zu bestellen sei. Er habe aber geantwortet, der Name tue nichts zur Sache, und eine Bestellung sei nicht auszurichten, außer daß der Waldmeister sagen lasse, er könne nicht lesen und habe schreiben nicht gelernt. Was das bedeute, wisse sie nicht. Der Junker wurde feuerrot, und es war nur gut, daß sie im halbdunklen Flur an der Treppe zu seinem Stübchen sprachen, wo sie es nicht merken konnte. Ob er denn habe wiederkommen wollen? Davon sei nicht gesprochen worden.
Nun hatte Heinz eine unruhige Nacht. Unmöglich konnte das alles sein, was Gundrat ihn wollte wissen lassen. Der Bursche wußte mehr, hatte nur der Wirtin nicht getraut. Am Morgen war er schon früh auf. Käme der Bursche wieder, so sollte Frau Martha Kettenhagen ihn jedenfalls hinhalten, bis er zurückgekehrt sei: er wolle ihn indessen in der Stadt suchen. Es half ihm aber nichts, daß er alle Straßen zwischen den Wasser- und Landtoren durchlief, auch am Fluß auf dem Bollwerk auf und ab ging, wo sonst die Fremden am leichtesten anzutreffen waren, auch in den bekannteren Herbergen nachfragte. Er begegnete niemand, der zu der Beschreibung passen wollte, und lachte sich schließlich selbst aus, daß er einen Menschen zu suchen bemüht war, den er nie von Angesicht gesehen. Er fragte wieder zu Hause an: es hatte niemand sich blicken lassen. Verstimmt trat er in Huxers Kontor ein und mußte sich wegen seines späten Kommens schelten lassen. Heut wollte die Feder gar nicht über das rauhe Papier vorwärts. Er warf sie fort und stützte den Kopf auf. Abends wartete er vergeblich, daß der Kaufherr ausgehen sollte. Nur mit knapper Not gelang es ihm, Barbara auf eine Minute zu erhaschen und ihr zuzuflüstern, daß ein Bote vom Waldmeister da sei, und daß Maria ihn morgen nicht erwarten solle.
Den andern Tag hielt er sich am Vormittag einheimisch; um den erwarteten Besuch nicht zu versäumen, ließ er sich den jungen Menschen nochmals genau beschreiben, ohne dabei etwas zu gewinnen, da Frau Kettenhagen blöde Augen hatte und nicht einmal mit Bestimmtheit sagen konnte, ob sein Wams von Leder oder Tuch gewesen war, und machte sich wieder auf den Weg, diesmal nicht nur die Rechte Stadt, sondern auch die Alt- und Jungstadt bis beinah zum Blockhause hinauf zu durchlaufen. Er hoffte immer, von dem Fremden irgendwo angesprochen zu werden. Die Leute, die vorüberkamen, gingen aber eilig ihren Geschäften nach, ohne auf ihn achtzugeben, und wenn sich einmal jemand nach ihm umsah, so war es eine hübsche Magd oder Bürgerstochter, die dazu Zeit hatte.
Er entschuldigte sein Ausbleiben im Kontor mit Unwohlsein und nahm für einige Tage Urlaub. Der Fremde mußte sich doch wieder melden. So blieb er nun auf seinem Stübchen oder plauderte mit Frau Kettenhagen, um die langen Stunden herumzubringen. Sie neckte ihn mit seiner Unruhe und meinte, das sei am Ende gar kein junger Herr, sondern ein verkleidetes Fräulein gewesen; zierlich genug dazu habe das Bürschchen ausgesehen. Er verschwur sich hoch und teuer, daß er von solcher Mummerei nichts wüßte und ganz andere, sehr ernste Dinge im Kopfe habe, wovon freilich nicht zu sprechen sei. Es wäre auch nur ihr Scherz, versicherte sie, und übrigens sei Neugierde gar nicht ihr Fehler, und es ginge sie nichts an, was ihre Mietsleute trieben, wenn sie sich nur in ihrem Hause keinen Unfug erlaubten. Eine arme Witwe muß vorsichtig sein, setzte sie hinzu. Die Nachbarn passen auf und wissen allemal mehr als wir selbst.
Da der Fremde nicht wiederkam, fing's ihm nun doch an bedenklich zu werden, ob er noch in der Stadt sei und eine weitere Botschaft auszurichten gehabt habe. Dann hatte der Waldmeister nicht ja und nicht nein gesagt; er konnte sich seine Antwort auslegen, wie er wollte. Nun besuchte er wieder regelmäßig die Schreibstube und fand auch Gelegenheit, die Liebste zu sehen und zu sprechen. Man meinte, man müsse noch kurze Zeit auf sichere Nachricht warten.
Eines Tages bemerkte sie, als sie aus dem schmalen Erkerfenster auf die Straße schaute, an dem Hause gegenüber einen Menschen, der mit übereinandergeschlagenen Armen an der Wand lehnte und unverwandt zu dem Fenster aufschaute. Als er ihrer ansichtig werden konnte, schien sich seine Aufmerksamkeit noch zu steigern. Er streckte den Kopf vor, und die Augen glänzten sichtlich. Als sie sich, durch sein dreistes Angaffen beleidigt, zurückzog, folgte er ihren Bewegungen, indem er sich zur Seite beugte und auf die Fußspitzen stellte. Nach einer Stunde stand er noch auf demselben Platz.
Am andern Vormittag, nicht lange nachdem Heinz ins Haus getreten war und nach dem Erker hinaufgenickt hatte, erschien der Mensch wieder und stellte sich drüben an die Ecke der Seitenstraße. Er wartete offenbar so lange, bis Maria sich zeigte. Die Gestalt war schmächtig, das Gesicht auffallend bleich, die Augen schienen einen lodernden Glanz zu haben. Auch nachmittags war er wieder da. Maria saß gern im Erker mit ihrer Arbeit; es war der hellste Platz im Stübchen. Nun sah sie sich daran gehindert, denn beschauen wollte sie sich doch von dem Fremden nicht lassen. Ärgerlich rief sie Barbara heran. Es sei ja nur ein Knabe, meinte die. Der Junge hat seine Freude an einem hübschen Mädchengesicht, das kann man ihm nicht groß übelnehmen. Es wird ihm bald langweilig werden, zu gaffen. Tut nur, als ob ihr ihn gar nicht bemerkt.
Aber er ging nicht fort. Nun ärgerte sich Frau Barbe selbst über seine beharrliche Dreistigkeit, band ein Mäntelchen um und ging über die Straße. Ihr da, junges Blut, redete sie ihn an, was steht Ihr da müßig und beschaut Euch unser Haus? Es steht nicht zum Verkauf.
Der Fremde lächelte spöttisch. Ich bin hier, denke ich, niemand im Wege, antwortete er, und Ihr könnt ungehindert vorbei.
Auf wen wartet Ihr?
Das geht Euch nichts an.
O doch! Denn wenn Ihr auf keinen wartet, so habt Ihr hier auch nichts zu suchen, und wenn Ihr hier nichts zu suchen habt, so trollt Euch fort.
Ich stehe auf der öffentlichen Straße.
Jawohl! Aber gegenüber dem Hause meines Herrn Huxer und gafft unverwandt zu unserm Erker hinauf, daß die vorübergehenden Leute wahrhaftig glauben müssen, es geschehe da was Unrechtes. Wißt Ihr nicht, daß das unschicklich ist? Nach wem schaut Ihr aus?
Wenn ich nun antworte: nach Eurem Fräulein –?
Das ist eine unverschämte Antwort, junger Fant. – Mein Fräulein will nicht angegafft sein wie ein Meerwunder.
Euer Fräulein ist sehr hübsch – in der Tat! Die Augen blitzten dazu unter den gesenkten Wimpern vor.
Das will ich meinen, zischelte Frau Barbe. Aber es geht Euch nicht im mindesten an.
Wer weiß?
Wer Euer glattes Kinn sähe, möchte nicht glauben, daß Ihr so dreist seid. Ein Bürschchen in Euren Jahren – seht! seht! Was man nicht erlebt! Und kurz: ich leide es nicht, daß Ihr hier Maulaffen feilhaltet – ich! Und wenn Ihr mir nicht aufs Wort folgt, so haben wir noch ein paar handfeste Packknechte im Hause –
Ereifert Euch nicht, gute Frau, fiel ihr der Fremde in die Rede, ich bin's nicht, der Eures Fräuleins Tugend nachstellt, und ich stehe hier nur so lange, bis Euer Fräulein mich ins Haus ruft.
Das wird nimmer geschehen.
Meint Ihr? Sagt Eurem Fräulein, ich hätte mit ihr zu sprechen, und das müßte unter vier Augen geschehen.
Seid Ihr toll? Wie heißt Ihr denn?
Das laßt meine Sache sein. Aber wenn Ihr mir doch einen Namen geben wollt, nennt mich meinetwegen Veit von der Straße.
Das ist ein Name, der paßt – wahrhaftig, mein Jüngelchen. Aber gebt Euch keine Mühe: ich habe meinen Mund zu Besserem, als ihn nachzusprechen. Und ich tue Euch schon viel zuviel Ehre an, daß ich mich hier solange mit einem hergelaufenen Menschen verweile.
Ganz recht! Richtet Eure Bestellung aus, und damit ist's gut.
Damit ist's nicht gut. Ich sage dem Fräulein kein Wort davon.
Dafür wird das Fräulein Euch wenig danken. Wenn Ihr aber doch eine Losung haben wollt, so raunt dem Fräulein ins Ohr: der Waldmeister sendet! und gebt acht, wie die Wirkung sein wird.
Frau Barbara sah ihn groß an, schüttelte den Kopf und ging. Der Fremde hatte so eigene Augen; es war sicher in seinem Hirnkasten nicht recht richtig.
Aber schon nach wenigen Minuten kam sie zurück, machte ein zierliches Gesicht und sagte: Es kann sein, daß ich Euch doch Unrecht getan habe; das Fräulein will Euch hören.
Der Fremde wurde plötzlich glutrot, nickte zustimmend mit dem Kopfe und folgte ihr, ohne sich über seinen Sieg weiter zu äußern.
Maria erwartete ihn mit großer Unruhe. Das war sicher der Mensch, den Heinz sich vergeblich aufzufinden bemüht hatte. Hätte sie's ihn nur wissen lassen können! Aber um diese Zeit durfte er sich nicht aus dem Kontor treppauf wagen. Als nun der Fremde, den großen Filzhut in beiden Händen, eintrat, musterte sie ihn mit einem gespannt neugierigen Blick. Aber auch er nahm sie fest ins Auge, und die Hände krampften sich in den Filz, und die weißen Zähne faßten die Unterlippe. Das ist sie – das, murmelte er leise und für sie unverständlich vor sich hin.
Ihr habt mich sprechen wollen, begann sie nach einer Weile.
Ja, antwortete er mit heiserer Stimme.
Und was habt Ihr mir zu sagen?
Der Fremde schien sich überwinden zu müssen, das Gespräch fortzusetzen. Alle Muskeln des Gesichts waren in Bewegung. Ihr liebt den Junker von Waldstein.
Herr –!
Ihr liebt den Junker von Waldstein und wollt mit ihm heimlich in die Fremde.
Maria verlor alle Farbe und verfiel in ein leises Zittern. Was sie tausendmal ohne Bangen gedacht hatte, gewann nun eine schreckhafte Gestalt, da es so offen von einem Unbekannten ausgesprochen wurde.
Es ist endgültig noch nicht beschlossen, antwortete sie, die Augen senkend.
Aber der Waldmeister am Melno-See ist schon um ein Quartier angegangen. Versteckt Euch nicht vor mir: ich weiß alles.
Wenn Ihr denn alles wißt, so sagt, ob uns geholfen werden kann. Wahrlich, wir sind in großen Nöten um unserer Liebe willen.
Veit von der Straße lachte höhnisch, so daß sein feines Gesicht dem Mädchen jetzt recht häßlich erschien. Beim Waldmeister wird's Euch nicht sonderlich behagen, fürchte ich. Ich sehe, Ihr habt ein weiches Kissen auf Eurem Stuhl und einen Teppich unter Euren Füßen. Könnt ich in Eure Schlafkammer blicken, so wüßt' ich, wie eines reichen Kaufherrn Tochter in Danzig gebettet wird. Der Waldmeister wohnt in einem Blockhaus, er hat nur ein einziges Gemach, und der Rauch von seinem Herd zieht durch die Ritzen des Daches. Er schläft auf einem Lager von Laub und nährt sich von schwarzem Brot und geröstetem Wildfleisch. Habt Ihr Lust, ihm die Wirtschaft zu führen?
Es durchschauerte sie. Aber wenn der Ort sicher ist – zitterte sie heraus.
Oh, sehr sicher. Ihr fürchtet Euch doch nicht vor Hexen und solchem Gesindel? Davon gibt's im Walde die Menge. Ganz in der Nähe ist der Heidenwall, in dem sie ihre Götzenbilder verstecken. Stille Leute sonst, sie tun niemand etwas, den der Waldmeister beschützt. Die Herren in Schloß Rheden sind gefährlicher: die spüren den hübschen Weibsen nach und nehmen sich gewiß gern der Verlaufenen an, denen es im Walde nicht geheuer ist.
Ihr ängstigt mich – ich hatte es mir so nicht vorgestellt. Hat Euch der Waldmeister geschickt, um abzureden?
Nein, so menschenfreundlich ist er nicht. Er hat geflucht und gewettert, ich bin nicht daraus klug geworden. Sein drittes Wort ist der Teufel, mit dem er auf gutem Fuße zu stehen scheint. Er hat so eine eigene Art, sich über das auszudrücken, was ihm gefällt und nicht gefällt. Den Brief des Junkers hat er mir zu lesen gegeben, da er selbst die Kunst nicht versteht. Ich sage Euch die Wahrheit, nichts mehr und nichts weniger.
Und warum das? welchen Antrieb habt Ihr –
Pah, ich kenne den Junker – von Polen her, wie er da in Kriegsgefangenschaft war. Wißt Ihr auch, wer seine Wunden gepflegt und ihn wieder zu einem Manne gemacht hat? Wißt Ihr das? Ich hoffe, er ist nicht so undankbar, das in Euren Armen vergessen zu haben.
Maria haschte ängstlich jedes Wort von seinen Lippen. Das polnische Fräulein – glaubt mir, er liebt sie nicht.
Er liebt sie nicht! Ist das so gewiß? Was weiß der Mensch, wen er liebt und wen er haßt? Es hält ihn etwas in seinem Bann, daß er blind ist und aus dem gezogenen Kreise nicht heraus kann. Er liebt sie nicht – weil er Euch liebt, weil Ihr's ihm angetan habt. Es muß ein Zauber sein, der nicht gleichmäßig seine Kraft bewährt. Denn eine Zeit … Es mag sein, er liebt das polnische Fräulein nicht, das ihm das Leben gerettet hat. Er glaubt's wenigstens so – und das kann Euch ja genug sein, ganz genug.
Dem Mädchen war das Weinen nahe. Was gibt Euch ein Recht, so grausam –
Aber das polnische Fräulein liebt ihn! rief der Fremde hinein, richtete sich dabei hoch auf und schüttelte den Hut in der Luft. Oder, das polnische Fräulein haßt ihn – ich weiß nicht, es kommt auf eins heraus. Er hat sich frei gemacht und ist entsprungen. Meint er nun frei zu sein? So wird man seiner Buße nicht ledig. Es kann sein: das polnische Fräulein gewinnt ihn sich nimmer. Aber sagt selbst: Wenn Ihr ihn nicht haben könntet, wolltet Ihr ihn einer andern gönnen? Und Ihr seid ein deutsches Fräulein, und die Leute behaupten, die deutschen Mädchen hätten anderes Blut in den Adern als die polnischen drüben, kühleres, dünneres – was weiß ich? Laßt Euch warnen! Das polnische Fräulein schüttelt's nicht ab mit Klagen und Weinen und Beten. Was das für ihn getan hat, das läßt sich nicht abtun mit frommem Willen. Es brennt auf der Lippe und im Herzen, und der Brand muß gelöscht sein – so oder so. Seht mich nicht staunend an, woher ich solche Kenntnis habe. Ich bin des Fräuleins Knappe und habe mich in ihren Dienst geschworen für Lebenszeit. Und ich warne Euch: bedenkt, was Ihr Sündliches treibt und unternehmen wollt, Euch und Eurem Hause zu Schimpf und Schande. Laßt ab von ihm! Nie werdet Ihr seiner Liebe froh werden!
Maria brach in ein heftiges Schluchzen aus, bedeckte die Augen mit den Händen und neigte den Kopf tief auf den Schoß hinab. Als sie endlich aufblickte, war der Fremde verschwunden, und Barbara stand vor ihr, sie besorgt anschauend. Was ist geschehen? fragte sie. Was wollte der wilde Mensch? Ich hörte so laut sprechen.
Maria warf sich an ihre Brust, schluchzte und rief: Ach, ich bin sehr unglücklich! –